Neugierde VIII

Er sagte auch stets, daß die Reihenfolge eigentlich egal sei, man könne sie beliebig umstellen, das Ganze sei entscheidend. Er gab es dann irgendwann auf, die Leute bekehren zu wollen, er selber lebte aber weiterhin danach, und ich zum Teil auch.Er war zwar mit dem Namen nicht unbedingt zufrieden, aber wie das halt so im Leben ist, man gewöhnt sich einfach an alles, ist nur eine Frage der Zeit. Dann gab es da noch Stefan, der mal ein schwerer Schläger war. Er war der einzige im ganzen Knast, vor dem ich so was wie Respekt hatte. Ich glaube aber, daß das auf Gegenseitigkeit beruht. Mit ihm redete ich viel über Bücher, denn er hatte auch eine Menge gelesen. Stefan hasste aber auch Harald Schmidt, der war für ihn nur ein blöder Wichser, wenn man ihn fragt warum, dann sagte er, wenn Harald Schmidt Geburtstag hat, und er lädt irgendwelche Gäste ein, das kommt ihm irgendwie falsch vor, hauptsache die Qoute stimmt. Ulli war auch da, er hatte den Spitznamen Virgin, weil er 25 war, und noch keinen Sex hatte, weswegen ihn alle ständig aufzogen. Ich nahm ihn dann stets in Schutz, und sagte zu den anderen, daß keiner weiß warum er noch keinen Sex hatte. Das kann ja auch tiefere Gründe haben, so tief, daß sie in seinem Unterbewußtsein verankert sind. Ich sprach mal im Knast mit ihm, wir verstanden uns recht gut, und er erzählte mir ein paar Dinge. Er sagte mir z.B, daß er die Hoffnung aufgegeben hatte eine Frau kennenzulernen. Seine Eltern ließen sich scheiden als er 7 Jahre alt war, und das beschäftigte ihn immer noch, und er hatte bei jeder Frau die er kennenlernte das Ge-fühl, daß sie ihn sowieso wieder verläßt. Deshalb ging er keine Beziehung ein, die Angst war zu stark. Dann war da noch Snooky. Er hieß so, weil er ein erstklassiger Snookerspieler war, und ich bin mir sicher, wenn er nicht im Knast gelandet wäre, er hätte es nach oben geschafft. Andy war nirgends zu sehen. Ich setzte mich dann an einem Tisch zu den Jungs. Es war ein fröhliches Wiedersehen.
„Sven alter Sack, setz dich zu uns und laß uns saufen, sagte AOB zu mir.
„Ist auch schon wieder zwei Jahre, daß wir uns das letzte Mal sahen, bemerkte Virgin,
Stefan erhob nur die Faust, aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Ich hatte nur eine Frage, wo Andy ist. AOB sagte, daß er bald wiederkommt, er ist nur auf Toilette. Mir fiel jetzt erst auf wie fröhlich sie alle waren, und so redselig, sie quatschten alle durcheinander. Das kommt nicht vom Alkohol, das war Kokain. Ich hatte es ja auch ein paar Mal genommen, es ist aber zu teuer. Da sind die anderen Drogen wesentlich billiger, aber wer drauf steht. Andy kam dann mit zwei anderen Typen aus der Toilette, einen der schmuddelig angezogen war, er grüßte auch nicht und verschwand gleich aus dem Laden. Der andere war für diesen Laden auffällig gut angezogen. Ich schätzte, daß der Anzug seine 2000 Mark gekostet hat. Andy hatte auch einen guten Anzug an. Er war aufgedreht, und es war klar, daß er sich gerade auf dem Klo eine Nase Koks gegeben hat, oder auch zwei. Er war ja gerade zu euphorisch, während der andere ruhig an der Theke stand. „Mensch Sven, ist ja geil, daß du hier bist. Du hast ja keine Ahnung, wie ich dich vermißt habe. Du bist der beste Freund, den ich je hatte. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich mich freue, daß wir wieder zusammen sind.“ Dann schrie er durch den ganzen Laden: „Leute, ich liebe diesen Kerl.“ Das war mir irgendwie ein bißchen peinlich. Es war mir egal, was die Leute von mir dachten. Ich war ja eh mal schwul. Nein, es war dieses im Mittelpunkt stehen, daß dich alle anglotzen. Das war es, was mich störte. Ich hatte mich im Knast einfach verändert. Früher stand ich gern im Mittelpunkt, jetzt war ich lieber allein. Ich flü-sterte dann Andy ins Ohr, ob wir nicht irgendwo hingehen konnten. Vor allem wollte ich einen Schlafplatz haben. Ich verabschiedete mich von den Jungs, dann gingen Andy und Ich raus. Wir la-berten die ganze Nacht lang. Na ja, eigentlich redete er fast nur die ganze Zeit. Er war natürlich von dem Koks sehr aufgedreht, und hätte eh nicht schlafen können. Irgendwann wurde er dann doch müde, und wir gingen zu einem großen Haus. Es gab da so gut wie keine Nachbarn, nur ein altes, schon fast taubes Ehepaar. Andy sagte, daß Simon es mit Absicht so ausgesucht hatte. Er ließ Andy dort wohnen, ab und zu feierten sie dort. Er zeigte mir mein Zimmer, und sagte mir dann, daß er sich jetzt erst mal ausschlafen müsse, denn er hatte knapp drei Tage nicht geschlafen. Er wollte mir dann wenn er wach ist alles erzählen. Ich war sehr neugierig, wie er zu so viel Geld kam. Vielleicht gehörte ihm das Haus auch gar nicht. Ich sollte aber alles erfahren, auch über dem Mann in dem teurem Anzug.“
Sven fragte mich dann, ob ich ein Glas Wasser für ihn hätte, denn er sei sehr durstig. Ich sagte dann zu ihm, daß wir auch ins Haus gehen können, denn es war ganz schön kühl geworden. Ich bot ihm auch an, heute Nacht hier zu schlafen, er lehnte dies jedoch ab. Ich machte mir viel Gedanken, auch wäh-rend er erzählte. Ich kam mir irgendwie schäbig vor, weil ich ihn nie besucht habe, und nicht einmal die Briefe beantwortet haben. Wie Scheiße muß sich da wohl Sven gefühlt haben. Es war so, als ob ich ihn verleugnet hätte, und genau das habe ich auch getan. Es war dann aber zu spät um zu bedauern, und ich versprach mir in der Nacht selbst, wenn er jemals wieder in Schwierigkeiten geriet, dann wür-de ich ihm helfen. Wir waren ja auf eine Weise Freunde. Sven mußte dann noch mal auf Toilette, als er wieder kam, setzten wir uns auf das Sofa, und er erzählte weiter. „Als Andy am nächsten Tag auf-wachte, er hatte 36 Stunden geschlafen, sah er fürchterlich aus. Er hatte extreme Augenränder, war sehr blaß, und mir fiel jetzt bei Tageslicht auch auf, wie dünn er war. Ich fragte ihn, ob er einen Kaffee wollte. Er sagte dankend ja. Erzählte mir dann, was er seit seiner Entlassung so getrieben hatte. Als er rauskam, wußte er auch nicht wo er hin sollte. Er hatte ja keine Freunde, zu seinen Eltern wollte er nicht. Er ging dann erst mal zum Hauptbahnhof, wo er die ersten Wochen schlief. Er wurde dann aber erwischt, und bekam Hausverbot. Er streunerte dann so durch die Stadt. Das Geld aus dem Knast wür-de auch nicht mehr lange reichen, zumal er jetzt auch ständig trank, und permanent betrunken war. Im Gefängnis erzählte er mir mal, daß er Alkohol haßte, und es ihm auch nicht schmeckte. Er hatte aber auch diese innere Unruhe, und bevor er wieder zu spritzen anfing, da soff er lieber. Eines Tages lan-dete er dann im Ganja. Ganz früher gehörte der Laden mal einen Jamaikaner, daher auch der Name, so heißt dort nämlich das Gras. Er war sturzbesoffen als er dort eintraf. Am Anfang war er im Knast sehr schüchtern, aber der Umgang mit mir hat ihn selbstbewußter gemacht. Er setzte sich an einen Tisch, wo schon ein anderer saß: Simon. Das ist der mit dem feinen Anzug, als ich im Ganja eintraf. Simon fand ihn wohl irgendwie lustig, denn Andy erzählte ihm sein ganzes Leben, auch, daß er mal auf Dro-gen war. Simon nun hingegen wollte eh schon längst ins Drogengeschäft einsteigen. Das erzählte er mal Andy in einer gemütlichen Runde, die bei den Typen nur Kokaabend hieß. So wie andere Leute Tupperabend machen, zogen die sich das weiße Gift rein. Andy kannte ja noch ein paar Dealer. Einige sind auch im Knast gelandet, andere gestorben, aber es waren noch welche vorhanden. Simon steckte eh schon voll Kohle, aber wie das so ist, wer viel hat, will noch mehr. Simon hatte auch noch ein paar Leute unter sich, unter denen einer herausragte: Paul. Der war ein ganz schöner Brecher. Er soll auch schon ein paar Männer um die Ecke gebracht haben. Er erledigte die ganze Drecksarbeit für Simon. Sie gingen dann mit ein paar Männern die Dealer besuchen, und wer nicht für Simon arbeiten wollte, wurde kaltblütig ermordet. So arbeitete Simon sich immer weiter nach oben. Andy wurde so was wie die rechte Hand von ihm. Simon arbeitete auch mit den Kolumbianer zusammen, und das bedeutete nur den besten Stoff. Am Anfang ließen sie ihn fast rein,als ein paar Leute daran starben, streckten sie es immer mehr. Mit Kokain war viel mehr Kies zu machen als mit Heroin. Die Dealer, die früher selb-ständig waren, arbeiteten dann alle für Simon. Die Leute kaufen aus ganz Norddeutschland bei ihm ein, denn es sprach sich schnell rum wie gut der Stoff ist. Sie kauften ständig weiter, sie merkten na-türlich, daß die Qualität längst nicht mehr so gut wie am Anfang war, aber was nützte es, sie waren schon längst abhängig. Kokain ist ein Teufelszeug, ich nahm es ja auch mal eine Zeitlang. Der Stoff war damals auch astrein. Du bist super drauf, laberst die ganze Nacht, und möchtest am liebsten nie wieder schlafen gehen. Du willst die ganze Welt umarmen. Du bist auch ständig geil, und möchtest am liebsten nur noch bumsen. Die Nebenwirkungen sind aber zu fatal, du bekommst Paranoia, witterst überall Gefahr. Du hörst Stimmen, wo keine Menschen sind. Du bist aber in all der Zeit nur psychisch süchtig. Nicht wie beim Heroin, wo du auch körperlich leidest. Ich persönlich halte Koks für gefährli-cher, aber das ist eine Meinungssache. Zurück zu Andy, eigentlich machte er nicht viel, er hielt die Leute bei Laune, und bekam dafür seinen Stoff. Am Anfang machte ihn das auch noch Spaß, als ich dann im Ganja eintraf, war er auch glücklich, daß er mal wieder einen alten Kumpanen traf. Er er-zählte mir dann den Morgen, daß er das Gefühl hat, daß Simon ihn umbringen
will. Ich schob das auf die Droge, aber ich sollte bald das Gegenteil erfahren. Nachdem wir dann aus-giebig gefrühstückt und uns unterhalten haben, hauptsächlich dann über unsere gemeinsame Knastzeit, zogen wir uns an und gingen ins Ganja. Andy erzählte mir, daß Simon mit mir sprechen wollte. Simon war auch schon da, gemeinsam mit Paul. Andy ging dann hin, flüsterte ihm was ins Ohr. Er kam dann zu mir, und wir setzten uns an einem Tisch. Andy und Paul verschwanden auf Toilette. Klar was sie da machten. Simon war wieder gut angezogen, und sein Parfüm mußte ein paar hundert Mark gekostet haben. Er hatte kalte Augen, und nach unserem Gespräch wußte ich, daß mit ihm nicht zu spaßen ist, und daß Andys Zweifel berechtigt sind. „Ich habe gehört, daß du eine Menge drauf hast, körperlich wie auch geistig“, begann er das Gespräch. Ich antwortete: „Wird schon stimmen, aber sage mir lieber, warum du mit mir sprechen willst, und beenden wir lieber gleich den Small Talk. Was willst du von mir?“ „Das hat mir Andy auch schon erzählt, daß du immer direkt bist, und ohne Umschweife zur Sache kommst. Die Sache ist die, Andy wird stetig unzuverlässiger, die Kokserei macht ihn langsam aber sicher fertig. Ich bräuchte noch einen guten Mann. So einen wie dich. Ich habe zwar Paul, er ist aber nicht der hellste. Du würdest Andy und ihn mehr als gleichwertig ersetzen. Von Andy werde ich mich in nächster Zeit so oder so trennen. Er verliert dann natürlich auch das Haus. Überlege es dir gut, wenn du nicht annimmst, dann irgend ein anderer.“
 



 
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