Nabelbeschau

DIESA

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Einst, war eine Frau, die hatte einen Bauchnabel. Und was für ein Nabel das war!
Vor dem Nabel offen, lag die Welt. Hinter ihm verborgen, war die Frau und in ihm, fand sich manchmal ein Fussel.
Als dieses Tor zwischen Welten, faszinierte der Nabel die Frau, die nicht aufhören konnte, sich diesen geschickt mit ihr vernähten Wirbel zu betrachten und mit dem Finger darüber zu fahren. Leider teilte die restliche Welt ihre Faszination über dieses Stückchen Hautwucher nicht, aber das hielt die Frau nicht davon ab zu wissen, dass ihm ein Geheimnis zugrunde lag, das entdeckt werden wollte. Dieser Nabel kannte Antworten, die von der Frau gehört werden wollten.

Als sie nun wieder da saß, vornübergebeugt, den Blick sinnierend über das Barock anmutende Knöpfchen, mit den kleinen Fältchen, da war ihr Entschluss gefasst. Schnell nahm sie das scharfe Messer, dass sich schon für diverse Fleischgerichte bewehrt hatte und leichter als gedacht ließ sich die weiche Haut trennen.
Dort lag nun also alles.
Die Geburt, die Mutter. Das Richtige und das Falsche. Alle Fehler der Frau und all ihre Tugenden und sie lächelte über ihre kluge Neugier, die die restliche Welt für so trivial gehalten hatte. In einem pulsierenden Schwall Blut ergoss sich die Informationsflut mit all ihren Eindrücken über die Frau.
Die Stimmen, die Düfte, der Wind, die Wärme, das Wohlige sein und das Verlassen werden. Bald hatte die Frau beide Hände voll und nahm das Knöpfchen vorsichtig zwischen die Zähne, konzentriert in ihrer Arbeit, bedacht nichts zu verpassen, nichts auszulassen von den Dingen die ihr Leben waren!
Kichernd fand sie sich zwischen ihren längst vergessenen Schulfreunden, sah sie sich mit dem Hund über eine Wiese tollen, wiegte sie sich in den Armen ihres ersten Freundes. Doch dann wurde ihr leicht im Magen und schwer im Kopf, denn die Großmutter starb und der Vater ging um eine neue Familie zu haben und die Freunde beantworteten keine Anrufe mehr und die Mutter weinte dicke depressive Tränen und die Frau schluckte den großen Kloß in ihrem Hals und mit ihm, den Nabel und nur die Welt, die von dieser Unternehmung nichts gehalten hatte sah, dass jetzt doch wieder alles verbunden war. Der Anfang, das Ende und dazwischen die Frau mit dem Bauchnabel.
 



 
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