Nackenschläge

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petrasmiles

Mitglied
Hallo Revilo,

danke fürs Lesen und Fragen.
Ob das Lyrik ist? Ich weiß es nicht.
Als ich letztens einen ähnlichen, noch 'üppigeren' Text in Kurprosa einstellte, sagte jemand zu mir, es sei eher Lyrik. Ich hoffe, es geht bei 'Ungereimtes' durch.

Gruß
Petra
 

revilo

Mitglied
Über die Einordnung kann man sich wahrlich trefflich streiten....

Wie ist das?Wenn die Tränen kommen,die man tapfer unterdrückt.
Wenn sich die Lippen zusammenpressen,die Zunge sich an den Gaumen drückt,der Kopf tiefer zwischen die Schultern sinkt,
der Kehlkopf schmerzt.Sind die Tränen eine Erlösung? Oder löst man sich einfach auf?

Lg revilo
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Revilo,

das wäre auch eher meine Art, aber ich fand den Gedanken schön, dass dieser letzte Satz sich quasi in einer Tränenspur abperlt und am Ende die Träne da steht als Fragezeichen.

Danke für die Textarbeit.

Gruß
Petra
 

Ralf Langer

Mitglied
Wie ist das?
Wenn die Tränen kommen,
die man tapfer unterdrückt.
Wenn sich die Lippen zusammenpressen,
die Zunge sich an den Gaumen drückt,
der Kopf tiefer zwischen die Schultern sinkt,
der Kehlkopf schmerzt.
Sind die Tränen eine Erlösung?
Oder
löst
man
sich
einfach
auf
?

Hallo petrasmiles,

der oli stellte die frage: ist das ein gedicht. wenn man bedenkt ein gedicht hat ja nicht viel.
es hat die form ,und gesprochen seinen klang, und natürlich das geschriebene wort:wäre es so, so ist dieser text der form nach ein gedicht.

es ist auch einsichtig (visuell) worauf das gedicht zum ende hin hinauslaufen will.

also sollen sich andere streiten...
aber, ist das gedicht gelungen. Ist es der form dem wort und dem klang nach das beste seiner möglichkeiten? hat es sich ausgeschöpft?

diese frage fände ich treffender und muß sie für meinen teil verneinen.

begründungen ( persönliche einstellung):
als leser will ich gedanklich nicht bevormundet bzw, zu sehr durch die setzung der worte in eine sehr bestimmte richtung lanciert werden.

also mißfällt mir die dreifache fragesetzung.

ich will mir nach dem genuß von einem gedicht meine fragen selber stellen, und mich hernach auf die suche nach meinen antworten begeben.

ich persönlich empfinde diese befragungen als störend.
das ist mir zu dialektisch und dadurch nicht lyrisch

punkt zwei:

immer wider dieses unsägliche „man“. diese völlige entpersonalisierung der sätze!
warum nicht dieses hervorragende lyrische ich oder lyrische du verwenden, das uns die dichtung schenkte.
probiere es gedanklich aus. ersetze alle „mans“ durch entdprechende pronomen.

klingt das nicht gleich besser?
zum schluß die form.
ich persönlich finde das herabperlen der worte, das auf das herabperlen der träne einen optischen schluß einfordert, vorsichtig gesagt als mißglückt.

sowohl das auflösen als auch das herabperlen muß sich optisch besser darstellen lassen.


als beispiel lasse ich dir mal tucholskis treppe hier:
http://i2.wp.com/boschblog.de/wp-co...eppe-Tucholskys-Sudelbuch.jpeg?resize=640,572

freundliche grüße
Ralf
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Ralf,

Du hast Deine Auffassung sehr gut begründet, und ich wüßte nicht, was ich dagegen argumentieren sollte.
Für jemanden, der sich sehr heimisch in der Welt der Lyrik fühlt, liegt die Latte entsprechend hoch. Das sehe ich ein.

Fast erschreckt es mich, Tucholsky als 'Vorbild' für diese spezielle Form vorgehalten zu bekommen - als hätte ich mich in die Küche eines X+1-Sterne-Kochs schmuggeln wollen, um Eierkuchen zu backen.
Ich mache es so gut wie ich es vermag. Mehr kann keiner.

Vielen Dank für Deine Mühe; ich bin beeindruckt von Deiner Kenntnis und Deinem Gespür. Leider werden für den Feinschmecker die Leckerbissen rarer.

Liebe Grüße
Petra
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo petra,

ich beantworte deine replik auf meine antwort für alle sichtbar.

das scheint mir angemessen.
mein beispiel von tucholski sollte kein vergleich sein zwischen zwei dichtern.
es sollte nur das auschöpfen der möglichkeiten versinn-bild-lichen.
du schreibst, du kannst es nicht besser. das glaube ich nicht.
die fehler die du meiner meinung nacg begangen hast, lassen sich leicht beheben,so das dein gedicht einen mehrwert erzielte, im vergleich zu dieser version.

wenn es dir, und das weißt nur du , um ein verbildlichung der aussage deines stückes geht, ist es doch offensichtlich, das es nicht gut genug gelang ( optisch)

ich habe mal einige assoziationsketten gebildet,
die dein text bei mir auslöste:
wenn du magst lasse ich ie einfach mal hier

Wie ist das?
Wenn die Tränen kommen,
die man tapfer unterdrückt.
Wenn sich die Lippen zusammenpressen,
die Zunge sich an den Gaumen drückt,
der Kopf tiefer zwischen die Schultern sinkt,
der Kehlkopf schmerzt.
Sind die Tränen eine Erlösung?
Oder
löst
man
sich
einfach
auf
?

Meine assoziationen:

Unter dem strich

wenn die tränen kommen
bist du tapfer
und presst die lippen
zu einem strich:

erlöst du die tränen
oder erlösen die tränen dich

was bleibt dir;
bleibst du
unter dem strich


was will ich sagen?
ich bin mir sicher du kannst mehr erreichen.
lasse sir zeit, finde deine worte

viel erfolg
Ralf
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Ralf Langer,

nochmals vielen Dank für Deine Mühe mit meinem Text.
Ich habe mir Deine Anregungen lange durch den Kopf gehen lassen, und mir sind dabei unsere unterschiedlichen Ansätze klar geworden. Unter anderem handelt es sich um die Erzählperspektive. Für mich ist ein 'ich' oder 'Du' hier zu stark. Ich ziele auf ein 'wir' ab. Das 'man' steht hier als 'ich' mit dem Bezug zum 'wir' und das ist meine Sicht.
Zum anderen bin ich der Ansicht, dass Schreiben in erster Linie Selbstausdruck ist und die Übereinstimmung mit dem Leser findet nur dann statt, wenn der das Geschriebene so nachvollziehen und somit auch bei den unausgesprochenen Facetten des Textes bei mir sein kann (und will). In gewisser Weise will ich kein Kunstwerk schaffen, sondern eine Art emotionalen Dialog mit dem Leser, wohl wissend, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist und manche, vielleicht viele, achtlos an meinem Text vorübergehen werden. Das ist dann so.
Nach längerer Betrachtung stelle ich fest, dass ich mit meinem Text genau das ausgedrückt habe was ich wollte, und selbst, wenn er 'objektiv' besser werden könnte, 'subjektiv' kann er das nicht.

Ich sehe das nicht grundsätzlich bei all meinen Texten so. Ich habe im Gegenteil insbesondere bei längeren Texten schon viel aus der gemeinsamen Textarbeit hier mitnehmen können und darum verstehe meine Antwort bitte nicht als generelle 'Verweigerung', sondern als Ergebnis meiner ernsthaften Auseinandersetzung mit Deinen Anmerkungen zu diesem Text.
Vielen Dank!

Liebe Grüße
Petra
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
das Stilmittel der selbstabbildenden Wortstellung

Das, was Du, Ralf, sagst, ist grundsätzlich richtig und wichtig.
Es regt mich (vielleicht etwas überflüssig) zu folgenden (Gegen-) Anmerkungen an:

1. Die Fragen sind offen, die zweite und dritte sind Alternativen, zugleich so zusammenhängend, daß die zweite eine Steigerung der ersten darstellt. Das ist auch der eigentliche Inhalt des Gedichts. Und ja: Fragen in Gedichten haben leicht etwas Manipulatives, vor allem als rhetorische Scheinfragen. Aber hier bieten sie einen poetischen Grundgedanken, und sie sind offen, aber zugleich nicht bloß "verständlich", sondern bildhaft, - und:

2. die Auflösung ist in der Gestaltung der Verse selbstabbildend. Das ist hier die bestimmende Stilfigur.
 
O

orlando

Gast
Hallo Petra,
ich finde das Gedicht nicht übel, auf jeden Fall aber ausbaufähig. Dies mag u.a. daran liegen, dass mir Gefühlstriefendes in letzter Zeit von Herzen zuwider ist, gleichsam allergieauslösend auf mich wirkt.
Bei Gedichten handelt es sich um Versrede oder auch Rede in Versen. Insofern kann eine rhetorische Frage nicht falsch sein.
Andererseits sollte sich Poesie nicht auf die Erfüllung einer Sinnhaftigkeit (beispielsweise Anfang und Ende) festlegen, womit wir auch schon beim Schwachpunkt deiner Verse angelangt sind: Sie weichen zu wenig von gesprochener Rede ab. -
Dem ließe sich mit einfachen Mitteln (Kürzungen / Umstellungen) abhelfen. Beispielsweise so:

?

Wenn Tränen kommen
tapfer unterdrückt
die Lippen sich zusammenpressen
und deine Zunge fest am Gaumen klebt
die Kehle schmerzt
dein Kopf nach unten sinkt
und sich die Schulterblätter krümmen

sind Tränen die Erlösung

oder

löst du dich

einfach
auf
Ich weiß nicht, ob du dich längerfristig mit Lyrik befassen möchtest ... falls ja, versuche nicht unbedingt im sog. Normalbereich zu bleiben.
Ein Gedicht darf (und soll!) Brüche, Lücken und Geheimnisse haben, sich ggfs. als Fragment darstellen.

LG
orlando
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo,
ein offenes Wort in die Runde :

ich finde mondneins Einwürfe wichtig, und auch Heidruns Vorschläge.
Was mich wundert ist das Petra ihre Gedichte besser erklären bzw.
deuten kann(siehe ihre Antworten nicht nur zu diesem Stück),
als sie zu Ende bringen.
Was ich sehe sagt mir da ist mehr drin, und zumindest mir kommt es
dann schade vor, das die Gedanken im Text selbst nicht zu Ende gebracht wurden.

Grundsätzlich muss der Dichter alles aus seinem Vermögen einfordern, und mir will scheinen Petra bewahrt hier nicht die gebotene Ruhe.
Will heissen:

Die Gedichte entprechen nicht ihren Möglichkeiten....
vielleicht weil sie diesen Anspruch an sich selbst nicht hat.

Ich möchte dich Petra auf diesem Wege dazu ermuntern weiter zugehen, weiter zu denken und zu formulieren.

Einen lieben Gruss
aus Kreta in die Runde
Ralf
 



 
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