Marcus Richter
Mitglied
Neue Erkenntnisse des Herrn Stachur
Zuerst muss man wissen, dass ich ein Mensch bin. Es gibt so vieles auf dieser Welt, dessen man sich nicht sicher ist. Nur dieses eine sei gewiss: ein Mensch trägt täglich die Hoffnung in sich, der Wahrheit zu begegnen, jener stillen Gestalt, die sich im Schatten der Gedanken verbirgt.
Aber was ist das, Wahrheit? Wie kleinteilig und mit geiziger Hand sie beizeiten doch über die Welt ausgestreut ist. Wenn sie überhaupt da einen Platz hat. Und in manchen, düsteren Augenblicken bin ich fast versucht zu glauben, dass sie gar nicht existiert, sondern nur, ja wie eine Süße einem Gemisch aus Worten und Gedanken beigebracht werden kann, oder wie ein Gewürz, ein flüchtiges, einer bitteren Speise. Bei meinen jahrelangen und gewissenhaft durchgeführten und protokollierten Untersuchungen habe ich sie tatsächlich nur in den Texten geistreicher Zeitgenossen entdeckt, nirgendwo sonst. Nur in den Worten. Deshalb muss ich gestehen, dass ich nun hoffe, in diesen Zeilen, die ich in diesen Augenblicken zu Papier bringe, etwas von dem unsichtbaren Puder der Wahrhaftigkeit zu entdecken, damit sie den Ereignissen, die nun schon eine Zeit zurück liegen, einen Sinn geben mögen. Eine Hoffnung möglicherweise. Oder ein unliebsames Bekenntnis. Damit ich das alles nun verstehe, was mir und einem anderen geschehen ist.
Bevor ich allerdings auf den Mann zu sprechen komme, der jene verhängnisvollen Ereignisse in Gang gesetzt und mich erst neugierig auf die Verhältnisse von Wahrheit und Verderben brachte, will ich noch einige Worte zu meiner Person verlieren, denn ich war nicht unverhältnismäßig in die Begebenheiten verstrickt, über die ich im Folgenden berichten will. Mein Name war zu der Zeit Nicolas Penthes. Ich möchte erst später darauf zurückkommen, warum ein Mann einen Namen zu einer bestimmten Zeit trägt und später einen anderen. Jene, die einmal einen Vorteil in einer Namensänderung entdeckt haben, werden wir stillschweigend zugeneigt sein, während andere sich noch einen Augenblick gedulden müssen, bevor sie die Logik in solch einer Tat entdecken werden. Jedenfalls war ich in den späten Neunzigern bereits sehr erfolgreich auf meinem Gebiet, und das will heißen in rein finanzieller Hinsicht, darüber hinaus wahrte ich Kontakte zu bedeutsamen Firmen und einflussreichen Persönlichkeiten der Stadt. Ich bildete mir damals ein, dass diese Erfolge rein spiritueller Natur waren, so wie andere, die mir auf diesen unbekannten Wegen folgten, es ebenfalls glaubten. Später erkannte ich, dass jener Irrglaube aus ganz anderen Umständen herrührte.
Und das kam eigentlich so. Ich hatte mich nach meinem Studium der Psychologie direkt und ohne Umschweife nach einer Örtlichkeit umgesehen, wo ich trotz fehlender Erfahrung eine Praxis zu eröffnen hoffte. Das Studium selbst hatte sich als ein gefräßiges und geldgieriges Untier erwiesen, das sehr bald und vor Abschluss der letzten Prüfungen, rein praktische Bedürfnisse und die Sehnsucht nach finanzieller Sicherheit in mir hervorgerufen hatten. So wie eine Ratte in einem Käfig war ich von der Angst durchdrungen, dass mir der nächste Tag zwar nicht gerade Hunger, aber doch vielleicht ein unliebsames Schicksal bereiten könnte, eine Anstellung in einem Krankenhaus etwa, einer hereindringenden Flut von Kassenpatienten ausgesetzt, die mich mit ihren belanglosen Wehwechen in den Trübsinn und letzten Endes auch in die Depression stürzen würden. Allein auf diesem Gebiet hatte ich zur genüge Vorlesungen und andere Kurse an der Universität besucht, um ein allumfassendes Bild von dieser schrecklichen Krankheit zu haben, so dass mich allein der Gedanke daran in die umgekehrte Richtung trieb. Ich musste also, so schnell es irgend ging, erfolgreich sein. Möglichst auf einem Gebiet, das mir die Nase wies. Ich hatte mich auf dieses Organ bereits zu Studienzeiten verlassen können und tat es auch jetzt. Und als ich in einem Ärztehaus in einer ausgezeichneten Gegend ein passendes Objekt zu einem erschwinglichen Preis ausmachte, schlug ich ohne nachzudenken zu. Ich war damals durch ein unerwartetes, familiäres Ereignis, das mich weder berührte noch nachdenklich stimmte, zu einigem Besitz gelangt, den ich für den Ankauf des Objektes veräußerte. Ein Jahr später nannte ich eine gut laufende und gewinnträchtige Praxis für Psychotherapie mein eigen und spezialisierte mich, allein der Nachfrage folgend, auf Behandlungsmethoden, die zu jener Zeit erst in Mode kamen. Um mich hier nicht in allen möglichen Einzelheiten über medizinische Fachtermini und andere Feinheiten meines Berufsstandes zu verlieren, sei nur soviel gesagt: Ich entwickelte ein Gespür dafür, was ganz außergewöhnliche Menschen, die wie alle anderen beizeiten von Schwermut und Einsamkeit bedrängt und unglückselig gestimmt werden, vom Voranschreiten und der Entwicklung der Psychotherapie erwarteten, nämlich ein unglaubliches und in ständiger Veränderung begriffenes Ereignis der Selbsthuldigung. Anstatt also ein bestimmtes Symptom zu erkennen und zu behandeln, verlegte ich mich, im Einverständnis mit meinen zahlungskräftigen Kunden, darauf, deren in Unruhe geratenes Selbst durch unglaubliche und neu herangeschaffte Behandlungsmethoden wieder in Gleichgewicht zu bringen, und zwar indem ich den betreffenden vorgaukelte, dass sie möglicherweise die ersten und einzigen Nutznießer irgendeiner Schamanenmedizin wurden, derer ich gerade auf irrwitzigste Weise habhaft geworden war. Das ganze nahm beizeiten für Außenstehende geradezu bizarre und ganz unglaubwürdige Züge an, und ich lüge nicht, wenn ich behaupte, dass eine Bankiersgattin vor meinen Augen Geschlechtsverkehr mit einem heiligen Hund aus den peruanischen Anden hatte und danach mit ebensolcher Hochachtung vor meinen Fähigkeiten als Spezialist zur Tür hinausging, wie eine andere zur Tür eines Gefäßchirurgen.
Es war gewiss die unbeschwerteste Zeit meines Lebens, eine Zeit des Geldes und der schlaflosen Nächte, in denen ich mich immer weiter von der Wirklichkeit, wie sie außerhalb meiner Praxis existierte, entfernte. Ich trieb mich auf Banketten und rauschenden Festen umher, ich machte immer neue und noch gewinnträchtigere Bekanntschaften, die sich bald in alle Ecken der gehobenen Gesellschaft erstreckten. So dass ich mit der Zeit ganz verkannte, dass ich über diese Beziehungen hinaus, zu keinem Menschen einen innigeren Kontakt pflegte. Ich war, ohne es zu merken, in die Gewalt und Abhängigkeit von Modegeilen und nach Abwechslung um jeden Preis süchtigen Egomanen geraten und sollte sehr bald feststellen, wie flüchtig und unbeständig deren Gunst war. Zu dem speziellen Ereignis, das diesen Zustand in sein Gegenteil verkehren sollte, kann ich nur soviel sagen: es gibt unter Umständen einen Menschen, der unter dem Bedürfnis leidet, einer noch großartigeren Person, als die, für die er sich selbst hält, in einer ganz bestimmten Weise nachzueifern, um ihr durch diesen Akt der Wiederholung näher zu kommen, als dies vielleicht auf eine andere Weise möglich wäre. Dabei ist die Einmaligkeit der Handlung von Fallspezifischer Bedeutung. So kam eines Tages eine Frau in meine Praxis, die von der Schwermut durchdrungen war, der russischen Zarin Katarina, welche gemeinhin als die Große bekannt ist, emotional entfernt und ihrer seelisch nicht verbunden zu sein. Ihre Melancholie rührte dabei ganz besonders von der Fantasie des sexuellen Aktes mit einem Pferd her, die sie in vielen Nächten umgeworfen und um den Schlaf gebracht hatte. Das ganze war so weit gegangen, dass sie ihren Ehemann dazu gedrängt hatte, Besitzer eines Gestüts zu werden, wo sie sich auf dem Lande, so behauptete sie ihm gegenüber, dem eigenen Ich am nächsten fühlte und neue Lebensfreude würde finden können. In meiner Gegenwart allerdings ließ sie alle Beschönigungen beiseite und äußerte ganz offen den Wunsch nach einer sexuellen Vereinigung mit einem edlen Hengst. Andernorts wäre sie vermutlich mit den herkömmlichen Mitteln moderner Psychotherapie behandelt worden. Andererseits wäre die hochherrschaftliche Dame, wenn sie solcher Hilfe bedurft hätte, wohl auch nicht zu mir gekommen, der ich in dem Ruf stand, außergewöhnliche Lösungen für außergewöhnliche Probleme bereit zu halten. Also schlug ich ihr ganz unumwunden die Flucht nach vorn vor. Warum eine Neurose bekämpfen, wenn man sich ihrer auf eine ganze einfache Weise zu entledigen wusste. Weshalb zehn Schritte zurück machen, wenn es nur eines einzigen bedurfte, um das lästige Hindernis zu überwinden? Weshalb also, sagte ich, einen Drang aushalten, wenn man ihn genauso gut ausleben kann? War der menschliche Verstand etwa so schwach, dass er sich vor einer Feigheit oder vor einem Bedürfnis, einem so innigen, dass das Herz daran zugrunde ging, fürchten musste? War er nicht im Gegenteil zu so vielen neuen und unerwarteten Begegnungen und Berührungen geschaffen, sein Mut nicht so aberwitzig und seine Liebe nicht so groß, dass er nicht selbst dem scheinbar unmöglichen beide Hände reichen sollte, um es an seine Brust zu ziehen und von den Köstlichkeiten des Unbekannten zu kosten? War der Mensch nicht zu so viel mehr bestimmt?
Man wird mir hier glauben müssen, dass jene Dame meinen Argumentationen die aufmerksamste und aufgeschlossenste Zuhörerin war. Ja, in manchem Augenblick war sie in ihrer zurückhaltenden Stille und den mir funkelnd zugewandten Augen sogar überzeugender als ich selbst. Und so gab ich gleich am nächsten Tag eine Gerätschaft in Auftrag, die einen kräftigen Hengst in einer aufrechten Position hielt, so dass jemand, dem der Sinn danach stand, in ein offenes Gehäuse klettern konnte, wo er sich nach vorn gebeugt oder anders herum direkt in Höhe der tierischen Geschlechtsorgane bewegte, um dort, rein zu therapeutischen Zwecken, eine ansonsten undenkbare Handlung zu vollziehen.
Und so kam der Tag. Es war einer jener Tage, die einem aufmerksamen Mann mitunter Vorzeichen des Unglücks und andere Mahnungen des Schicksals vor die Füße werfen, aber ich war zu jener Zeit blind für solche Boten. Und deshalb wurde ich zum Augenzeugen des widerwärtigen Ereignisses, das mich und meine Praxis erst ins Unglück und dann in die Fänge jenes grauenvollen Wissenschaftlers stürzen sollte, der meine ohnehin labile Seele in noch tiefere Tiefen schleuderte. Denn wie ausgeklügelt die Gerätschaft auch immer gewesen sein mochte, die ich zum Zweck jener außergewöhnlichen Therapie entworfen hatte, sie wurde, bereits kurz nach ihrer Inbetriebnahme, zu einem Spielball der Gewalt und der Unfreiheit, als das mächtige, schwarze Tier, durch Pheromone angestachelt und bis aufs Äußerste gereizt, das ganze Gefährt in Stücke schlug und der Frau, die an der Hüfte angeschnallt, vor dem Tier in dem offenen Käfig hockte, mit dem spitz aufgerichteten Phallus bis tief in die Eingeweide drang und dort, unter deren grauenvollen Geschrei, ein kaum wiederzugebendes Gemetzel anrichtete. Nichts und niemand kann einen solchen Augenblick in Bilder fassen. Das Gehirn verweigert sich, allein der Not gehorchend, der befremdlichen Realität. Und auch ich versage angesichts der Erinnerungen, die mich in diesem Augenblick bestürmen und mich in einen Pfuhl aus herausgepressten Eingeweiden und blutbespritzem Interieur hineinwerfen, aus dem es kein Entkommen gibt. Solche Erinnerungen werden manchmal nur von der Barmherzigkeit der Zeit von den Schultern eines Unglücklichen genommen. Oder aber vom Wahnsinn selbst, dem ich längst zu einem innigen Vertrauten geworden bin.
Jedenfalls waren in dem ganzen Haus nicht genügend Mullbinden und medizinisches Gerät vorhanden, um die Sache auch nur ansatzweise vor den Augen der Neugierigen zu verbergen. Im Gegenteil stürzten sich die herangeeilten Zeugen und Helfer wie Geier auf die Schlieren aus Blut und Körpersäften, die einmal der Frau und andererseits dem wilden Tier im Moment der grausigen Vereinigung entfleuchten und sich als unheiliges Gemisch auf das Mobiliar sowie auf mich, der ich in unmittelbarer Nähe mit ausgestreckten Händen erstarrt da stand, wie ein Schleier nieder senkte und uns in aller Beisein in die schauerlichsten weiß-roten Kleider warf, die ein Mensch je gesehen, als hätte uns das Verderben einen grausigen, herabtriefenden Mantel übergeworfen. Am nächsten Tag war es schon in der Zeitung. Am übernächsten wusste die Welt davon: In einer angesehen Praxis eines Psychotherapeuten, bei dem die bekanntesten Persönlichkeit der Stadt und des Landes ein und aus gingen, war es zu einem Eklat gekommen, der die Menschheit zuerst an sich selbst und dann an ihren urheiligsten Gesetzen zweifeln ließ. Man darf mir glauben, ich war zerstört. Mein Geschäft an den Rand des Ruins gebracht, und das nur, weil eine Handvoll Fotos, die ein Mann mit einem Rest von Verstand, der in das Zimmer gestürzt und seine Kamera, die er wohl rein zufällig vor der Brust trug, wie zum Schutz vor das Gesicht gehalten hatte, und abgedrückt, jede Einzelheit der grausigen Umstände für die Nachwelt und insbesondere für ein ganz besonders gieriges Nachrichtenblatt, dessen Namen ich unter diesen Umständen verschweigen will, festgehalten hatte. Und damit das ganze Unglück.
Nur eine Woche später war ich froh, noch meinen Beruf und meine Praxis mein Eigen zu nennen. Alles anderen war ich beraubt worden und mein Name war nur noch aus jenen Mündern zu hören, die ihn mit Abscheu und mit Ekel über die Lippen brachten, um im nächsten Augenblick zu verstummen. Es wurde still um mich. Ganz still, bis ich nicht einmal mehr meinen eigenen Atem zu hören glaubte. Ich war ein Geist geworden, ein Mensch, den die Lebendigen weder sehen wollten noch konnten. Eine persona non grata, wie die Lateiner sagen.
Nun werden diejenigen, die wissen wollten, warum ich meinen Namen änderte, wohl verstehen, warum ich nicht nur mein Innerstes sondern auch mein Äußeres ändern musste, um auch nur ansatzweise zurück in die Gesellschaft oder zumindest an deren äußersten Rand zu gelangen. Ich war fast über Nacht für die Menschheit zu einem Scheusal geworden, das sich nun in ganz andere, unauffällige und bescheidenere Kleidung hüllen musste. Mein Name war fortan ein anderer. Und ich werde ihn hier aus den ersichtlichen Gründen unter keinen Umständen nennen, damit das Schicksal seine düstere Hand von mir läst und mich nicht wieder an den Scheitelpunkt des Unglücks zurück schleudert auf dessen Brandung ich an den Strand des Verderbens gespült wurde. Ein Verderben, das kein halbes Jahr später, nachdem ich die funkelnde Reklame über der Eingangstür der Praxis gegen ein schlichtes Holzschild mit einem anderen Namen und einer unaufdringlichen, ja fast scheuen Benennung meiner Profession versehen hatte, in das nahezu leere Wartezimmer neben der unbesetzten Aufnahme trat.
Zuerst muss man wissen, dass ich ein Mensch bin. Es gibt so vieles auf dieser Welt, dessen man sich nicht sicher ist. Nur dieses eine sei gewiss: ein Mensch trägt täglich die Hoffnung in sich, der Wahrheit zu begegnen, jener stillen Gestalt, die sich im Schatten der Gedanken verbirgt.
Aber was ist das, Wahrheit? Wie kleinteilig und mit geiziger Hand sie beizeiten doch über die Welt ausgestreut ist. Wenn sie überhaupt da einen Platz hat. Und in manchen, düsteren Augenblicken bin ich fast versucht zu glauben, dass sie gar nicht existiert, sondern nur, ja wie eine Süße einem Gemisch aus Worten und Gedanken beigebracht werden kann, oder wie ein Gewürz, ein flüchtiges, einer bitteren Speise. Bei meinen jahrelangen und gewissenhaft durchgeführten und protokollierten Untersuchungen habe ich sie tatsächlich nur in den Texten geistreicher Zeitgenossen entdeckt, nirgendwo sonst. Nur in den Worten. Deshalb muss ich gestehen, dass ich nun hoffe, in diesen Zeilen, die ich in diesen Augenblicken zu Papier bringe, etwas von dem unsichtbaren Puder der Wahrhaftigkeit zu entdecken, damit sie den Ereignissen, die nun schon eine Zeit zurück liegen, einen Sinn geben mögen. Eine Hoffnung möglicherweise. Oder ein unliebsames Bekenntnis. Damit ich das alles nun verstehe, was mir und einem anderen geschehen ist.
Bevor ich allerdings auf den Mann zu sprechen komme, der jene verhängnisvollen Ereignisse in Gang gesetzt und mich erst neugierig auf die Verhältnisse von Wahrheit und Verderben brachte, will ich noch einige Worte zu meiner Person verlieren, denn ich war nicht unverhältnismäßig in die Begebenheiten verstrickt, über die ich im Folgenden berichten will. Mein Name war zu der Zeit Nicolas Penthes. Ich möchte erst später darauf zurückkommen, warum ein Mann einen Namen zu einer bestimmten Zeit trägt und später einen anderen. Jene, die einmal einen Vorteil in einer Namensänderung entdeckt haben, werden wir stillschweigend zugeneigt sein, während andere sich noch einen Augenblick gedulden müssen, bevor sie die Logik in solch einer Tat entdecken werden. Jedenfalls war ich in den späten Neunzigern bereits sehr erfolgreich auf meinem Gebiet, und das will heißen in rein finanzieller Hinsicht, darüber hinaus wahrte ich Kontakte zu bedeutsamen Firmen und einflussreichen Persönlichkeiten der Stadt. Ich bildete mir damals ein, dass diese Erfolge rein spiritueller Natur waren, so wie andere, die mir auf diesen unbekannten Wegen folgten, es ebenfalls glaubten. Später erkannte ich, dass jener Irrglaube aus ganz anderen Umständen herrührte.
Und das kam eigentlich so. Ich hatte mich nach meinem Studium der Psychologie direkt und ohne Umschweife nach einer Örtlichkeit umgesehen, wo ich trotz fehlender Erfahrung eine Praxis zu eröffnen hoffte. Das Studium selbst hatte sich als ein gefräßiges und geldgieriges Untier erwiesen, das sehr bald und vor Abschluss der letzten Prüfungen, rein praktische Bedürfnisse und die Sehnsucht nach finanzieller Sicherheit in mir hervorgerufen hatten. So wie eine Ratte in einem Käfig war ich von der Angst durchdrungen, dass mir der nächste Tag zwar nicht gerade Hunger, aber doch vielleicht ein unliebsames Schicksal bereiten könnte, eine Anstellung in einem Krankenhaus etwa, einer hereindringenden Flut von Kassenpatienten ausgesetzt, die mich mit ihren belanglosen Wehwechen in den Trübsinn und letzten Endes auch in die Depression stürzen würden. Allein auf diesem Gebiet hatte ich zur genüge Vorlesungen und andere Kurse an der Universität besucht, um ein allumfassendes Bild von dieser schrecklichen Krankheit zu haben, so dass mich allein der Gedanke daran in die umgekehrte Richtung trieb. Ich musste also, so schnell es irgend ging, erfolgreich sein. Möglichst auf einem Gebiet, das mir die Nase wies. Ich hatte mich auf dieses Organ bereits zu Studienzeiten verlassen können und tat es auch jetzt. Und als ich in einem Ärztehaus in einer ausgezeichneten Gegend ein passendes Objekt zu einem erschwinglichen Preis ausmachte, schlug ich ohne nachzudenken zu. Ich war damals durch ein unerwartetes, familiäres Ereignis, das mich weder berührte noch nachdenklich stimmte, zu einigem Besitz gelangt, den ich für den Ankauf des Objektes veräußerte. Ein Jahr später nannte ich eine gut laufende und gewinnträchtige Praxis für Psychotherapie mein eigen und spezialisierte mich, allein der Nachfrage folgend, auf Behandlungsmethoden, die zu jener Zeit erst in Mode kamen. Um mich hier nicht in allen möglichen Einzelheiten über medizinische Fachtermini und andere Feinheiten meines Berufsstandes zu verlieren, sei nur soviel gesagt: Ich entwickelte ein Gespür dafür, was ganz außergewöhnliche Menschen, die wie alle anderen beizeiten von Schwermut und Einsamkeit bedrängt und unglückselig gestimmt werden, vom Voranschreiten und der Entwicklung der Psychotherapie erwarteten, nämlich ein unglaubliches und in ständiger Veränderung begriffenes Ereignis der Selbsthuldigung. Anstatt also ein bestimmtes Symptom zu erkennen und zu behandeln, verlegte ich mich, im Einverständnis mit meinen zahlungskräftigen Kunden, darauf, deren in Unruhe geratenes Selbst durch unglaubliche und neu herangeschaffte Behandlungsmethoden wieder in Gleichgewicht zu bringen, und zwar indem ich den betreffenden vorgaukelte, dass sie möglicherweise die ersten und einzigen Nutznießer irgendeiner Schamanenmedizin wurden, derer ich gerade auf irrwitzigste Weise habhaft geworden war. Das ganze nahm beizeiten für Außenstehende geradezu bizarre und ganz unglaubwürdige Züge an, und ich lüge nicht, wenn ich behaupte, dass eine Bankiersgattin vor meinen Augen Geschlechtsverkehr mit einem heiligen Hund aus den peruanischen Anden hatte und danach mit ebensolcher Hochachtung vor meinen Fähigkeiten als Spezialist zur Tür hinausging, wie eine andere zur Tür eines Gefäßchirurgen.
Es war gewiss die unbeschwerteste Zeit meines Lebens, eine Zeit des Geldes und der schlaflosen Nächte, in denen ich mich immer weiter von der Wirklichkeit, wie sie außerhalb meiner Praxis existierte, entfernte. Ich trieb mich auf Banketten und rauschenden Festen umher, ich machte immer neue und noch gewinnträchtigere Bekanntschaften, die sich bald in alle Ecken der gehobenen Gesellschaft erstreckten. So dass ich mit der Zeit ganz verkannte, dass ich über diese Beziehungen hinaus, zu keinem Menschen einen innigeren Kontakt pflegte. Ich war, ohne es zu merken, in die Gewalt und Abhängigkeit von Modegeilen und nach Abwechslung um jeden Preis süchtigen Egomanen geraten und sollte sehr bald feststellen, wie flüchtig und unbeständig deren Gunst war. Zu dem speziellen Ereignis, das diesen Zustand in sein Gegenteil verkehren sollte, kann ich nur soviel sagen: es gibt unter Umständen einen Menschen, der unter dem Bedürfnis leidet, einer noch großartigeren Person, als die, für die er sich selbst hält, in einer ganz bestimmten Weise nachzueifern, um ihr durch diesen Akt der Wiederholung näher zu kommen, als dies vielleicht auf eine andere Weise möglich wäre. Dabei ist die Einmaligkeit der Handlung von Fallspezifischer Bedeutung. So kam eines Tages eine Frau in meine Praxis, die von der Schwermut durchdrungen war, der russischen Zarin Katarina, welche gemeinhin als die Große bekannt ist, emotional entfernt und ihrer seelisch nicht verbunden zu sein. Ihre Melancholie rührte dabei ganz besonders von der Fantasie des sexuellen Aktes mit einem Pferd her, die sie in vielen Nächten umgeworfen und um den Schlaf gebracht hatte. Das ganze war so weit gegangen, dass sie ihren Ehemann dazu gedrängt hatte, Besitzer eines Gestüts zu werden, wo sie sich auf dem Lande, so behauptete sie ihm gegenüber, dem eigenen Ich am nächsten fühlte und neue Lebensfreude würde finden können. In meiner Gegenwart allerdings ließ sie alle Beschönigungen beiseite und äußerte ganz offen den Wunsch nach einer sexuellen Vereinigung mit einem edlen Hengst. Andernorts wäre sie vermutlich mit den herkömmlichen Mitteln moderner Psychotherapie behandelt worden. Andererseits wäre die hochherrschaftliche Dame, wenn sie solcher Hilfe bedurft hätte, wohl auch nicht zu mir gekommen, der ich in dem Ruf stand, außergewöhnliche Lösungen für außergewöhnliche Probleme bereit zu halten. Also schlug ich ihr ganz unumwunden die Flucht nach vorn vor. Warum eine Neurose bekämpfen, wenn man sich ihrer auf eine ganze einfache Weise zu entledigen wusste. Weshalb zehn Schritte zurück machen, wenn es nur eines einzigen bedurfte, um das lästige Hindernis zu überwinden? Weshalb also, sagte ich, einen Drang aushalten, wenn man ihn genauso gut ausleben kann? War der menschliche Verstand etwa so schwach, dass er sich vor einer Feigheit oder vor einem Bedürfnis, einem so innigen, dass das Herz daran zugrunde ging, fürchten musste? War er nicht im Gegenteil zu so vielen neuen und unerwarteten Begegnungen und Berührungen geschaffen, sein Mut nicht so aberwitzig und seine Liebe nicht so groß, dass er nicht selbst dem scheinbar unmöglichen beide Hände reichen sollte, um es an seine Brust zu ziehen und von den Köstlichkeiten des Unbekannten zu kosten? War der Mensch nicht zu so viel mehr bestimmt?
Man wird mir hier glauben müssen, dass jene Dame meinen Argumentationen die aufmerksamste und aufgeschlossenste Zuhörerin war. Ja, in manchem Augenblick war sie in ihrer zurückhaltenden Stille und den mir funkelnd zugewandten Augen sogar überzeugender als ich selbst. Und so gab ich gleich am nächsten Tag eine Gerätschaft in Auftrag, die einen kräftigen Hengst in einer aufrechten Position hielt, so dass jemand, dem der Sinn danach stand, in ein offenes Gehäuse klettern konnte, wo er sich nach vorn gebeugt oder anders herum direkt in Höhe der tierischen Geschlechtsorgane bewegte, um dort, rein zu therapeutischen Zwecken, eine ansonsten undenkbare Handlung zu vollziehen.
Und so kam der Tag. Es war einer jener Tage, die einem aufmerksamen Mann mitunter Vorzeichen des Unglücks und andere Mahnungen des Schicksals vor die Füße werfen, aber ich war zu jener Zeit blind für solche Boten. Und deshalb wurde ich zum Augenzeugen des widerwärtigen Ereignisses, das mich und meine Praxis erst ins Unglück und dann in die Fänge jenes grauenvollen Wissenschaftlers stürzen sollte, der meine ohnehin labile Seele in noch tiefere Tiefen schleuderte. Denn wie ausgeklügelt die Gerätschaft auch immer gewesen sein mochte, die ich zum Zweck jener außergewöhnlichen Therapie entworfen hatte, sie wurde, bereits kurz nach ihrer Inbetriebnahme, zu einem Spielball der Gewalt und der Unfreiheit, als das mächtige, schwarze Tier, durch Pheromone angestachelt und bis aufs Äußerste gereizt, das ganze Gefährt in Stücke schlug und der Frau, die an der Hüfte angeschnallt, vor dem Tier in dem offenen Käfig hockte, mit dem spitz aufgerichteten Phallus bis tief in die Eingeweide drang und dort, unter deren grauenvollen Geschrei, ein kaum wiederzugebendes Gemetzel anrichtete. Nichts und niemand kann einen solchen Augenblick in Bilder fassen. Das Gehirn verweigert sich, allein der Not gehorchend, der befremdlichen Realität. Und auch ich versage angesichts der Erinnerungen, die mich in diesem Augenblick bestürmen und mich in einen Pfuhl aus herausgepressten Eingeweiden und blutbespritzem Interieur hineinwerfen, aus dem es kein Entkommen gibt. Solche Erinnerungen werden manchmal nur von der Barmherzigkeit der Zeit von den Schultern eines Unglücklichen genommen. Oder aber vom Wahnsinn selbst, dem ich längst zu einem innigen Vertrauten geworden bin.
Jedenfalls waren in dem ganzen Haus nicht genügend Mullbinden und medizinisches Gerät vorhanden, um die Sache auch nur ansatzweise vor den Augen der Neugierigen zu verbergen. Im Gegenteil stürzten sich die herangeeilten Zeugen und Helfer wie Geier auf die Schlieren aus Blut und Körpersäften, die einmal der Frau und andererseits dem wilden Tier im Moment der grausigen Vereinigung entfleuchten und sich als unheiliges Gemisch auf das Mobiliar sowie auf mich, der ich in unmittelbarer Nähe mit ausgestreckten Händen erstarrt da stand, wie ein Schleier nieder senkte und uns in aller Beisein in die schauerlichsten weiß-roten Kleider warf, die ein Mensch je gesehen, als hätte uns das Verderben einen grausigen, herabtriefenden Mantel übergeworfen. Am nächsten Tag war es schon in der Zeitung. Am übernächsten wusste die Welt davon: In einer angesehen Praxis eines Psychotherapeuten, bei dem die bekanntesten Persönlichkeit der Stadt und des Landes ein und aus gingen, war es zu einem Eklat gekommen, der die Menschheit zuerst an sich selbst und dann an ihren urheiligsten Gesetzen zweifeln ließ. Man darf mir glauben, ich war zerstört. Mein Geschäft an den Rand des Ruins gebracht, und das nur, weil eine Handvoll Fotos, die ein Mann mit einem Rest von Verstand, der in das Zimmer gestürzt und seine Kamera, die er wohl rein zufällig vor der Brust trug, wie zum Schutz vor das Gesicht gehalten hatte, und abgedrückt, jede Einzelheit der grausigen Umstände für die Nachwelt und insbesondere für ein ganz besonders gieriges Nachrichtenblatt, dessen Namen ich unter diesen Umständen verschweigen will, festgehalten hatte. Und damit das ganze Unglück.
Nur eine Woche später war ich froh, noch meinen Beruf und meine Praxis mein Eigen zu nennen. Alles anderen war ich beraubt worden und mein Name war nur noch aus jenen Mündern zu hören, die ihn mit Abscheu und mit Ekel über die Lippen brachten, um im nächsten Augenblick zu verstummen. Es wurde still um mich. Ganz still, bis ich nicht einmal mehr meinen eigenen Atem zu hören glaubte. Ich war ein Geist geworden, ein Mensch, den die Lebendigen weder sehen wollten noch konnten. Eine persona non grata, wie die Lateiner sagen.
Nun werden diejenigen, die wissen wollten, warum ich meinen Namen änderte, wohl verstehen, warum ich nicht nur mein Innerstes sondern auch mein Äußeres ändern musste, um auch nur ansatzweise zurück in die Gesellschaft oder zumindest an deren äußersten Rand zu gelangen. Ich war fast über Nacht für die Menschheit zu einem Scheusal geworden, das sich nun in ganz andere, unauffällige und bescheidenere Kleidung hüllen musste. Mein Name war fortan ein anderer. Und ich werde ihn hier aus den ersichtlichen Gründen unter keinen Umständen nennen, damit das Schicksal seine düstere Hand von mir läst und mich nicht wieder an den Scheitelpunkt des Unglücks zurück schleudert auf dessen Brandung ich an den Strand des Verderbens gespült wurde. Ein Verderben, das kein halbes Jahr später, nachdem ich die funkelnde Reklame über der Eingangstür der Praxis gegen ein schlichtes Holzschild mit einem anderen Namen und einer unaufdringlichen, ja fast scheuen Benennung meiner Profession versehen hatte, in das nahezu leere Wartezimmer neben der unbesetzten Aufnahme trat.