Nie wieder per Anhalter fahren!

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Nie wieder per Anhalter fahren!
Letztes Weihnachten hatte sich meine Cousine eine geschnitzte Weihnachtspyramide gekauft, die dann doch nicht in ihr Auto passte. Dann wurde sie krank und konnte das Teil nicht bei mir abholen. Weil ich aber demnächst in eine kleinere Wohnung umziehe, beschloss ich, das gute Stück zu ihr zu bringen in die kleine Stadt, die einst auch meine Heimat war. Mit der Post wollte ich die Pyramide nicht schicken, dafür war sie zu empfindlich und hätte einen Spezialtransport gebraucht – das war mir zu teuer. Ein Kollege nahm mich mit in seinem Auto, zurück wollte ich mit dem Bus fahren. Soweit, so gut, aber als ich an der Bushaltestelle stand, musste ich feststellen, dass der Fahrplan inzwischen geändert worden war. Der Bus war seit fünf Minuten weg!
Nun war guter Rat teuer. Da sah ich einen Pkw mit Berliner Kennzeichen am Straßenrand stehen, darin eine Frau, die Zeitung las. Das Fenster war offen, also trat ich näher und fragte: „Entschuldigen Sie bitte, fahren Sie heute noch in Richtung Berlin? Ich habe den Bus verpasst und suche eine Mitfahrgelegenheit“.
Sie ließ die Zeitung sinken und musterte mich von oben bis unten, dabei sagte sie: „Klar fah ick nach Berlin, in det Kaff hier möchte man ja nich bejraben sein. Ick wate nur uff meine Tochter, die is mal pinkeln jejangen“.
Da kam das etwa zwölf Jahre alte Mädchen auch schon aus dem Gebüsch. Die Frau wies an: „Denn schteicht ma in. Anschnalln nich vajessen!“
Sie startete das Fahrzeug und ihr Mundwerk:
C: Und ist das denn nicht zu gefährlich, so alleine?
Ich: Nein, das geht schon.
C: Also man weeß ja nie, wat da allet so passieren kann. Ick jeh ja ooch viel wandern, mit meine Familie oder in de Wandergruppe, da sind wa denn so dreißich, vierzich Leute, mal mehr, mal wenja. Aber so janz alleene ick weeß ja nich. Bei Aktenzeichen XY ungelöst jab’s neulich ooch so ne Jeschichte von ner Frau die mit so ner Wanderjruppe unterwegs war und denn isse zurückjeblieben und wollte hinterher kommen und denn hammse noch Leute jefracht uffm Weech, ob se jetzt noch los will und da hat se jesacht ja ick kenn ja die Richtung ick find die schon noch. Die hammse denn ooch jefunden im Wald. Ick guck ja immer Aktenzeichen XY unjelöst, also ick war da ja von Anfang an dabei, als der Zimmer das gegründet hat, ne, um den ham ja soja die Janoven jeweent, als der gestorben is, die hatten ein Riesenrespekt vor dem weil der denen eben jezeicht hat, dass er se doch noch kriecht, der war ja früher selber der jrößte Janove, jeklaut hat der wie’n Rabe.
Die ham ja immer die Fälle nachjestellt, bei Aktenzeichen XY unjelöst. Und wenn die Typen denn keene Antwort mehr jejeben ham, dann wusste man schon, jetz schtimmt irjendwat nich. Die Geschichte mit der Frau, die ham se och nachjestellt, da ham nämlich hinterher Leute soja noch n Mann jesehn mit ihrn Rucksack ufm Rücken, und wahscheinlich wa det denn so det der ihr noch jesacht hat da jibt’s ne Abkürzung ick muss da sowieso lang komm se mal mit und als se misstrauisch wurde weil’s immer weiter in Wald rin jing da hat er nischt mehr jesacht und denn hat man se ja ooch gefunden da hatte der se ausjezoren und missbraucht als se schon dot wa und denn hatte der noch Spirtus mit und hatte se überjossen von oben bis unten und wollte se anzünden aber det hat nich so jeklappt und man hat schon noch erkannt det det die Frau jewesen ist.
Nee, so ohne Familie, man weeß ja nie wat so allet passieren kann. Ick komm ja hier aus de Jejend, da hingen früher ooch immer die Steckbriefe an de Bäume det se wieder ’n junget Meechen suchen oder die Polizei fuhr mit Lautsprecher durch die Jejend und rief die Suchmeldung aus. Nee.
Det waren ja die Rieselfelder hier früher, da ham se denn die Leute einfach hinjeschleppt und liejen lassen.
Ja, is schön hier. In den See da, da gibt’s ooch Strudel, deswejen jeh ick nich so jerne in die natürlichen Seen. Ne Schulkameradin von mir, ick bin ja hier zur Schule jejangen, die war da mit ihrn Mann untaweechs und denn sin die mit ihr Boot in so’n Strudel jekommen, det is als ob dir eena an de Füße packt und nach unten zieht und sie is int Wasser jefallen und er wollt se retten und is dabei selber ertrunken, sie hat’s überlebt, und kurz danach hat’s den Sohn ooch noch erwischt. Bei der war ich mal zuhause, schönes Haus hat se mit m jroßen Jarten, aber die sacht natürlich ooch kannste dir vorstellen wie t mir jetz jeht.
Ja ich bin ja hier zur Schule jejangen und meine Mutter liecht ja hier ooch uff m Friedhof. Is schon immer schön hier gewesen. Ick kann mir ooch noch erinnern, da war’n wa mal im Wald, mit der Picknickdecke, und ham Heidelbeeren jesucht, wie det bei Kindern eben so is, da hab ich jesucht und hab mir nich hinjehockt sondern den Po so in die Luft jeschtreckt und hab jepflückt und war so’n bisschen von den andern Kindern weg und denn kieck ick so durch meine Beene durch und da steht da jleich hinter mir n Mann mit sooo eenem Ding. Als Kind weißte ja da ja nich, wat de machen sollst, die andern waren weiter weg und ick hab mir janz langsam uffjerichtet und als ick mir denn umjedreht hab da war der Mann weg. Aber wenn der mir den Mund zujehalten hätte, ick hätte nischt machen können, ick war da vielleicht elf oder so. Die brechen ja den Kindern oft aus Versehen das Jenick, wenn se denen den Mund zuhalten und die Kinder kämpfen und dann halten se die fest und fassen noch’n bisschen fester zu und schon is det Jenick durch.
Wir ham det hier ja nie so richtich zu schätzen jewusst, mit dem Wald und den Seen und so. Aber det is schon wat Besondret hier. Als denn die Mauer jefallen is, da sind ooch jleich die janzen Westberliner jekommen, die sind ja überall rumjekrochen und mit Körbe voll Pilze wieder aus m Wald jekommen. Für die wa det schon wat Besondret hier. Muss man ja ooch mal sehen, eijentlich waren ja die Westberliner die, die einjesperrt waren, die sind ja da nich rausjekommen, bloß mit m Fluchzeuch oder über Transit, brauchten sich dann ooch nich wundern wenn se bisschen mehr jefilzt worden sind die ham ja ooch öfter versucht wat zu schmuggeln, da brauchten se sich dann nich zu wundern. Da hab ich mal von ner Frau jehört, die hat erzählt, dass se nach Westberlin is und dann zwanzig Jahre lang da nich rausjekommen. Solche Leute sollten se mal reden lassen.
Det war ja ooch alles damals nich in Ordnung. Uff de Arbeit, da ham se ja manchmal jar nich jewusst, wo ick herkomme, wenn de da jesacht hast, det de aus m Osten kommst verdienste jleich nur de Hälfte. Ick hab mir informiert, wat ick mit meine Facharbeiterausbilung hätte kriejen müssen. Fünftausend Mark hätten die mir zahlen müssen. Fünftausend Mark! Aber der bei de Jewerkschaft hat ooch dazu jesacht, det kriejen se nich, det können se verjessen. Wissen Se, wie viele Weiterbildungen ick schon jemacht hab? Kriegste jesacht, wenn de ne Weiterbildung machst, wirste nich jekündigt. Und det fing ja dann hinterher wieder von vorne zu zählen an mit m Arbeitslosenjeld und so, det wa ja noch anders als heute wo de jleich in Hartz rin rutschst. Und denn immer diese Vorstellungsrunden, ick hab dann immer mein Sprüchlein uffjesacht, ich bin hier, weil ich mich weiterbilden möchte, um auf m neuesten Stand zu bleiben und so. Da jab’s ja ooch Leute, die ham direkt jesacht, det se hier sind weil se det Arbeitsamt hergeschickt hat, und det se sonst ihr Jeld nich kriegen. Also ick find det ja nich in Ordnung. Nee, wenn ick denn schon da bin, denn mach ick ooch mit und sach ich will mich weiterbilden in mein Beruf.
Die Merkel, die hat ja ooch verjessen, wo se herkommt. Die sieht ja immer so entspannt aus. Also wat der, wie heißt’n der nochma, ihr Stilberater, also wat der aus ihr jemacht hat, da guckste ja, wie die jetz aussieht. Ich hab da mal ’n Intervie jelesen mit ihren ersten Mann, die ham ja ooch zusammen studiert, der hat ooch jesacht, det se immer ne Intellijente gewesen is. Nu hat se ja keene Kinder und deswegen is die erste Ehe ja ooch ausnnander gegangen. Aber der, den se jetz hat, der hat ja schon erwachsene Söhne und nu hat se ooch ne richtije Familie und sieht immer so entspannt aus und immer lächelt se, also wahrscheinlich hat die doch ’n janz ruhigen Job. Die hat ja ooch fast nur Frauen in ihren Stab, die sehen schon immer gestresster aus, die Frauen, die ihr da mit’n Aktenkoffer hinterherlaufen, die wer’n ihr ja ooch die Reden schreiben und so. Da kann se sich dann ooch mal entspannen und ne ruhije Kurel schieben.
Mit dem Trampen, machen Sie, also ähm, machst du det öfters? Also ich hab mir ja mal mitnehmen lassen, da war ick 18, von so nem 19jährigen, der is’n Wolga jefahren, also ick 18, und er 19. Und da war det denn ooch so, der is erst janz normal die Strecke jefahren und dann hätt er links abbiejen müssen und is aber nach rechts und ick hab ihm jesacht - kieck mal da sitzt n Hase uff t Feld - hier jeht’s doch nich lang, aber der hat weiter jradeaus jekieckt und nischt jesacht, da wusst ick schon det wat nich schtimmt und denn hab ick ihm int Lenkrad jejriffen und der Wagen is int Schleudern jekommen und er hat so ’ne Bewejung jemacht und jesacht wenn de det nochmal machst kriegste eene jescheuert und dann isser wirklich mit mir uff die Felder jefahrn und denn schtan wa da unter lauter Bäumen alles Büsche und Zweige da hat man det janze Auto nich mehr jesehen und ick hab schon jewusst wat jetz kommt und hab die Knie ran jezoren und die Arme drum jelecht und hab jeredet und jeredet wie ’n Wasserfall det war schon immer meine Spezjalität und er wollte an meine Hose is aber nich ranjekommn und hat nur jesacht na irgendwann wird dir det Reden schon veajehn, ja wenn ick so ’ne kleene Zarte jewesen wäre aber ick wa schon immer janz robust und jroß, et jibt ja andere, die hätten irgendwann uffjejeben aber ick hab einfach jeredet und jeredet, ick sollte mir ja dot reden und irgendwann isses ihm dann verjang, die Männer können ja irgendwann ooch nich mehr, jedenfalls hat er mir dann Gott sei Dank nich jleich da uff de Felder rausjeschmissen sondern is wieder zurück mit mir zu der Kreuzung wo er hätte links abbiejen müssen und hat jesacht so, jetz läufste noch’n Kilometer denn biste da, ick hab det ja jewusst, ick kannte mir da aus. Und der is woll nach Hause jefahren, war wohl nischt für ihn an dem Abend. Also eijentlich war das ’n janz hübscher Kerl, bestimmt ’n Arztsohn, wer is damals schon Wolga jefahren, musste man ja erstmal haben, det Jeld.
Hier waren früher überall Betriebe, die hamse alle kaputt gemacht und die Ruinen stehen lassen, damit wa nich vajessen, wat wa mal hatten. Mein Betrieb war früher ooch hier. In de Kernenerjie hab ick jearbeitet.
Det ist ja ooch so’n Ding. Ick hab noch nie verstanden wieso die Russen wissen, wie man Uran entsorcht und in de DDR hat man’s jewusst und nur die Deutschen wissen’s jetz nich mehr. Det is einfach det Problem mit der Ignoranz, ick kenn mir da aus, ick hab da damals meine Facharbeit drüber jeschrieben, det is doch janz einfach, da jibt’s die alten Kohlejruben, da kippt man det Zeuch rin und betoniert’s zu, dreißich bis vierzich Jahre muss det liejen, denn strahlt’s nich mehr, wo is denn da det Problem, det versteh ick nich. Die Merkel, die weeß ja ooch nich mehr, wat se mal vaschprochen hat, aber davon lässt se sich Jott sei Dank nich abbringen, da denk ick immer vielleicht kommt ja doch nochmal die Schankz meines Lebens.
Wissen Se, ick hab da immer eher Angst dass mal bei so ner Blockade mal wat passiert. Wenn so’n Reaktor transportiert wird und die, na diese Aktivisten, diese Umweltschützer oder wie se heißen, machen ne Blockade und die Pullezei muss einjreifen, det is doch jefährlich, wenn so’n Transport so behindert wird, wenn da mal wat passiert mit die Umweltschützer, den Grienpies oder wie se heißen, wer bezahlt’n die eijentlich?
Die sollten sich mal lieber um die Delphine und die Wale kümmern, wat die Japaner da machen, die bringen so’n janzen Wal um bloß weil se de Hoden essen wollen, det soll denn ihre Potenz steijern – wat is denn det nu hier mit die Ampel, ham se da det Jrün wegratzonalisiert oder wat - die sind doch sonst janz intellijente Menschen also ick vaschteh det nich, dadrum sollen die sich mal kümmern, die Grienpies, und nich um die Kernkraft, von der se nischt verstehen. Det is das Problem mit der Ignoranz.
Sind Sie politisch aktiv? Ick ooch nich. Ick versteh ja nich so viel von Jeschichte. Bin froh, wenn ick weeß, wann der erste und wann der zweete Weltkriech anjefang hat.
Nu sind wa jleich da. Ham se aber Jlück jehabt, wa?

Mir war so trudelig im Kopf, dass ich beinahe vergessen hätte, mich zu bedanken für s Mitnehmen . . .
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
;-))
Jaja, der Zimmerman. Bei XY werden mit Vorliebe schneebedeckte Gehwege gezeigt, wenn der Fall im Juli spielt. :)

Super Text, you made my day!!!

LG Doc
 

Paloma

Mitglied
Liebe flammarion,

köstlich! Ich lach mich schlapp. Wahrscheinlich wäre ich aus dem fahren Wagen gesprungen.

Vielen Dank und liebe Grüße
Paloma
 
Klasse!

Großes Kino, flammi, ick hab mir hier wechgeschmissen und die Schtorie gleich mal vor dit mir zur verfüjung stehende Publikum zu besten jejeben. Na die sind ja och gleich vonne Hocker jeflogen, wegen die janzen witze die wat du da in den Text ringeschrieb'n hast. Ditte is jenau Dein Ding, flammi, von diese Art Prosa kannste ruhich noch wat mehr schreiben, den da kricht man jute Laune von, denn jute Laune hat man ja nicht so oft, wegen die Politik und wejen dit Geld, wat ja nie reichen tut, um sich mal wieder die Ommel vollzukippen.

DANKE FÜR DIESEN TEXT!
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo

ihr lieben, vielen dank fürs lesen, kommentieren und bewerten. ja, ja, dem volk auf s maul geschaut . . .
lg
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank, liebe drachenprinzessin. ja, die Pullezei gab es lange vor den Bullen. eine zwischenstufe stellt "die Bullerei" dar.
lg
 

Ji Rina

Mitglied
.....und dann hätt er links abbiejen müssen und is aber nach rechts und ick hab ihm jesacht - kieck mal da sitzt n Hase uff t Feld.....
Grossartig dieser Text, immer in Balance, echt wirkend, ohne unnötige Übetreibungen, bis zum Schluss.
Ich wollte nicht mehr aussteigen....
 



 
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