Nennt mich Rebellen

James Blond

Mitglied
Hm, liebe Arianne, hier wird es schwierig, etwas Eingehendes zu schreiben, ohne selbst gleich wieder in die Pedantenkiste verbannt zu werden. ;)

Ganz allgemein: Kritisches, Politisches, Protest, Beschimpftes und Geschmähtes sind eine schwierige lyrische Kategorie. Wer sich auf dieses Schlitterparkett begibt, braucht eine erprobte lyrische Standfestigkeit, um nicht auf der eigenen Nase zu landen, denn alle Kritik wirkt hier auch immer zurück auf den Kritiker.

Der Text vermittelt den Eindruck eigenen Unbehagens, dem unbedingt Luft verschafft werden musste. Der Anlass kann zwar vermutet werden, spielt jedoch keine Rolle, denn der Text zielt auf eine allgemeine Aussage. Und wogegen richtet sich die Kritik?
In erster Linie werden hier Pedanten angesprochen, die mit ihren Zicken anderen gehörig auf die Nerven (und in die Nasen) gehen und denen nur mit Humor beizukommen ist, des Weiteren wird der Kreis auf profitgeile Mitgesellen ausgedehnt, die Umwelt und Sitten verseuchen. Dem stellt nun das LyrIch die eigene Person als Rebellen gegenüber, der sich gegen die Meute und Borniertheit auflehnt, wobei der Humor als wesentliche Unterstützung herausgestellt wird.
Allerdings vermittelt der Text selbst nichts von dem angepriesenen Humor, wirkt gallig bitter, frustriert und scheint auf eine Selbstrechtfertigung des LyrIch abzuzielen. Wobei die Stilisierung zum Rebell an den offensichtlichen Allgemeinplätzen der Kritik zu scheitern droht. Denn wer heftet sich nicht selbst gerne die Sticker gegen Borniertheit, Profitgeilheit und Umweltverseuchung ans Revers? Doch je breiter hier die Schrotladung aufgefächert wird, um so schwächer trifft sie.

Kritik erfordert eigentlich Zielgenauigkeit und Impakt, also sprachliche Präzision verbunden mit einer Wucht des Ausdrucks. Hier aber korrespondiert die Pauschalkritik mit einer sprachlichen Insuffizienz.
wie eine Krücke ist in mancher Lage,
das Unabänderliche hinzunehmen.
Der Humor als Krücke - ok, aber die Krücke ist nicht in der Lage etwas hinzunehmen, sie versetzt uns höchstens in die Lage.
Pedanten, die am Kern vorüberblicken,
Am Kern vorbei blicken
Viel was sie sagen, ist nur eine Phrase.
Vieles was sie sagen.
Heißt mich getrost antik oder Rebellen,
Hebungsprall: 'antik oder'

Das durchgängige Reimschema 'a b b a a b' ist sehr reizvoll, aber
S1 Reim: Leben / geben / nehmen ?

Mir scheint, das Gedicht wurde mit einer (etwas zu) heißen Nadel gestrickt. Innehalten und tief Durchatmen ist fast immer angeraten – und viel Humor. ;)

Grüße
JB
 

Arianne

Mitglied
Guten Tag, James Bond!

Zuerst meinen Dank, für die paar Gedanken zu diesem Gedicht, zu dessen Aussage ich voll stehe und die ich genauso in Prosa hätte verfassen können.
Hoch rechne ich Dir an, dass Du einer der wenigen Aktiven aus dieser kleinen Schar bist (lt. Mitgliedervevidenz sehr viele),
die nicht achtlos das meiste wegscrollen. Du machst Dir einige Gedanken darüber.

Vorbemerkung: Meine wenigen Gedichte entstehen nicht durch Hinsetzen und Brüten. Es Die Aussage, die für mich als Wichtigstes im Vordergrund steht. Oft ein Satz, der sich nur gedanklich geformt hat. Manchmal drängen sich mir weitere Einfälle auf. Halte ich den einen oder anderen für interessant oder lustig, füge ich gelegentlich – auch nur gedanklich –
einen Reim dazu. Es kommt schon vor, dass so eine Reim im Kopf 'hängen bleibt', dann schreibe ich ihn flüchtig auf oder,
zum Beispiel in diesem Fall, in dieses Forum.


Jetzt komme ich zu den von Dir betonten Punkten:

wie eine Krücke ist in mancher Lage,
das Unabänderliche hinzunehmen.
Humor, der kein Heilmittel nur ein Hilfsmittel (Krücke) gegen Missstände sein kann, die unabänderlich sind, die man leider ertragen muss (da man als Einzelner nicht die Möglichkeit hat, die Charaktere der Menschheit oder zumindest Teile des Systems zu ändern).
Pedanten, die am Kern vorüberblicken, die sich mokieren über jede Blase,
Kennst Du sie nicht, diese Besserwisser? Einwände die ablenken, oft überhaupt nicht begriffen haben,
worum es geht, was vermittelt wird oder was die Wichtigkeit einer Aussage ist.
Symbolisch das 'Anderen in der Nase bohren', das machen sie selbstverständlich nicht wirklich.
'Mokieren über jede Blase' ... während der abgetrennte Arm nicht beachtet wird.

Nicht nur, weil 'Vorüberblicken' um eine Silbe mehr als 'Vorbeiblicken' hat und arrhythmisch wäre,
auch sinngemäß, weil es am 'Kern einer Sache' vorbei ziemlich nahe kommt. Ja, Weihnachten ist vorüber,
wenn wir auch sagen 'vorbei'.

Viel was sie sagen, ist nur eine Phrase: Vieles was sie sagen. Exakt müsste streng differenziert werden,
aber sieh Dich um, in vielen sogenannten 'Werken' wo oft ein Gestammel stattfindet,
das von einem Feind der Deutschen Sprache stammen könnte. Einige sind vielleicht Abonnenten des
Schundheftes 'Anleitung zur mystischen Metapher' von Bieter Dohlen.

Wie viele Werke der uns bekannten Dichtergrößen gäbe es nicht,
wären ihre Schaffensfrüchte mit dem Maßstab gemessen worden,
der andere mit Häme bedeckte und ihnen nur gereichte, Geringe zu sein.

Mein Dank und Lob Deinem Lesen, der munteren kritischen Aufmerksamkeit!

(Fast vergessen: Ja, nicht nur heiße, sogar glühende Nadeln sind es, die noch immer glühen.)
Mit Grüßen
Arianne
 

Tula

Mitglied
Hallo Arianne
Am besten gefällt mir die erste Strophe, der Humor als Krücke, um überhaupt durchs Leben humpeln zu können, ist witzig und geistreich zugleich.

Strophe 2 und 3 fallen etwas ab, wirken zum Ende hin leicht belehrend, handwerklich könnte man hier noch feilen.

Spontanität ist bei jeder Kunst sicher wichtig, vor allem was inhaltliche Kreativität angeht. Aber aufs 'Hinsetzen und Brüten' sollte der Dichter nicht verzichten, gerade bei solchen Reimgedichten, wo sich Eile beim Schreiben in der Regel mit fehlender sprachlicher Eleganz bemerkbar macht. Wie schon Einstein sagte, 5% sind Inspiration, der Rest harte Arbeit und Schweiß.

LG
Tula
 

James Blond

Mitglied
Liebe Arianne,

ich komme auch noch mal auf die Krücke zurück, weil hier etwas bekanntes sprachlich leider schief ausgedrückt wird.

Nur der Humor hilft, dass ich ihn ertrage,
der absolut nicht jedem ist gegeben,
wie eine Krücke ist in mancher Lage,
das Unabänderliche hinzunehmen.
Humor, der kein Heilmittel nur ein Hilfsmittel (Krücke) gegen Missstände sein kann, die unabänderlich sind, die man leider ertragen muss (da man als Einzelner nicht die Möglichkeit hat, die Charaktere der Menschheit oder zumindest Teile des Systems zu ändern).
Ja, danke für die Interpretation - so gemeint hatte ich es auch verstanden, allerdings ...
würde ich es dann eher so formulieren:

Nur gut, dass mit Humor ich noch ertrage,
was ich ansonsten längst schon aufgegeben,
wie eine Krücke hilft in mancher Lage,
das Unabänderliche hinzunehmen.


Das mag auch als Beispiel dafür gelten, dass die 'heiße Nadel' zwar oft genug einen Anlass bietet, zur Feder zu greifen, dass es sich aber empfiehlt, noch einmal mit kühlem Kopf darüber zu blicken, bevor man dann geteert wird ... ;)

Grüße
JB
 

Arianne

Mitglied
Danke, James Bond – und einen schönen Tag wünsche ich!

Ich merke, Du meinst es gut mit mir.
Bei dem Austausch im Teil 'wie eine Krücke ist in mancher Lage' von ist auf hilft pflichte ich Dir bei; das war eine Nachlässigkeit von mir, die mich zerknirscht macht.
Doch die zweite Zeile ' der absolut nicht jedem ist gegeben, ' auszutauschen auf 'was ich ansonsten längst schon aufgegeben, ',
ließe eine Aussage weg (Humor, der nicht jedem gegeben ist) und fügte eine andere Aussage hinzu, wobei sinngemäß, meiner Ansicht nach, durch Zeile 3 und 4 bereits der Umstand erklärt wird, warum noch ertragen werden kann.
Dass ich ansonsten längst schon aufgegeben hätte, ist durch nichts bewiesen und das Wort von Aufgabe überhaupt nicht im
Sinne des Autors.

Freundlich grüßt
Arianne
 

James Blond

Mitglied
Ja, liebe Arianne, ich meine es nur gut mit dir. Und mein Vorschlag sollte nur ein Beispiel dafür sein, dass eben viele Wege nach Rom führen. :)
Im Grunde wird auch der Inhalt deiner ersten beiden Zeilen, die Lebensbekräftigung durch Humor, in der 3. und 4. Zeile nochmals paraphrasiert. Es erfolgt durch den Austausch der 2. Zeile eigentlich keine wesentliche Änderung, denn der Besitz von Humor als ein seltenes Glück für seinen Träger ist bereits in der Idee dieses Begriffes verankert: Humor hat man - oder eben nicht.

Den Austausch der 2. Zeile habe ich vorgenommen, um eine Wiederholung des 'hilft' zu umgehen.

Nur der Humor hilft, dass ich ihn ertrage,
der absolut nicht jedem ist gegeben,
wie eine Krücke hilft, in mancher Lage,
das Unabänderliche hinzunehmen.


Ich wollte damit nur andeuten, dass es sich lohnen kann, nach einem ersten Entwurf Alternativen durchzuspielen, gegebenenfalls auch metrische Anpassungen vorzunehmen, mehr nicht.

Viele Grüße
JB
 

Arianne

Mitglied
Danke für die Rückmeldung, James Bond.

Ich musste nachsehen, da ich es nicht glauben konnte und stellte fest, es wurde von mir nicht zweimal 'hilft' verwendet.
Was an metrischen Anpassungen vorgenommen werden soll, werde ich schon noch beizeiten erfahren.

Gruß
Arianne
 

Arianne

Mitglied
Guten Tag, Tula!

Danke für Deine Zeit und die Worte.
Es stimmt, ich kenne etliche, die sich hinsetzen und 'brüten'. Oft wollen sie etwas schreiben, wissen aber nicht was.
So werden oft die absonderlichsten Themen verarbeitet und ein Gedicht darüber konstruiert.
Der große Unterschied zu diesen sind jene, denen sich Themen, oft realer Art, in Fülle aufdrängen. Diese bringen sie sie,
einem Bedürfnis gleich, zu Gedichten geformt, zu Papier oder in die Tastatur.

Gruß
Arianne
 

James Blond

Mitglied
Liebe Arianne,

je länger ich diesen Faden verfolge, umso mehr verfolgt mich auch der Eindruck, dass wir uns beharrlich missverstehen. Ich habe versucht, dir meine guten Absichten näher zu bringen, fühle mich jetzt allerdings weiter davon entfernt als zu Beginn dieser Unterhaltung und sehe auch für die Zukunft wenig Aussichten, denn in allen angesprochenen Punkten lässt sich eigentlich nur Abwehr erkennen.

☻Da ist zum einen der Tipp, den auch Tula dir zu vermitteln suchte, dass es beim Verfassen eines Gedichts nicht allein auf die Inspiration, die spontane Ergriffenheit aus einer "realen Fülle" ankommt, sondern dass sich daran auch als Transpiration ein - oftmals mühevolles- Überarbeiten des ersten Entwurfes anschließen sollte, der das ganze in eine ansprechende Form zu bringen sucht. Nun konterst du diese Empfehlung damit, dass allein durch das Brüten die absonderlichsten Themen zu Gedichten verarbeitet werden. Das hat dir allerdings niemand empfohlen.

☻Da ist zum zweiten mein kleiner Vorschlag zum Ausbügeln eines sprachlichen Missgriffs. Ich hatte dazu ein Wort in einer Zeile geändert, statt a)
wie eine Krücke ist, in mancher Lage,
nun b)
wie eine Krücke hilft, in mancher Lage,
vorgeschlagen, eine Formulierung, der du beigepflichtet hast, sofern ich deine Antwort in #6 richtig verstanden habe. Dort hattest du dann allerdings meine Änderung einer weiteren Zeile verworfen, da sie einen anderen Sinn ergibt. Daraufhin habe ich versucht, dir den Grund dieser 2. Änderung aus einer Wiederholungsvermeidung zu erklären, ansonsten wäre das Wörtchen 'hilft' - durch meine erste Korrektur - in zwei Zeilen aufgetaucht. Darauf antwortest du, dass das Wort in deiner Fassung nur einmal vorkommt. Das stimmt, allerdings bleibt es dann auch bei dem anfänglichen sprachlichen Problem von a.

☻Da ist zu guter Letzt der bereits im 1. Beitrag erbrachte Hinweis auf Mängel in der metrischen Betonung.
Hebungsprall: 'antik oder'
Das sollte nur der offensichtlichste Hinweis darauf sein, dass hier die natürliche Betonung den Jamben deines Gedichts zuwider läuft, es gibt aber noch etliche andere Stellen. Soll ich mir nun die Mühe machen, sie einzeln herauszufischen und zu diskutieren? In Anbetracht von Punkt 1 denke ich aber, dass dies wohl verlorene Liebesmühe sein würde.

Viele Grüße
JB

P.S. Nicht zu vergessen, der Reim:
Das durchgängige Reimschema 'a b b a a b' ist sehr reizvoll, aber
S1 Reim: Leben / geben / nehmen ?
 

Arianne

Mitglied
Danke, James Bond, jetzt hast Du es mir nochmals hergeschrieben und darüber steht sogar noch der Vermerk, dass ich es nicht vergessen soll.
Schande über mein Haupt! Natürlich! Ich will mich nicht auf Glaukom oder Katarakt ausreden, habe es in der verschwommenen Suppe erst jetzt deutlich gesehen und muss Dir Recht geben, wo es Dir gebührt. Eine Abänderung wird schnellstens erfolgen. Dieser Hinweis war mir besonders wichtig.

Gruß
Arianne

P.s.: Die Ansichten von Tula habe ich gelesen. Meine Antwort auf seinen Kommentar ist bereits erfolgt.
 



 
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