Mundart inne Wandlung

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Mundart inne Wandlung

Wenn der olle Gutenberg nich um 1450 dat Buchdruckergedöns ausgebrütet und der aufmüpfige Luther nich 1521 die Bibel von Latein in dat Deutsche gedolmetscht hätte, wär unser schönet Deutschland noch heute ne Ansammlung aus zig protzigen Königreichen, Fürsten- und Herzogtümern,Grafschaften, Stadt- und klotzig reichen Kirchenstaaten.
Et gab damals weder ne einheitliche Sprache noch Schrift, und genau deshalb war da auch nix mit nem gemeinsamen Sprachraum, der ne ordentliche Bildung von son Staat möglich gemacht hätte.
Vor die Bibelübersetzung war dat Latein die Sprache vonne vergreisten Geistlichkeit und der klugen Gelehrten, Französisch war die Sprache bei die Blaublütigen. Dat ausländische Kauderwelsch haben die Brüder gesprochen, damit dat gemeine Volk nur nix verstehn sollte, wat se da heimlich für gemeine Fiesemantenten auskungelten.
In jedem von diese kostspieligen Ministaaten wurden vom „gemeinen Volk“ eigene Dialekte gesabbelt.
Luther peilte der Bevölkerung genau auf dat Maul und schuf durch seine volksnahe Deutung von dat Neue- und dat Alte Testament – die einheitliche Deutsche Sprache.
Er war also nicht nur son einfachen frommen Reformator, sondern auch der Vadder vonne einheitlichen deutschen Schriftsprache.

Die meisten vonne Kleinstaaten gingen inne Binsen – die deutsche Sprache in Wort und Schrift aber überlebte.
Und vonne massenhaften geografischen Gebilde blieben „nur“ sechzehn Bundesländer übrig. Einet davon heißt „Nordhrein-Westfalen“. Nebenbei gesacht: Dieset Land hätte eigentlich allein schon wegen die Kosten gereicht!
Hier entstand vonne Industrialisierung (1860 – 1920) an, ne besondere Region, die noch heute son außergewöhnlich ausgeprägtet Dialekt spricht – ne Mundart, die et in sich hat.
Die hier lebenden Menschen reden Tacheles – ohne jeden Schnörkel. Kraftvoll sagen se offen raus „wat Sache iss“. Wo lauscht man noch diese urige, liebenswerte Alltagssprache mit dem „Wat“ und „Dat“, und dem „Wennze“ und „Kannze“?
Na, is endlich der Groschen gefallen? Richtig, in Westfalen, genauer gesagt – im Ruhrpott.

Auswärtigen fallen manchma die Ohren ab, wenn se die Emschersprache in Reinkultur, also ausse tiefsten Sohle von dem Ruhrpottdialekt inne Lauscher kriegen. („Ey, Theo, tu mich ma n Pilsken!“ oder „samma, hattata geplästert?“ = „sag mal, hat es da geregnet?“).
Diese Hardcore-Mundart is allerdings nix für feinnervige Gehörgänge. Deshalb war se lange Zeit, vor allem bei die pingeligen Sprachwissenschaftler und Sprachpflegejünger, verächtlich als Gossensprache vonne Ungebildeten – sogar als Proletendeutsch der Westfalczyks verschrien.
Die Vögel meinten doch tatsächlich, der Ruhrpottslang wär überhaupt kein Dialekt, sondern nur son Regiolekt, also nur Teil von sonne regional verbreiteten Umgangssprache.
Fachleute vonne Unis Bochum und Duisburg bewiesen den Herrschaften aber, dat et sich beim Ruhrdeutsch sehr wohl um en handfestet Dialekt handeln tut.
Und nich nur dat.
Et is auch en unüberhörbaret Zeichen und Ausdruck vonne starken Zusammengehörigkeit vonne Menschen mit ihrem geliebten Ruhrpott.
Ruhrdeutsch is dat Ergebnis vonne langen Entwicklung. Et entstand vor allem aussem überlieferten Westfälischen- und Niederrheinischen Platt. Natürlich waren da auch son paar andere Spracheinflüsse zugange:

Schon seit fünfhundert Jahren leben Juden im Ruhrgebiet. Dann is dat doch normal, dat der Dialekt auch viele jiddische Ausdrücke drin hat:
Ich hab da wat ausbaldowert (auskundschaftet). Bisse meschugge? (Bist du blöd?) Wenne Miese machs, (beim Skat Verlustpunkte) bedeutet dat, keinen Reibach (Gewinn) zu machen. Wenn ne Sache nich ganz koscher (sauber) is, gibt et leicht Zoff oder Zorres (Ärger).
Beim Zocken (Glücksspiel) krisse keinen Rochus (Wut) wenn allet toffte (gut) läuft.
Ja, und dann „kam Stachu aus Polen, mit Stiefel ohne Sohlen“ in dat Ruhrgebiet. Jeder im Ruhrpott kennt diese Spottverse, die jede Menge negative Vorurteile besangen.

So zwischen 1870 und 1925 wanderten rund zwei Millionen Polen ausse verarmten Ostgebiete aus. Der Kohldampf inne Heimat verstreute sie in alle Himmelsrichtungen. Auch in dat Ruhrgebiet. Hier wurden damals jede Menge Malocher gebraucht. Sie wurden sogar mit große Ehrenworte auf ne bessere Zukunft angeworben.
1905 redeten beispielsweise in Bottrop ein Drittel vonne Einwohner Polnisch. 1914 malochten bereits fünfhunderttausend Polen und Polendeutsche aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern im Pott.
Für die Einheimischen waren et lange Zeit ohne Unterschied die „Pollacken“ (von Polacki = Polen). Sie schufteten mit die deutschen Kumpels unter Tage – Schulter an Schulter.
Witze erzählt man sich noch heute vonne polnischen Einwanderer:
Sie werden in „gebrochen Deutsch“ erzählt und berichten vonne Maloche mit Mottek (Bergmanns-Hammer, polnisch = Mlotek) und Pannschüppe im Pütt (Bergbau) und vom Ärger mit Steigerchen. (Steiger = akademischer Beruf im Bergbau).
Natürlich wird auch son bissken über die „polnischen Wirtschaft“(Unordnung), den Mattkas (Frauen), und ihrem dobsche (guten) Leben auf Kubitschko (Pump) inne Kolonie (Bergmannswohnsiedlung) gelästert.

Die harte Arbeit unter Tage und dat gegenseitige Puckelschruppen nache Schicht inne Waschkaue schweißten die Püttrologen, genau wie das anschließend gemeinsam geschnasselte Gedeck (Korn und Bier), zusammen.
Mischehen mit Polen hatten zur Folge, dat man im Ruhrpott kaum en Familienstammbaum finden dürfte, in dem nich ein Hausname mit “ki“ oder „czek“ endet.
Manche Polen hatten so unaussprechlichen Namen, dat man ihn nur pfeifen konnte. Viele Menschen haben sich deshalb den Namen behördlich schleifen lassen. So wurden aus Koslowski – Kosberg und aus Nowicki – Nowak oder Novy.
Dat Polendeutsch wurde zum markantsten Markenzeichen von dat Ruhrgebietsdialekt.

Der Ruhrpottslang kam aber auch aus andere Richtungen. Niedersächsisch und Niederfränkisch zum Beispiel – mit den Endungen –ken statt –chen (Würstken statt Würstchen)
Auch im Ruhrpott selbst bestehen mehrere Dialekte. Dat rheinischen Sprachmerkmal im Westen, beispielsweise das Mölmsch (Mühlheimer Platt) und dat westfälische im Osten.
Auffallend is dabei der Bestätigungs- Anhang im westfälischen Teil vom Ruhrpott dat „Ne“? oder das „Nech“ ?“ Im östlichen, etwa ab Dortmund, sagt man „Woll?“ (Iss doch so, woll?).

Aussprache und Grammatik stecken voller Überraschungen.
Weil Ruhrpottdialekt Vorgänge kurz und knapp schildert, entstanden auch verkürzte Wörter:
„Tusse“ = tust du, „Bisse“ = bis du, „Hasse“ = hast du? „Zamma“! = „zeig mal“! „Hömma“! = „Hör mal“! „Samma, hasse no alle?“ = „sag mal, bist du noch gescheit?“, „gemma“ am Telefon! = „Geh ’mal“ ans Telefon!).

Im westfälischen Ruhrdeutsch schwindet häufig dat „r“ und wird durch „a“ ersetzt. (Unser Hoast fährt inne Kiiache nach Doatmund. Vatta und Kinda haben Duast. = Unser Horst fährt zur Kirche nach Dortmund. Vater und Kinder haben Durst.)

Lange Selbstlaute aussem Hochdeutschen werden häufig verkürzt. (Bannoff = Bahnhof, Vatta = Vater Omma = Oma).

Dat „g“ in Wörtern wie „wenig“, wird „wenich“ ausgesprochen.

Duisburg oder Hamburg werden mit dem Reibelaut wie „ach“ geredet (Duisburch oder Hamburch).

Die Rheinische Verlaufsform is im Ruhrgebiet ebenfalls üblich: „Et iss am plästern. Et fängt am rechnen“ oder „am regen“ = „Es regnet. Es fängt an zu regnen.“

Echtet Beispiel für die Ruhrpott-Umgangssprache ist auch die Kurzform „gezz“ für „jetzt“.

Die Unterscheidung zwischen Wemfall und Wenfall (Dativ, Akkusativ) schwand im Laufe der Zeit mehr und mehr und dat Zeitwort (Verb) „tun“ wurde „herrlich“ vergewaltigt. Beispiele:
„Komma bei mich bei, ich tu dich noch ’ne Körriwuast. Hömma, mach mich voll dat Glas! Tu mich ma wacker Zucker im Kaffee!“ „Sie! ich sach Sie wat.“

Auch der Wesfall (Genitiv) verlor immer mehr an Bedeutung: „Wegen dem Schneefall“ = „Mein Kumpel seine Olle“.
Verhältnisworte (Präpositionen) wie dat Wort „zu“ wird oft durch „bei“ ersetzt. „Ich geh’ beim Bund „oder „ Ich gemma bei die Omma.
Bindeworte wie „wegen“ oder “anstatt“ werden ersetzt: „wegen des Regens“ wird zu „weil dat am plästern is“.

Heute spricht man im Ruhrgebiet seltener den Kumpel-Anton-Dialekt vonne fünfziger Jahre. Man trifft ihn aber gottlob immer noch inne Eckkneipe, inne Fußballstadien auf Schalke, Dortmund, Bochum ... und aufem Wochenmarkt.

Ein gebräuchlichet Ruhrpottdeutsch, ne Mischung aus dat vornehme Hochdeutsch und vonne Mundart setzte sich letzte Zeit mehr und mehr durch und is heute Alltagssprache anne Ruhr. Gut, son Balanceakt aus Hochdeutsch und Ruhrpottisch geht oft völlig inne Hose, aber wat soll et? Mich stört et nich – im Gegenteil.

Dat Emscherdialekt war im Ruhrpott nie die Sprache „vonne Pfaffen, Politikers, Rechtsverdrehers und vonne anderen Akademikers“. Die bayrischen Studierten ticken da anders. Die reden ohne wenn und aber bis heute ihr uriget Bayrisch! Obwohl, wie gesacht, ein Bundesland wie dat Nordrhein- Westfalen meinzwegen ausgereicht hätte.

Du erkennz die Menschen ausse Ruhrpott-Heimat überall aufe Welt schon nach’m ersten Satz. So hasse, wenne dat willz, inne Fremde – rubbeldikatz Gesprächskumpels und kannz mit die dann tucke, tucke, also schön gemütlich, ’n Pilsken picheln und über Schalke quatschen.
Inne Musikszene, Literatur, aufe Bühne, im Funk und Fernsehen war die Ruhrpottsprache schon vor etwa fünfzig Jahren angekommen.

Musikszene:
(Geier Sturzflug, Bochum mit „Bruttosozialprodukt“), auch Herbert Grönemeyers „Currywurst 1982 (Auff’m Hemd, auffe Jacke, Ker wat iss dat für ne Kacke. Allet voll Körriwuast“).

Literatur:
Der gebürtige Essener Jürgen Lodemann, u. a. mit dem Roman „Anita Drögemöller und die Ruhe an der Ruhr“, erfreut mit „klassischer Ruhrerotik“. „Lass jucken , Kumpel“, der Roman und die fünf Filme von Hans Henning Claer, waren auch nicht vonne schlechten Eltern.
Selbst Dichtung in Ruhrpottisch is in.
„Sternkes inne Augen“, herrliche Liebesgeschichten aussem Ruhrpott, von Wernfried Stabo, tragen romantische Züge. Der Gedichtband „Pittermesser“ von Werner Streletz vermittelt ebenfalls „wat Romantischet“.

Eine Wörtersammlung von Ruhrpottvokabeln von Klaus Spick und Klaus Birkenhauer („Hömma!“) bringen Klärung bei so Wortstreitigkeiten. Ebenso dat im Rainer Henselowsky Verlag 1982 erschienene Lexikon vom Ruhrgebiet von Werner Boschmann „1000 Worte Bottropisch“ und Helga Kanies Wörterbuch „Sarret ährlich“.
Auch das Mölmsch-Lexikon der Stadt Mülheim mit etwa dreitausend Wörtern beantwortet Fragen zum Ruhrplatt.

Printmedien ...
benützten seit die 60 er Jahre gerne dat Ruhrpottdialekt.
Inne WAZ - Samstagsausgabe begann die Glosse von „Kumpel Anton“ jedet Mal mit: „Anton“ sachtä Cervinki für mich, …“
Die NRZ – ließ „Ämmil Cerwinski“ antreten. „Gehich ahms anne Bude um hol Zigaretten, treffich Kalla. ‚Mannomann, finga an …’

Kabarettisten ...
sind et, die den ausgeprägten Ruhrpott-Slang heute noch gern spöttisch nutzen aufe Spitze treiben.
Die ersten und bekanntesten vonne Kabarettisten/Innen waren Jürgen von Manger als Adolf Tegtmeier, Erwin Weiss („Ähwin“: „Wenn dich dein Mäusken beißt“ 1973). Auch unvergesslich: Dieter Krebs.
Tana Scharanza, ne beliebte Volks- und Theaterschauspielerin („Vatta, aufstehn …“1970), die Journalistin und Autorin Elke Heidenreich inne Rolle als Metzgermeistergattin Else Stratmann aus Wanne-Eickel, und viele andere haben aufe Bühne, im Funk und Fernsehen dat Kohlenpottisch überall in Deutschland bekannt gemacht.
Hochaktuell sind die Kabarettisten Uwe Lyko als Herbert Knebel mit seinem Affentheater, der aus Recklinghausen gebürtige Hape Kerkeling, Ludger Stratmann („Hausmeister Jupp“), Atze Schröder und andere Künstler. Sogar die Wiederholungen vonne Sendungen „Missfits“ mit Stefanie Überall und Gerburg Jahnke begeistern noch viele Mundartfreunde.

Film- und Fernsehregisseure ...
drehen gerne im kulissenreichen und sprachlich derben Ruhrpott. Die Filme und sind oft echte Knaller (Schimanski). Der WDR zeigte im April 2007 die TV-Komödie „Harte Brötchen“ mit Katharina Thalbach, Uwe Ochsenknecht u. a „dat Milljö“ um dat Kommunikationszentrum für kleine Leute – ne Selterbude in Oberhausen.
Fast jeder kennt die Kommödie „Fußball ist unser Leben“. Ein herzlicher Blick auf die Schalke-Fans mit Uwe Ochsenknecht, Tana Scharanza u.v.a. – einfach toff!

Alle Dialekte sind lebendig und fließend, sie verändern sich im Laufe von Jahrzehnten immer wieder. Son Dialektwandel is leider nich steuerbar. Fremde Strömungen, wie wir sie heute mit die Millionen Einwanderer, vor allem mit die etwa sechshunderttausend Türken in Nordrhein Westfalen erleben, haben bereits das Ruhrpottisch verändert.
Auch sie malochen, wie damals die Polen, in unsere Industriebetriebe und Bergwerke.
Ihre Kanak-Sprak hat schon lange dat Ruhrgebiet erreicht und vermischt sich langsam aber sicher mit die Emschersprache. Wat geht da mit die Sprak ab?
Als Ruhrpöttler im Exil besuche ich gerne ma die Eckkneipen im Pott. Kürzlich saß ich in meiner Heimatstadt Herne wieder ma am Tresen dran und wollte genüsslich den sprachlichen Heimatklängen lauschen. Höflich fragte mich der Kellner: „Bitte, was du wolle?“
Ich sachte: „Tu mich ma ’n Gedeck. Dat Pilsken zapp aber mit ’nem schönen Wilhelm oben dropp.“
Der Kellner: „Ey, Mann, dat iss voll krass, wo kommze wech?“
 



 
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