Vorsicht : ein falsches Wort
An meiner Seele Betrübtheit nagt,
es dürstet mich allein zu sein.
Satt von Empfindungsvöllerei,
weiss ich in mir sicheren Schrein,
wo fern von fremdem Urteil, frei
von Maske, mir das ich-sein behagt.
Doch findet in der Einsamkeit,
mein Herz keinen Trost.
Es sehnt sich nach gebraucht zu werden,
gefühlvoll liebkost,
von zarten Schwüren die ersterben
lassen, Angst vor Gebundenheit.
Hallo müder Dichter,
ich noch einmal,
ich würde dich gerne Abseits aller rhythmischen Problematiken gerne auf etwas hinweisen, das zumindest Teil meiner lyrischen Erfahrungen ist.
Mir geht es im folgenden hauptsätzlich um substantivierte Adjektive. Ich empfinde sie in den meisten Fällen als besonders „hässlich“, und empfehle nur den seltensten Gebrauch zu diesem Sprachkonstrukt.
Natürlich haben sie den Vorteil das sich leicht Reime zusammenstellen lassen, aber als Worte sind sie , wie soll ich sagen, vielleicht, „kalt“.
Hier bei dir sind es: Betrübtheit,, Einsamkeit und Gebundenheit.
Was meine ich?:
Betrübt, zum Beispiel ist das Adjektiv, es ist ein „wie-Wort“, also ein erklärendes Wort. Es sagt dem Leser, welche Empfindung vorherrscht. ( in diesem Sinne sind adjektive schlechthin Imperative, denn sie sagen sehr genau und umetaphorisch, was sich der Leser zu denken hat. Also, empfehlrte ich auch grundsätzlich nur den Gebrauch von Adjektiven dort wo sich kein Bild das die Stimmung ausdrückt finden lässt9
Aber zurück zum Substantivieren.
Betrübt ist also das urprüngliche Wort, eine alte Zusamenfassung des betrübtsein wäre die Betrübnis. Die Betrübnis entspräche dem Substantiv des Zusatndes in dem sich eine einzelne Person befindet.
Betrübtheit im Gegensatz dazu( und damit auch alle Worte die auf – heit, und -keit enden) um schließt alle möglichen Zustände, Arten und Weisen des betrübtseins, quasi aller „Menschen“.
Und hier ist das inhaltliche Problem für mich. Denn in der Lyrik gibt es ja das lyrische ich oder das lyrische du, also immer einen Einzelnen. Das substantivierte Adjektiv meint aber immer „alles“.
Hier empfinde ich einen Widerspruch der sich am besten auflösen lässt, wenn man diese Worrtfamilien meidet!
Also meine Empfehlung, meinen Ausführungen folgend:
Worte auf – heit und -keit möglichst umgehen. Wenn es sich nicht anders darstellen lässt zum ursprünglichen Adjektiv greifen, aber auch diese weiträumig meiden, wenn sich eine Metapher, die dem Leser seinen eigenen gedanklichen Spielraum lässt, findet.
Eine Möglichkeit, die nicht immer funktioniert ist das Partizip.
Also zum Beispiel: statt Gebundenheit, das „Gebundene“
Also : Angst vor Gebundenem
Was aber in diesem Satz so nicht funktioniert.
Am lyrischsten empfände ich es, wenn du zum Beispiel für:
„An meiner Seele Betrübtheit nagt“
eine Metapher fändest. Das ist nicht leicht. Denn du hast hier das große Wort „Seele“ und die „Betrübtheit“ und das verb „nagen“.
Ein Entwurf zu einem metaphorischen Bild wäre der Weg über das Betrübte sein.
Etwas ist also trübe, es ist nicht einsichtig, vielleicht wallt ein Nebel.... trübe ist was nicht klar ist, nicht ein und nicht „durch“sichtig. Da ist Trauer, vielleicht Melancholie.
Ich sehe vielleicht einen Menschen der unsicher ist:
„Meine Blicke kauen Fingernägel“, wäre ein zaghafter Entwurf meinerseits, wobei sich trefflich über „Blicke“ streiten liesse. Da gibt es sicherlich besseres.
Aber nur um es gegenüberzustellen:
„An meiner Seele Betrübtheit nagt“
„Meine Blicke kauen Fingernägel“
Statt eines durch das substantivierte Adjektiv fast akademischen Satzes haben wir in meinem Beispiel ein Bild, und in diesem Bild den Freiraum für die Gedanken des Lesers.
(Ich erwähne nur der Form halber noch einmal: das ist meine Sichtweise. Ich erhebe mit ihr keinen Anspruch auf alleinige Wahrheit).
Dir einen lieben Gruß
ralf