Mutterkorn

5,00 Stern(e) 3 Bewertungen

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wir standen auf
in jener Stadt
aus gesegnetem Stahl.

Waren käuflich.

Das Ave Maria Mühlchen
mahlte unermüdlich
unser Mutterkorn
Schuld.

Wir bogen nicht ab
wir fanden nicht
in ein anderes Nichts.

*

Was uns blieb
ein Engel

mit steinblauen
Brauen

über den Augen.

*

Nur das Licht
der Neonreklame
wagte

den Todessprung
in die
Pupille.
 
Zuletzt bearbeitet:

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Man juliawa Danke, aber um halb sieben gibst du dir solche Gedichte?? Krass... Da könnt ich noch gar nicht denken :D
 

juliawa

Mitglied
Hey Patrick, gerne, das ist ein sehr starkes Gedicht, vor Allem das letzte Bild!
halb sieben ist eigentlich nicht meine typische Zeit, aber ich konnte nicht schlafen :)
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Lieber Patrick Schuler,

auf den ersten Blick ist es vor allem der letzte Abschnitt, der mich an deinem Gedicht begeistert. Die Verse

Nur das Licht
der Neonreklame
wagte

den Todessprung
in die
Pupille.
sind in meinen Augen große Klasse!

Die Deutung deines Gedichtes ist für mich dennoch nicht besonders einfach. Einige ungewöhnliche Wortkombinationen wie Ave Maria Mühlchen müssen erst einmal geknackt werden. Aber der Reihe nach:

Es beginnt in einer Stadt aus gesegnetem Stahl. Eine Alliteration, bestehend aus den Wörtern standen, Stadt und Stahl strahlt dabei eine gewisse Härte aus, nur das Attribut gesegnet scheint der Szenerie zunächst etwas Tröstliches zu geben. Vor meinem inneren Auge fügen sich die ersten Zeilen deines Gedichtes zu einem Bild einer modernen Kirche zusammen. Letztlich ein Kosmos für sich (Stadt), in dem die Gläubigen ihren Ritualen (wir standen auf) nachgehen.

Dies wird aber nicht wohlwollend oder neutral geschildert, sondern negativ bewertet. Der Lyrische Erzähler blickt in die Vergangenheit, vermutlich auf die Kindheit zurück, und bemerkt, dass wir (eventuell ist damit die eigene Familie gemeint) käuflich waren. Dies könnte bedeuten, dass man sich von der Religion für entsprechende Gegenleistungen wie z.B. Spenden ein Heilsversprechen erhofft, welches letztlich als gekauft dargestellt wird.

In diesem Kontext wird die dritte Strophe des Gedichtes zur Anklage an die kirchliche Praxis:

Das Ave Maria Mühlchen
mahlte unermüdlich
unser Mutterkorn
Schuld.
Hier wird meiner Interpretation nach moniert, dass bereits den Kindern pausenlos das Narrativ der Erbsünde und damit ein Schuldstigma angelastet wird. Die darauffolgende Strophe enthält dann im Subtext die Hoffnung auf einen Ausweg aus diesem Weltbild, Realität aber wurde dieser nicht.

Der so beschriebenen Unterdrückung des eigentlich Lebendigen setzt der zweite Abschnitt des Gedichtes eine Kompensationsstrategie entgegen: Die Flucht ins Fiktive. Dabei ist interessant, dass diese Flucht in die Fantasie sich unweigerlich des vermittelten religiösen Weltbildes bedienen muss, welchem es eigentlich zu entkommen gilt. Dies wird daran deutlich, dass der Nothelfer ein Engel ist. Erst der religiöse Erziehungskontext ermöglicht diese Fantasie, welche im Übrigen durch den Lyrischen Erzähler auch als solche erkannt zu werden scheint. Dies schließe ich daraus, dass im zweiten Abschnitt des Gedichtes im übertragenen Sinne ein echter Augenkontakt, meiner Meinung nach eine Metapher für das Erleben des Wirklichen, nicht möglich ist.

Dieses Erleben aber gelingt dem Erzähler in der letzten Strophe des Textes, allerdings mit der vernichtenden Konsequenz, die erlebte Realität in ihrer Abgestorbenheit und Künstlichkeit anerkennen zu müssen.

Ich habe mich gern mit deinem Gedicht auseinandergesetzt.

Herzliche Grüße
Frodomir
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Dear Patrick!

"Mutterkorn" ist ein großes Wort.
Es hat eigentlich den ganzen Isenheimer Altar in sich.

Dein Gedicht plündert aber, soweit mein erster Blick reicht, nicht die Lysergsäure-Sensationen (Farben) und den Ergotismus der Antoniusfeuer-Brandopfer - -

oder doch?

grusz, hansz
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Frodomir

Sorry für die verspätete Antwort, ich hatte die letzten Tage mal eine Pause nötig. Das Gedicht selber ist recht intuitiv entstanden, ich habe die Bilder einfach aufkommen lassen. Manchmal mache ich das und wundere mich darüber, wie stringend sie ineinander greifen, ohne das ich es beabsichtigt habe. Ich glaube du liegst mit deiner Interpretation nicht ganz falsch, sie sagt mir durchaus zu.

L.G und herzlichen Dank für den tollen Kommentar
Patrick


Hallo Hansz

Ich weiß es nicht, tut es das? Wie gesagt, es ist recht intuitiv entstanden.

L.G
Patrick
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo Patrick Schuler,

kein Problem! Ja, manchmal arbeitet man jahrelang an einem Text und er will einfach nicht gelingen und manchmal fließt es einfach nur so raus.

Schön, dass dir meine Interpretation zusagt :)

Herzliche Grüße
Frodomir
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Frodomir

Ja, da sagst du was ... leider bin ich ungeduldig, wenn ich für einen Text länger als 15 Minuten brauche, werde ich nervös und gebe ihn meistens auf. Schade eigentlich, ich sollte mir mehr Zeit für meine Texte lassen.

L.G
Patrick
 



 
Oben Unten