neu: Schüchtern Teil 1

anemone

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Hava klingelte an der Türe, Britta öffnete ihr mit dem Baby auf dem Arm. „Oh ist Maike gewachsen, seit ich sie vor 2 Wochen sah!“
Kaum zu glauben, dass Brittas Freundin eine Türkin sein sollte, doch Hava wurde schon in Deutschland geboren, nur ihre schwarzen Haare erinnerten noch an eine Türkin und allenfalls die braunen Augen. Sie waren Schulfreundinnen von Anfang an. Oft schon half Britta ihr aus der Patsche, wenn ihr ach so strenger Vater es nicht zuließ, dass sie ohne Kopftuch aus dem Haus gehen wollte.

Nun allerdings sollte es auf die Rolle gehen, was auch immer das heißen mochte Hava war sich dabei nicht so sicher. Wenn es bisher etwas zu feiern gab, musste sie sich immer zurück halten, da ihr Vater seine Tochter unberührt in die Ehe schicken wollte. Hava konnte es schon mehrmals verhindern, wenigstens nicht durch die Eltern verheiratet zu werden, doch jetzt schien das Interesse ihrer Eltern nachzulassen und sie gaben es dran, einen Ehemann für sie zu suchen.


Es war das erste mal heute, dass Hava mit ihren Freundinnen gehen durfte, ohne dass ihre Brüder im Hintergrund jede ihrer Bewegungen verfolgten. Ihre beiden Brüder heirateten die Frauen, die Vater für sie erwählt hatte und endlich kehrte Ruhe ein im Hause. Nur Hava war noch dort und die Eltern gewöhnten sich inzwischen daran, dass sie, wie die anderen deutschen Mädchen herumlief und sich auch ebenso verhielt. „Sie ist halt schon zu deutsch!“
sagten sie ihren Verwandten, wenn sie sich trafen.

Hava nahm kurz Brittas kleine Tochter auf den Arm und summte ihr ein Liedchen vor. Sie drehte sich mit ihr im Kreis und sagte zu ihr: „Weißt du wohin wir jetzt gehen? Wir werden auf die Rolle gehen!“ Sie schien recht glücklich darüber zu sein.

Britta nahm ihr das Mädchen ab, drückte es ihrem Jörg in den Arm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Pass gut auf unser kleines Mädchen auf!“ rief sie ihm noch zu und ab ging es.

Im Lokal trafen sie Jana, sie waren sich einig, dass zuvor eine gute Unterlage notwendig wäre, denn heute sollte einiges getrunken werden, an diesem Alt-Weiber-Fastnachtstag.

Jana trug eine Hexennase in ihrem Gesicht, die sie beim Essen natürlich sehr störte. Ihre Perücke war ein superjeiles Teil und überhaupt, wer war hier schon als Altes Weib verkleidet?
Vermutlich nur Jana, aber das störte sie nicht weiter. Sie zog ihre Nase auf den Kopf und aß mit Genuss ihre Pizza. Britta genoss es, ihr Kind sicher bei Jörg zu wissen und es kam ihr vor, als wenn sie unendlich viel Zeit hatte.

Hava schaute sich um, als erlebte sie alles zum ersten mal und es war wohl auch so. Türkische Feste, vor allem Hochzeiten, die kannte sie wohl, doch selbst an Klassenausflügen durfte sie früher nicht teilnehmen, das lehnte ihr Vater strikt ab und der Grund dafür war nicht unbedingt Armut, es war ihr Glaube, der in einer Frau ein hirnloses Objekt der Begierde sah, welches vor den Männern geschützt werden musste.
 

anemone

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Teil 2

Nach der kleinen Stärkung fanden sich die drei Freundinnen an der Theke des Tanzlokals wieder. Die Liveband spielte ausgezeichnet und so hielt es sie auch nicht lange auf den Stühlen und sie strebten der Tanzfläche zu, auf der alles was sich bewegte dem Rhythmus verfiel. Jana musste feststellen, dass sich außer ihr noch andere Möhnen hier befanden und mit ihnen und ihren Begleiterinnen stampften und drehten sich die Gäste im Takt der Musik.

Es tanzte jeder für sich, denn die Tanzfläche war gut besucht und die einzelnen Paare wirkten eher störend auf die Tanzenden, die sich allein amüsierten. Auch Hava tanzte rhythmisch mitten zwischen ihnen, als ihr plötzlich jemand auf die Schulter tippte. Ihre Arme ragten gerade in der Luft, denn es spielte das Lied: „Und dann die Hände zum Himmel, drum lasst uns fröhlich sein...“und als sie sich umsah, blickte sie in ein lachendes Gesicht. Er war nicht verkleidet, wie die meisten Männer, die sich hier aufhielten und stellte sich tanzend vor sie. Beide bewegten sich und lachten sich an. „Tanzt du mit mir?“ fragte er Hava freundlich. „Warum nicht?“ gab sie ihm zur Antwort und sie begaben sich zu den Paaren auf die Tanzfläche.

Kaum standen sie zum Tanz bereit, wechselte die Musik. Es war das neue Lied, welches Hava im letzten Jahr zum ersten mal hörte. Sie vernahm es beim Karnevalszug als sie mit noch zwei Begleiterinnen am Straßenrand stand. In ihrer Nähe befand sich ein Grüppchen Asylanten, deren Deutschkenntnisse inzwischen wohl soweit reichten, um diesen einfachen Text zu verstehen: „20 Zentimeter sind zu wenig lieber Peter, 20 Zentimeter sind in Wirklichkeit viel größer....!“ Das war ihr jetzt aber peinlich. Sie erinnerte sich an die Blicke der Männer im letzten Jahr. Sie erinnerte sich an die Redewendung „jemanden mit Blicken ausziehen“.

Hava wusste nicht mehr wohin sie schauen sollte, - nur ihn nicht ansehen! -, dachte sie. Sie drehte sich im Kreis, als suche sie jemanden. Ihr Tanzpartner fragte sie was los sei. In seiner Stimme klang Erheiterung. Hava stammelte: „Ich suche meine Freundin! Sicher ist sie zur Theke um Nachschub zu holen.“ Das wäre eine Erklärung denn die Theke stand voller Leute und da würde es lange dauern, bis das nächste Getränk ausgeteilt würde.

Ihr Partner tanzte wirklich gut, er schien recht gute Laune zu haben und gleich nach dem Tanz entdeckte Hava ihre Freundin, die mit neuen Getränken von der Theke kam.

Sie trank ihr Getränk in einem Zug leer. „Kommst du mit, Jana zum Bahnhof bringen, damit sie den letzten Zug noch erwischt?“ fragte Britta, „oder möchtest du so lange hier bleiben bis ich zurück bin?“
- Nein, nur das nicht - dachte Hava bei sich. „Klar doch, mach ich doch glatt!“ gab Hava ihr zur Antwort.

Als sie mit Britta zurück durch die Parkanlage lief, begegnete ihnen ein Mann, der in der Ecke eines Gebäudes an seiner Hose herumnestelte und wieder dröhnte Hava das Lied in den Ohren:
„Sind in Wirklichkeit viel größer, in der Kürze liegt die Würze.......!“
 



 
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