Nachruf auf John

4,50 Stern(e) 2 Bewertungen

lietzensee

Mitglied
Nachruf auf John

„Mein Name ist John, ich arbeite mit Puppen.“ Mit diesen legendären Worten begann er jeden seiner Auftritte im Fernsehen. Die Augen direkt in die Kamera gerichtet, die Finger flatternd wie ein Zauberer, der es nicht erwarten kann, seinen neuesten Trick zu zeigen. John war ein Magier des Puppenspiels. Viele liebten ihn dafür, viele hegten andere Gefühle. Aber widersprechen konnte seinen Worten niemand. John arbeitete mit Puppen. Er tat das wie kein anderer.
Geboren in 1936, angeblich auf einer Insel im Bottnischen Meerbusen, beschrieb er sich selbst gern als schüchternes Kind. Ein Stück Birkenholz und das Schnitzmesser seien sein liebstes Spielzeug gewesen. Mehr verriet er über seine Kindheit nie. Als er mit siebzehn Jahren zuerst in Helsinkis Lokalfernsehen auftrat, benutzte er bereits seinen Bühnennamen John.
Schon seine frühesten Puppen, zottige Stofffetzen, die an Bindfäden hingen, besaßen erstaunliche Lebendigkeit. Ihre groben Augen, die nie ganz gerade in Richtung Kamera blicken konnten, sprühten doch vor Neugier, Angst und Lebensfreude. Sie begründeten seinen Ruhm. Wer könnte den Hasen Schnuppi vergessen? Stets wackelte seine Nase, wenn er Winnie die Gärtnerin um eine Möhre bat. Wer könnte Beiß den Wolf vergessen, der sich in denselben Szenen langsam aus dem Hintergrund hervor schlich?
In seinen seltenen Interviews erzählte John gern, wie er einmal einen Jungen beobachtet hatte, der die Puppe seiner Schwester auf ein Hausdach warf. Dabei seien ihm zwei Dinge klar geworden. Puppen schafften es höher hinaus als Menschen. Aber sie brauchten auch mehr Schutz.
Das Publikum liebte, wie hoch hinaus seine Puppen kamen. Sie tanzten, schlugen Saltos und schwebten an ihren Fäden über die Bühne. Es begann, was später als Johnmania bezeichnet wurde. Schnuppi, Winnie, Polizist Karl und Axtwerfer Klaus liefen auf allen Kanälen. Sie wurden zu internationalen Stars. John arbeitete mit Puppen – und das weltweit.
Einen Vorgeschmack späterer Anfeindungen bekam er zu spüren, als er 1985 mit einem neuen Format experimentierte. Die Sendung Quasselkasten zeigte John vor schwarzem Hintergrund im Gespräch mit der Puppe Grumpert. Zum ersten Mal formulierte John hier seine These vom Recht jeder Puppe auf Freiheit. Puppenpower nannte er das. Grumpert wackelte dazu mit der Nase und drehte seine Ohren.
Stets vor neuen Ideen sprudelnd, drehte John wenig später seinen Kinofilm, John präsentiert: Fight for Freedom. Dieser war so erfolgreich, dass er alle zukünftigen Projekte finanzieren sollte. Das Publikum liebte diese Achterbahnfahrt aus Verfolgungsjagden, Explosionen und kindlichem Humor. Auf der großen Leinwand hatten Johns Puppen für alle sichtbar ein neues Niveau erreicht. Sie waren noch ausdrucksvoller in ihren Gesichtern, noch beweglicher mit ihren Körpern. Jeder Junge auf jedem Schulhof versuchten nun, Arnoldo nachzumachen, den muskelbepackten Frosch aus dem Film. Mit japsendem Maul und einer Schrotflinte in der Stoffhand sprach er direkt in die Kamera: „Ich arbeite mit Puppen, aber mit niemandem sonst!“
Rastlos pendelte John dann zwischen Amsterdam, Port-au-Prince und Indien. Dabei entwickelte er seine Philosophie zu ihrer abschließenden Form. Puppen fehle der größte Makel des Menschen, erklärte er in einem berüchtigten Interview, sie haben kein sterbliches Fleisch. Als Bekräftigung hielt er die Puppe Rudi Racheengel hoch. Er tippte gegen ihren Metallkopf. Puppen, so erklärte er, bedienten sich der Menschen – nicht andersherum. Rückfragen des Interviewers wurden damit beantwortet, dass Rudis Kopf auf ihn einhieb. John und seine Puppen waren leicht erregbar geworden. Schwer zu unterscheiden, wer da mit wem spielte.
Dann ging alles sehr schnell. John fühlte sich von der Welt nicht mehr verstanden. Er versammelte alle seine Puppen und nur die wichtigsten Mitarbeiter um sich. Sie flohen zusammen nach Guyana. Die Puppenshows, die er von dort aus verbreitete, bleiben die vielleicht besten Werke seiner Karriere. Puppen tanzten zu Calypso Musik. Ihre Bewegungen spielten mit den Schatten der tropischen Sonne, während ihre gelenkigen Münder die Verbrechen der Menschheit anprangerten. Weltweit probten Puppen den Aufstand. Die USA setzten Militär ein. Ein General sprach von fehlenden Sendelizenzen und als der Angriff auf sein Dschungelcamp kam, wehrte John sich mit der einzigen Methode, an die er glaubte. Er und seine Getreuen hoben ihre Hände. Die steckten in Puppen. Was muss das für ein Anblick gewesen sein. Seine finale Vorstellung. Vor ihm Soldaten im Tarnfleck, er mit beiden Hände in Schnuppi dem Hasen. Dessen Stoffpfoten krümmten sich um den Abzug einer AK47. John wurde dreiundfünfzig Jahre alt. Noch im letzten Moment seines Lebens arbeitete er mit Puppen.
 

Matula

Mitglied
Sehr anmutig erzählt, aber warum unter der Rubrik "Humor und Satire". Das ist doch eine ganz traurige Geschichte.
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Matula,
vielen Dank für deine positive Einschätzung und die Bewertung! Ich mische gerne Absurdes mit Tragik. Ich denke, das wird der Welt am besten gerecht. Aber ein Puppenspieler, der sich für die Rechter seiner Puppen radikalisiert, das habe ich im Kern als Parodie gemeint.

Viele Grüße
lietzensee
 



 
Oben Unten