Nie wieder vorsätzlich sündigen

Nie wieder vorsätzlich sündigen

Et war Blattzeit, genau, dat iss die Brunftzeit vonne Rehe, und im Jagdrevier stand die reife Frucht aufe Felder drauf.
Jede Nacht schmatzten und tobten die wilden Wutzen im Getreide rum und verursachten ganz schön Wildschaden, den ich als Pächter berappen musste. Et gibt dafür nämlich keine Versicherung!
Am liebsten wär ich schon direkt nachem Frühstück inne Jagd gedüst. Dat musste ich allerdings noch jemandem verkaufen.
„Berta,mein Täubchen, wat iss heute mit die Jagd. Solln wir abhauen und bis Sonntag im Revier bleiben? Die Sauen veranstalten Zirkus inne Frucht. Außerdem iss noch Blattzeit. Et gibt viel zu tun. Von mir aus können wir sofort verduf-ten.“
„Willi, ich glaub, dich sticht der Hafer, am Dienstag schon fahrn? Du übertreibs dat langsam mit die Jagerei. Ich komme auf keinen Fall mit! Ich hab keine Diener, die für mich malochen. Hasse ma den Haufen Bügelwäsche im Keller gesehn? Herr Püttmann kann sich dat ja erlauben, er hat ja seine doofe Olle und Gesellen, die für ihn schuften und ihm die Kastanien aussem Feuer holn.“
„Berta, hasse nich verstanden? Die Sauen sind inne Frucht drin, ich muss mithelfen, den Schaden klein zu halten, sonst gibt et Ärger mit die Bauern! Die halten sofort die Hand auf, wenn se ne platte Stelle im Getreide sehn. Die haben bis zur Ernte ständig Eurozeichen inne Pupillen. Der Schweinejupp würde zu gerne jedet einzelne Weizenkorn auf meine Kosten vergolden, der schrappige Hund!“
„Willi, da laufen doch so viele örtliche Mitjäger inne Jagd rum, wat tun die denn die ganze Zeit?“
„Bis auf den Uli fehlt diesen so genannten „Jägern“ jeglicher Biss und Ausdauer, ma ne Nacht durchzusitzen. Den Kerlen iss et doch egal, wie viel Wildschaden ich latzen muss, denen fehlt der Gemeinschaftsgeist.
„Willi, fahr nur, ich kann Dich sowieso nich halten. Wenn ich wat dagegen sagen tu, sitzte den Rest der Woche mit ner langen Flappe rum und bis stinkig. Soll ich Dir wat zum Essen einpacken?“
„Berta, Du bis zu gütig, knall die Kühltasche voll, ich pack inzwischen meine Jagdklamotten und bin dann weg. Waidmannsheil.“

Ruckzuck machte ich ne Schleife.

Der Lorenz brannte schon den ganzen Tag unbarmherzig vom Himmel. Im Revier waren et gegen einundzwanzig Uhr noch 26 Grad. Die Luft stand.
Ohne dat ich mich groß bewegen tat, lief mir ständig die Brühe vom Kopp. Ich wollte im Buchenwald en bestätigten alten Gabler schießen und danach bei guter Saulaterne, richtig, dat is der Mond, auf den offenen Sitz im angrenzenden Weizenfeld wechseln.
Schwitzend kraxelte ich die Kanzelleiter hoch, lud meinen Drilling und prüfte mit die Seifenblasen den Wind. Die bunten Bläschen schwebten senkrecht auffen Waldboden. Kein Wind? Dat gab et nich!
Doch! Dat gab et. Et bewegte sich wirklich kein Lüftchen. Dat war außergewöhnlich. Obwohl ich alle Kanzelfenster geöffnet hatte, strich nich der kleinste Luftzug an meiner heißen Birne vorbei.
Et wurde im Wald zusehends dunkler, die Sonne hatte sich verzogen, und endlich drang ma ne kleine Brise durch die Fenster und kühlte mein Haupt ab. Die Windrichtung stand jetz auch fest: Ostwind. Dat war für meinen Ansitz nich so berauschend, denn er stand voll auf dem Bockwechsel.
Ich schloss drei Fenster, besprenkelte die Fensterrahmen mit Anisöl, um meine Duftmarken zu verwischen und beobachtete sorgfältig die Umgebung. Et war noch kein Bock im Buchengrün auszumachen!
Sollte ich wegen dem ungünstigen Wind doch lieber abbaumen und die Feldleiter aufsuchen?
Et iss Blattzeit, dachte ich, da sind die Böcke liebestoll, die wittern Dich gar nich, die haben im Augenblick wat Besseret im Windfang. Andererseits waren die reifen Böcke nich blöd. Genau! Unterschätzen darfse die Brüder nich, dann hasse schon verlorn. Ich beschloss deshalb, abzubaumen.
Ich packte gerade mein Spektiv in den Rucksack, da hörte ich von weitem leichtet Gewittergrummeln. Wenn dat näher kommen sollte, war sofort Schicht mit dem Ansitz. Dat war klar. Sekunden später hörte ich son undefinierbaret Rauschen. Dat kam näher und näher.
Hoppla, dachte ich, dat iss kein Rauschen, dat iss eher son Brausen, dat kommt aus Richtung Dorf. Wat iss denn da schon wieder los? Verpass ich da wat? Ich hatte kaum ausgedacht, Herrschaften, da wurde dat Rauschen zum Tosen!
Plötzlich trommelten Kafensmänner von Regentroppen auf dat Kanzeldach. Die Sonne schien doch noch vor en paar Minuten, und dat Gewitter schien doch eben noch so weit weg!
Ich schloss dat Fenster, und in sekundenschnelle zog en Unwetter mit orkanartigem Sturm auf. Andauernd zuckten blauviolette Blitze und erhellten gespenstisch den Buchenwald. Et donnerte und grollte. Furchtbar! Ich entlud die Waffe und legte se auffen Boden. Grauenhaft fauchend umkreiste der Sturm die Kanzel. Rings um mich herum knickten dicke Buchen wie Streichhölzer. Mein Hochsitz wurde immer heftiger durchgerüttelt und knarrte drohend! Plötzlich krachte en dicken Ast auffe Kanzel, er zerschlug dat Dach, und en Schwall Regenwasser ergoss sich über meinen Balg.
Entsetzen packte mich. Et stieg augenblicklich ne lähmende Urangst in mir auf, dat können Se sich nich vorstellen. Son böset Gewitter hatte ich noch nie erlebt.
Ich erinnerte mich ängstlich an einen Bericht, wonach son Blitz 20.000 Grad heiß sein sollte und die Umgebungsluft auf 8.000 Grad aufheizen würde.
Mir wurde bei diesen Gedanken fast schlecht. Ich wollte doch hier nich gegrillt werden! Todesangst ergriff mich.
Hagelkörner, so groß wie Tennisbälle, prasselten auf einma auf dat beschädigte Kanzeldach, einige trafen zielsicher meinen Kopp. Durfte ich den Hochsitz jetz noch verlassen? Wenn die umstürzenden Bäume mich nich erschlugen, dann waren et rumfliegende Äste oder Hagelklumpen. Zum Auto waren et etwa hundertfünfzig Meter. Unmöglich! Keine Chance, dat wär mein sicheret Ende gewesen. Nur jetz nich in Panik geraten!
Willi, dachte ich, atme tief durch und bleib wo du biss. Hier oben hasse möglicherweise noch ne kleine Überlebenschance, auch wenne mit die Kiste umfälls oder ne Buche den Hochsitz schrammen tut. Vielleicht hasse Glück.
Ich schnappte mir zwei Sitzkissen und ne Wolldecke und polsterte meinen wertvollen Hirnskasten damit ab. Dat Hirn brauchte ich eventuell noch für lebensrettende Entscheidungen.
Zack! Buuumm! In unmittelbarer Nähe schlug en Blitz mit furchtbarem Krachen ein. Die Kanzel erzitterte. Jetz hatte wohl mein letztet Stündlein geschlagen! Ich spürte aber noch en Kribbeln am ganzen Balg, also lebte ich. Der nächste ohrenbetäubende Donnerschlag gab mir aber den Rest. Ich schrie auf! Ich wurde fast verrückt.
Dat Toben und Brausen hörte überhaupt nich mehr auf, im Gegenteil, dat Unwetter wurde noch stärker! Dat iss der Weltuntergang! Willi, den überlebse nich!
In meiner Hockhaltung erwartete ich zitternd den Sensenmann. Der Gewittersturm würde gleich die Kanzel ausse Verankerung reißen und mit mir inne ewigen Jagdgründe fliegen. Ich fing inbrünstig an zu beten. Alle meine Missetaten fielen mir augenblicklich ein. Wie en Film rauschten die vielen großen und kleinen Sünden durch mein Hirn. Niemals würde ich meine gute Berta wiedersehen, meine Kinder, die Jagdfreunde, die Nachbarn, und dat liebe Else.
Dat Leben hasse doch noch vor Dir, Willi. Warum musse jetz schon int Gras beißen? Ausgerechnet Du? Dat iss doch wirklich ungerecht. Son großen Sünder warsse ja nun auch wieder nich. Gleich bisse hin.

Und wie ich noch bibberte und die Angst mich lähmte, war der Spuk vorbei. Et herrschte auf einma ne feierliche Stille im Wald. Ich atmete tief durch, zählte meine Knochen und konnte dat Wunder noch gar nich begreifen. Ich lebte! Mit die Nerven war ich allerdings fix und foxi.
Wat war dat denn schon wieder? Da blitzte wat durch die Fensterscheibe. Nee, dat war kein Blitz. Wie herrlich! Dat war die Sonne! Der Wald begann mächtig am dampfen. Dat Unwetter kam mir wie ne Ewigkeit vor. Et dauerte angeblich nur vier Minuten. Unglaublich!
Ich machte alle Kanzelfenster auf und sah die Bescherung. Ich hatte sagenhaftet Glück! Wo mein Auge hinpeilte, überall lagen abgeknickte Buchen. Einige waren sogar samt Wurzelwerk aussem Boden gerissen. An meiner Kanzel waren nur dat Dach und en Stützpfeiler beschädigt.
Ich packte mein Jagdgerödel und schleppte mich über dicke Äste, Baumwurzeln und Hagelberge zum Auto. Ich brauchte für die paar Meter sage und schreibe ne Viertelstunde. Mein Auto war mit Beulen übersät. Die Heck- und Windschutzscheibe waren zerdeppert. Prost Mahlzeit!
Allet nich so tragisch, dachte ich, dat zahlt die Versicherung. Hauptsache, Willi, du lebs noch. Die schöne Welt hat dich wieder.
Entsetzt sah ich, dat der Orkan ne Schneise von etwa zweihundert Meter durch Feld und Wald gezogen hatte. Die Feldleiter war ausse Verankerung gerissen und fünfzehn Meter durch die Luft geflogen. Totalschaden!
Die Feuerwehren ausse Umgebung waren bereits voll im Einsatz. Dat angrenzende Weizenfeld war platt, die Ähren vom Hagel ruiniert. Der Schweinejupp würde den Verlust natürlich als Wildschaden melden. Freundchen, Dir zeig ich et! Ich rief ihn an und empfahl ihm, sich seine Felder ma anzusehn und den Schaden nich mir, sondern seiner Hagelversicherung zu melden. Die hatte er aber nich. Pech gehabt!
Dann rief ich meine Berta an und berichtete ausführlich von dem furchtbaren Orkan und meinen Todesängsten. Dat interessierte sie überhaupt nich. Sie schilderte nur ihre „Lage“. Sie hätte in der Zeit meiner größten Lebensgefahr schön zu Hause im Garten gelegen, die Kinder um sich herum geschart und Pfirsichbowle geschlürft.
Wissen Se, wat der einzige Kommentar von ihr war? Ich fass es immer noch nicht. „Willi, für Deine Geschichte kann ich mir nix kaufen, wärsse mit dem Hintern zu Hause geblieben, dann hättesse Dir die ganze Aufregung ersparen können.“
Ich hatte sooon Hals. Sonne bittere Antwort, nach allem wat ich mitgemacht hatte, traf mich wie son Dolchstoß in meine ohnehin schon strapaziertet Seele.
Ich hab dat Gespräch weggedrückt und war drauf und dran dat liebestolle Else anzurufen, um mir son bissken Verständnis und Aufrichtung zu holen.
Tat ich aber nich, weil ich vorhin im Gebet gelobt hatte, nie wieder vorsätzlich Sünden zu begehn.
 



 
Oben Unten