Nebenabteilungsleiter

lietzensee

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Nebenabteilungsleiter​

Seine Mutter war schuld. Schon in seiner frühen Kindheit hatte sie Wolfgang mit der Macht der Wahrheit Angst gemacht. Man durfte nicht lügen. Man musste immer die Wahrheit suchen, auch wenn sie schmerzte. Die Folgen dieser Indoktrination bekam er auf dem Spielplatz zu spüren.
„Du bist ein Spacko Wolfgang! Ich habe zuhause alle He-Man-Figuren, die es gibt.“
„Nein.“
„Doch.“
„Nein!“
„Doch Wolfgang! Den ganzen Schrank voll, und überall im Wohnzimmer und sogar in der Küche. Wie viele He-Man-Figuren hast denn du?“
„Keine.“
„Warum?“
„Weil meine Mama die Figuren hässlich findet.“
Dafür musste Wolfgang sehr leiden. Doch jahrelang konnte er seine Angst vor der Unwahrheit nicht abschütteln. Andere logen, aber er selber log nicht. Mitte zwanzig saß er dann im Büro vor dem Computer und starrte auf eine Dating-Webseite. Im Internet wusste man nie, was echt und was falsch war und die Wahrheit über Wolfgang selbst ließ Frauen kalt. Da hörte er ein Räuspern. Der neue Nebenabteilungsleiter stand hinter ihm. "Hm" Mit der Kaffeetasse in der Hand lehnte er sich entspannt an Wolfgangs Schreibtisch und las den Text auf dem Monitor. "So wird das nichts."
Unauffällig versuchte Wolfgang auf die Uhr zu schauen. Seine Pause war lange vorbei. "Was?"
"Das wird sie nicht beeindrucken." Der Nebenabteilungsleiter tippte auf die halb geschriebene Nachricht am Bildschirm. "Du kannst doch nicht schreiben, dass du nur in einem Callcenter arbeitest." Er zeigte in den großen Raum hinein wie jemand, der etwas sehr Offensichtliches betonte. "Wenn, dann nenne dich wenigstens Teamleiter."
Wolfgang zögerte.
"Nun mach schon, ich hab noch anderes zu tun. Meinst du etwa, ihr Profil ist ehrlich? Sie wiegt mindestens fünf Kilo mehr."
Zögerlich tippte Wolfgang. Der Nebenabteilungsleiter blieb an seinem Schreibtisch stehen. Schließlich klickte Wolfgang auf: Senden. "Ich danke Ihnen", sprach er leise.
"Nichts zu danken. Und du kannst mich duzen, ich bin Heinrich." Mit einem Lächeln schlenderte der Nebenabteilungsleiter zwischen den Schreibtischen davon. Die Hektik, der Lärm und das ganze undurchdringliche Regelwerk um ihn herum schienen ihn nicht zu berühren. Wolfgang sah ihm nach, so einen Vorgesetzten hatte er sich schon lange gewünscht. Dann klingelte sein Telefon.
Wolfgang hatte etwas Neues gelernt und das fühlte sich gut an. Bald übernahm Heinrich auch sein Telefon-Coaching. Mit einem Kabel wurden ihre Headsets verbunden. Dann lehnte Heinrich sich behaglich in einen Drehstuhl zurück und gab einen Wink, dass die Anrufe beginnen sollten. Wolfgang klickte und sofort klingelte das Telefon. Der Anrufer war wütend. Er stellte viele Fragen und Wolfgangs Antworten darauf ließ er nicht gelten. "Das kann nicht sein!" Die Stimme klang tief und drohend durch das Telefon. "Dann gucken Sie noch mal nach!" Wolfgang klickte und suchte, während die Stimme im Headset auf ihn einredete. "Haben Sie meinen Mobilfunkvertrag geprüft?"
"Ja."
"Haben Sie meinen Festnetzvertrag geprüft?"
"Ja."
"Haben Sie meinen zweiten Mobilfunkvertrag geprüft?"
Wolfgang stockte, einen zweiten Vertrag konnte er nicht finden. Er klickte durch das Menü. In seinen Ohren rauschte das Headset und Nebenabteilungsleiter Heinrich beugte sich interessiert in seinem Drehstuhl nach vorne.
"Ob Sie meinen zweiten Mobilfunkvertrag geprüft haben?"
"Nein, ich..."
Der Anrufer brüllte. Seine Stimme überschlug sich, sodass sie für einen Moment nur noch als Fiepen durch die Leitung drang.
Mit einem Kugelschreiber pikste Heinrich in Wolfgangs Seite.
"Doch, ja... jetzt habe es gefunden. "Er starrte auf den Bildschirm, der die Suchanfrage ohne Treffer zeigte und leckte sich die Lippen. "Natürlich, Ihre zweite Mobilfunknummer." Es gab kein zurück mehr. Er beschrieb vage, was auf die meisten Datensätze zutraf und beantwortete alle Rückfragen des Anrufers mit Ja. "Kein Problem, das werde ich sofort für Sie ändern. So, schon ist es erledigt. Weil Sie ein so guter Kunde sind, kriegen Sie für die zweite Mobilnummer jetzt auch noch eine Gutschrift. Dreißig Euro! Über Ihre Rechnung müssen Sie sich dann erst mal keine Gedanken mehr machen." Im Headset rauschte eine Rückfrage des Anrufers und Wolfgangs Stimme klang ehrlich beleidigt. "Aber natürlich sage ich Ihnen die Wahrheit. Ich sehe es hier vor mir und habe es doch selbst eingetragen. Die Summe ist im System fett markiert. Die Verrechnung mit Ihrem Konto ist für den nächsten Dienstag vorgesehen." Schließlich legte der Anrufer auf.
"Geht doch", sagte der Nebenabteilungsleiter. Er schob das Headset von den Ohren und trank einen Schluck Kaffee. Dann erzählte er, dass er nun das hübsche Fräulein Simona coachen würde. Er winkte der Frau. Sie ignorierte ihn und er spazierte unbeirrt davon zu ihrem Schreibtisch hinüber. So selbstbewusst hatte Wolfgang immer sein wollen. Dann klingelte sein Telefon.
Wolfgang lernte schnell und das Leben wurde einfacher. Hatte er keine Lust, einer Einladung zu folgen, sagte er einfach, er sei krank. In das Schwimmbad kam er billiger, wenn er behauptete Student zu sein. Und im Internet entdeckte er eine Spielwiese so unschuldig wie das Paradies der Kindheit. Was er dort schrieb, war die Wahrheit. Und er schrieb das, was ihm spontan in den Sinn kam.
Wochen später in einer Team-Versammlung stand Wolfgang vor allen Kollegen auf. Souverän antwortete er auf eine Frage, die niemand im Raum zu stellen gewagt hatte. Ja, es war unerhört, was da passiert war. Ein Schaden für die Firma, aber vor allem für alle Kollegen, die ehrlich arbeiteten und den Anweisungen folgten. Die anderen blickten betreten zu Boden. Wolfgang wiederholte seine Empörung. In ihrem Büro durfte so etwas nicht vorkommen. Pornografie als Anreiz für einen Vertragsabschluss, das war nicht nur ein falsches Versprechen, das war unwürdig. „Und ich weiß genau, wer das verzapft hat. Es war Simona!“ Er zeigte mit dem Finger auf sie. Das Mädchen blickte auf und sah ihn überrascht an. Dann rannte sie heulend aus dem Saal.
Als die Kollegen sie wieder zwischen den Schreibtischen verstreut hatten, saß plötzlich Heinrich neben ihm. „Was hast du getan?“
„Hast du mich gehört? Ich habe alle überzeugt, das hätte ich mir früher nie zugetraut.“
„Du hast gelogen.“
„Ja“, Wolfgang lachte. Die Pornos hatte tatsächlich er einem Anrufer versprochen.
„Wie konntest du nur so etwas Gemeines tun?“
„Wie? Das hab ich doch alles von dir.“
„Mach dich nicht lächerlich!“
Nun war Wolfgang verwirrt. „Du hast mir doch endlich gezeigt, wie man lügt. Du, mein Nebenabteilungsleiter, ich bin dir auch wirklich dankbar...“
Heinrich schüttelte seinen Kopf wie jemand, der etwas sehr Offensichtliches erklärte. „Zumindest dich selber darfst du doch nicht belügen Wolfgang.“ Mit seinem Stuhl drehte er sich einmal um sich selbst. „Nebenabteilungsleiter, was soll denn das überhaupt sein?“ Er trank einen Schluck Kaffee. „Du hast dir mich doch nur ausgedacht.“
 
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Ofterdingen

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Die Episode mit dem verärgerten Anrufer hat mir gefallen. Sie ist amüsant. Wirkt zwar ausgedacht, aber das darf sie ruhig sein. Ist ja Fiktion und das Dazuerfundene gibt der Szene ja gerade ihre besondere Würze. Was die Dating-Episode betrifft: Schade, dass du mittendrin aufhörst. Man wüsste als Leser gern, was dabei herauskommt.

Der Schluss der Geschichte ist nach meinem Empfinden - na ja - an den Haaren herbeigezogen. Vielleicht fällt dir da ja noch etwas Besseres ein.

Du sollte3st darauf achten, Sie, Ihnen, Ihr usw. in der Anrede groß zu schreiben. Falsche Schreibung kann zu Verständnisproblemen führen. Ein Beispiel: Statt "Haben sie meinen Festnetzvertrag geprüft?" muss es heißen: "Haben Sie meinen Festnetzvertrag geprüft?"
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Lietzensee,

die vielen Fehler in der Anrede sind ein wenig ärgerlich, und die großen Absätze erschweren das Lesen.

Man musste immer die Wahrheit suchen, auch wenn sie einem schmerzte.
Das schmerzt mich ein wenig.

Ein Tipp: Verbinde nicht so viele Sätze mit „und“. Mach einfach zwei Sätze daraus, wenn möglich. Beispiel:
Im Headset rauschte eine Rückfrage des Anrufers. und Wolfgangs Stimme klang ehrlich beleidigt

Mit ein wenig Nachbearbeitung könnte eine passable Geschichte daraus werden.

Gruß, Ciconia
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Ofterdingen, hallo Ciconia,
vielen Dank für eure Hinweise! Ich habe den Text noch mal etwas überarbeitet. Dass man Sie auch in Dialogen groß schreibt, war mir tatsächlich nicht klar. Man lernt halt nie aus.

und die großen Absätze erschweren das Lesen.
Ich dachte eine Leerzeile zwischen den Absätzen wäre auf der Leselupe Standart, so sehe ich es zumindest bei vielen anderen Texten. Du würdest sagen, ohne Leerzeile die Absätze direkt unereinander?

Der Schluss der Geschichte ist nach meinem Empfinden - na ja - an den Haaren herbeigezogen.
Der Schluss war tatsächlich zuerst da. Den Rest hab dann drum herum gestrickt. Aber ich habe den Schluss offensichtlich nicht gut genug vorbereitet, wernn er für dich so überraschend kommt.

Was die Dating-Episode betrifft: Schade, dass du mittendrin aufhörst. Man wüsste als Leser gern, was dabei herauskommt.

Viele Grüße
lietzensee
 
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G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Lietzensee,

Wikipedia schreibt zum Thema Absatz:

In der Textgestaltung beschreibt ein Absatz, lateinisch passus, einen aus einem oder mehreren Sätzen bestehenden Abschnitt eines fortlaufenden Textes. In einem Absatz hat der geschriebene Text meist einen eigenen Sinnzusammenhang (daher auch Sinnabschnitt genannt) oder auch ein eigenes kleines Thema. Ist dieser Gedanke ausgeführt, folgt ein neuer Absatz. Er wird in der Typographie als Zeilenumbruch d. h. Neubeginn in einer neuen Zeile, dargestellt.

Deshalb wären z. B. in einer Konversation Leerzeilen verzichtbar. Hier stören sie in diesem Text am meisten.

Gruß, Ciconia
 
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steyrer

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Hallo Lietzensee!

Den Schluss finde ich ausgezeichnet: Die überraschende Wendung enthüllt die Sache mit Heinrich als rein inneres Erleben, also als Sichtbarmachung eines psychischen Zustandes.
Allerdings: Ein derart langer Zeitraum von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter passt nicht recht in den Handlungsbogen einer Kurz- oder gar Kürzestgeschichte (wenn es denn eine sein soll).

Schöne Grüße
steyrer
 

lietzensee

Mitglied
Hallo steyrer,
viele Dank, es freut mich, dass der Schluss für dich funktioniert. Du hast Recht, der Form nach ist es keine übliche Kurzgeschichte. Ich experimentiere gern mal mit Zeitsprüngen oder auch Rückblenden.

Viele Grüße
lietzensee
 



 
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