Nemrut

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Tula

Mitglied
Nemrut


Stunden quälte sich der Bus durch die zerfurchte Landschaft
schien uns ausgezehrt und alt wie die Legende der Zehntausend
in der Anabasis ja sogar das Heer des Alexander zog hier durch

viel früher noch floss erstes Eisen irgendwo
im Schutt vergraben ruht in Keilschrift ein Ritual von tausend Göttern
oder gar ein Friedenspakt der tausend Kriege überdauerte

dann zogen Wir (!) die Prozession der Neuzeit hin
zum Gipfel schleppten wir mit letzter Müh'
nicht einen Stein ... allein uns selbst

beim Anblick der Giganten schwiegen wir
und fassten vor Bewunderung nicht mal die Größe
jenes Wahns den man als Halbgott stets verkennt

ich wagte es und starrte einem in die Augen
meine Dreistigkeit blieb ungestraft doch zwangen sie
die Sonne zu Gehorsam und zum demutsvollen Abgang

auf der Rückfahrt unterbrach mich Erkan irgendwann denn
solch ein Thema sollte man im Bus
besser vermeiden
 
G

Gelöschtes Mitglied 19679

Gast
Mit Spannung las ich Dein Gedicht über diesen geschichtsträchtigen Ort, Tula, hineingezogen in eine nachdenkliche Stimmung, geprägt durch Ehrfurcht, Staunen, persönliches Erleben - das ist Dir gut gelungen!

Könnte der letzte Vers nicht noch dichter sein? - ohne "irgendwann denn", "solch ein Thema" - konkreter! - zu sehr Umgangssprache im Gegensatz zur Dichte im vorigen Vers, was meinst Du?

Gruß, Monika
 

Tula

Mitglied
Hallo Monika

vielen Dank für Kommentar und Bewerte-Trank!

Zum Hintergrund: Ich war vor 25 Jahren dort, noch als Student, eine Art Austausch in der Türkei (3 Monate in einem Kraftwerk in Yata?an, im Westteil). War super! und Erkan einer von zwei Studenten, die mir damals Freunde wurden und welche – der Zufall wollte es – in Malatya studierten. Da bin ich also am letzten Wochenende hin mit dem Bus und von dort zusammen mit Erkan zum Berg.
Die besagte Stelle kann ich sicherlich auf vielerlei Weise noch umschreiben. Sie soll sich in der Tat sprachlich vom Hauptteil absetzen, daran erinnernd, dass noch heute der politische Größenwahn sein „Unwesen treibt“, nicht nur in der Türkei, versteht sich. Und bei gewissen Themen sollte man deshalb nicht zu laut plappern, über welche genau ist hier unwesentlich, obwohl ich zugebe, dass die Stelle den Leser unter Umständen verwirrt.

So war's gedacht, werde weiter drüber nachdenken. Vielleicht dann also:

auf der Rückfahrt unterbrach mich Erkan
dieses Thema sollte man im Bus
besser vermeiden

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 19679

Gast
Hallo Tula,

neugierig geworden durch Dein Gedicht las ich über den Berg Nemrut, betrachtete staunend die Bilder, Du schilderst die Tour so eindringlich, dass mich eine Ahnung überkommt von dem Unausgesprochenem, Erhabenen, dem Tabu in der Öffentlichkeit.

Auf keinen Fall sollte im letzten Vers konkret benannt werden, was besser unausgesprochen bliebe. Deine Änderung im letzten Vers finde ich gut, die Aussage tritt schärfer hervor und bettet das persönliche Erlebnis in einen größeren Zusammenhang von Geschichte, Politik, Religion ein.

Gerne gelesen, eine erstaunliche Reise, danke!

Monika
 

Tula

Mitglied
Nemrut


Stunden quälte sich der Bus durch die zerfurchte Landschaft
schien uns ausgezehrt und alt wie die Legende der Zehntausend
in der Anabasis ja sogar das Heer des Alexander zog hier durch

viel früher noch floss erstes Eisen irgendwo
im Schutt vergraben ruht in Keilschrift ein Ritual von tausend Göttern
oder gar ein Friedenspakt der tausend Kriege überdauerte

dann zogen Wir (!) die Prozession der Neuzeit hin
zum Gipfel schleppten wir mit letzter Müh'
nicht einen Stein ... allein uns selbst

beim Anblick der Giganten schwiegen wir
und fassten vor Bewunderung nicht mal die Größe
jenes Wahns den man als Halbgott stets verkennt

ich wagte es und starrte einem in die Augen
meine Dreistigkeit blieb ungestraft doch zwangen sie
die Sonne zu Gehorsam und zum demutsvollen Abgang

auf der Rückfahrt unterbrach mich Erkan
dieses Thema sollte man im Bus
besser vermeiden
 



 
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