Luis Vänster
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Empfohlener Beitrag
- #1
„Schnee“, sagte Klugscheißer, „das ist ein maskulines Substantiv und beschreibt den Niederschlag in Form von Schneeflocken.“
„Hast du das auswendig gelernt?“, fragte Mama und schaute lächelnd von ihrem Plätzchenteig auf. Neben ihr stand Calais auf einem Hocker und vergrub ihre feuchten Finger im Puderzucker. Den Blick auf Mama gerichtet, hob sie langsam die Hand und schleckte genießerisch den Zucker ab.
„Ach was! Hast du immer noch nicht gecheckt, dass er ein wandelndes Wörterbuch ist?!“
Dian wedelte wie immer wild mit seinen Armen herum während er sprach.
„Lucas aus meiner Klasse sagt, dass wenn es schneit, die Engel Durchfall haben.“
Um Beifall heischend sah er sich um. Mama bedachte ihn mit einem strengen Blick.
„So etwas redest du nicht in meinem Haus und auch sonst nirgendwo, verstanden! Du sollst nicht immer alles glauben, was man dir erzählt. Außerdem solltest du nicht nachplappern, was du ohnehin nicht verstehst.“
Sie erwischte Calais dabei, wie sie sich einen Batzen Teig in den Mund stopfte und gab ihr einen Klapps auf die Hand.
„Aber ich checke das sehr wohl!“, beharrte Dian, „und wenn es hagelt, kacken sie!“
Gackernd rannte er durch die Küche und warf sich bäuchlings aufs Sofa.
„Und der Klugscheißer kackt Klugheit.“, ergänzte Jerem, der auf seinem Stammplatz in dem großen braunen Sessel lümmelte, die langen Beine hingen über die Armlehnen hinaus.
„Lasst ihn in Ruhe!“
Mama versuchte vergeblich Ordnung zu schaffen.
„Früher“, begann Opa und stellte vorsichtig seine leere Kaffeetasse auf dem Tisch ab, „da fror im Winter stets der gesamte See zu. Heutzutage kann man sich glücklich schätzen, wenn man wenigstens ein kleines Bisschen Schlittschuhfahren kann.“
Jerem verdrehte die Augen.
„Jaja, früher war alles besser. Aber das ist jetzt Schnee von gestern, Nonno!“
„Schnee, wenn Frau Holle ihre Betten ausschüttelt.“, meinte Jerems Freundin, die hinter ihm stand, eine Hand auf seiner Schulter.
„Märchen sind out!“, kommentierte Dian, „darf ich Fernsehschauen?“
„Als ich so jung war wie du, da rannte ich sofort aus dem Haus, wenn die ersten Flocken fielen!“, tadelte Opa und füllte seine Tasse wieder auf.
„Tja, Nonno, heutzutage vergnügt sich die Jugend mit einem anderen ‚Schnee‘.“
Jerem grinste breit.
„Das ist umgangssprachlich für Kokain.“, übersetzte der Klugscheißer.
„Es ist Weihnachtszeit, da möchte ich so etwas nicht hören, Jungs!“, wies Mama zurecht und knetete hingebungsvoll die Rosinen in den Stollenteig.
„Sonst ja auch nicht.“
Jerem schloss müde die Augen.
„Machst du Nüsse in den Stollen, Mama? Dann wird er männlicher, sagt Lucas aus meiner Klasse.“
„Dian! Wie heißt denn dieser Lucas mit Nachnamen? Ich glaube, ich muss mal mit seiner Mutter ein ernstes Wörtchen reden!“
„Ich kenne einen Witz übers Stollenbacken.“
Alle wandten sich überrascht zu Klugscheißer um.
„Einen Witz? Du?“
Jerem starrte ihn perplex an. Klugscheißer zog mit hochroten Wangen den Kopf ein und nickte beschämt.
„Jetzt lass den armen Jungen doch!“, stauchte Opa ihn zusammen, „ich höre, mein Großer.“
„Treffen sich zwei Rosinen, eine von ihnen trägt einen Helm. Fragt die eine die andere: ‚Sag mal, warum hast denn einen Helm auf?‘ Darauf antwortet die andere: ‚Ich muss heute noch in den Stollen.‘“
Opa verfiel in sein bebendes Lachen, Mama kicherte freundlich mit, Jerem verdrehte die Augen und Dian zog eine Grimasse. Calais verstand den Witz nicht und schaute Klugscheißer stumm mit ihren großen Augen an.
„Für mich bedeutet Schnee, dass der Winter kommt und dass die ganze Familie sich im Haus versammelt und gemeinsam Zeit verbringt.“, sagte Mama und legte den Stollen aufs Backblech.
„Ich mag keine Märchen.“, beschwerte Dian sich erneut und stibitzte sich einen Lebkuchen aus der Schale.
„Leider hat sich das Weihnachtsfest zu einem Familienfest entwickelt und grenzt deshalb Alleinstehende und Obdachlose aus. Außerdem führt es zu einem höheren Stromverbrauch und mit der Kommerzialisierung geht das Spirituelle total verloren.“
Jerems Freundin studierte seit dem Herbst Sozialwissenschaften an der Universität.
„Das hast du aus Wikipedia.“
Klugscheißer klappte sein Notebook auf um nach dem Beweis zu suchen.
„Dian, du hängst ja schon wieder an deinem Handy!“
Klagend blickte Mama zu ihm herüber und schob stöhnend das Blech in den Ofen.
„Smartphone“, korrigierte er, „ich poste, dass es schneit.“
„Das ist natürlich sehr wichtig.“
Opa schüttelte missbilligend den Kopf.
„Als ich so alt war wie du, da rannte ich immer sofort in den Garten und baute einen Schneemann oder machte mit meinen Geschwistern eine deftige Schneeballschlacht. Die Jugend von heute…“
„…hat die Sicht auf das Wesentliche verloren. Jaja, wissen wir.“, grummelte Jerem.
„Lumi, was ist mit dir?“, fragte Mama und blickte mich mit einem warmen Lächeln an.
Ich kniete auf der Heizung und sah hinaus ins Schneegestöber. Sorgfältig strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sprach mit den Händen zu meiner Familie: „Für mich bedeutet Schnee, dass die Welt unter einer kalten, weißen Decke verstummt.“
„Hast du das auswendig gelernt?“, fragte Mama und schaute lächelnd von ihrem Plätzchenteig auf. Neben ihr stand Calais auf einem Hocker und vergrub ihre feuchten Finger im Puderzucker. Den Blick auf Mama gerichtet, hob sie langsam die Hand und schleckte genießerisch den Zucker ab.
„Ach was! Hast du immer noch nicht gecheckt, dass er ein wandelndes Wörterbuch ist?!“
Dian wedelte wie immer wild mit seinen Armen herum während er sprach.
„Lucas aus meiner Klasse sagt, dass wenn es schneit, die Engel Durchfall haben.“
Um Beifall heischend sah er sich um. Mama bedachte ihn mit einem strengen Blick.
„So etwas redest du nicht in meinem Haus und auch sonst nirgendwo, verstanden! Du sollst nicht immer alles glauben, was man dir erzählt. Außerdem solltest du nicht nachplappern, was du ohnehin nicht verstehst.“
Sie erwischte Calais dabei, wie sie sich einen Batzen Teig in den Mund stopfte und gab ihr einen Klapps auf die Hand.
„Aber ich checke das sehr wohl!“, beharrte Dian, „und wenn es hagelt, kacken sie!“
Gackernd rannte er durch die Küche und warf sich bäuchlings aufs Sofa.
„Und der Klugscheißer kackt Klugheit.“, ergänzte Jerem, der auf seinem Stammplatz in dem großen braunen Sessel lümmelte, die langen Beine hingen über die Armlehnen hinaus.
„Lasst ihn in Ruhe!“
Mama versuchte vergeblich Ordnung zu schaffen.
„Früher“, begann Opa und stellte vorsichtig seine leere Kaffeetasse auf dem Tisch ab, „da fror im Winter stets der gesamte See zu. Heutzutage kann man sich glücklich schätzen, wenn man wenigstens ein kleines Bisschen Schlittschuhfahren kann.“
Jerem verdrehte die Augen.
„Jaja, früher war alles besser. Aber das ist jetzt Schnee von gestern, Nonno!“
„Schnee, wenn Frau Holle ihre Betten ausschüttelt.“, meinte Jerems Freundin, die hinter ihm stand, eine Hand auf seiner Schulter.
„Märchen sind out!“, kommentierte Dian, „darf ich Fernsehschauen?“
„Als ich so jung war wie du, da rannte ich sofort aus dem Haus, wenn die ersten Flocken fielen!“, tadelte Opa und füllte seine Tasse wieder auf.
„Tja, Nonno, heutzutage vergnügt sich die Jugend mit einem anderen ‚Schnee‘.“
Jerem grinste breit.
„Das ist umgangssprachlich für Kokain.“, übersetzte der Klugscheißer.
„Es ist Weihnachtszeit, da möchte ich so etwas nicht hören, Jungs!“, wies Mama zurecht und knetete hingebungsvoll die Rosinen in den Stollenteig.
„Sonst ja auch nicht.“
Jerem schloss müde die Augen.
„Machst du Nüsse in den Stollen, Mama? Dann wird er männlicher, sagt Lucas aus meiner Klasse.“
„Dian! Wie heißt denn dieser Lucas mit Nachnamen? Ich glaube, ich muss mal mit seiner Mutter ein ernstes Wörtchen reden!“
„Ich kenne einen Witz übers Stollenbacken.“
Alle wandten sich überrascht zu Klugscheißer um.
„Einen Witz? Du?“
Jerem starrte ihn perplex an. Klugscheißer zog mit hochroten Wangen den Kopf ein und nickte beschämt.
„Jetzt lass den armen Jungen doch!“, stauchte Opa ihn zusammen, „ich höre, mein Großer.“
„Treffen sich zwei Rosinen, eine von ihnen trägt einen Helm. Fragt die eine die andere: ‚Sag mal, warum hast denn einen Helm auf?‘ Darauf antwortet die andere: ‚Ich muss heute noch in den Stollen.‘“
Opa verfiel in sein bebendes Lachen, Mama kicherte freundlich mit, Jerem verdrehte die Augen und Dian zog eine Grimasse. Calais verstand den Witz nicht und schaute Klugscheißer stumm mit ihren großen Augen an.
„Für mich bedeutet Schnee, dass der Winter kommt und dass die ganze Familie sich im Haus versammelt und gemeinsam Zeit verbringt.“, sagte Mama und legte den Stollen aufs Backblech.
„Ich mag keine Märchen.“, beschwerte Dian sich erneut und stibitzte sich einen Lebkuchen aus der Schale.
„Leider hat sich das Weihnachtsfest zu einem Familienfest entwickelt und grenzt deshalb Alleinstehende und Obdachlose aus. Außerdem führt es zu einem höheren Stromverbrauch und mit der Kommerzialisierung geht das Spirituelle total verloren.“
Jerems Freundin studierte seit dem Herbst Sozialwissenschaften an der Universität.
„Das hast du aus Wikipedia.“
Klugscheißer klappte sein Notebook auf um nach dem Beweis zu suchen.
„Dian, du hängst ja schon wieder an deinem Handy!“
Klagend blickte Mama zu ihm herüber und schob stöhnend das Blech in den Ofen.
„Smartphone“, korrigierte er, „ich poste, dass es schneit.“
„Das ist natürlich sehr wichtig.“
Opa schüttelte missbilligend den Kopf.
„Als ich so alt war wie du, da rannte ich immer sofort in den Garten und baute einen Schneemann oder machte mit meinen Geschwistern eine deftige Schneeballschlacht. Die Jugend von heute…“
„…hat die Sicht auf das Wesentliche verloren. Jaja, wissen wir.“, grummelte Jerem.
„Lumi, was ist mit dir?“, fragte Mama und blickte mich mit einem warmen Lächeln an.
Ich kniete auf der Heizung und sah hinaus ins Schneegestöber. Sorgfältig strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sprach mit den Händen zu meiner Familie: „Für mich bedeutet Schnee, dass die Welt unter einer kalten, weißen Decke verstummt.“