NEOROMANTIKA_2. SIE*

(Fenstersprünge)

Seine körperliche Steifheit floss aus einer inneren Verkrampfung seines Orbitalzentrums heraus, raus aus seinem Nabelchakra und ließ ihn sich bewegen wie einen großen Käfer. Ja, genau, ein Käfer, so was wie ein immenser Maikäfer war er geworden.
Sie dachte an faule Äpfel, wusste aber nicht, wieso.
Sie fühlte sich taub in diesem Königreich, wie die Tochter im goldenen Käfig - und die Gitterstäbe der Tochter waren wie die Gitterstäbe des Käfigs, denn sie zurrten einen Schutzschild um ihre Empfindung: Bis alles kompensiert oder gedämpft schien und nichts, gar nichts konnte mehr wirklich Wirklichkeit wirken.


(Nähesprung)

Ohne etwas zu Essen gibt er ihr einen Kuss auf die Wange, während Sie vorgibt, tief zu schlafen. Gewohnte Bahnen. Sie kann die erforderlichen Zwischenhandlungen, die dazu nötig sind, die Tür leise zuschließen, in einem Takt abzählen: Eins, zwei, drei ...Schlüsselklirren ... vier, fünf, sechs; heranziehen der Tür bis kurz vorm Einrasten des Türschlosses ... sieben, acht, neun; das Türschloss knackt stumm aus der Geräuschkulisse seiner vermeidlichen Grobheit heraus. Sie öffnet vorsichtig die geschwollenen Augen, als stünde er noch neben ihr, nur um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich verschwunden ist. Sie weiß, dass es sich nun um eine Stunde handeln würde, die Sie benötigt, um die Einsamkeit zu ertragen, auch wenn Sie happy darüber schien, alleine zu sein. Sie verhungert, hat aber keinen Appetit und auch keine Kraft, sich zur Zubereitung eines Frühstücks zu motivieren. Für Kaffee reicht es aber noch. Sie hatte das Rauchen unlängst aufgegeben, was Sie nicht daran hindert- jetzt, wo Sie ihren Konsum einigermaßen im Griff hat - sich ab und zu eine anzustecken. Kontrolle. Die Vizeköniglights liegen hinter den Kulissen einer kleinen Mulde des alten Gasofens ihrer Großmutter. Sie versteckte schon damals allerlei kindlichen Reichtum in dieser spitzwinkligen Ecke hinter den bronzefarbenen Rohren und den verkrusteten Erinnerungen. Ein kleiner Raum, den anscheinend nur Sie jemals entdecken durfte.
Rauchschwaden in tausend blauenden Mycelien markieren ihr sich im Luftdruck auflösendes Sinnieren, nur um Sie mit jedem Zug ihrer Gedanken zurück und hinein in Olson zu befördern. Sie mochte den Stolz, den Olson zum Ausdruck brachte, dieser kleine Kick von Geschmeidigkeit, den sein Blick umgab, wenn er davon erzählte, wie leicht Sie mit dem Rauchen aufgehört habe. „Von jetzt auf gleich, packte Sie ihre letzte Schachtel einfach in den Mülleimer und hörte auf zu rauchen", sagte er immer. Und dass Sie eiskalt wäre, so schnell von allem abzulassen, sagte er immer. Sein Gesicht fiel dann stets in das Konterfei eines jungen, pathetisch wirkenden Gewerkschaftsführers, der aus der Dunkelheit, ins Halbprofil des Tageslichts geworfen wurde. Für Sie ist er eine bleiche Ikone einer aussterbenden Welt, voller Kram, den sie zurücklassen muss, um diejenige zu werden, an die Sie sich in futuristischen Selbstvorstellungen erinnert. Eine Andere.


Sie.

Der drückend synthetische Geschmack der Notenstängel Ein-Hunderter knallte ihr eine Beklemmung zwischen Herz und Brust rein, welche Ambitionen in sich trug, Sie zu einer Wilden verkommen zu lassen. Eine Art Schaffensdruck, bevor einem die Welt abhandenkommt, okay. Nach der ganzen Zeit mit Olson; mit all dieser Scheiß Reiberei, dem Gezeter, den Tränen, den roten Wangen, dem Ficken, dem miteinander Schlafen, dem ewigen Geschrei und dem alldem Stolz der zerbrach, wurde ihr bei dem zweiten, tieferen Zug, etwas schwindelig. Nicht wegen dem Nikotin, das sich durch ihre Venen pumpte, nicht doch, sondern durch den Gedanken, mit absolut nichts nach Hause zu gehen. Es gab kein Zertifikat für das vollbrachte Wunder, mit jemandem wie Olson zusammen gelebt zu haben, keinen Händedruck, keine Medaille, keinen Beifall.

In Ihren Kopfbildern war sie schon längst verschwunden. In Ihrem Kopf befand sich bereits die Weite hinter der Enge eines abschließenden Resümees über die gemeinsame Zeit und so.

Sie ließ den Kaffee stehen, ohne auch nur einen Schluck genommen zu haben, drehte die Zigarette in das Oval eines Kristallaschenbechers und stieß den restlichen Rauch mit angestrengter Miene aus wie eine Dampflok, während sie mit ihren Händen den Qualm verwirbelte, ganz kurz vor ihrem echt hübschen Gesicht. Sie hätte Bock, sich zu betrinken, hatte aber nichts da. Olson hatte eine Zeit, in der er befand, dass die in einem antiken Globus versteckte Minibar, die er mit den Worten „eigentlich echt ungesund" am Äquator entlang in die Hälfte bog, ein aus der Zeit gekommenes Requisit der Selbstdarstellung sei. Er verkaufte die Standbar dann ohne Rückkrad in irgendeiner LoveMYface! -Gruppe und lud den Kerl auf ein Bier in der Küche ein. Das Bild: Wie er gleich einer hingeworfenen Marionette auf dem Küchenstuhl verklumpte. So mies geschauspielert locker, so ekelhaft unecht und als auf den Kauf anstoßende Fraternisierung durch die Räume hämmerte, wurde ihr schlecht.

Tictacplatsch,
Sie fand ihn armselig.

Seine Unsicherheit war verknüpft mit einer Verkniffenheit, die keinerlei Stärke auszudrücken im Stande war. Ab und zu sah Sie in der Figur seines Jähzorns sogar etwas, das für Frauen in häuslichen Beziehungen gefährlich werden konnte. Sein Jähzorn wahrt in sich gepaart mit einem Übermaß an jener Engstirnigkeit, mit der sich Menschen gern selbst begrenzen. Vor diesen Schranken schien auch er eine ungeheure Angst zu haben, denn wenn sie erst einmal mit dieser rückschwingenden Wucht einer selbstauferlegten Blockade zerplatzte, könne niemand genau sagen, was als Nächstes passieren würde. Er hatte auf jeden Fall etwas Gewalttätiges an sich.

Er war ein Verbrecher für Sie, für Sie war er ein Verbrecher!

Sie setzte sich auf die Bettkante ihres Bettes. Angewidert von dem Gedanken, dass Ihr alles nur zur Hälfte gehörte, drehte Sie sich auf den Klappstuhl neben der Yuwari-Anlage, den Sie aus ihrer alten Wohnung mitgebracht hatte (Die öde Anlage war seine). Sie wühlte den Veranstaltungskalender aus einer der Kisten im Flur heraus, in der allerlei Werbung und späterer Papiermüll gelagert wurden und suchte nach irgendetwas. Hauptsache irgendwas. Noch hatte Sie nur einige Bekannte in der Stadt, manche davon waren so was wie anfängliche Freunde, die meisten blieben aber nur Bekannte.

"Sei dabei, wenn fette Beats auf dunkle Vibes treffen. Beachcocktailspecial von sechzehnhundert bis !!Null Uhr!!, Bi*tches", steht da einfach so ...

Sie hätte es echt tun können. Sie dachte ernsthaft darüber nach, sich in Schale zu schmeißen, ich meine, sich echt hübsch zu machen und ... LOS. Einfach los. Stattdessen schulterte Sie sich selbst, schleppte sich zum Spiegel, als die Erinnerung daran, wie Sie sich mal mochte, begann Sie zu foltern. Sie hatte sich nicht großartig verändert, sah noch eben so aus wie vor ihrer Beziehung mit Olson, aber für Sie, für Sie ganz allein, wirkte sie abscheulich. Sie tat die ganze Zeit etwas, was sie nicht konnte und das begann sie aufzufressen. Ich glaube, es war ihr Lächeln, das Sie so verunsicherte. Es trug einen Trotz zutage, der etwas Mephitisches hatte. Es spülte die Erinnerung von Selbstaufgabe in ihre Ufer, die sie mit ihrer Mutter verband: Mit ihrer Mutter vor dem goldenen Barockspiegel im Flur, vor dem sie sich für merkwürdige Ü-sonst-was Partys zurechtmachte, mit einer Routine, die man ansonsten nur bei der Arbeit an den Tag legt. Ihre Mutter war ein eher angstvoller Mensch, stets besorgt um das ganz große Was-Wäre-Wenn (was wäre, wenn du ... usw.) und die Beziehung mit Olson, war auch immerzu eine Art der Absicherung vor zu starker elterlicher Fürsorge, die krankhaft verstrickt mit der Aufrechterhaltung eines gutbürgerlichen Selbstentwurfs war (ist) und als latentes Druckmittel fungierte. Man solle diese Nummer mit Olson also tunlichst beibehalten, will man nicht verlassen werden, wie ihre Mutter einst. Das wars, genau, exakt und genau das wars. Weil der Olson ja ein so guter Junge ist, hörst Du. Sie musste duschen. Sie verband die kleine portable Box, die ihr Bruder ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, mit ihrem viel zu teuren Laptop, den Sie für die Uni brauchte, aber nie für die Uni benutzte, um irgendeine Playlist abzuspielen, die sie noch kannte.
Der alte Bademantel von der Stange musste rann, und Sie zog sich aus und band sich den Frotteegürtel zu fest um ihre Hüften und lief in kleinen Schritten und mit einem gewaltig gelangweilten Gesichtsausdruck; lief sie ins Bad, und Sie war nicht mehr sie. Mit einer zu grazilen, zu würdevollen Bewegung glitt der Mantel von ihren Schultern (Achtung Pathosbombe!), die sich gekrümmt anfühlten, merkwürdig nach vorne verkrümmt.Sie haderte mit dem Bild von sich unter dem feinperligen weißen Wasser, als es ihr schlagartig auffiel ... Eigentlich war es klar, aber jetzt wurde es deutlich. Das Naheliegendste schien ihr weit entfernt und jetzt hatte Sie es, endlich hatte Sie etwas Auszusprechendes:

Ich liebe nicht. Ich habe noch nie wirklich geliebt und ich denke nicht, dass ich lieben kann - und liebe und Liebe, wo ist da der Unterschied?
Fu*** !!!!!

Sie musste raus.


Legte sich wieder hin.


Sie wusste, dass der Veranstaltungskalender vom Frühjahr war. Es gab keine Party, die ihr hätte Ruhe schenken können. Es gab keine Menschen, die sie hätte aufregend finden können. Es gab nur die Möglichkeit, auf Olson zu warten.








Keine Sorge Darling. Im Zweiten Teil Wirds Dir Besser Gehen. Versprochen
 
Guten Morgen Rainer,

danke mein Guter. Ich denke, ich habe die Ratschläge von dir und Isbahan anhand eurer Beispiele echt gut nachvollziehen können. Danke euch dafür!!

Aber hast du dir echt um 5:55 Uhr das ganze Kapitel reingeballert? HA HA. Stabil!!!

Ich hoffe, dass du noch schläfst!!

ONE LOVE
 



 
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