Die Bäume bäumten vor sich hin, grün und dicht belaubt, und wie immer in den allmählich verglühenden Sommertagen begannen sie auszufransen, zeigten erste zarte Verfärbungen ihrer Blätter, vielleicht kein Mangel an Lebenskraft, sondern eher der überhandnehmende Wunsch, sich zurückzuziehen in die Wurzel, aus der sie kamen, eine Folge der Ermattung nach dem gnadenlos heißen August.
[red][Sehr fein. Inhaltlich: Verfärbungen, weil du den Rückzug der Bäume aus der sichtbaren Welt, aus der Wahrnehmung, damit andeutest, sind konkreter: Entfärbungen, Verblassen. Nun verfärben sich die Blätter der Bäume im Spätsommer doch in spektakuläres Rotgoldgelbbraun (, das ich eher als Aufbäumen gegen den nihilierenden, extinguierenden, tötenden Winter sehe.) Ich glaube, mich als Leser irritiert etwas, dass nach dem gnadenlosen Heiß des August die Bäume noch so grünen. ][/red]
Ein Mann mit Brille marschierte vorbei, trug einen schweren Bauch vor sich her, gerade so, als ob er darauf hinweisen wollte, dass eine Brille allein noch keine Garantie für Weitsicht sei. Er drehte sich um, schaute einige Zeit im Cafégarten hin und her, schien unschlüssig, suchte Blickkontakt mit mir, machte eine vage Handbewegung, setzte sich an meinen Tisch und begann, von seiner Frau zu erzählen. Manche Leute scheinen zu denken, ihre Probleme müssten die ganze Welt interessieren. Lästiges Volk! Muss ich mir so etwas anhören?
[red][Der schwere Bauch als Verstärker für die Brille. Hm? Groucho? Ich weiß nicht so recht. – Cafégarten: feines Wort. Ich kenne Biergarten und den türkischen Çay bahçesi (Teegarten), aber der Cafégarten gefällt mir sehr (Kritikaster könnten ihn für eine antquierten Neologismus halten, ich nicht.
„machte … setzte und begann „ gefällt mir gut (du nimmst Tempo auf.)
Rest. Gut.]
[/red]
Seine Frau also war nach Portugal gereist und beim Anhören der schwermütigen Fados (gelesen: Fadusch) in der Traurigkeit ihres eigenen Lebens versunken. Sie tauchte nicht wieder auf, da war nur noch ein Rechtsanwalt und der schickte Drohbriefe und forderte Geld. Der Mann mit dem Bauch, er nannte sich Felix, ausgerechnet (denn „Felix“ hieß `der Glückliche´, und glücklich war der Mann weiß Gott nicht), jedenfalls dieser Felix hatte die Briefe des Rechtsanwalts weggeworfen, alles was ankam, und, sagte er, er denke gar nicht daran, irgendwelches Geld zu zahlen.
„Können die mir irgendwas tun?“ fragte er.
„Keine Ahnung“, sagte ich, “hatte zum Glück nie mit einem Rechtsanwalt zu schaffen.“
„Ja, sind Sie denn nicht verheiratet?“
[red][das „also“ ist zwar wohlbekannt also nicht neu, aber dieser Leser ist einverstanden. Dein „gelesen Fadusch“ vrstehe ich sehr gut, würde es aber der Leserin anlasten, wenn sie‘s nicht weiß, wie man fados ausspricht. Den Rest dieses Absatzes finde ich sehr gut formuliert. Die nächsten 3 Zeilen Dialog sind grouch-isch. ,-) ] [/red]
Mir wurde die Fragerei allmählich zu aufdringlich. Ich schaute die Bäume an und war mir sicher, dass sie während dieses Gesprächs weiter ermattet waren und rascher als vorher an gesunder Farbe verloren. Ich entschloss mich, die Unterhaltung in eine andere, allgemeinere und hoffentlich unverfänglichere Richtung zu lenken.
[red][„weiter ermattet waren und rascher als vorher an gesunder Farbe verloren“ - Protest, s.o. ][/red]
„Ach ja“, sagte ich. „Was ist der Mensch? Eine Maschine mit Leidensfähigkeit, oder was sagen Sie? Die Natur, behaupten manche, habe das so eingerichtet, damit wir uns nicht zerstören. Aber das ist die Theorie. Wir wissen: In der Praxis funktioniert es meistens gar nicht. Ein Programmierfehler, nehme ich an. Wir sind von Anfang an falsch programmiert.“
[red][„…mit Leidensfähigkeit … damit wir uns nicht zerstören…“ Hm? Versteh ich so kurz gefasst nicht.]
[/red]
Er glotzte mich an. „Ich verstehe nichts vom Programmieren. Und was hat das mit meiner Frau zu tun? Sie braucht doch bloß zurückkommen, dann ist alles gut.“
„Sie sind falsch programmiert, Mann. Ich sagte es doch: Wir alle sind falsch programmiert.“
Er starrte mich weiter an, mittlerweile recht ärgerlich, wie mir schien.
„Was? Ist es nicht normal, wenn ein Mann mit seiner Frau zusammenbleiben will?“
„Lieben Sie sie?“ fragte ich, fast sicher, dass ihm darauf keine intelligente Antwort einfallen würde.
„Wir haben zwanzig Jahre zusammengelebt. Sie hatte doch alles. Da geht man doch nicht einfach weg.“
„Ich habe Sie gefragt, ob Sie Ihre Frau lieben, und darauf haben Sie mir nicht geantwortet. Denken Sie doch mal ein bisschen nach! Vielleicht kommen Sie ja darauf, was Ihrer Frau gefehlt hat.“
„Was wissen Sie denn über zwanzig Jahre Ehe, junger Mann?“ versetzte er fast feindselig.
„Junger Mann? Ich bin vierzig, und immerhin war ich mal acht Jahre lang mit einer Frau zusammen. Und eines habe ich gelernt: Frauen wollen wie wir in einem warmen Sog von Liebe leben, und das muss jung bleiben und frisch oder immer wieder jung und frisch werden. Schauen Sie sich doch mal diese Bäume hier an!“
[red][gefällt mir sehr gut.][/red]
„Die werden bald alles verloren haben“, sagte er.
„Gar nichts werden sie“, antwortete ich. „Sie brauchen eine Zeit der Ruhe, dann kehren sie in aller Pracht zurück.“
„Laienprediger, was?“ ätzte er.
[red][hm? Checke ich nicht ganz. Den Laienprediger. ;-)]
[/red]
„Ich habe Sie nicht eingeladen, sich an meinen Tisch zu setzen.“
Ich griff nach meinem Weißbierglas, nahm den letzten Schluck, winkte der Bedienung, zahlte und ging.
[red][Schluß gut.]
[/red]
Lieber Ofterdingen. Gefällt mir insgesamt sehr gut.
Cheers
serge
(ich wollte 8,5 Lesepunkte geben, aber wtf: 9)