Netz der Tränen

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Monochrom

Mitglied
Netz der Tränen

Im Namen
werden
Steine geworfen.

Geltendes Recht,
eines Erbes,
aus der Zeit der Vorigen;
es weicht und reift,
mit den Toten
erfolgt ein Ruf,
nah an den Wassern,
von fern fast ein Schrei.

In den Staub
drücken sich Büßer,
es droht ihnen
der Stein.

Doch es drängt
zu den Wassern,
aus der Asche,
in die Wellen,
hinauf ans Gestirn.

Schreite im Namen,
ein Stein,
soll Dein
Lohn, Staub
Tageswerk sein.
 
Hallo monochrom,
dein "Steinigungsgedicht" löst mit seiner Ausweglosigkeit Gefühle bei mir aus, zu denen mir diverse Erlebnisse einfallen.
Und das kann ich nicht unbedingt über viele Gedicht schreiben.
Herzliche Grüße
Karl
 

Monochrom

Mitglied
Danke Karl,

für dieses Lob, denn es kommt nicht von irgendwem.

"Ausweglosigkeit", das ist, glaube ich, ein sehr treffender Ausdruck für den Text.

Grüße,
Monochrom
 
T

Trainee

Gast
Netz der Tränen

Im Namen
werden
Steine geworfen.

Geltendes Recht,
eines Erbes,
aus der Zeit der Vorigen;
es weicht und reift,
mit den Toten
erfolgt ein Ruf,
nah an den Wassern,
von fern fast ein Schrei.

In den Staub
drücken sich Büßer,
es droht ihnen
der Stein.

Doch es drängt
zu den Wassern,
aus der Asche,
in die Wellen,
hinauf ans Gestirn.

Schreite im Namen,
ein Stein,
soll Dein
Lohn, Staub
Tageswerk sein.
Gefangen im Netz der Tränen,

und es sind viele Tränen, die im Namen Gottes vergossen wurden und werden.
Beispielsweise für Jehova, den Wüstengott, in eine Landschaft beschworen, die ihre Gesellschaft mit harten Gesetzen ordnen musste. Und auch Allah kennt wenig Erbarmen, geht es um die Durchsetzung alter Wasserrechte, um die Gruppe, um Gastfreundschaft. Oder um Überzeugungen.
Denen, die geltendes Recht brechen, droht der Tod. Tod durch Steinigung, gern auch bei Ehebruch, der ggfs. die Erbfolge außerkraft setzt.
Mag rundherum alles verdorren: Das Gesetz bleibt. Und das Netz, gesponnen von seinen Verkündern. Mögen sich die Büßer in den Staub werfen - Anrufungen verhallen ungehört.
Und dennoch. Namen werden gerufen wie eh und je. Es werden Gebete geschrieen, Waffen gesegnet, Kriege geführt: Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Das bildet den archaischen Rahmen des Gedicht, ist aber bei Weitem nicht alles.

Denn Gott bleibt ungenannt.

All diese Greuel werden ebenso im Namen von Menschen verübt. Nicht nur in wüsten Gegenden, auch in Städten, an unzumutbaren Arbeitsplätzen, bei der obzönen Verteilung des globalen Vermögens an wenige.
Stein sei dein Lohn. Dein Tagwerk im Staub.
[Und tatsächlich wird auch ohne Mithilfe der Götter Staub produziert. Mehr als der Planet verkraften kann.]

Mit deinen grausamen Bildern, die im Kontrast zu dem spinnenartig-durchlässigen "Netz der Tränen" stehen, erzeugst du Interesse und Spannung. Gut gefällt mir, dass du die entstehenden Fragen nicht auflöst, sondern es den Lesern überlässt, einen Bezug zur Jetztzeit herzustellen.

Und dass du nicht oberflächlich infrage stellst, was in manchen Gegenden Gesetz ist, auch wenn sich das einem eurozentristischen Denken nicht erschließt.

Angeregte Grüße
Heidrun
 

Monochrom

Mitglied
Hi Trainee,

ich glaube, eines der Elemente des Textes ist mir auch ganz wichtig, neben den schon von Dir Genannten.

Es ist der Zusammenhang des Elementes Wasser, dass im Kontext die Erlösung repräsentiert, die, nach außen gesehen, in (unerreichbarer) Ferne liegt. Im Inneren liegt sie näher an der Träne, und jede Träne ist das Wasser jedes Individuums, dass in der Wesenheit des Büßers sich dieser nähert.

Es gibt eine Allgemeingültigkeit, keinen Beweis, und somit keinen Anlass für Diktion, außer, es sind andere Beweggründe angebracht, die der Freiheit des Einzelnen entgegen arbeiten.

Die Erlösung ist eine innere Angelegenheit. Und sie umspannt uns gleichzeitig wie ein Netz. Gemäß den religiösen Lehren ist das Leid der Weg zur Erlösung, und zwar zum Endpunkt, an dem Leid nicht mehr erfahren oder wahr genommen wird. Was ein ganz bedeutender Unterschied ist. Gerade heute.

Aber das ist nur ein Teilaspekt des Textes.

Grüße, und Danke für Deinen tollen Kommentar,
Monochrom
 



 
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