Nachgedanken

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Mimi

Mitglied
Immer wieder hallt die selbe Frage in meinem Kopf.
Sie lauert mir nach wie ein hungriges Raubtier, verfolgt mich bis in meine Träume.
Es ist kurz nach Mitternacht.
Ich ziehe die Decke bis zum Kinn hoch, zwinge mich im Bett liegen zu bleiben.
Der Drang aufzustehen zerrt an meinem Körper, ich schaffe es nicht ihn zu unterdrücken.
Meine Beine kribbeln, fühlen sich rastlos an.
Langsam richte ich mich auf, bewege mich Schritt für Schritt durch den Flur bis zur Küche. Dort lasse ich das Licht aus, gehe tastend bis zum Fenster.
Auf den Ästen der Birkenbäume hat sich eine dünne Eisschicht gebildet.
Der mondlose Nachthimmel ist sternenklar.
Ich weiß, dass einige dieser Sterne längst erloschen sind, während ihr Licht immer noch sichtbar ist.
Ähnlich wie der winzige Punkt auf dem Monitor in der Arztpraxis. Er ist nicht mehr da. Und trotzdem ist etwas davon noch wahrnehmbar.
Der Gedanke an die angebrochene Flasche Merlot im Kühlschrank ist tröstlich und beängstigend zugleich.
Ich rücke näher an die Fensterbank, sehe wie mein Atem an der Glasscheibe kondensiert.
Noch ist alles still draußen. Noch liegt die Nacht wie ein schützendes Tuch über der Straße.
In ein paar Stunden werde ich mit rot geschminkten Lippen und getuschten Wimpern in meinem Büro sitzen.
Die Fenster dort sind bodentief und bieten einen weiten Ausblick hinunter auf das rege Treiben der Stadt, das einer merkwürdig anmutenden Choreographie gleicht.
Was wäre, wenn ich es nicht getan hätte?
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Mimi,
das ist jetzt mein zweiter Anlauf für einen Kommentar.
Was wäre, wenn ich es nicht getan hätte?
Ich hatte schon ausführlich erklärt, dass ich nicht verstehe, was es hier meint. Nach dem dritten Lesen tippe ich jetzt, dass es um eine Abtreibung geht? Mit der Lesart entwickeln die Bilder im Text zumindest enorme Kraft. Hier muss man als Mann wirklich nachdenken, um sich einfühlen zu können.

Viele Grüße
lietzensee
 

Rachel

Mitglied
Hallo lietzensee, deine Lesart mit der Abtreibung macht Sinn und lässt die Geschichte tatsächlich wachsen. Warum komm ich da nicht drauf? Könnt mich glatt ärgern. Dachte an eine überstandene Erkrankung, was mir aber nicht recht gefallen wollte. Sogar an einen kleinen Mord … Auch die Frage am Ende ist nun nicht mehr müßig, sondern lässt die Fantasie irgendwie konkreter werden. Sehr gerne gelesen. LG
 
Klar, ich habe auch gleich zu rätseln begonnen und vor Kenntninsnahme der schon vorliegenden Kommentare ebenfalls auf Abtreibung getippt. Aber das ist nur eine mögliche Erklärung. Man muss sich die genaue Situation vor Augen halten, diese nächtliche Benommenheit, der Kampf mit Restschlaf oder Schlaflosigkeit - da kann so manche Frage an sich selbst ein Gewicht erhalten, das man tagsüber so nicht spürt. Ich konne mich als Mann (also nicht zur Abtreibung imstande) sehr gut in diese Situation und die damit verbundenen Eindrücke und Gedanken einfühlen. Vieles kann dann als Unbewälltigtes stark belasten, mehr als am Tag. Beispiele: Trennung von anderen Personen, Berufswechsel, Ortswechsel, Studienabbruch, eigene kriminelle Handlungen usw. Der Text passt auf jeden gravierenden existenziellen Einschnitt, der nicht rückgängig gemacht werden kann.
 

Mimi

Mitglied
Danke, lietzensee, für Deinen Kommentar (im zweiten Anlauf).


Nach dem dritten Lesen tippe ich jetzt, dass es um eine Abtreibung geht? Mit der Lesart entwickeln die Bilder im Text zumindest enorme Kraft. Hier muss man als Mann wirklich nachdenken, um sich einfühlen zu können.
Dein Kommentar hat wiederum mich als Autorin zum Nachdenken angeregt ...
Fällt es Männern generell schwer(er), sich in solche oder ähnliche Situationen, (weil vielleicht die Thematik eher ein "Frauenthema" zu sein scheint) hineinzuversetzen oder hineinzufühlen...?
Gibt es hier wirklich geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Einordnung/Interpretation des Textes, oder besser gesagt beim "Einfühlen"?

Beim Schreiben lag bei mir der Fokus eher auf die innere Gefühlswelt der Protagonistin.
Es hätte an dieser Stelle auch ein anderes irreversibles Ereignis sein können. Die Frage am Ende des Textes wäre dabei die gleiche gewesen.

Gruß
Mimi
 

Mimi

Mitglied
Auch die Frage am Ende ist nun nicht mehr müßig, sondern lässt die Fantasie irgendwie konkreter werden. Sehr gerne gelesen.
Schön, Rachel, dass Du mit dieser Prosa dann doch "etwas anfangen" konntest.
Wie ich bereits ähnlich in meinem Kommentar an lietzensee schrieb, vorrangig ging es mir um die Situation der Protagonistin und ihrer Gedankenwelt.

Gruß
Mimi
 

Mimi

Mitglied
Ich konne mich als Mann (also nicht zur Abtreibung imstande) sehr gut in diese Situation und die damit verbundenen Eindrücke und Gedanken einfühlen.
Das beruhigt mich dann doch wieder, lieber Arno.
Ich habe in der Geschichte versucht, nicht allzu sehr den Auslöser der gegenwärtigen Situation zu beschreiben, (der ist in der Tat austauschbar) sondern eher die Symptome.

Ich denke, diese Frage "Was wäre, wenn ich es nicht getan hätte" hat sich in irgendeiner Konstellation gewiss jeder selbst schon einmal gestellt.

Dankeschön fürs Kommentieren und Bewerten.

Gruß
Mimi
 
G

Gelöschtes Mitglied 26106

Gast
Immer wieder hallt die selbe Frage in meinem Kopf.
Sie lauert mir nach wie ein hungriges Raubtier, verfolgt mich bis in meine Träume.
Es ist kurz nach Mitternacht.
Ich ziehe die Decke bis zum Kinn hoch, zwinge mich im Bett liegen zu bleiben.
Der Drang aufzustehen zerrt an meinem Körper, ich schaffe es nicht ihn zu unterdrücken.
Meine Beine kribbeln, fühlen sich rastlos an.
Langsam richte ich mich auf, bewege mich Schritt für Schritt durch den Flur bis zur Küche. Dort lasse ich das Licht aus, gehe tastend bis zum Fenster.
Auf den Ästen der Birkenbäume hat sich eine dünne Eisschicht gebildet.
Der mondlose Nachthimmel ist sternenklar.
Ich weiß, dass einige dieser Sterne längst erloschen sind, während ihr Licht immer noch sichtbar ist.
Ähnlich wie der winzige Punkt auf dem Monitor in der Arztpraxis. Er ist nicht mehr da. Und trotzdem ist etwas davon noch wahrnehmbar.
Der Gedanke an die angebrochene Flasche Merlot im Kühlschrank ist tröstlich und beängstigend zugleich.

Ich rücke näher an die Fensterbank, sehe wie mein Atem an der Glasscheibe kondensiert.

(Anmerkung von Lese-Begleitung: Du sollstest Dich zeichnen in Umrissen mit Deinen Händen, liebe Mimi)


Noch ist alles still draußen. Noch liegt die Nacht wie ein schützendes Tuch über der Straße.
In ein paar Stunden werde ich mit rot geschminkten Lippen und getuschten Wimpern in meinem Büro sitzen.
Die Fenster dort sind bodentief und bieten einen weiten Ausblick hinunter auf das rege Treiben der Stadt, das einer merkwürdig anmutenden Choreographie gleicht.
Was wäre, wenn ich es nicht getan hätte?
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo Mimi,

nach so zahlreicher Zustimmung zu deinem Text möchte ich mit einer kritischen Anmerkung dagegenhalten, wie es sich für ein Forum, das von verschiedenen Betrachtungsweisen und Interpretationen lebt, gehört. Zunächst ein paar direkte Bemerkungen (in Fett) zu deinem Text:

Immer wieder hallt die selbe Frage (Du lässt den Leser im Regen stehen! Welche Frage? Eine Erläuterung fehlt im nachfolgenden Text) in meinem Kopf.
Sie lauert mir nach (Nachlauern gibt es nicht) wie ein hungriges Raubtier, verfolgt mich bis in meine Träume (der Vorfall muss also schon zeitlich zurückliegen. Richtig?) Es ist kurz nach Mitternacht.
Ich ziehe die Decke bis zum Kinn hoch, zwinge mich im Bett liegen zu bleiben. (hier fehlt der Übergang. Etwa: Doch oder Aber) Der Drang aufzustehen zerrt an meinem Körper, ich schaffe es nicht (t,) ihn zu unterdrücken.
Meine Beine kribbeln, fühlen sich rastlos an.
Langsam richte ich mich auf, bewege mich Schritt für Schritt durch den Flur bis zur Küche. Dort lasse ich das Licht aus, gehe tastend bis zum Fenster.
Auf den Ästen der Birkenbäume hat sich eine dünne Eisschicht gebildet.
Der mondlose Nachthimmel ist sternenklar.
Ich weiß, dass einige dieser Sterne längst erloschen sind, während ihr Licht immer noch sichtbar ist.
Ähnlich wie der winzige Punkt auf dem Monitor in der Arztpraxis. Er ist nicht mehr da. Und trotzdem ist etwas davon noch wahrnehmbar. (Das geht nicht: Entweder ist er da, dann ist er sichtbar, oder er ist nicht mehr da und nicht wahrnehmbar). Der Gedanke an die angebrochene Flasche Merlot im Kühlschrank ist tröstlich und beängstigend zugleich. (Hier bleibt der Leser wieder im Regen stehen: Was hat es mit dem Merlot auf sich, und warum ist er tröstlich und beängstigend zugleich?)
Ich rücke näher an die Fensterbank, sehe wie mein Atem an der Glasscheibe kondensiert.
Noch ist alles still draußen. Noch liegt die Nacht wie ein schützendes Tuch über der Straße.
In ein paar Stunden werde ich mit rot geschminkten Lippen und getuschten Wimpern in meinem Büro sitzen.
Die Fenster dort sind bodentief und bieten einen weiten Ausblick hinunter auf das rege Treiben der Stadt, das einer merkwürdig anmutenden Choreographie gleicht. (dünnes Eis: Wieso merkwürdig? Eine Choreo ist etwas Gestaltetes, Inszeniertes und über einen gewissen Zeitraum Anhaltendes. Ein reges Treiben, bei dem Menschen spontan in alle Richtungen laufen und sich das Bild sekündlich ändert, ist genau das Gegenteil.) Was wäre, wenn ich es nicht getan hätte? (Ja, was denn? Der Regen wird stärker. Das geht überhaupt nicht. Hier fühlt sich ein kritischer Leser veräppelt.)



Was haben wir nun vorliegen? Die Beschreibung einer Szene, bei der
-Niemand erfährt, wer die Prota ist. Wir erfahren weder ihren Namen, noch was sie ist und wie sie aussieht.
-Wir wissen nicht, was sie bewegt.
-Wir erfahren, dass sie nicht einschlafen kann, aber nicht warum.
-Warum tastet sie sich ans Fenster und will auf die Straße schauen?
-Warum hat sie sich die halbe Flasche Merlot reingekippt?
-Und dann die letzte Frage. Du verrätst in dem ganzen Text nichts, und zum Schluss stellst du eine solche Frage, bei der sich der Leser nur noch fragt: Geht’s noch?

Ich weiß, einige Leser haben deinen Text hochgelobt. Jeder kann interpretieren und sein Urteil abgeben, wie er will. Ich stelle aber die Frage nach der Qualität und dem Handwerk. Und handwerklich hat es hier gravierende Mängel: Der Text ist ohne jegliche Struktur und irgendeinen Inhalt, die Beschreibung der Hauptfigur fehlt. Sie bleibt farblos bis tot. Eine Maxime, eine Botschaft, wenigstens eine Aussage - alles Fehlanzeige. Er führt den Leser nicht, erzeugt keine Spannung und hat keinen Schluss, abgesehen von einer Rätselfrage.
Wenn wir hier im Forum uns verbessern und voneinander lernen wollen, sollten wir unsere Ansprüche an die eigenen Texte wirklich einmal überdenken.

Gruß
Bo-ehd





 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Mimi,

im Gegensatz zu meinem Vorredner mag ich den Imaginationsspielraum, den Du dem Leser und Deiner Figur lässt.
Und wenn man schon einmal in diesem Zustand der Gleichzeitigkeit in Realität und inneren Prozessen sich befand, findet man auch den Pfad durch Deine Geschichte mit einem feinen Spannungsbogen - der mit der Frage am Ende die perfekte Entsprechung findet.

Liebe Grüße
Petra
 

molly

Mitglied
Hallo Mimi,

solche Nachgedanken kenne ich auch, bin in Deiner Geschichte mit Dir durch die Nacht gwandelt. Ich habe mich auch gefragt, was für mich gefährlich oder tröstlich sein könnte und bin auf Kaffee gekommen.
Das ist Kurzprosa, der Leser geht mit Deinen Gedanken mit. Alles ausführlich zu beschreiben wäre dann eine Kurzgeschichte geworden.
Gruß von molly
 
Was haben wir nun vorliegen? Die Beschreibung einer Szene, bei der
-Niemand erfährt, wer die Prota ist. Wir erfahren weder ihren Namen, noch was sie ist und wie sie aussieht.
-Wir wissen nicht, was sie bewegt.
-Wir erfahren, dass sie nicht einschlafen kann, aber nicht warum.
-Warum tastet sie sich ans Fenster und will auf die Straße schauen?
-Warum hat sie sich die halbe Flasche Merlot reingekippt?
-Und dann die letzte Frage. Du verrätst in dem ganzen Text nichts, und zum Schluss stellst du eine solche Frage,
Hallo Bo-ehd,

was du in Mimis Geschichte kritisierst, sind Merkmale der Kurzprosa. Da muss es keinen richtigen Anfang, kein Ende, keine Auflösung und keinen richtigen Schluss geben. Kurzprosa ist eine Momentaufnahme, eine Skizze.

Am Stil zu meckern habe ich deswegen nichts, aber die Geschichte selbst bzw. die Botschaft, die drin steckt, gefällt mir auch nicht: Frau hat sich jetzt schuldig zu fühlen.

Ich bin schon bei diesem Satz darauf gekommen, um was es geht:

Ähnlich wie der winzige Punkt auf dem Monitor in der Arztpraxis

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

Mimi

Mitglied
Was haben wir nun vorliegen? Die Beschreibung einer Szene, bei der
-Niemand erfährt, wer die Prota ist. Wir erfahren weder ihren Namen, noch was sie ist und wie sie aussieht.
-Wir wissen nicht, was sie bewegt.
-Wir erfahren, dass sie nicht einschlafen kann, aber nicht warum.
-Warum tastet sie sich ans Fenster und will auf die Straße schauen?
-Warum hat sie sich die halbe Flasche Merlot reingekippt?
-Und dann die letzte Frage. Du verrätst in dem ganzen Text nichts, und zum Schluss stellst du eine solche Frage, bei der sich der Leser nur noch fragt: Geht’s noch?

Ich weiß, einige Leser haben deinen Text hochgelobt.
Jeder kann interpretieren und sein Urteil abgeben, wie er will.
Ich stelle aber die Frage nach der Qualität und dem Handwerk. Und handwerklich hat es hier gravierende Mängel: Der Text ist ohne jegliche Struktur und irgendeinen Inhalt, die Beschreibung der Hauptfigur fehlt. Sie bleibt farblos bis tot. Eine Maxime, eine Botschaft, wenigstens eine Aussage - alles Fehlanzeige. Er führt den Leser nicht, erzeugt keine Spannung und hat keinen Schluss, abgesehen von einer Rätselfrage
Liebe/r Bo-ehd,
ich bin der Meinung, dass gerade kritische Anmerkungen bezüglich der Frage nach "Qualität", "Handwerk" und "gravierenden Mängeln", noch dazu wenn sie in einem doch etwas despektierlichen Ton vorgetragen werden, mindestens ein gewisses Grundwissen des Kritikers über Eigenschaften und Merkmale des vorliegenden Genres, nämlich hier der Kurzprosa, voraussetzen.
Das kann ich Deinen Ausführungen leider nicht entnehmen ...



Kurz zusammengefasst hat die Kurzprosa folgende signifikante Merkmale, wobei natürlich nicht alle aufgeführten Punkte immer in einem Text vorkommen müssen:

● Der Umfang der Textlänge ist häufig geringer

● Unmittelbarer Einstieg ins Geschehen, keine Einleitung

● Keine ausführlichen Informationen oder Beschreibung zu den Figuren oder zum Ort der Geschichte

● Beschränkung auf ein (zentrales) Thema

●Präzision und Verdichtung des Inhalts

● Offenes Ende, keine Auflösung


Im Forentext dieser Rubrik findest Du eine ausführlichere Erläuterung von Franke zum Thema Kurzprosa.


Wenn wir hier im Forum uns verbessern und voneinander lernen wollen, sollten wir unsere Ansprüche an die eigenen Texte wirklich einmal überdenken.
Nun, ich finde das "wir" in dieser Aussage bedenklich, gerade weil die "Ansprüche" am eigenen Text von Autor zu Autor oft sehr unterschiedlich definiert werden.
Oder legst Du Deine persönliche Interpretation von "Ansprüchen" an Deine eigenen Texte als universelle "Messlatte" für die der anderen Autoren fest ...?

Sicherlich kann man auch einen Text kritisieren, weil dem Leser beispielsweise der Schreibstil der Autorin nicht gefällt oder ihn der Inhalt der Geschichte thematisch nicht anspricht, allerdings sind das eher Fragen des persönlichen Geschmacks (subjektiv) und kein Maßstab oder Kriterium für handwerkliche Qualitätsmängel (objektiv).

Gruß
Mimi
 

Mimi

Mitglied
Liebe petrasmiles,
Dankeschön für Deine Rückmeldung.
Ich komme ja eigentlich eher aus der "Lyrik-Ecke", und ich glaube, das merkt man meinen Text häufig auch an ...

Gruß
Mimi
 

Mimi

Mitglied
solche Nachgedanken kenne ich auch, bin in Deiner Geschichte mit Dir durch die Nacht gwandelt. Ich habe mich auch gefragt, was für mich gefährlich oder tröstlich sein könnte und bin auf Kaffee gekommen.
Das ist Kurzprosa, der Leser geht mit Deinen Gedanken mit. Alles ausführlich zu beschreiben wäre dann eine Kurzgeschichte geworden.
Danke, molly, für Deine interessante Rückmeldung ...
Ja, Kaffee kann spätabends ziemlich gefährlich werden (vor allem, wenn man am nächsten Tag sehr früh raus muss).

Gruß
Mimi
 

Mimi

Mitglied
Am Stil zu meckern habe ich deswegen nichts, aber die Geschichte selbst bzw. die Botschaft, die drin steckt, gefällt mir auch nicht: Frau hat sich jetzt schuldig zu fühlen.
Hallo SilberneDelfine,
vielen Dank für Deine Ausführungen bezüglich der Merkmale der Kurzprosa.

Mir ging es beim Schreiben des Textes keineswegs um ein Schuldgefühl oder das Beschreiben dieser Emotion aus der Perspektive der Erzählerin. Ich schrieb diesen Text eher unter der Prämisse einer Skizzierung zu der rastlosen Gedankenwelt der Erzählerin, die sich unmittelbar konfrontiert sieht/fühlt mit der Unwiederbringlichkeit einer Entscheidung.

Gruß
Mimi
 

Bo-ehd

Mitglied
Liebe Mimi,
wenn ich den richtigen Ton nicht getroffen habe, möchte ich mich bei dir entschuldigen. Wenn ich kritisiere, bemühe ich mich immer um strengste Sachlichkeit, und dabei ist der Sprachduktus stets sehr kühl. Ich versichere dir, dass ich nicht einmal daran gedacht habe, dich in irgendeiner Form zu verletzen. Auch das "wir" möchte ich zurücknehmen. Bin da beim Schreiben einfach abgeglitten.
Zur Sache: Ich weiß wohl, was Kurzprosa ist, ich fürchte nur, wir beide haben ein unterschiedliches Verständnis. Lass mich das mal an ein paar Erläuterungen u.a. über die Kurzgeschichte, die sehr viel, aber nicht alles mit einer Kurzprosa gemein hat, darstellen.
Zu deinen Anmerkungen:

● Der Umfang der Textlänge ist häufig geringer
Mir ist kein Kurz-Text bekannt, der länger ist als eine Kurzgeschichte. Das ergibt sich auch aus einer logischen Betrachtung: Wenn Kurzprosa nur eine Szene beschreibt bzw. Skizze ist, kann der Umfang nie größer sein als bei einer Kurzgeschichte, in der die Charaktere beschrieben sind, es eine sog. Raumbeschreibung gibt, in der Mehrzahl Konflikt und Handlung vorliegen, eine Konfliktlösung beschrieben wird und es vielleicht noch eine Pointe gibt. Die Kurzprosa ist also immer (nicht häufiger) kürzer als die Story.

● Unmittelbarer Einstieg ins Geschehen, keine Einleitung
Erstes ist zum Teil richtig, zweites falsch. Es gibt bei einer guten Szene immer einen Einstieg; bei der Kurzprosa ist er extrem gerafft, bei der Story extensiv durch Beschreibung der Charaktere und Raumbeschreibung. Bei einer Einleitung, das geht schon aus dem Wort hervor, wird ein Sachverhalt eingeleitet, was ja jeder Schilderung gut tut (siehe meine Kurzprosa hier im Forum. Da geht es gar nicht ohne Einleitung). Es gibt natürlich Themen, wo man auf eine Einleitung verzichten könnte, das will ich gar nicht abstreiten. Also: So allgemeingültig, wie du deine These darstellst, ist sie nicht.

● Keine ausführlichen Informationen oder Beschreibung zu den Figuren oder zum Ort der Geschichte
Beschreibungen einer Figur sind immer das letzte Mittel. Viel besser ist es, wenn sich eine Figur selbst beschreibt durch Dialog oder Handlung. Deine Geschichte zeigt das ja in Ansätzen; das nächtliche Tasten zum Fenster und der Blick nach draußen charakterisieren sie ja. Und der Ort der Geschichte ist ja bisweilen ungeheuer wichtig. Sieh das nicht geographisch, sondern als Beitrag einer Geschichte. Das Bett, die Küche, das Fenster - alles Orte der Handlung.

● Beschränkung auf ein (zentrales) Thema
Das muss es wohl in Anbetracht der Kürze.

●Präzision und Verdichtung des Inhalts
Und auch das ergibt sich aus der Kürze

● Offenes Ende, keine Auflösung
Das ist für mich der kapitalste Unfug. Ich weiß, die Theorie geistert seit Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum herum, und jeder übernimmt sie gedankenlos vom Vorgänger. Alle Schulen, auch die Schreibschulen, lehren diesen Mist (Ja, mir treibts den Blutdruck hoch!).
Ich frage jetzt so provokant wie berechtigt: Lest ihr alle nicht? Schau dir die Weltelite der Kurzgeschichte an: Poe (der Begründer), Twain, Bierce, Highsmith, O.Henry, Steinbeck, Thurber, Saki, Slezar, Bradbury, Malamud, Dahl, Monroe etc. Sie alle haben verfasst oder verfassen Plotgeschichten mit Anfang (Einführung/Exposition/Raumbeschreibung), Mitte (Handlung und Konflikt) und Ende (Lösung, Pointe/Wende).
Jede Geschichte enthält in irgendeiner Form eine Botschaft. Wie soll die aussehen, wenn die Hälfte der Geschichte fehlt? Ich weiß, es gibt genügend Kurzprosa und Kurzgeschichten, wo dieser Aufbau nicht möglich ist. Die haben dann anstelle der Auflösung ein anders gestaltetes Ende, etwa eine Erkenntnis.
Ich habe vor vielen Jahren diese kastrierten Kurzgeschichten mit offenem Ende in einer Publikation einmal die "Deutsche Kurzgeschichte" genannt. Den Begriff findest du inzwischen in Wikipedia.
Man kann nach der Ursache für diese Form fragen. Ich vermute, es liegt an der Phantasielosigkeit. Kein Mensch, die Literaten inklusive, will sich noch eine Full-Plot-Story (so nennt man diese vollständigen Geschichten) ausdenken. Hier im Forum und auch anderswo sieht man es besonders deutlich.

Ich empfehle dringend, Bölls "Wanderer, kommst du nach Spa" und Borcherts "Nachts schlafen die Ratten doch" zu lesen. Da wirst du meine Ausführungen bestätigt sehen. Es ist beispielhafte Kurzprosa, obwohl Böll beim Umfang überzieht und den Text folglich als Kurzgeschichte betitelt.

Bei der Analyse eines Textes gehe ich immer folgendermaßen vor: Ich trenne das Beiwerk, den Schmuck, und die Stimmungsmacher vom Kern. Was dann übrig bleibt, fasse ich zusammen. In deinem Fall: Eine weibliche Person von 15 bis 65 Jahren kann nicht schlafen. Im letzten Satz erfährt man, dass der Grund dafür eine nicht definierte Tat ist. Sie würde sie ein zweites Mal begehen. Das Alter ergibt sich aus der Tatsache, dass sie in einem Büro arbeitet. Mehr erfährt der Leser nicht.
Ein Mensch kann nicht einschlafen - das ist der Inbegriff von Alltag und passiert ca. 3 Mrd. mal am Tag. Mit dem Alltag muss aber man sehr gezielt vorgehen. Alltag interessiert nämlich keinen Menschen, vor allem keinen Leser. Anders ist es, wenn sich aus der Alltagssituation eine Geschichte, ein Vorgang, Unglück oder eine Handlung etc. entwickelt. Das aber fehlt bei dir völlig. Es bleibt mit dem Beiwerk gem. meiner Auflistung beim Allerwelts-Alltag.
Man muss sich grundsätzlich fragen, was man mit dem Leser vorhat. Mein Anspruch z.B. ist es, einen interessanten, nach Möglichkeit spannenden, vor allem einen unterhaltsamen (wir machen ja Unterhaltungsliteratur und keine hochgestochene Literatur) Text abzuliefern, wo er am Schluss grinst und sagt "wow" und "mehr davon". Ich versuche, Bilder zu zeichnen mit dem Ziel, dass sich der Leser in die Figur und den Sachverhalt hineindenkt (Hollywood macht das übrigens seit 100 Jahren). Diese Qualität bei den Kurztexten gibt es nicht mehr, aber ich denke, wir sollten uns bemühen, sie zu erreichen.

Deine Anmerkung:
Sicherlich kann man auch einen Text kritisieren, weil dem Leser beispielsweise der Schreibstil der Autorin nicht gefällt oder ihn der Inhalt der Geschichte thematisch nicht anspricht, allerdings sind das eher Fragen des persönlichen Geschmacks (subjektiv) und kein Maßstab oder Kriterium für handwerkliche Qualitätsmängel (objektiv).

Nein. Wenn ich sehe, dass sich jemand um einen ordentlichen Schreibstil bemüht hat, würde ich nie kritisieren. Und auch das Thema des Autors ist für mich integer. Ich habe hier aber schon oberflächliche, ja schlampige Arbeit gesehen, die man niemandem anbieten sollte, und da halte ich nicht still.

Ich hoffe, dass meine Antwort für dich in irgendeiner Form bereichernd war und wünsche dir noch einen schönen Sonntag.

Gruß
Bo-ehd
 
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