Von meiner Oma weiß ich, dass sich unsere Nachbarin vom Balkon gestürzt hat. Meine Oma hat das erzählt, als wäre es das Neueste über Prinz William oder einen anderen Adeligen. Als wäre es Klatsch und Tratsch. Traurig gekuckt hat Oma schon, aber nur bis sie von dem leckeren Kuchen erzählt hat, den es auf der Beerdigung gab. Mit Kirschen und Zuckerguss, hat sie gesagt und gegrinst. Es war der beste, den sie je auf einer Beerdigung gegessen hatte. Diese Nachbarin, die sich selbst umgebracht hatte, war eine der vielen Freundinnen meiner Oma, von denen sie fast immer nur gut redet. Außer, wenn sie etwas gehört hat. Ich habe sie gefragt, ob sie wisse, warum sie nicht mehr leben wollte. Ihre Antwort kam schnell, fast zu schnell, und sie war „Das hätte ich auch gemacht an ihrer Stelle.“ Das hat mich wütend gemacht. Auf meine Oma und ihr Urteil. Vielleicht denkt sie so ja auch über mich.
Als mein Vater heimkam und das hörte, fragte er meine Oma, wie die Frau denn aussieht. Es sei ihm vergeben, er hatte sie noch nie gesehen, schließlich arbeitete er den ganzen Tag. Wie sie jetzt aussieht, weiß ich nicht, sagte Oma, aber bestimmt nicht so gesund. Ich glaube, sie kam sich dabei komisch vor, ich fand es einfach nur geschmacklos. Ernsthaft, meine ich, sagte mein Vater und sie antwortete „Sie war groß und grauhaarig.“ Und sie hätte oft bei dem Seniorennachmittag der Kirche geholfen.
Sie war nichts Besonderes, sagte meine Oma, sah nach nichts aus. Ich finde meine Oma gemein.
Als sie ihren krönenden Schlusssatz von sich gab, ging ich in mein Zimmer und habe mir gedacht, zum Glück ist sie nicht bei meiner Beerdigung. Zum Glück überlebe ich sie. Denn ihr Schlusssatz war „Gut, dass sie gestorben ist. Schöner wäre sie eh nicht mehr geworden.“
Kathrien Viergutz, am 30. Okt. 2000
Als mein Vater heimkam und das hörte, fragte er meine Oma, wie die Frau denn aussieht. Es sei ihm vergeben, er hatte sie noch nie gesehen, schließlich arbeitete er den ganzen Tag. Wie sie jetzt aussieht, weiß ich nicht, sagte Oma, aber bestimmt nicht so gesund. Ich glaube, sie kam sich dabei komisch vor, ich fand es einfach nur geschmacklos. Ernsthaft, meine ich, sagte mein Vater und sie antwortete „Sie war groß und grauhaarig.“ Und sie hätte oft bei dem Seniorennachmittag der Kirche geholfen.
Sie war nichts Besonderes, sagte meine Oma, sah nach nichts aus. Ich finde meine Oma gemein.
Als sie ihren krönenden Schlusssatz von sich gab, ging ich in mein Zimmer und habe mir gedacht, zum Glück ist sie nicht bei meiner Beerdigung. Zum Glück überlebe ich sie. Denn ihr Schlusssatz war „Gut, dass sie gestorben ist. Schöner wäre sie eh nicht mehr geworden.“
Kathrien Viergutz, am 30. Okt. 2000