Myelin-Scheide

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booklies

Mitglied
Mein neues Lied
spielt vom Leben.
Die Hölle am Ende der Röhre.
Lass mich noch ein wenig in Ruhe.

Weihrauch brachten sie nicht,
aber Myrrhe und Schwefel und weihten mich.
Vielleicht war ich deshalb verflucht.

Noch bevor sie es sagten,
träumte ich von einem Brief.
Hiobsbotschaft stand auf ihm.

Sie sagten mir, ich trage Narben in mir.
Als hätte ich das nicht schon gewusst.
Sie sagten mir, was mich einst schützte,
scheint mich nun zu zerstören.
Als hätte ich das nicht schon gewusst.

Ich stehe noch, sage ich und zücke das Schwert
aus der Myelin-Scheide.
Denn so lange ich kämpfe, lebe ich.


Wir sind nicht alleine!
 

sufnus

Mitglied
Hi booklies!
Medizinische Themen sind ein heikles Gebiet in der Lyrik, nicht weil es "Vokabel-technisch" so schwierig wäre, darüber zu schreiben, gibt doch der Ärztesprech so einiges an lyrisch Verwertbarem her, wenn er sich manchmal ziemlich unverblümt gibt ("Bierherz"), manchmal eigenartig uneigentlich daherkommt ("stumme Niere") und häufig in chiffrierten Fachjargon ausweicht ("Filiarisierung"). Die Schwierigkeit liegt eher darin begründet, die technische Fachsprache und die emotionale und existentielle Seite in Wechselwirkung treten zu lassen.
Vielleicht illustriert auch diese Beobachtung die Schwierigkeit: Es gibt zwar gar nicht so wenige Ärzt:innen, die bedeutende/erfolgreiche Schriftsteller wurden (Francois Rabelais, Georg Büchner, Arthur Schnitzler, Alfred Döblin, Anton Tschechow, Arthur Conan Doyle, Michael Bulgakow, Colleen McCullough, Stanislaw Lem, Louis-Ferdinand Céline, Michael Crichton, Tess Gerritsen, Uwe Tellkamp, Taslima Nasrin) ... aber Lyriker sind etwas rarer ( wenngleich mit Keats, Benn, Schiller u. W. C. Williams auch ein paar Schwergewichte dabei sind).
Ich finde... um jetzt mal wieder aus dem Namedroppingmodus rauszugehen und stärker on-topic zu reden... dass Dir das hier sehr gut gelungen ist!
Ich denke, man kann den Kontext der körperlichen Anfechtung auch dann erahnen, wenn man nicht weiss oder herausliest, dass die Röhre ein MRT ist, dass für Weihrauch und Myrrhe antientzündliche, evtl. in diesem Krankheitskontext nutzbare Wirkungen diskutiert werden (aktuell eigentlich nach meinem Wissen in diesem speziellen Fall noch mehr für Weihrauch als für Myrrhe, weshalb ich das viell. umgedreht hätte) und dass Myelinscheiden für die Funktion von Nervenbahnen wichtig sind.
Ich finde, Dein Gedicht nimmt den Leser (positiv gemeint!) mit.
Der allerletzte Satz ist Dir dabei bestimmt besonders wichtig - ich hätte ihn als Leser unter "literarischen" Gesichtspunkten nicht unbedingt gebraucht - aber ich verstehe gut, wenn Du die Zeilen gerade genau so enden lassen möchtest. :)
LG!
S.
 

booklies

Mitglied
❤ Vielen Dank auch für das Namedroping! Ja Myrrhe und Schwefel gehören für mich vor allem aufgrund der Anfangsbuchstaben zusammen. Auf antientzündliche Jahre!
 



 
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