NEOROMANTIKA_1. SIE*

Einführung: Vergiss alles. Alles, das nicht alles sein könnte.


Er war schwer geworden, träge bis hin zu einer von Ihr empfundenen Abnutzung, die Sie davor zurückschrecken ließ, ihm noch ein oder zwei Worte zu sagen, bevor er ging. Er sollte einfach nur gehen. Sie hatte nicht mehr viel zu sagen, noch zu denken, als er, ... als ... als Olson sich anzog. Nicht nur ihr Verhältnis ihm gegenüber, sondern gegenüber einer ganzen Welt, die sich mit ihm auftat, war - nicht nur sinnbildlich, sondern in jeglicher Form - schwer beschädigt! Alles war zum Gegenstand verkommen. Ihr Verdruss ihm gegenüber wuchs über diese Erde hinaus (quer unter ihrem gelangweilten Herzen daher), unabhängig von der Stadt oder dem Ort, an dem Sie sich nun schon seit Anbeginn ihres Studiums aufhielt, und dies fast ununterbrochen - abgesehen von 2 Wochen in jedem Sommer, die Sie immer im Vollsuff auf irgendeiner vom Massentourismus noch platter getretenen Drecksinsel verbrachte. Es waren die Menschen, die Sie immer schwerer ertrug. Mit ihm fühlte Sie sich wie gedrehter Stacheldraht, der mit jedem seiner Worte in einer infiniten Selbstverletzung um sich selbst tanzte. Allein. Und er wurde ihr zuwider, weißt du. (In Ihrer Vorstellung finden sich viele kontradiktorische Orte, doch sind sie alle frei von Menschen, und eben dies verjagte Ihr immer den schalen Atem aus dem Widerspruch mit den Dingen: Das Fehlen der Menschen.)

Unsere Liebe:
Sie malte sich grün über grün gesättigte Abhänge, mit von Schneekoppeln überzogenen, felsigen Bergen aus, die aus der Ferne eine gleichgleiche fraktale Struktur aufwiesen, gekreuzt von plötzlich eintretenden staubschweren Smogwolken einer Stadt, die über dem symmetrischen Opal einer Endlosigkeit von rechtwinkligen Koniferen, den Abhang säumend, versuchten Luft zu atmen ... Genau wie Sie ... und dann kamen da immer die Menschen hereingeplatzt, um Ihr Eingesogensein in einen jeden Moment der Stille schreiend zu beschneiden. Olsons träge Bewegungen wurden durch eine Steifheit seiner Hüfte hervorgebracht, die schlimmer zu werden schien. Er glitt nicht unbeschwert durch die tiefen Sphären des Zufalls - den er versuchte zu eliminieren: Total, in Gänze. Jeder seiner Schritte, ja jede Bewegung schien geplant zu sein. Sie fand ihn abstoßend. Als sei er mit Ihr fertig. Mann, im Ernst, er brachte kein Wort heraus (,) während er durch seine Kleider hampelte, die Sie alle auswendig kannte ... immer wenn er sich danach anzog. "Danach", das beschreibt es am besten. Es war alles selbstverständlich geworden, immer dasselbe Spiel, weißt du. Sie nahmen sich nicht mal mehr vor, einmal in der Woche miteinander zu schlafen, und doch passierte es immer zur selben Zeit und sogar am selben Tag. Immer mittwochs! Nach ein, zwei Bier seiner und einer Flasche Rosé ihrerseits.

(Zeitsprünge)
Sie war glücklich darüber, dass sie ein wenig verschlafen hatten. Es war bereits so was wie zwei Uhr nachmittags und er musste um so was wie zwei Uhr dreißig arbeiten. Sie war froh, zufrieden damit, dass Sie nun bis tief in die Nacht hinein alleine sein durfte.
Olson arbeitet in einer Fabrik für Haushaltswaren aller Art, weißt du, und er bedient sich mit Vorliebe an Doppelschichten, die er vertretungsweise für etwaige Kollegen übernahm, sodass er den restlichen Monat nicht arbeiten brauchte - um sich besser auf sein Studium zu konzentrieren, für das er sterile zweieinhalb Jahre einplante. Arbeiten, schlafen, lernen, noch mal ... Er nennt das Zielstrebigkeit. Er kam ein wenig ins Straucheln, als er sich seine Mokoa Jeans übers Bein warf - nur eines, dann das nächste ... gemächlich - was ihn echt lachhaft wirken ließ. Im Ernst jetzt; wenn auch nur der kleinste Zug des Unkontrollierbaren an ihm vorbeirauschte, wirkte er entsetzlich lächerlich, jähzornig und errötete mit merkwürdig pustelhaften Gebilden über seinem Kinn, wenn er verschmitzt lächelte - was Sie einst niedlich fand, also sein Kinn jetzt ne, und welches Ihr heute wie das Glänzen eingeölter Cellulite anmutet, schimmernd daherdunstend unter seinem Stressschweißnebel. Ja, der sich in Ihr regende Widerstand war überwältigend geworden, als könne Sie sich nie über ihn erheben. Einzig ein Verstecken hinter der eingeübten, ritualisierten Zwischenmenschlichkeit, die ihnen noch übrig geblieben war, diente Ihr als Werkzeug der Konformität. Und an Konformität perlt alles ab, sie ist zu engmaschig, zu poliert, weißte.

Und er wurde Ihr egal!

Ein Küsschen hier, ein Küsschen da. Ein „Auf Wiedersehen", ein „bis später Schatz" an den übrigen Stellen ihrer standhaften Mauer von Interaktion - hatte Sie verkommen lassen, eher noch verwelken lassen. Sie mochte Partys nicht! Sie wollte auch nicht rausgehen oder so -wollte zu Hause bleiben und lesen und so. Und jetzt, jetzt würde Sie sich bereitwillig alles reinziehen, was in ihre Nase passt, um sich von Freitag nach Montag zu katapultieren. Was Sie tat, war nicht okay, das wusste Sie. Aber Sie konnte nicht anders, musste weg, schnellstens weg. Jedes Wort von ihm traf Sie wie ein Faustschlag in die Magengrube, mit diesem Kribbeln vor Wut, das einem auf den Kehlkopf drückt, wenn es eng wird. Sie mochte ihn nicht mehr und sich selbst dadurch noch weniger. Doch die Schuld, die Sie auf sich lud, würde Sie ihn verlassen, war eine bereits geteilte Schuld, denn schlussendlich ging es hier darum, wer als Erstes den Sack zumachte. Sie hatten ein Ablaufdatum, das in naher Zukunft lag, und waren sich dessen zweifelhaft bewusst, womit ich die Prozesshaftigkeit zu benennen versuche, indem einem der Zweifel allmählich zur Gewissheit gereicht. Sie glaubte nicht daran, dass es ihn heftig treffen würde, ja, es wäre eher ein Schauspiel, eine Darbietung an Tragödie, wenn er das Weinen anfinge. Etwas, dass Sie nicht für echt halten würde. Sie erwischte sich bei dem Gedanken, wie er in Tränen aufgelöst vor Ihr stünde (,) oder nicht wirklich ernsthaft etwas durch die Gegend werfen würde, nur um Ihr das Gefühl zu geben, doch irgendwie gebraucht worden zu sein. Denn es is ja so: In der Liebe gibt es eine merkwürdig faszinierende Form des Gebrauchtwerdens. Wird man gebraucht, um selbst lieben zu können, stellt die benötigte Person immerzu so etwas wie einen Bettler dar; jemanden, der Zuneigung innerhalb einer Checkliste erfährt, und alles in der Zuneigung kehrt zurück zu sich selbst, zu dem, was man eigentlich versucht zu lieben - sein Selbst halt - und dazu gehört nun mal, dass man schockiert auf ein Trennungsgespräch reagiert, um noch vor sich selbst stehen zu können ... weist wie ich mein? Keine Sorge, ich auch nicht.
Wenn man aus Konformitätsgründen mit jemandem zusammen lebt, wird auf kurz oder lang auch die Beziehung zur Konformität erhoben, mit all ihren vor Scheinbarkeit strotzenden formalistischen Gebräuchen und Gepflogenheiten. Das miese Gefühl, so zu sein wie alle anderen auch, frequentierte die Taktung Ihres Pulses (du kennst das: Wenn die Einzigartigkeit erlischt und das unüberwindbare Hindernis der Unbedeutsamkeit durch deine Pforten quillt, gleichbedeutend mit der berühmten„Abfindung-mit-den-Dingen" , ein Bloßes hinnehmen) und das beginnt Sie hart abzufu**en. Am liebsten würde Sie ihm einfach sagen, dass seine beste Freundin ihn ruhig haben könne. Das arme Ding hat im Leben sowieso nichts mehr vor, außer Sterben und dafür ist Olson ein echter Superkandidat. Im Spektrum der Erwartungshaltungen an ein etwaiges gemeinsames Leben ergibt sich hier ein hundertprozentiges Match der beiden. Deshalb wäre es nicht weiter schlimm, eines Tages auf die beiden so Glücklichen zu treffen, denn Sie wusste, dass Sie mit ihm nie glücklich werden könnte, dass das, was er als Glück empfand, etwas war, dass Sie heftig ankotzte und zersetzen würde.
 

rainer Genuss

Mitglied
Hallo A.I. Liebeshügel
zuerst mal ein Willkommen, verbunden mit dem Wunsch, dass dich das Forum erfreut.
Das Gute mal zuerst: der Inhalt ist echt heftig, brutal ehrlich, grausam entlarvend, gespickt mit aufwühlenden Details einer Beziehungsdramas, das einem Nahtoterlebnis gleicht. Die Schilderung des Werdegangs menschlicher Entfremdung ist dir hervorragend gelungen, in etwa so präzise wie die Ausstellung "Körperwelten"
Schwergetan hab ich mich mit deinem Schreibstil
Sie erwischte sich bei dem Gedanken, wie er in Tränen aufgelöst vor Ihr stünde (,) oder nicht wirklich ernsthaft etwas durch die Gegend werfen würde, nur um Ihr das Gefühl zu geben, doch irgendwie gebraucht worden zu sein.
das liest sich schwer und ich konnte deinen Beschreibungen nicht folgen. Der Text müsste "entkompliziert" werden um ihn besser verstehen zu können.
Weshalb schreibst du das "Ihr" groß?, hat das eine Bedeutung.

Ich versuchs mal, bin aber kein Experte

Sie erwischte sich bei der Vorstellung, wie er in Tränen aufgelöst vor ihr stehen würde, nachdem er verzweifelt den Küchenstuhl umgeworfen hatte, nur um ihr zu zeigen, dass sie ihn braucht.

LG rainer
 
Moin und guten Morgen mein Lieber,
ich danke dir vielmals für die tollen Worte zu so früher Stunde,
leider bin ich noch ein wenig zu verklatscht, um den PC richtig zu sehen, aber das wird schon, weißt du:
1. Ich freue mich tierisch, dass es dir gefallen hat. Bedeutet mir wirklich sehr viel!!!
2. Das mit meinem Schreibstil ist leider über die Jahre so entstanden und hat sich etwas festgefahren, weshalb ich hoffe, dass ich dir nicht zu viel Zeit geraubt habe, aber ich werde dran arbeiten, ne.
3. JA, die Nummer mit dem Personalpronomen ist beabsichtigt und wird sich dann spätestens im dritten Kapitel als nützlich erweisen, denke ich ha ha.

Viele viele liebe Grüße und ich wünsche dir einen super Tag !!!!
One Love
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Da ist sehr viel Gutes in diesem Text @Allthum.Ibn.Liebeshügel - von diesem schrecklichen Nicknamen mal abgesehen - leider wird der Erzählfluss ständig durch unnötige Einschübe des Erzählers unterbrochen und führt zu einem störenden Wechsel der Erzählperspektive.
Dadurch entsteht der Eindruck eines verschwurbelten, umständlichen und gestelzten Sprachstils. Im Gegensatz dazu die sehr klaren und guten, abgeklärt wirkenden Passagen - als hätten hier zwei Erzähler am selben Text gearbeitet.
Hast Du Lust auf Textarbeit? Falls ja, Vorschläge dazu:
QUOTE="Allthum.Ibn.Liebeshügel, post: 831697, member: 23455"]
Sie hatte nicht mehr viel zu sagen, noch zu denken, als er, ... als ... als Olson sich anzog.
[/QUOTE]
Vorschlag: Sie hatte weder viel zu sagen noch zu denken, als Olson sich anzog.
Ihr Verdruss ihm gegenüber wuchs über diese Erde hinaus (quer unter ihrem gelangweilten Herzen daher), unabhängig von der Stadt oder dem Ort, an dem Sie sich nun schon seit Anbeginn ihres Studiums aufhielt, und dies fast ununterbrochen - abgesehen von 2 Wochen in jedem Sommer, die Sie immer im Vollsuff auf irgendeiner vom Massentourismus noch platter getretenen Drecksinsel verbrachte.
Ihr Verdruss ihm gegenüber wuchs und schien sie überallhin zu begleiten an dem Ort, wo sie sich nun schon seit Anbeginn ihres Studiums aufhielt - abgesehen von den zwei Wochen im Sommer, die sie immer im Vollsuff auf irgendeiner vom Massentourismus platt getretenen Drecksinsel verbrachte.

Keine Ahnung, was das groß geschriebene oder fett gedruckte "Sie" soll ...
Und er wurde ihr zuwider, weißt du
Nein, weiß ich nicht - und falls doch, finde ich diese rhetorische Fragerei des Erzählers nervig und unpassend.

Sie mochte ihn nicht mehr und sich selbst dadurch noch weniger. Doch die Schuld, die Sie auf sich lud, würde Sie ihn verlassen, war eine bereits geteilte Schuld, denn schlussendlich ging es hier darum, wer als Erstes den Sack zumachte
Starker Satz
Sie hatten ein Ablaufdatum, das in naher Zukunft lag, und waren sich dessen zweifelhaft bewusst, womit ich die Prozesshaftigkeit zu benennen versuche, indem einem der Zweifel allmählich zur Gewissheit gereicht.
Hier empfinde ich es als sehr störend, dass sich der Erzähler mit seiner persönlichen Meinung "einmischt".
und dazu gehört nun mal, dass man schockiert auf ein Trennungsgespräch reagiert, um noch vor sich selbst stehen zu können ... weist wie ich mein? Keine Sorge, ich auch nicht.
Auch hier stört - und verwirrt dieser wirre "Kommentar" des Erzählers.
Das miese Gefühl, so zu sein wie alle anderen auch, frequentierte die Taktung Ihres Pulses (du kennst das: Wenn die Einzigartigkeit erlischt und das unüberwindbare Hindernis der Unbedeutsamkeit durch deine Pforten quillt, gleichbedeutend mit der berühmten„Abfindung-mit-den-Dingen" , ein Bloßes hinnehmen) und das beginnt Sie hart abzufu**en.
Auch hier frage ich mich erstens: Warum duzt mich der Erzähler? Und setzt voraus, dass ich das kenne? Das "abfucken" passt hier überhaupt nicht zum übrigen Stil des Erzählens.

Falls Dich diese Art der Textarbeit interessiert und Du mit meinen Vorschlägen zum Text etwas anfangen kannst: Gerne mehr.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
„Man versucht oft, die Moderne durch das Bewußtsein [sic.] der
Diskontinuität von Zeit zu charakterisieren: ein Bruch mit der Tradition, ein Gefühl der Neuheit, des Schwindels angesichts des Vergänglichen... sie ist die Haltung, die es ermöglicht, das Heroische des gegenwärtigen Moments zu erfassen.
Modernität ist nicht eine Art des Gespürs für den flüchtigen Augenblick; sie ist der Wille, die Gegenwart zu heroisieren.“
Foucault, Michel: Was ist Aufklärung?. In: Ethos der Moderne, S.42-43



Schade, dass dir mein Name nicht gefällt





Eine Liebe
 
Hey,
aber tausend dank für deine Mühen. Echt krass, wie viel Zeit du dir genommen haben musst. Ich denke schon, dass ich einiges davon annehmen werde. Vor allem den von dir überarbeiteten Satz finde ich echt knorke, wenn man ihn sich anhört.
Vielen lieben Dank und ich hätte das eigentlich alles in einem Post posten wollen, lief aber irgendwie anders.
Liebe Grüße
 

rainer Genuss

Mitglied
also, ich find "Liebeshügel" als Namen prächtig
:cool:.....gehen wir mal zum Liebeshügel oder ...mal schaun, was beim Liebeshügel so abgeht:rolleyes:
Ferner freut mich, dass die Reflektionen ankamen.
Bob Marley Gruß zurück
 



 
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