Nebel

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Ofterdingen

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Nebel


Über der kleinen Stadt lag dichter Nebel. Nur langsam schälten sich Fahrzeuge und Menschen daraus hervor. Und plötzlich war da eine Frau mit einem hübschen Gesicht, schmal, groß, lange Beine.

„Müsste ich dich nicht kennen?“, sprach er sie an.

„Wir müssen gar nichts“, sagte sie. „Aber in dieser nebligen Ungewissheit ist Vieles möglich. Entspanne dich!“

So hatte bisher noch nie eine Frau mit ihm geredet, einfach so, und er schaute zu ihr hinüber, immer auf der Hut vor einem Schlag, denn so eine hatte es doch gewiss in sich. Oder war sie ein Traum, der sich plötzlich auflösen und ihn in irgendeine unangenehme Wirklichkeit hinausstoßen würde?

„Wer bist du?“, fragte er.

„Entspanne dich!“ Sie schien keinerlei Scheu zu haben, sich zu wiederholen. Solche Frauen sind gefährlich, kam es in ihm hoch. Er sollte unbedingt sehen, dass er von hier wegkam.

„Mein Gott!“, seufzte er.

„Aha, mal wieder einer, der Probleme mit dem Weiblichen in anderen und in sich selber hat. Wenn schon, dann: Meine Göttin!“

„Wie heißt du überhaupt?“

„Was spielt das für eine Rolle? Nenne mich doch einfach Göttin. Ein Stück weit darfst du mir ruhig entgegenkommen.“

Da merkte er, dass er in einem Schneckenhaus lebte, aus dem er sich viel zu weit herausgewagt hatte. Jederzeit konnte jemand Salz auf ihn streuen oder ihn zertreten.

„Tu´s nicht!“, bat er. Und der bittende Ton wirkte wie ein übles Gift in ihn hinein, bis in seine Gedärme. Das war doch nicht mehr er selber. Ein solcher Satz schälte so viel von ihm ab. Konnte man von einer Schnecke etwas abschälen? Egal, er war jetzt so weit draußen und musste sich dem stellen.

„Berge“, sagte er, „die Wände, auf denen ich hinschreiben kann, wer ich bin.“

Plötzlich flüsterte sie: „Und da finde ich dich?“

Die Welt war ganz leise geworden, keine Lastwagen mehr vor dem Haus, keine lärmenden Flugzeuge am Himmel. Leise sank alles in den Nebel zurück.

„Geh nicht weg!“, sagte er. „Bleib noch eine Weile.“
 
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wüstenrose

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Hallo Ofterdingen,
das gefällt mir gut!
Sinnlos (aus meiner Sicht) sich hier die Frage zu stellen: "Was will uns der Autor sagen?", sinnvoll dagegen, sich dem Text anzuvertrauen und in ihm dahinzutreiben. Wachtraumhaftes, Urangstbehaftetes, ImNebelGefangenes und AusdemNebelSichschälendes transportiert dein Text auf eine gleichermaßen schwere und leichte Art und Weise.

Gruß, wüstenrose
 

Kaetzchen

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Hallo Ofterdingen
Eine interessante Geschichte. Man schwankt so zwischen Wirklichkeit und Fiktion.
Gern gelesen,
liebe Grüße
Kaetzchen
 
G

Gelöschtes Mitglied 23450

Gast
Hier bleibt so ziemlich alles nebulös. Warum sollte diese eigentümliche mal Ich-Figur, mal Er-Figur zu einer (arroganten) Fremden 'Göttin' sagen? Gender-Theater ... Ich schäle lieber Kartoffeln, da weiß man, was herauskommt!

Rudi
 

Ofterdingen

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Danke für den Tipp, Rudi! Jetzt gibt es durchgängig einen personalen Erzähler. Was die Kartoffeln betrifft: Die seien dir gegönnt. Nur schade, dass du dich nicht ein wenig mehr auf die Geschichte einlassen magst.
 



 
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