Neujahrswunsch

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MarcL

Mitglied
In meinem Kopf Gesprächsfäden
und Scherenschenkel im Mittagslicht

Ab zur Haltestelle Letzte Chance
Einstieg in Sekunden

Ich nehme Platz
Unterwegs ohne Ankündigung

Präsent dein Gesicht als ich vor Wochen im Café aufbrach
Abrupt (um das Blut mit Schnee zu kühlen)

Noch eine Ziffer und
Du gehst hoffentlich ran

Nehme mir vor
Politisches außen vor zu lassen

Im Park erstes Feuerwerk
Und die Stille danach

Die dicht am Ohr
Zum Schrei ansetzt
 

petrasmiles

Mitglied
Eine packende Beschreibung, was in manchen Situationen so alles im Kopf abgeht - Wahrnehmungen, Hoffnungen, Ängste - und völlige Lehre.
Gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 

Scal

Mitglied
Gesprächsfäden ...noch eine Ziffer ...
Ein bemerkenswertes Gedicht. Es vermittelt mir "Unterwegs-Präsenz."

LG
 

MarcL

Mitglied
Hallo Petra, hallo Scal,

danke fürs Rückmelden und Bewerten. Ja, es werden hier Dinge, die im Kopf abliefen, abgebildet, auch eine "Unterwegs-Präsenz" ist auszumachen.
Das Gedicht hat im Grunde 2 Teile: der erste (bis einschl. Blut) beschreibt innere Vorgänge und Erinnertes, und der zweite ist der missglückte Versuch, sich nach einem Streit von den erzeugten Missstimmungen -mittels Telefonat- befreien zu können, mit dem Ziel, halbwegs im Frieden miteinander zu bleiben.

Hintergrund ist das schwierige Verhältnis mit meinem leiblichen Vater, den ich in 5 Jahrzehnten nur unregelmäßig sah und traf.
Schwierig deshalb, weil er politisch extreme Ansichten hat, die ich leider, da er mein Vater ist, nicht verarbeiten kann. Und nach langer Funkstille zwischen uns, erfuhr ich, dass er sehr schwer erkrankt ist. Folglich suchte ich daraufhin den Kontakt, und es kam zu einem Treffen in einem Café. Und, unachtsam wie ich war, sprach ich Politisches am Rande an, mit der Endkonsequenz, dass mich seine Darlegungen und Einstellungen derart verstört hatten, dass ich aufbrechen musste, abrupt.

LG
Marc
 

revilo

Verboten
grüß dich.....ich dachte mir schon, dass das gedicht einen persönlichen hintergrund hat.....trotz aller nachvollziehbaren betroffenheit ist mir die letzte zeile viel zu dick....sie sprengt irgendwie den rahmen der ansonsten recht gut beschreiben melancholischen grundstimmung....LG revilo
 

MarcL

Mitglied
Grüß dich zurück! Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Nur, als ich nach einer gefühlten Ewigkeit merkte, dass er nicht ans Telefon geht, wurde die Stille einfach unerträglich, sie wuchs förmlich an, fast so, als könnte sie "schreien". LG, Marc
 

petrasmiles

Mitglied
Mit der Politik ist das so eine Sache - um so entfernter die Person ist, desto großzügiger kann man sein. Wir haben z.B. einen südfranzösischen Freund, total liebenswert und hilfsbereit, unterhaltsam, rund um ein netter Kerl. Aber wir denken so für uns, dass wir uns besser nicht mit ihm über Politik unterhalten sollten - was relativ leicht fällt wegen der unterschiedlichen Länder und Themen - da bleibt man auf einer gewissen Abstraktionsebene. Dass er 'ausländerfeindlich' ist, ist nicht nur eine Vermutung und scheint im Süden eine weit verbreitete Haltung zu sein. Ist man ein Rassist, wenn man über Nordafrikaner schimpft, oder wenn man ihnen schaden will? Er wird trotzdem immer unser Freund sein.

In einer intimeren Beziehung sind die Ansprüche da höher - und in Paarbeziehungen findet man sich ja auch über gemeinsame Ansichten.
Aber warum eigentlich?
Warum fällt es uns so schwer, einen anderen so sein lassen zu können, wenn er wichtig für uns ist?
Ich halte das auch für ein Zeitgeistphänomen, weil sich heute viel stärker als früher über bestimmte Haltungen definiert wird.
Wie die Vogel-Brüder seinerzeit - der eine in der SPD, der andere in der CDU - erscheint heute undenkbar.
Nehmen wir das zu ernst? Und können aufgrunddessen eine entgegengesetzte politische Haltung nicht respektieren?
Und was sagt das über uns aus?
ich glaube, wir haben in diesen überpolitisierten Zeiten verlernt, in erster Linie den Menschen mit seinen vielen Facetten zu sehen, der aufgrund seiner Erfahrungen zu seinen Meinungen gekommen ist.
Das war jetzt nicht auf Dich gemünzt - oder auf Deinen Text, der aufgrund dieser 'Sprachprobleme' diese Gedanken bei mir ausgelöst hat.
Ich wünschte, man könnte viel mehr den Menschen sehen und entdecken wollen - um ihn am Ende für das lieben zu können, was er ist.

Liebe Grüße
Petra
 

Scal

Mitglied
Immer wieder interessant, sich darauf zu besinnen, welcher Anlass auslösend dafür war, einen lyrischen Text zu gestalten.

Auch ohne Deine Erläuterung wird erahnbar, dass es hier - wie schon Oliver bemerkt hat - ein konkretes Erlebnis gegeben haben dürfte, das der Autor aufgegriffen und künstlerisch überzeugend verwortet hat.
 

MarcL

Mitglied
Ich wünschte, man könnte viel mehr den Menschen sehen und entdecken wollen - um ihn am Ende für das lieben zu können, was er ist.
Ja, das würde sicher Gutes bewirken.
Aber so einfach ist das manchmal nicht.
Zumindest kann man aus deinem Wunsch eine Orientierung herleiten, eine Richtung, die sich jenem Grundsatz anzunähern vermag.
 

revilo

Verboten
Grüß dich zurück! Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Nur, als ich nach einer gefühlten Ewigkeit merkte, dass er nicht ans Telefon geht, wurde die Stille einfach unerträglich, sie wuchs förmlich an, fast so, als könnte sie "schreien". LG, Marc
ich kann das gut nachvollziehen...aber für mich als (hoffentlich) objektiver leser ist das ein wenig drüber, worüber man natürlich trefflich streiten kann.....was sind sherenschenkel???? LG
 



 
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