neulich in der walpurgisnacht

Fredy Daxboeck

Mitglied
Der blonde Vagabund war stehen geblieben und beobachtete Norma eine volle Minute lang, wie sie mit fest zusammengekniffenen Lippen zornig die steinige Erde zwischen den jungen Pflanzen bearbeitete, Unkraut ausriss und verzweifelt den Schweiß, der ihr über die Augen lief, wegblinzelte. Schließlich stellte er seinen Rucksack ab, ließ ihn einfach neben dem Weg in den spärlichen Grasstreifen fallen und kam über das Feld, nahm Norma die Harke ab, und machte an ihrer Stelle weiter. Wortlos. Als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt.
"Lassen Sie das", seufzte Norma müde und wischte mit einer Handbewegung durch die Luft. "Ich schaffe das auch allein."
"Sie sehen aus, als könnte Sie Hilfe gebrauchen", erwiderte der Vagabund murmelnd, ohne aufzusehen oder in der Arbeit innezuhalten.
"Sie ... Sie sind ein Wanderarbeiter ..., ich kann Sie nicht bezahlen!" Norma starrte auf den gebeugten Rücken des Mannes. Zorn wühlte plötzlich in ihr auf. Die Sonne brannte heiß in ihr Gesicht und jeder Muskel und jeder Knochen in ihrem Körper schmerzten und schrieen nach Ruhe, Erholung, Ausspannen und Rasten. Das Frühjahr und der darauffolgende Sommer brachte noch so viel Arbeit, die sie allein unmöglich bewältigen konnte. Aber sie konnte sich auch keine Hilfe leisten. Das bisschen Ertrag, das ihr Hof abwarf, sicherte ihr gerade einmal das Überleben.
"Zwei Mahlzeiten und ein Platz in der Scheune zum Schlafen, das würde mir genügen. Wenn Sie sagen ich soll verschwinden, nehme ich noch in derselben Minute meine Sachen und Sie sehen mich nie wieder."
"Eine Mahlzeit. Mehr kann ich nicht erübrigen. Wenn die Ernte schlecht ausfällt, verschwinden Sie nach dem Sommer. Wenn die Ernte gut ausfällt und wir haben genug zu essen, können Sie bleiben." Norma fiel es unsäglich schwer, so erschöpft wie sie war, die Worte klar und zusammenhängend auszusprechen.
Die Tage und Nächte zogen ins Land, fielen wie Perlen viel zu schnell von der langen Schnur des Lebens und reihten sich als Vergangenheit in der schweren Kiste der Erinnerung, in der wir manchmal wühlen, neu an. Noch bevor Norma sich versah, war das Frühjahr vorüber, auf den Feldern reifte das Getreide heran, die erste Heuernte war eingebracht, im Dorf feierten sie Mittsommernacht.
"Sie feiern heute Abend im Dorf Sommersonnenwende, mit Musik und Tanz und gutem selbstgebrautem Bier." Fragend blickte Norma Loudness über ihre Schüssel mit der dicken Rahmsuppe, in der dunkel das harte körnige Brot, dass sie selbst gebacken hatte, schwamm. "Willst du mich begleiten?" Ihre Stimme klang dünn und unsicher und sie kniff die Lippen fest zusammen und hasste sich auch sofort dafür.
"Hmmh", nachdenklich blickten sie braune Augen unter langen blonden Haaren an. Sie saßen beim Abendessen. Die Arbeit des Tages war geschafft und irgendwie hatte Norma es einrichten können, dass sie heute um einiges früher fertig waren.
"Sie werden reden." Meinulf, der Vagabund, der nun schon beinahe ein Viertel Jahr in Normas Scheune lebte und ihr bei der schweren Arbeit am Hof zur Hand ging, nickte leicht mit dem Kopf und sah sie lange an. Sein Blick war klar wie die frühe Nacht nach einem sommerlichen Gewitter.
"Sie reden auch so. Sie würden auch reden, wenn ich allein hier auf dem Hof wäre." Missbilligend winkte Norma ab. "Heute ist Mittsommernacht ... und ich habe seit Jahren nicht mehr getanzt." Sie lächelte geheimnisvoll und glühende goldene Punkte leuchteten in ihren Augen auf, während sich ihre Wangen rot färbten. "Ich habe einiges nachzuholen. Ich habe vieles versäumt und vernachlässigt." Norma spürte wie ihre Haut vor Verlegenheit brannte, aber sie konnte ihre Worte nicht im Zaum halten. "Bitte begleite mich, ich möchte heute Abend unbeschwert sein und Spaß haben."
"Sie werden mich hassen, weil ich mit dem schönsten Mädchen, das ich jemals kennengelernt habe, tanzen gehen werde", grinste der Vagabund. "Aber das soll es mir wert sein.". Es war das erste Mal, das Norma ihn lächeln sah. Sie starrte ihn an, wie sich sein Gesicht in tausend lustige Fältchen legte, und seine Augen strahlten wie Kinderaugen zum Weihnachtsfest, und ihr Herz klopfte plötzlich wie verrückt.
Es wurde ein ziemlich ausgelassener Abend. Sie tanzten. Sie tranken lauwarmes Bier. Sie tanzten wieder. Sie neckten einander, lachten viel, und gegen Mitternacht sprangen sie, wie viele andere Pärchen, Hand in Hand übers Feuer. Nach altem keltischen Brauch ein heiliges Versprechen. Wer Mittsommernacht zusammen durchs Feuer geht, ist für sein weiteres Leben aneinander geschmiedet. In diesem Teil der Welt nahm man diesen schönen alten Brauch noch sehr, sehr ernst.
Aufgeregt lachend nahm Norma Meinulfs Hand und zog ihn zum Feuer, wo die ersten Pärchen nervös kichernd und miteinander flüsternd herumstanden und in die hell auflodernden Flammen starrten. Sie fühlte sich leicht und flatterig, wie ein Blatt, das der Sturmwind herumwirbelte. Aber es war keine Unsicherheit und keine Angst dabei. Es war ein Gefühl, als ob sie tatsächlich fliegen könnte.
"Komm und geh mit mir durchs Feuer." Mit großen glänzenden blauen Augen in denen sich die knisternden, tanzenden Flammen des Sommernachtsfeuers widerspiegelten, sah Norma ihren Vagabunden an. Ihre blonden Haare, die sie anfangs zu einem Chignon hochgesteckt hatte, und die sich beim Tanzen längst gelöst hatten, lagen ihr weich um den Kopf und ließen ihr schönes Gesicht vor dem Hintergrund der dunklen Nacht wie frei schwebend erscheinen. Die Aufregung hatte ihre Wangen gerötet, aber der ungewohnte Genuss des Biers und die Ausgelassenheit des Abends ließen den Rest ihres Gesichts bleich und beinahe überirdisch schön wirken. Ihr Herz schien aufgeregt wie ein kleines gefangenes Kaninchen in ihrer Brust zu springen und zu klopfen; ihre Haut kribbelte, und sie sehnte sich nach den Berührungen von Meinulf.
Fasziniert starrte sie dieser an und nickte schweigend. Norma drückte seine Hand so fest
sie konnte und lachte, befreit und glücklich. Sie hätte nie gedacht, noch einmal so viel Glück wie an diesem Abend in ihrem Herzen zu spüren. Mit bebenden Nasenflügeln atmete sie die milde Sommerluft des Abends ein, die geschwängert war vom Rauch des Feuers, vom Duft gegrillten Fleischs und erfüllt von Musik und dem Lärm der vielen Menschen, die gekommen waren, um dieses ausgelassene Fest zu feiern.
Er würde mit ihr springen. Ja. Das würde er. In diesem Augenblick wusste Norma, dass sie ihr Glück gefunden hatte. An diesem heißen Frühlingstag vor über zwei Monaten, als sie mit so großen Schmerzen im Rücken, wie Hass in ihrem Herzen war, und ihr Feld bearbeitet hatte, war das Glück in Gestalt eines Vagabunden auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf und einem Bissen Brot zum Frühstück zu ihr gekommen.
 



 
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