Neugeboren

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Max Neumann

Mitglied
Wie die kleinen Kinder jubeln
Weil die Ohren himmlisch frei sind
Wie die großen Brüder grölen
Weil die Jungfrauen sich zeigen

Im Echo der goldenen Stimmen
Brüder und Jungfrauen fliehen
Wie die großen Kinder schreien
Um die Jungfrauen zu jagen

Verschwunden für einen Moment
Für die Dauer deines Grinsens
Versteckt im Tattoo ihrer Brüste
Tauche! Gleite! Verschwinde zurück

Inmitten eines Felds aus Dornen
Zerstört ist dein fleischrotes Knie
Krieg des Geistes gegen den Körper
Zum Schlachtfeld wurde der Körper

Voller Bisse aus bösen Schlündern
Die das Böse fürchten aus Feigheit
Mit Splittern ihre Augen zerstechen
Um das Blinde zu durchschauen

Irgendwo erstarb die letzte Hoffnung
Irgendwann keimte sie wieder auf
Im Zimmer eines alten kranken Diebs
Neugeboren in diesem Moment
 

sufnus

Mitglied
Hm... meist bin ich mit Fees Leseeindrücken ziemlich gleichsinnig mitschwingend - hier tu ich mir etwas schwer. Eigentlich gefallen mir nur drei Formulierungen ganz gut (Tatoo ihrer Brüste, fleischrote Knie, das Blinde durchschauen) ansonsten bleibt alles für mich eher etwas blass. Die ersten beiden Strophen haben, außer dem Aufhorchwort "Jungfrauen", das aber für mich hier nichtssagend bleibt, fast kein "Aroma", kommen mir vor wie der textliche Gegenwert zu destilliertem Wasser.
Aber wahrscheinlich seh ich grad einfach den Punkt nicht... vielleicht können mir Autor oder andere Leser (*zur Fee rüberschiel*) weiterhelfen? Ich steh, denke ich, einfach grad voll auf dem Schlauch...
LG!
S.
 

Max Neumann

Mitglied
Hm... meist bin ich mit Fees Leseeindrücken ziemlich gleichsinnig mitschwingend - hier tu ich mir etwas schwer. Eigentlich gefallen mir nur drei Formulierungen ganz gut (Tatoo ihrer Brüste, fleischrote Knie, das Blinde durchschauen) ansonsten bleibt alles für mich eher etwas blass. Die ersten beiden Strophen haben, außer dem Aufhorchwort "Jungfrauen", das aber für mich hier nichtssagend bleibt, fast kein "Aroma", kommen mir vor wie der textliche Gegenwert zu destilliertem Wasser.
Aber wahrscheinlich seh ich grad einfach den Punkt nicht... vielleicht können mir Autor oder andere Leser (*zur Fee rüberschiel*) weiterhelfen? Ich steh, denke ich, einfach grad voll auf dem Schlauch...
LG!
S.
Hi sufnus,

danke fürs Feedback. Klar, jeder Text wird von Lesern unterschiedlich wahrgenommen.

Hast du denn eine konkrete Frage zu dem Gedicht?

LG
Max
 

fee_reloaded

Mitglied
(*zur Fee rüberschiel*)

Servus, @sufnus !

Ich will's mal versuchen, obgleich das bei dieser Art von Texten keine leichte Sache ist und nie mehr als eine sehr subjektive Wahrnehmung und Verortung abbilden kann.

Ich lese viele von Max' Texten (hi, Max!) wie kunstvoll gemachte Musikvideos - auch, weil er für mein Empfinden mit seiner Sprache einen speziellen "Drive" erzeugt;
eine Mischung aus bildgewaltigen oder auch leicht unscharfen Bild- und Klangsplittern, die gekonnt verwoben und in raschem Wechsel zuerst die Gefühlsebene berühren, bevor noch der Verstand "greift".
Dennoch kreist aber alles um ein verbindendes "Thema" - musikalisch wie inhaltlich...hier lese und fühle ich das Thema eines ganzen Lebens, mit all seinen Hochs und Tiefs; von der Unschuld der (jungfräulichen) Kindheit über die umwälzenden Coming-of-age-Herausforderungen bis hin zum "alten, kranken Dieb". Die Andeutung von Zielen, Erfolgen, prägenden Momenten, späteren Verwundungen, die überwunden werden konnten, jedoch Spuren hinterlassen haben und - zuletzt - das Thema des Sich-stets-neu-Aufraffens-und-Ziele-Setzens (die Hoffnung neu schöpfend, indem man sich selbst (wieder) neu erfindet, quasi wieder jungräulich wird), angepasst an die jeweiligen Lebensabschnitte.

Ich mag, wie Max mit verschiedenen "Bild-Filtern" arbeitet, mit dem Wechsel von Schärfe und Unschärfe, wie er in diesem Text dieselben Themen (Schreie, Jungräulichkeit, kleine/große Kinder, Brüder, innere/äußere Kämpfe) quasi wie im Lebens-Lauf in verschiedenen Stadien abbildet - und das alles eben in einer Sprache, die den "Lauf" des Lebens, diese Wucht und Geschwindigkeit, in der Lebenserfahrung gemacht wird und eingeordnet werden muss, perfekt abbildet. Das ist für mich einfach unheimlich stimmig. Abgesehen von den wunderbar unverbrauchten Bildern, die seine ganz eigene Sprache ausmachen.

Vielleicht ist es auch ein wenig tagesverfassungsabhängig, wie sehr einen solche Texte finden...ich kenne das schon auch, dass ich manchmal ein paar Tage hintereinander um einen Text eines Autors/einer Autorin "streife", weil ich nicht so recht einordnen kann, was der mit mir macht (und ob überhaupt oder eher nicht und warum er mich aber nicht loslässt)...und plötzlich, an Tag drei oder vier, lese ich ihn plötzlich wie mit neuen Augen und alles rutscht an die richtige Stelle (und dann frage ich mich, wie "anders" ich an den Tagen davor draufgewesen sein muss, dass mich das nicht gefunden hat).

Für Max' Texte aber habe ich ein persönliches Faible (aus oben genannten Gründen). Da findet seine Sprache bei mir wohl passende Synapsen. ;)

Ich hoffe, das hat ein wenig weitergeholfen...

LG euch beiden,
fee
 

Scal

Mitglied
Hallo fee, das ist ein wunderbarer Kommentar, der zugleich auch meine Eindrücke auf eine sehr treffende Weise zum Ausdruck bringt!

Lieben Gruß!
 

sufnus

Mitglied
Hi Max!

Ah - das ist nett! Ganz lieben Dank für das Gesprächsangebot!!!
Ich würde eigentlich nicht mit einer konkreten Frage kommen wollen, sondern eher nochmal meine Eindrücke genauer zu schildern versuchen und diese in einen Erwartungsrahmen einordnen. Wenn Du mir dann spiegeln könntest, was Du über meine (mir etwas misslungene) Textannäherung denkst, fänd ich das extrem hilfreich. :)

Grundsätzlich finde ich, dass Du auf der LeLu mit die spannendsten Gedichte schreibst.
Viele Gedichte sind ja relativ statische Ge-Bilde, weshalb ja für Lyrik auch häufig die Metapher des Malens mit Wörtern bemüht wird.
Bei Deinen Gedichten gibt es aber in meiner Wahrnehmung eine Stimme, die den Leser zum "Mitmachen" einlädt. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass bei Deinen Zeilen zwischen den einzelnen Wörter immer noch ein bisschen "Platz" ist (schwer zu erklären). Deine Gedichte streben dabei nicht diesen Überwältigungs-Gestus "schreiender Metaphern" an, aber sie wirken auch nicht wie ein in sich selbst versinkender Murmelmonolog, der den Leser ausschließt.

Mit diese Erwartungshaltung habe ich diesen Text von Dir betreten und finde hier nun doch eine starke In-sich-Gekehrtheit vor. Es klingt für mich wie eine Tonbandaufnahme eines alten Menschen, wirkt dabei irgendwie teilnahmslos. Ich muss an den Bericht eines blinden Greises denken, Jugenderinnerungen aus einer Zeit, als er noch sehen konnte (die Blindheit kommt ja als Bild in Deinem Text vor). Findest Du in diesen Ideen irgendetwas wieder, was Du mit Deinem Text in Verbindung bringen kannst oder ist das ganz weit weg von Deiner Konzeption (mir gehts jetzt nicht darum, dass Du genau an so etwas gedacht hast, wie ich das hier schildere, sondern eher um die Haltung, die der Text zu seinem "Erzählgegenstand" und zum Leser einnimmt)?

Wenn wir uns hier irgendwie abgleichen können, kann ich vielleicht entweder auf der Linie doch versuchen, mich noch in den Text hineinzufinden oder einen Perspektivwechsel vornehmen. :)

LG!

S.

P.S.:
Ah... Fee & Scal... Eure Kommentare haben sich mit meinem überschnitten - ich beziehe mich auf Max' Rückfrage nach einer konkreten Frage. Eure Anmerkungen les ich mir jetzt auch gleich mal durch! :)
 

sufnus

Mitglied
Hi Fee!
Oh das ist sehr hilfreich! Dankeschön! :) Also Deine Idee, dass wir bei Max eher ein filmisches als ein statisch-bildhaftes Momentum haben, deckt sich ja finde ich sehr schön mit meiner Meta-Sicht auf seine Texte. :)
Meine Zugangsschwierigkeiten würde ich bei diesem Text vielleicht, um nochmal ein anderes Bild, speziell auf Dich abgestimmt ;), zu versuchen, mit einer Tanzszene assoziieren. Ich als Leser wurde vom Text zum Tanz aufgefordert, aber es erklingt keine Musik. Wir stehen also in perfekter Tanzhaltung da und dann setzt sich der Text ganz sachte in Bewegung, immer noch ohne Musik, und die Bewegungen sind so kleinschrittig und gering betont, beinahe nur angedeutet, dass ich keinen Rhythmus herauslesen kann. Wahrscheinlich ist es ein sehr schleppender schwermütiger Tango. Oder ist es doch nur Verträumtheit? Ein Slowfox? Ich werde unsicher.... und dann latsch ich dem Text voll auf den Fuß und komm mir total blöd vor.
LG!
S.
 

fee_reloaded

Mitglied
Ja, das deckt sich definitiv. Das dachte ich mir auch, als ich deine Antwort an Max las, sufnus.

Ich als Leser wurde vom Text zum Tanz aufgefordert, aber es erklingt keine Musik. Wir stehen also in perfekter Tanzhaltung da und dann setzt sich der Text ganz sachte in Bewegung, immer noch ohne Musik, und die Bewegungen sind so kleinschrittig und gering betont, beinahe nur angedeutet, dass ich keinen Rhythmus herauslesen kann.
Das fand ich spannend und habe auf diesen Aspekt hin den Text nochmal gelesen und ich denke, ich weiß, was dich in Tanzhaltung hat gehen lassen (ich hoffe, die Achse Kopf-Schultern-Ellbogen stimmt!):
tatsächlich erweckt die erste Strophe beim Lesen eine Ahnung von Rhythmus, der sich dann aber ab Strophe 2 zugunsten des "Drives" verflüchtigt und eben dieser ganz eigenen Dynamik weicht. Und die kommt - ich habe es bewusst so gar noch nicht wahrgenommen - tatsächlich ohne diese gewisse Sorte Melodiösität aus, die man bei ungereimten Gedichten oft als tragendes oder zumindest mit Lyrik-schaffendes Element wahrnimmt. Das, was Max' Texte machen, ist auch Musik (für mich jedenfalls), aber nicht die gleichförmig tanzbare, und auch nicht eine, die für sich allein "wirkt" - die Bilder sind so eng mit der Sprache und dem Tempo verwoben, dass ich sie als kaum separat betrachtbar empfinde. Und das ist wohl auch das, weswegen die Texte so "wirken", wie sie das tun. Ein cooler Mix, ja, fast ein magisches Rezept für Lyrik, die mit einer Energie daherkommt, der man sich nicht entziehen kann. Vielleicht, weil sie einen in jeder Zeile neu fordert, sich zu positionieren (so tanz-mäßig).

Spannend, das!

LG,
fee
 

sufnus

Mitglied
Hi Fee!
Ich komme dem Text langsam etwas näher - vielen Dank für die Annäherungshilfe! :) Ich lasse Text, Kommentare und eigene Assoziationen jetzt auf jeden Fall nochmal schön ausgiebig einwirken. :)
LG!
S.
 



 
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