nachts um halb drei

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anbas

Mitglied
nachts um halb drei

stundenlang heult irgendwo
ein hund in die nacht
im haus gegenüber
hinter einem dieser
dunklen kippfenster
die schweigend
den alltag in sich tragen

techno-beats hämmern
dumpf wie pulsschläge
durch geschlossene autoscheiben
bis hoch in mein schlafzimmer
seit etwa fünfzehn minuten
verabschieden sich zwei typen
laut palavernd
und bei laufendem motor
ihrer potenz strotzenden karren

wichser
brüllt in der wohnung nebenan
mein schwerbehinderter nachbar
schon seit monaten
im suff meist
abends oder nachts
und beklagt sein verpfuschtes leben
nach jenem schlaganfall
der seine welt zerstörte
er ist jung
soll hochbegabt gewesen sein
und ahnt immer mehr
was noch vor ihm liegt

auch ich könnte jetzt schreien
bleibe aber schweigend liegen
und warte auf den schlaf
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo anbas,

ich mag deine Gedichte, weil sie auf den ersten Blick zu verstehen sind und weil sie sprachlich schön sind, auch wenn nicht so Schönes beschrieben wird. Das hier ist wieder gut gelungen.

LG SilberneDelfine
 
G

Gelöschtes Mitglied 22239

Gast
Starkes Stück

hat mich vom Hocker gehauen!

grüsse
J
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

anbas

Mitglied
Hallo Silberne Delfine,

das ist ein schönes Lob, über das mich wirklich freue. Danke dafür!



Hallo J (oder doch WolfgangFridolin ;)?),

da Du häufiger als ich Prosa-Lyrik schreibst - und oft sehr gute und beeindruckende, wie ich finde - ist Deine Rückmeldung für mich eine tolle Bestätigung. Vielen Dank!



Euch beiden auch mein herzlichster Dank für die Sterne!

Liebe Grüße

Andreas
 

cecil

Mitglied
Hallo, Andreas,


bei Dir ist nachts ja ordentlich was los! Sehr schön die kommentierende Aufzählung der "Radaubrüder" von Hund über Autoprotzer hin zum Nachbarn, der wahrlich geschlagen ist. Für die Schlusszeile wage ich einen Vorschlag: "und hoffe auf Schlaf", denn ob das bei dem geschilderten Krach noch was wird, ist eher fraglich.
Übrigens sind "schweigende Kippfenster" nicht jedermanns Sache.;)
 
G

Gelöschtes Mitglied 16867

Gast
Der dritte Absatz mit dem behinderten Nachbarn versaut aus meiner Sicht das Gedicht, Andreas. Dafür setzte ich im vierten:

Ich könnte schreien
Doch wichse mich
In den Schlaf
 

cecil

Mitglied
Ist das euer Ernst???
Besteht die vielgerühmte Textarbeit tatsächlich darin, sich euren Masturbationsfantasien zu fügen? Kein Wunder, dass kaum noch jemand an so was teilnehmen möchte!
 

anbas

Mitglied
Hallo Cecil,

ich Danke Dir für Deine Rückmeldung und die Besternung!

Ja, hier ist einiges los. Alles, was beschrieben wurde, findet und fand hier tatsächlich statt. Das Haus ist recht hellhörig - es gibt auch ein paar Prosa-Texte, die von nachbarschaftlichen Geräuschereignissen inspiriert wurden :cool:.



Hallo AkrakadabrA,

tja, so unterschiedlich sind die Geschmäker darüber, was ein gutes Gedicht ausmacht, und welches Ende/welche Pointe am besten zu einem Text passt.

Dennoch Danke für Deine kreative Rückmeldung.



Außerdem vielen Dank für den weiteren Sternenregen!



Liebe Grüße in die Runde

Andreas
 
G

Gelöschtes Mitglied 13736

Gast
Moin Andreas,
Sehr lebensnah und sprachlich interessant.
Ein fröhliches Glück Auf in den Norden
LG
Oscarchen
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
@anbas, mich hat diese nächtliche Kulisse angerührt - wenn auch nicht positiv, denn Radaubrüder und nächtliche, alkoholisierte Krakeeler habe auch ich (leider) zu viele in der Nachbarschaft.


hinter einem dieser
dunklen kippfenster
die schweigend
den alltag in sich tragen
Über die schweigenden Kippfenster bin ich auch gestolpert. Mein Vorschlag:
hinter einem dieser
dunklen kippfenster
die geräusche
des alltags verbergen.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo anbas,
gleich vorne weg:

auch mir gefällt deine nächtliche Beobachtung des Alltags seiner verstörenden Petitessen, die doch immer auch den allergrößten Raum einnehmen im Dasein der Individuen.

Gleichwohl fällt folgendes auf:

Die Form deiner Strophen weisen drei Unterschiede auf .Die Sprache deines Gedichtes bedient sich nirgends einer Metaphorik außer in der ersten Strophe:

„dunklen kippfenster
hinter einem dieser
die schweigend
den alltag in sich tragen“

das ist eine starke Formulierung mit gelungener Metaphorik. Da es aber dieeinzig wirkliche Metapher ist, und sie ist stark, hielte ich es für bedenkenswert diese an den Schluß deines Gedichtes zu setzen.

Die zweite Strophe:
Reine Inszenierung und Beobachtung. Alles ist was es ist. Ein Sillleben der Nacht. Sehr gut.

Strophe drei:
gliedert sich in zwei Teile, die der reinen Beobachtung und die der Analyse durch Lyrich.

„wichser
brüllt in der wohnung nebenan
mein schwerbehinderter nachbar
schon seit monaten
im suff meist
abends oder nachts
und beklagt sein verpfuschtes leben“

soweit die Beobachtung. Dann kommt Analysis:

er ist jung
soll hochbegabt gewesen sein
und ahnt immer mehr
was noch vor ihm liegt

Hier erörtert gedanklich lyrich die Konsequenzen. Diese Folgerung liegt in der Welt der Behauptungen.
Auch hier könnte man darüber streiten ob es der Logik des Gedichtes folgend nicht gestrichen werden könnte.

( Nur ein Gedanke, denn der Satz: „und ahnt immer mehr
was noch vor ihm liegt“ ist gut.)

Die dritte Strophe fällt auf die Welt von lyrich zurück. Kurz und Knapp wird erwähnt, was das vorher beobachtet bzw. gehörte, denn lyrich sieht es ja nicht, für ihn selbst bedeutet.

Ein gutes Stück Lyrik

Hier mal ein Vorschlag von mir. Ich stelle die Dinge nur so um, wie ich meine, das sie dadurch die Stringenz der Sprache besser , bzw. einheitlicher trägt:

nachts um halb drei

stundenlang heult irgendwo
ein hund in die nacht
hämmern techno beats
dumpf wie pulsschläge
durch geschlossene autoscheiben
bis hoch in mein schlafzimmer
seit etwa fünfzehn minuten
verabschieden sich zwei typen
laut palavernd
und bei laufendem motor
ihrer potenz strotzenden karren

wichser
brüllt in der wohnung nebenan
mein schwerbehinderter nachbar
schon seit monaten
im suff meist
abends oder nachts
und beklagt sein verpfuschtes leben
nach jenem schlaganfall

(der seine welt zerstörte
er ist jung
soll hochbegabt gewesen sein
und ahnt immer mehr
was noch vor ihm liegt)

auch ich könnte jetzt schreien
bleibe aber schweigend liegen
und warte auf den schlaf

hinter einem dieser
dunklen kippfenster
die schweigend
den alltag in sich tragen


LG
Ralf
 

anbas

Mitglied
Hallo Ihr Lieben!

Ich freue mich, dass dieses Gedicht auf so gute Resonanz stößt! Vorab schon mal mein Dank an alle SterbchenverteilerInnen.



@Oscarchen

Ja, je mehr das reale Leben in Texte hineinspielt, um so lebensnaher können sie werden. Ich wohne seit etwa 30 Jahren in einem "nicht so einfachen" Stadtteil, der sich allerdings in den letzten 15 Jahren ganz gut entwickelt hat.



@Isbahan

Mein Krakeeler ist im Monet etwas ruhiger geworden. Hatte ein recht offenes ruhiges Gespräch mit ihm, ohne Vorwürfe - habe z.T. mir auch Sorgen um ihn gemacht (was ich ihm auch gesagt habe). Seitdem musste ich noch einmal gegen die Wand donnern ;), doch sonst ist es still - mal sehen, wie lange das anhält.

Die Formulierung, die Du ansprichst, gefällt mir sehr gut. Ich habe an der Stelle sehr lange gebastelt und hin und her überlegt. Letztendlich ist es bei dieser Formulierung geblieben, die bereits bei einer der ersten Versionen schon da war.



@Ralf Langer

Ganz herzlichen Dank für Deine ausführliche Textarbeit, die mich sehr beeindruckt hat.

„dunklen kippfenster
hinter einem dieser
die schweigend
den alltag in sich tragen“

das ist eine starke Formulierung mit gelungener Metaphorik. Da es aber dieeinzig wirkliche Metapher ist, und sie ist stark, hielte ich es für bedenkenswert diese an den Schluß deines Gedichtes zu setzen.
Das mit der starken Metaphorik am Anfang, die dann nicht beibehalten wird, ist mir auch aufgefallen. Ich habe dieses "Niveau" dann tatsächlich nicht weiter "durchgehalten" und wollte aber auch nichts "auf Krampf" formulieren.
Im Nachhinein gefällt es mir so, wie es ist - aus der metaphorischen (etwas distancierten) Ebene wird es immer realer und kommt dem LyrIch immer näher. Das Warten auf den Schlaf ist dann wie ein Schlusspunkt - von meinem Bauchgefühl her passt es nicht so gut, wenn danach noch etwas kommt.

er ist jung
soll hochbegabt gewesen sein
und ahnt immer mehr
was noch vor ihm liegt

Hier erörtert gedanklich lyrich die Konsequenzen. Diese Folgerung liegt in der Welt der Behauptungen.
Auch hier könnte man darüber streiten ob es der Logik des Gedichtes folgend nicht gestrichen werden könnte.

( Nur ein Gedanke, denn der Satz: „und ahnt immer mehr
was noch vor ihm liegt“ ist gut.)
Das ist mir so noch nicht aufgefallen. Danke!
Die Zeilen "der seine welt zerstörte" und "soll hochbegabt gewesen sein" sind sehr spät dazu gekommen. Sie könnten tatsächlich wieder gestrichen werden (oder zumindest eine davon), so dass der Rest noch passt und bleiben kann.

Darüber werde ich mir noch mal intensiv Gedanken machen.



Noch einmal vielen Dank in die Runde und liebe Grüße

Andreas
 

Perry

Mitglied
Hallo Andreas,
ja das Leben in der Stadt, kann so seine Nachteile haben. Ich erinnere mich noch gut an meine Studentenzeit, da war nachts auch immer die Hölle los von Straßengeräuschen bis zum Domglockenschlag. ;)
Die Textarbeit hier finde ich spannend, wobei mir vor allem Ralfs Vorschläge gut gefallen haben.
Meine Anregung wäre die 3. Strophe mehr zu verdichten, denn das Lebensschicksal des Nachbarn sprengt etwas den Rahmen.
LG
Manfred
 

anbas

Mitglied
Hallo Manfred,

ja, über die 3. Strophe werde ich nachdenken. Sie ist tatsächlich etwas zu "aufgebläht".

Vielen Dank für Deine Rückmeldung.

Liebe Grüße

Andreas
 
G

Gelöschtes Mitglied 16867

Gast
Stundenlang jault ein Köter
In die Nacht
Aus dem Haus gegenüber
Dessen Kippfenster
Die Alltagseinsamkeit
In sich tragen

Laute Radiomusik
Auf der Strasse
Zwei junge Männer
Die ihr Alleinsein
Nur böse ertragen

Ihr Wichser
Verreckt
Schreie ich

Als wären beide

Anders als ich

 



 
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