Neulich in der Walpurgisnacht

Die Hexe erwachte. Ein feiner Strahl silbernen Mondlichts kitzelte sie an der Nase und weckte sie sehr sanft. Eine Weile genoss sie die Wärme unter der Decke und den Glanz des Mondes. Genau bis zu dem Moment, indem ihr bewusst wurde, dass sie verschlafen hatte. Mit einem Satz war sie aus dem Bett. Krax, ihre alte Krähe, hatte sie wecken sollen! Von ihr war keine Spur zu sehen. Sie stieß einen ärgerlichen Schrei aus und verfluchte die Krähe, wobei wütende blaue Flammen um ihren Körper zischten. "Ich werde die erste Hexe sein, die die Walpurgisnacht verschläft!" Und das wegen eines verblödeten, geflügelten Untieres. Das nächste Mal würde sie die Kröte bitten, sie zu wecken. So schnell es ging zog sich die Hexe den Umhang über den Kopf. Endlich hatte sie es geschafft, eine Einladung zur heißesten Party des Jahres zu bekommen und jetzt so was. Sie fluchte wieder, als sie ihren Besen sah, der alles andere als flugfähig wirkte. Die einzelnen Borsten des Besens waren in alle Richtungen verbogen. "Verdammt!" fauchte die Hexe wieder "Warum zum Teufel immer ich?" Mit flinken, präzisen Bewegungen machte sie sich daran, den Besen zu richten. Als sie glaubte, dass er halbwegs flugfähig sei, sprang sie darauf und schoß los.
Sie merkte bereits nach wenigen Metern, dass sie sich geirrt hatte. Der Besen schlingerte hin und her. Die Äste der Bäume schlugen schmerzhaft gegen ihre Beine, aber es gelang ihr nicht, höher zu fliegen. Trotzdem verringerte die Hexe ihre Geschwindigkeit nicht. Sie wurde eher noch schneller. Bis zum Blocksberg war es schließlich ein weiter Weg. Sie bot all ihre Flugkünste auf und endlich wurde sie auch belohnt. Der Mond stand noch hoch am Himmel, als die Silhouette des Blocksbergs vor ihr aus den Wolken und Nebeln auftauchte. Die Hexe stieß einen Triumphschrei aus. In dem Moment bemerkte sie die Krähe. An dem struppigen Gefieder erkannte sie Krax, ihr nicht unbedingt Pflegeleichtes Haustier. Und Krax hatte mal wieder das Fliegen satt. Mit einem heiseren Krächzen ließ sich die Krähe auf dem Besen nieder. Die Hexe versuchte das Tier mit einer ärgerlichen Handbewegung zu verscheuchen, aber es blieb, wo es war. Der Besen schlingerte stärker. Krax schien das nicht zu kümmern. Die Krähe überlegte vielmehr, wie sie an den dicken Käfer kommen konnte, der zwischen den Borsten des Besens saß. Sie wählte die einfachste Lösung und rupfte mit dem Schnabel die Borsten aus dem Besen, bis sie den Käfer packen konnte.
Die Hexe schrie vor Verzweiflung. Rasch verlor sie an Höhe, und sie wusste genau, dass sie den Absturz jetzt nicht mehr verhindern konnte. Krax erhob sich aus eigener Kraft wieder in die Lüfte, während der Besen mit der Hexe darauf einem finsteren Baum am Fuße des Blocksbergs entgegenraste.
Zum zweiten Mal in dieser Nacht wurde die Hexe vom Mondlicht geweckt. Diesmal hing sie in ungemütlicher Stellung in einem Baum und irgendwo in den Ästen unter ihr erkannte sie ihren zerbrochenen Besen. Tränen liefen ihr über die Wangen, aber sie war entschlossen, noch nicht aufzugeben. Der Abstieg vom Baum bescherte ihr mehrere blutige Kratzer aber die Hexe sah nur den Blocksberg vor sich, der sich aus den Nebeln erhob. Wenn sie keinen Besen mehr hatte, würde sie eben klettern. Sie wollte wenigstens noch einen Teil der Walpurgisnacht unter ihresgleichen verbringen. Entschlossen kletterte sie immer weiter. Der Mond, der sich inzwischen unbarmherig senkte, beleuchtete nur träge die Steine, an denen sie sich festhalten konnte. Ihre Finger wurden schnell klamm vor Kälte und auf der Hälfte der Strecke war sie so erschöpft, dass sie glaubte, nicht mehr weiter zu können. Aber sie zwang sich dazu, noch ein Stück weiter zu klettern und nach diesem Stück noch ein Stück und noch eines. Endlich glaubte sie, Musik aus der Ferne zu hören. Vielleicht habe ich auch Halluzinationen, dachte sie, aber das war ein scheußlicher Gedanke, und sie verwarf ihn.
Endlich griff ihre Hand nach Stunden über die Kante des Felsens und mit allerletzter Kraft zog sie sich nach oben. Vor ihren Augen verschwamm das helle Licht eines riesigen Feuers, um das verhüllte Gestalten tanzten. Schwäche verzerrte ihren Blick, aber sie zog sich weiter, bis sie ganz auf dem Gipfel des Blocksberg lag, nur wenige Meter von der Feier entfernt.
In diesem Moment verblasste der Mond vor einem hellen Strahl ersten Sonnenlichts, und in diesem einen Augenblick erlosch das Feuer und alles was blieb war das Geräusch von tausenden von Besen, die sich gleichzeitig in die Luft erhoben.
 

Frank Zimmermann

Junior Mitglied
Gemein...

Obwohl ich die hexe ein bißchen kitschig geraten finde und sie sofort Harry Potter Assoziationen in mir ausgelöst hat, fand ich es dann doch gemein, daß sie am Ende so viel Pech hat. Ich hätte ihr ein happy end geschrieben...
Danke für diesen Beitrag!
 



 
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