nachts

Fredy Daxboeck

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Müde lehnte sich Mark in seinem Drehstuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Mit geschlos-senen Augen streckte er seinen Körper durch, so weit dies möglich war und atmete langsam ein und schnell wieder aus. In letzter Zeit packte ihn diese verdammte Müdigkeit immer häufiger an. Sie war nicht einmal auf eine bestimmte Zeit beschränkt, kam mal früher, mal später und die letzten Tage, wie es schien, mit Sicherheit öfter. Heute hatte er bereits das dritte Mal das Gefühl, daß er den Tag nicht überstehen würde. Ich brauche einen Kaffee sonst schaffe ich das nicht, dachte er und wollte sich erheben, als ihm mit Bestür-zung einfiel, daß es heute seine vierte Tasse sein würde. Ich brauche keinen Kaffee, ich brauche ein Auf-putschmittel, wollte er sich selber ein wenig aufmuntern. Klappte aber nicht. Seine Lider waren nicht nur bleischwer, an seinen Lidern schienen Betondeckel zu hängen. Vielleicht versuchst du es einfach mit etwas mehr Schlaf mein Junge, meldete sich nun auch seine innere Stimme; die Stimme, die er stets hörte, wenn ihm das Denken, aus welchen Gründen auch immer, schwer fiel. "Ach, Scheiße", murmelte er, um diese Stimme zum Schweigen zu bringen, er hasste sie, weil sie einfach zu vernünftig war. "Zum Schlafen habe ich später noch Zeit."
Mürrisch schob er seinen Stuhl zurück und stand auf. Mit wenigen Schritten war er bei dem kleinen Fenster, das auf den winzigen Vorgarten führte, und öffnete einen der Flügel. Am Himmel hingen bleigraue, regen-schwangere Wolken, die offenbar nur darauf warteten, ihre schwere Last über dem Land auszuschütten. Aber sie ließen sich noch Zeit. Die Luft war feucht und dick, als ob man sie mit Händen fassen und auswrin-gen könnte; und still. Viel zu still. Wahrscheinlich saßen sogar die Vögel irgendwo keuchend in den Bäumen und waren zu schwach um ihre Lieder zu pfeifen.
Mark stöhnte erschöpft. Seine Augen brannten und seine Haut juckte. Aber das war nicht nur der Schweiß, der ihm scheinbar in Bächen über den Rücken und über die Arme und in die Stirn lief. Da war auch so ein unbestimmtes Gefühl, als ob ihm eine unbekannte und unsichtbare Fee ständig mit einem eiskalten, spitzen Ding stechen würde. Nicht allzu fest und nicht unbedingt in besonders heikle Teile, aber dafür in rasendem Stakkato. Vielleicht waren es auch viele, kleine, und sie peitschten ihn mit einer neunschwänzigen Katze aus. "Mist!" Mark schlug sich die Hände vor sein Gesicht und schloss die Augen. So konnte das auf keinen Fall weitergehen. Wenn er sein Arbeitspensum nicht augenblicklich um einiges zurückschraubte, würde er in den nächsten Tagen umkippen und einfach schlappmachen. Außerdem brachte ihn sein Schlafentzug auf die Dauer auch nicht weiter, weil er Fehler machte. Bis jetzt war er sich dessen nicht bewusst, aber Fehler machte er sicher. Er würde sie später bemerken. Später wenn es vielleicht zu spät war. Ein tiefes Stöhnen quälte sich aus seiner Brust. Mark registrierte zwar das Geräusch, konnte es aber erst nach Sekunden als sein eigenes identifizieren.
"Es wird Zeit, es wird eindeutig Zeit" murmelte er und wandte sich widerstrebend ab. Nach einem letzten, langen Blick auf seinen Schreibtisch, der vor Papieren überquoll und mit Fotos, Tabellen und Computeraus-drucken übersät war, schlurfte er aus seinem Arbeitszimmer und schleppte seinen müden Körper die Treppe in den zweiten Stock hinauf.
"Nur drei, vielleicht vier Stunden schlafen, das muss reichen", brummte er, wusste aber natürlich, daß es nie reichen würde. Nicht nach all den Tagen, die er zum Teil beinahe ohne Schlaf durchgearbeitet hatte. Dazwi-schen waren Pausen gewesen, die er mit Essen, das er von einer nahegelegenen Imbissstube kommen ließ, pappige Sandwiches und warmes Cola, notdürftiger Körperpflege und dem Gang auf die Toilette, auf der er sich auch schon schlafend ertappt hatte, ausgefüllt hatte.
Kaum im Schlafzimmer angekommen, legte er sich auf das Bett und bevor sein Kopf das Kissen berührt hat-te, schlief er. Tief und fest. Das Kratzen an seinem Fenster, wie das verzagte Schaben eines Zweiges bei starkem Wind, hörte er nicht mehr. Wahrscheinlich hätte er es auch ignoriert, wenn er nicht ganz so müde gewesen wäre. Wahrscheinlich. Vielleicht wäre er aber zum Fenster gegangen und hätte nach draußen gese-hen. Vielleicht hätte er diesem Geräusch die Bedeutung zugemessen, die ihm zustehen sollte. So aber nahm das Schicksal seinen Lauf.
Während der junge Computerprogrammierer Mark Swain, der in seinem Job weiterkommen wollte, und des-wegen jede frei Minute arbeitete, in seinem Bett lag, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, kam der Tod auf eine seltsame und grausige Weise zu ihm.

Leise öffnete sich das Fenster und eine Hand mit neun Fingern, von denen zwei wie überlange Daumen aus-sahen, kam herein. Kurz danach kam auch die zweite Hand nach. Mit einer kräftigen Bewegung schwang sich nun der dazugehörige Körper ins Zimmer. Die Gestalt war in einen schwarzen Umhang gehüllt. Sie schien zu leuchten und strahlte eine ungewöhnliche Hitze ab. Langsam näherte sich der seltsame Besucher dem Bett. Er betrachtete sein hilfloses Opfer, wie es dalag, nichtsahnend. Dann streckte er eine seiner Pranken aus und schlang die Finger um Marks Hals. Augenblicklich war verbrannte Haut zu riechen, als er fest zudrückte. Mark öffnete die Augen, in denen sich, verschleiert erst, schieres Entsetzen widerspiegelte. Er wollte sich wehren, aber er war zu schwach dazu. Sein Besucher drückte mit unbarmherziger Kraft zu, blickte ihm tief in die Au-gen und sah zu wie das Leben aus ihnen entwich.
Er ließ den reglosen, aber noch warmen Körper los, drehte sich um und sprang beim Fenster hinaus. Dorthin woher er gekommen war.
 



 
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