Neugierde X (letzter Teil)

Dann schossen sie mir mit einer Pistole mit Schalldämpfer in den Bauch. Während mich zwei Mann bearbeiteten, sie schlugen immer wieder mit dem Schläger auf dem Kopf, ich hatte einen Schädelbasisbruch. Sie schlitzten mir mein Gesicht auf, aber das Schlimmste ist, sie erschossen auch Melanie, sie starb kurze Zeit später im Krankenhaus Sie konnten auch das Baby nicht retten. Während man mich zurechtflickte, starb die Frau, die ich mehr als alles andere geliebt habe, und mein ungeborenes Kind. Es war so hart. Ich tobte so rum im Krankenhaus, daß sie mir zwei Beruhigungsspritzen geben mußen. Ich erfuhr auch später, daß sie Ümits Brüder nur deshalb gefaßt haben, weil sie in ihrer Stammkneipe ihre Schnauze nicht halten konnten. Sie erzählten, daß sie mich erledigt hatten, und daß ich auch meine Gene nicht mehr weitergeben würde. Sie wurden dann zu lebenslänglich verurteilt, aber du weißt ja, was das hier in Deutschland bedeutet, in 15 Jahren sind sie wahrscheinlich wieder draußen. Ausweisen konnte man sie auch nicht, da sie alle einen deutschen Paß hatten. Türken haben im allgemeinen eh den stärkeren Familientrieb als wir Deutschen. Das habe ich immer bei ihnen bewundert. Ich mag auch ihrer Mentalität, und hatte auch viel türkische Freunde, als ich früher oft herumgereist bin, da war ich auch in der einen oder anderen türkischen Kneipe, du glaubst ja gar nicht wie sie da zocken,und die meisten haben viel Ehre im Blut, aber an dem Tag, als ich hörte was geschah, hätte ich am liebsten ganz Türkei in die Luft gejagt. Als ich aus dem Krankenhast kam, war ich ein gebrochener Mann, und ich fragte mich immer wieder, womit ich das alles nur verdient hatte. Seit ich ein Kind war, drehte sich ständig meine Gedanken. Ich war nie wirklich frei. Ständig mußte ich mich beschäftigen, um die Leere in meinem Leben zu füllen. Dann als ich endlich die Liebe meines Lebens treffe, passiert mir solch ein Unglück. Ich weiß auch noch nicht, was ich machen werde. Ich war glaube ich noch nie so planlos.“ Ich sagte dann zu ihm, daß er erst mal bei uns bleiben könnte, unser Haus ist groß genug. Ich wollte so wenigstens etwas wieder gutmachen, weil ich unsere Freundschaft verleugnet hatte. Ich würde mich um ihn kümmern, und ihm helfen wieder auf die Beine zu kommen. Er hat eine Menge Scheiße durchgemacht, mehr als jeder den ich kenne, und er brauchte einfach jemanden mit dem er reden konnte. Das ist sehr wichtig, denn sonst geht man innerlich kaputt. Sven wollte das jedoch nicht. Er sagte, daß er sich eine kleine Wohnung in der Stadt nimmt. Die Pension hatte er verkauft, weit unter Wert. Er hätte den Anblick nicht mehr ertragen können. Ich versuchte ihn umzustimmen, aber wenn er erst mal eine Meinung verfaßt hatte, dann blieb er dabei. Er nahm sich eine Wohnung in der Nähe von uns. Wir trafen uns 1-2 Mal die Woche. Ich sagte ihm, daß wir uns auch jeden Tag sehen können, er meinte dann aber, daß ich nicht meine Familie vernachlässigen sollte.
Er erzählte mir dann auch, warum er seine Eltern haste. „Weißt du eigentlich, wieso ich nie wieder meine Eltern besucht habe“, fragte er mich eines Abends. Ich sagte Nein. Ich hatte mich das schon des öfteren gefragt, aber früher sprach er nicht oft über das Thema. Er sprach dann weiter: „Irgendwie habe ich sie immer gehaßt. Sie waren so spießig, immer drauf bedacht, was die Nachbarn dachten. Wenn sich unsere Nachbarn ein neues Auto kauften, mußten sie sich auch eines holen, auch wenn es finanziell alles andere als rosig aussah. Hauptsache der Schein wurde bewahrt. Was hatte ich mit ihnen für endlos lange Diskussionen über meine Haare und Klamotten, und darüber daß ich mir die Zukunft versaue. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann hätte ich einen Einheitsschnitt gehabt, Einheits-klamotten, hätte eine Ausbildung gemacht, und hätte dann einen anständigen und ehrbaren Beruf. Falls dann nämlich Verwandte und Bekannte fragen, was ich so mache, dann würden sie voller Stolz ver-künden: Er arbeitet jetzt in einer Bank, und das wäre alles für sie gewesen. Nur spielte ich da nicht mit. Ich konnte einfach nicht so leben. Sie wurden mit der Zeit ständig abgestumpfter. Ich konnte das einfach nicht mehr ertragen. Wenn mein Vater müde aus dem Büro kam, machte er als erstes den Fernseher an. So ging das Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Er sagte zwar, daß er glücklich war, ich nahm ihm das aber nie ab. Meine Mutter war auch nicht so ganz zufrieden. Sie trank dann auch viel aus Langeweile. Aufgeklärt wurde ich auch nie von ihnen. Sie waren so verklemmt, ich habe sie nie nackt gesehen. Ich glaube, deshalb habe ich mich auch in so viele Sexabenteuer gestürzt, ande-re sind nach so einer Kindheit vielleicht total prüde, und trauen sich nicht ihren sexuellen Neigungen nachzugeben. Das sind dann die Leute, die Frauen oder auch Kinder vergewaltigen, obwohl man das auch nicht verallgemeinern kann, da spielen viele Faktoren eine Rolle, Frust und Enttäuschung, Bezie-hungängste und so weiter.Ich wurde es jedenfalls nicht. Das schlimmste von allen war aber, daß sie mir nie das Gefühl gegeben haben, daß sie mich lieben. Sie fragten mich nie, wie es mir geht, ob ich Probleme habe. Meine Großeltern habe ich nie kennengelernt, kann sein, daß sie die beiden so erzogen haben. Es war vielleicht eine lange Kette von falscher Erziehung, die sich bis zu mir fortgesetzt haben. Nur habe ich die Sachen hinterfragt, und nicht wie die meisten alles so hingenommen, was mir gesagt wird. Deshalb war ich auch so glücklich, als ich erfuhr, daß ich Vater werde, denn ich wußte, daß ich den Kreis durchbreche, und mein Kind voller Liebe und Zuneigung erziehe, mit allem was dazu ge-hört.“ Er fing dann an zu weinen, und ich mußte auch tief schlucken. Er wäre vermutlich aufgrund seiner Erfahrung und Intelligenz ein toller Vater geworden. Was er sagte gab mir wieder mal zu den-ken. Er hatte vollkommen recht, mit dem Kreis durchbrechen. Das war in vielen Bereichen so. Wenn ich z.B. an meine Ausbildung denke, die haben mich teilweise echt beschissen behandelt. Als ich sie mal fragte, warum sie das tun, dann sagten sie, daß sie das Gleiche durchgemacht haben, und daß das einfach dazu gehört. Ich schwor mir dann, wenn ich ausgelernt habe, daß ich die Azubis besser be-handle. Das machte ich natürlich nicht. Ich sagte mir dann nämlich auch, was ich ausgehalten habe, können die auch aushalten. So ging der Kreislauf weiter. Sven war da natürlich weiter als die meisten Menschen. Er hatte sich dann wieder gefaßt, und konnte weiter sprechen. „Als mein Vater dann ar-beitslos wurde, hielt man das natürlich vor der Nachbarschaft geheim. Er ging wie immer jeden Mor-gen gegen 6.30 Uhr aus dem Haus, und kam zur gewohnten Zeit nach Haus. In der Zwischenzeit war er dann in irgendeinen Kneipe, um die Zeit tot zu schlagen. Das war auch mit der Grund, warum ich so oft unterwegs war, ich habe es bei meinen Eltern nicht mehr ausgehalten. Sie hießen mich zwar stets willkommen, aber mir kam es so vor, daß sie es mehr wegen der Nachbarn machten, und nicht weil sie mich liebten. Sie besuchten mich auch kein einziges Mal im Knast. Ich kann mir vorstellen, wie sehr sie sich für mich geschämt haben müssen, aber sollte man nicht immer an seine Kinder denken? Ich hörte dann von Bekannten, daß sie beide tot seien. Mein Vater fuhr besoffen gegen einen Baum, meine Mutter nahm zuviel Tabletten mit Alkohol, aber das weißt du ja bestimmt schon. Ich bin es einfach leid, dieses Leben. Dieser ständige Kampf mit einem selber und der restlichen Welt. Weißt du, manchmal habe ich die Menschen beneidet, die keine hohen Ansprüche hatten, die sogenannten Pro-leten. Sie wollten einfach nur ihren Spaß und nichts hinterfragen. Ich war aber nicht so, und man kann nicht gegen seine Natur leben. Wer das macht, wird früher oder später krank, das steht fest. Wenn ich da nur an meinem Onkel denke, den ich sehr geliebt habe. Er wollte sein ganzes Leben lang Maler werden. Er hatte wohl auch Talent, aber alle sagten zu ihm, daß er keine Chance habe, er solle lieber was handfestes machen. Er gab dann nach, arbeitete im Büro, wurde da aber nie glücklich. Er starb als ich 8 war, an einem durchgebrochenem Magengeschwür. Er hatte sich seiner Natur widersetzt, und wurde bestraft. Wenn er nur etwas Unterstützung bekommen hätte, dann hätte das alles anders ausge-hen können, aber so. Seine Eltern waren zufrieden, daß er in die Gesellschaft eingegliedert war, bei ihm sah das freilich anders aus. Ich wußte dann schon früh, daß ich nur das mache, wozu ich Lust habe. Wenn ich dabei draufgehe, soll es in Ordnung sein, aber es war mein Weg.“ Er verabschiedete sich dann von mir, und er umarmte mich, was er noch nie gemacht hatte. Da hätte ich eigentlich stut-zig werden müssen, aber ich dachte, daß ihm einfach so danach war. Als er zu unser nächsten Verab-redung nicht kam, wurde ich stutzig. Ich wartete eine Weile, und ging dann zu seiner Wohnung. Ich klingelte ein Ewigkeit, aber nichts rührte sich. Ich sagte dann dem Hausmeister Bescheid, und der schloß die Tür auf. Sven hatte sich aufgehängt. Es lag ein Umschlag auf dem Tisch mit meinem Na-men drauf. Ich nahm ihn an mich, und fuhr an eine ruhige Stelle und las den Brief.
Hallo Dirk,
wenn du dies liest, bin ich schon tot, und habe hoffentlich den Frieden, den ich so selten in meinem Leben hatte. Die Trauer um Melanie und mein Kind war zu groß, als daß ich sie ein Leben lang ertra-gen könnte. Vielleicht ist es feige, sich so einfach davon zu stehlen, aber manchmal hat man keine andere Wahl. Psychologen hätten mir auch nicht geholfen, du weißt ja was ich von denen halte. Wer nie gelitten hat, kann sich auch nicht wirklich in die Leute hineinversetzen. Die haben ihr ganzes Wis-sen aus Büchern, und zum Teil noch nicht richtig gelebt. Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute. Zum Schluß wurdest du dann doch noch ein richtig guter Freund, nachdem ich die Hoffnung darauf schon aufgegeben hatte. Vielleicht hast du ja ein bißchen was von mir gelernt, dann war nicht alles umsonst. Ich habe dich als meinem Haupterben eingesetzt, mein Notar wird sich mit dir in Ver-bindung setzen. Mach damit was du willst.
Eines noch zum Schluß, vergesse niemals Memento Mori, dann kann dir nichts mehr passieren.
Alles Gute Dein Sven

Ich war erschüttert, und mußte lange weinen. Der Notar besuchte mich ein paar Tage später. Sven hinterließ mir 100.000 DM. Er wurde verbrannt, was ja schon früh sein Wunsch war. Am Tag nach der Beerdigung mußte ich erst mal im Wörterbuch nachschauen, was Memento Mori bedeutet, näm-lich Bedenke, daß du sterben mußt. Es mag komisch erscheinen, aber seitdem bin ich viel lockerer, und habe mehr Spaß am Leben. Ich weiß, daß ich durch Sven viel toleranter geworden bin, ich hatte seit unserem letzten Gespräch einen sehr unterschiedlichen Freundeskreis, von sehr gebildeteten Men-schen bis zu richtigen Proleten, von Rechten bis zu linken, von reich bis arm, ich kam mit allen klar, ohne meine Linie zu verlieren oder mich anzupassen. Ich sagte immer meine ehrliche Meinung, viel-leicht mochten sie mich deshalb.Ich bin jetzt kurz vor der Rente und gut drauf. Ich und meine Frau unternehmen viel gemeinsam, etwa Fahrrad fahren oder ins Kino gehen. Die Kinder sind schon alles aus dem Haus, besuchen uns aber sehr oft. Guido unser ältester Sohn studierte Jura, Tim und Marko machten eine Kneipe auf, und Nicole wurde Schriftstellerin. Am Anfang kam ich damit nicht klar, dann mußte ich an Sven denken, und was er über das gegen seine Natur leben sagte. Ich hielt ihr dann keine Vorträge mehr, sondern sagte ihr, daß sie so leben solle, wie sie es für richtig halte, und daß sie von uns jede Unterstützung erhält, die sie braucht. Vor kurzem erschien ihr erstes Buch, eine Samm-lung von Kindergeschichten. Zwar in einer kleinen Auflage, aber es ist ein Anfang. Ich denke noch oft an Sven, und eines steht fest: Er ging durchgehend seinen Weg.
 



 
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