Nihilitis Acuta
Eine vermeintliche Krankheit, "Das akute Nichts". Also kerngesund, diese Erkrankung gibt es nicht, sie klingt aber gut. Und zudem ist es eine beliebte Fangfrage für angehende Mediziner, die jahrelange Latein-Qualen der Vorgänger-Generationen heutzutage mit einem "Kurs" wettmachen. Früher war das "Große Latinum" ja auch noch unabdingbare Voraussetzung für dieses Studium und grundsätzlich für eine Promotion, inzwischen lassen sich fehlende Kenntnisse ja vermeintlich mit einem Mausklick kompensieren. Wenn Sie demnächst also wieder zum Arzt Ihres Vertrauens gehen, sprechen Sie ihn oder sie doch mal daraufhin an. Erwähnen Sie "Nihilitis Acuta". Sagen Sie einfach, ein befreundeter Medicus hätte Sie mit dieser Diagnose bereits konfrontiert. Achten Sie dann auf den Gesichtsausdruck Ihres Gegenübers! Überraschung garantiert.- Ich hingegen hatte sogar ein Problem mit dieser Nicht-Krankheit. Warum, erfahren Sie gleich hier.
Ich bin Dozent. Ich doziere von der Kanzel herab. Und ich bin verhasst, ich bin verrufen, denn ich quäle meine Studenten.
Und ich empfehle vereinzelt auch, meine Seminare wieder zu verlassen. Ja, bereits auch während des zweiten Semesters! Meine Erfahrung reicht aus, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Ich bin kein Chemiker-Kollege, wie mein langjähriger Freund. Der war für die "Erstsemester Medizin" zuständig, denn diese Damen und Herren benötigen den "Chemie-Schein", sonst geht es nicht weiter. Und das führte dann dazu, daß man Jahr für Jahr das zu vermittelnde Niveau reduzieren mußte, da die Durchfallquote sonst extrem zu hoch war. Sein Chef der Herr Professor war entsetzt, der Schwierigkeitsgrad wurde herabgesetzt, und flugs rutschten wieder mehr Kandidaten ins weitere Studentenvergnügen. Mein Freund konnte es nicht fassen, er ist jetzt deshalb dienstunfähig und hat dieses berufliche Kapitel somit beendet. Man darf ihn aber nicht darauf ansprechen, er regt sich dann zu sehr auf.
Bei mir ist es ähnlich. Sie wollen wissen, welchen Fachbereich ich verantworte? Geschichte, was sonst? Nur profunde Geschichtskenntnisse versetzen einen Menschen in die Lage, auch aktuelle Geschehnisse korrekt zu bewerten. Sehr wichtig ist dieser wissende Blick in die Retrospektive, denn da gibt es unendlich viel zu entdecken und logisch einzuordnen, um dann Vergleiche mit der heutigen Situation herstellen zu können. Lesen Sie doch zum Beispiel einfach mal eine aktuelle Biographie von Talleyrand, Sie erkennen sofort, was ich damit meine!
Die meisten Männlein und Weiblein studieren bei mir auf "Lehramt", na ja. Dann die Spezialisten, die mal irgendetwas später "mit Medien" machen wollen und dringend dem Aufbau eines tragfähigen Fundaments dafür bedürfen, na ja, nach meiner Erfahrung klemmt es bei dieser Klientel von Beginn an bereits überall. Die Krönung aber sind die Parkplatz-Studenten, die nicht nur mit ihren teuren Blechkisten die Seitenstraßen vor unseren Seminarräumen zustellen, sondern auch nur versuchsweise halt mal Geschichte "probieren" wollen, ohne Ziel, ohne Sinn und Verstand. Und ohne jegliches Interesse, geschweige denn Engagement. Hauptsache immatrikuliert, die preiswerte studentische Krankenversicherung ist ja auch ein Argument, alles andere wird sich weisen. Aber nicht mit mir! Nicht bei mir!
Ja, ich habe sie alle malträtiert! Mit Hausarbeiten, Referaten und Seminararbeiten! Hinterher wußten einige nicht mehr, wer zuerst geboren worden war, Wallenstein oder Cäsar? Aber dann, nachdem sie diese unglaubliche Hürde genommen und die Hirnkästen sich langsam sortiert hatten, dann wurden sie richtig gut! Druck, wie eh und je, erst Druck und Tränen, danach kommt der Erfolg! Da lege ich Wert drauf, das funktioniert seit den Sumerern. Nachweislich, .....ähem. Na gut, historisch vielleicht nicht ganz so leicht nachweisbar, aber.....ach, vergessen wir das. Und ich konnte wahrlich von einigen meiner Eleven Dank ernten, ich war richtig gerührt. Diese Ehre! Sie hatten mich heimlich und ohne mein Wissen zu einer dieser Quizshows angemeldet. Ich wurde ausgewählt und eingeladen!
Hatten meine Schäflein dabei Hintergedanken gehabt? Und wenn schon, ich bin doch allzeit gewappnet, solange es nicht um Chemie, Mathematik oder ähnlichen Kram geht! Ich öffne die Muscheln der Vergangenheit, untersuche die Details und füge wieder zusammen. Geschichte ist Wissen, nicht Spekulation. Ich bin Experte, damit das klar ist! Aus dieser Perspektive betrachtet nahte der Tag meines Auftritts, ich fühlte mich bestens vorbereitet, denn "ein Dozent zur rechten Zeit sorgt für Freude und gar Heiterkeit". Meine gute Laune währte aber nur bis kurz vor der Tür dieser Fernseh-Leute.....
Und dann saß ich da, auf diesem Stuhl. Meine mir zugeteilte Mannschaft hatte uns weit nach vorne gebracht, und jetzt kam ich dran. Im Publikum meine Studenten, die Kameras, der Moderator.....und es handelte sich inzwischen um einen fünfstelligen Betrag, der gewonnen werden konnte! Ich war im Fernsehen, Millionen schauten mir zu, denn jetzt ging es um "Literatur und Geschichte". Deshalb sollte ich dafür antreten, wobei "Literatur" nicht unbedingt eine Spezialität von mir war. Ich war schon nervlich am Ende, bevor ich mich auf den erhöhten Sessel setzen mußte. Vier Fragen, die Antworten dazu von mir. Jeweils sechzig Sekunden pro Antwort. War diese falsch, ertönte ein lauter Summton. Wurde die Zeit überschritten, ganz ohne Antwort, ebenfalls. Und jeder Summton bedeutete, daß ein Viertel unserer Gewinnsumme unwiederbringlich verloren war!
"Erste Frage, wer schrieb das Gedicht "Das trunkene Schiff - im Original: Le bateau ivre"? Ihre Zeit läuft... ab jetzt!"
Sackzement, Hilfe! Keine Ahnung, und das klang so französisch....aber ich Idiot mußte ja damals anstelle von Französisch lieber Latein nehmen....das hatte ich nun davon! Das trunkene Schiff....Moment! Rimbaud! Arthur Rimbaud! Der junge Bursche, der hinterher nichts mehr davon wissen wollte, daß er Weltliteratur verfasst hatte! Später war er dann für einen Handelskontor tätig, setzte nach Ostafrika über und arbeitete dann von dort auf eigene Rechnung, starb in Marseille......irgendwie konnte ich seinen Namen entfernt damit in Verbindung bringen......
"Arthur Rimbaud!"
Treffer, tosender Applaus!
"Zweite Frage, die Schlacht von Jena und Auerstedt, wann war das? Die exakte Jahreszahl bitte! Ihre Zeit läuft, ab jetzt!"
Na, das war ein Angebot! 1806, da hatte Napoleon mit seinen Mannen die Preußen dort vernichtend geschlagen. Diese Sendung gefiel mir jetzt!
"Achtzehnhundertsechs!"
Treffer, tosender Applaus!
"Dritte Frage, "Die Füße im Feuer" - wer schrieb das?"
Ha, Hugenottenverfolgung, Conrad Ferdinand Meyer, das hatte man doch irgendwann in der Schule gehabt! Das war leicht!
"Conrad Ferdinand Meyer!"
Wolke sieben, gleich geschafft! Dieses Bad im Beifall, da konnte man sich wahrlich daran gewöhnen....ich begann, Quizsendungen zu lieben, nur noch eine weitere Aufgabe, wahrscheinlich ebenfalls eine Petitesse.....
"Letzte Frage, zwei Antworten werden gesucht! Wer erschoß Abraham Lincoln? Und wann? Ihre Zeit läuft, ab jetzt!"
Zwei Antworten waren also gefordert. Das Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, das war 1865. Im Theater in Washington D.C., da wurde Lincoln während der Vorstellung erschossen. Soviel wußte ich sofort. Aber der Attentäter, wie hieß der noch? Verflixt, wie hieß der Mann? Sein Beruf war Schauspieler, er war sogar sehr bekannt, fast berühmt. Und er floh auf einem Pferd, wurde aber dann bald gefasst, genau wie seine Komplizen.....Aber der Name, wie war sein Name? Die Uhr lief. Meine Bedenkzeit lief ab. Hilfe!
"Noch zwanzig Sekunden..."
Sackzement, wie hieß der Bursche? Und dann rutschte mir die Antwort heraus. "Achtzehnhundertfünfundsechzig, Nihilitis Acuta!"
Eine vermeintliche Krankheit, "Das akute Nichts". Also kerngesund, diese Erkrankung gibt es nicht, sie klingt aber gut. Und zudem ist es eine beliebte Fangfrage für angehende Mediziner, die jahrelange Latein-Qualen der Vorgänger-Generationen heutzutage mit einem "Kurs" wettmachen. Früher war das "Große Latinum" ja auch noch unabdingbare Voraussetzung für dieses Studium und grundsätzlich für eine Promotion, inzwischen lassen sich fehlende Kenntnisse ja vermeintlich mit einem Mausklick kompensieren. Wenn Sie demnächst also wieder zum Arzt Ihres Vertrauens gehen, sprechen Sie ihn oder sie doch mal daraufhin an. Erwähnen Sie "Nihilitis Acuta". Sagen Sie einfach, ein befreundeter Medicus hätte Sie mit dieser Diagnose bereits konfrontiert. Achten Sie dann auf den Gesichtsausdruck Ihres Gegenübers! Überraschung garantiert.- Ich hingegen hatte sogar ein Problem mit dieser Nicht-Krankheit. Warum, erfahren Sie gleich hier.
Ich bin Dozent. Ich doziere von der Kanzel herab. Und ich bin verhasst, ich bin verrufen, denn ich quäle meine Studenten.
Und ich empfehle vereinzelt auch, meine Seminare wieder zu verlassen. Ja, bereits auch während des zweiten Semesters! Meine Erfahrung reicht aus, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Ich bin kein Chemiker-Kollege, wie mein langjähriger Freund. Der war für die "Erstsemester Medizin" zuständig, denn diese Damen und Herren benötigen den "Chemie-Schein", sonst geht es nicht weiter. Und das führte dann dazu, daß man Jahr für Jahr das zu vermittelnde Niveau reduzieren mußte, da die Durchfallquote sonst extrem zu hoch war. Sein Chef der Herr Professor war entsetzt, der Schwierigkeitsgrad wurde herabgesetzt, und flugs rutschten wieder mehr Kandidaten ins weitere Studentenvergnügen. Mein Freund konnte es nicht fassen, er ist jetzt deshalb dienstunfähig und hat dieses berufliche Kapitel somit beendet. Man darf ihn aber nicht darauf ansprechen, er regt sich dann zu sehr auf.
Bei mir ist es ähnlich. Sie wollen wissen, welchen Fachbereich ich verantworte? Geschichte, was sonst? Nur profunde Geschichtskenntnisse versetzen einen Menschen in die Lage, auch aktuelle Geschehnisse korrekt zu bewerten. Sehr wichtig ist dieser wissende Blick in die Retrospektive, denn da gibt es unendlich viel zu entdecken und logisch einzuordnen, um dann Vergleiche mit der heutigen Situation herstellen zu können. Lesen Sie doch zum Beispiel einfach mal eine aktuelle Biographie von Talleyrand, Sie erkennen sofort, was ich damit meine!
Die meisten Männlein und Weiblein studieren bei mir auf "Lehramt", na ja. Dann die Spezialisten, die mal irgendetwas später "mit Medien" machen wollen und dringend dem Aufbau eines tragfähigen Fundaments dafür bedürfen, na ja, nach meiner Erfahrung klemmt es bei dieser Klientel von Beginn an bereits überall. Die Krönung aber sind die Parkplatz-Studenten, die nicht nur mit ihren teuren Blechkisten die Seitenstraßen vor unseren Seminarräumen zustellen, sondern auch nur versuchsweise halt mal Geschichte "probieren" wollen, ohne Ziel, ohne Sinn und Verstand. Und ohne jegliches Interesse, geschweige denn Engagement. Hauptsache immatrikuliert, die preiswerte studentische Krankenversicherung ist ja auch ein Argument, alles andere wird sich weisen. Aber nicht mit mir! Nicht bei mir!
Ja, ich habe sie alle malträtiert! Mit Hausarbeiten, Referaten und Seminararbeiten! Hinterher wußten einige nicht mehr, wer zuerst geboren worden war, Wallenstein oder Cäsar? Aber dann, nachdem sie diese unglaubliche Hürde genommen und die Hirnkästen sich langsam sortiert hatten, dann wurden sie richtig gut! Druck, wie eh und je, erst Druck und Tränen, danach kommt der Erfolg! Da lege ich Wert drauf, das funktioniert seit den Sumerern. Nachweislich, .....ähem. Na gut, historisch vielleicht nicht ganz so leicht nachweisbar, aber.....ach, vergessen wir das. Und ich konnte wahrlich von einigen meiner Eleven Dank ernten, ich war richtig gerührt. Diese Ehre! Sie hatten mich heimlich und ohne mein Wissen zu einer dieser Quizshows angemeldet. Ich wurde ausgewählt und eingeladen!
Hatten meine Schäflein dabei Hintergedanken gehabt? Und wenn schon, ich bin doch allzeit gewappnet, solange es nicht um Chemie, Mathematik oder ähnlichen Kram geht! Ich öffne die Muscheln der Vergangenheit, untersuche die Details und füge wieder zusammen. Geschichte ist Wissen, nicht Spekulation. Ich bin Experte, damit das klar ist! Aus dieser Perspektive betrachtet nahte der Tag meines Auftritts, ich fühlte mich bestens vorbereitet, denn "ein Dozent zur rechten Zeit sorgt für Freude und gar Heiterkeit". Meine gute Laune währte aber nur bis kurz vor der Tür dieser Fernseh-Leute.....
Und dann saß ich da, auf diesem Stuhl. Meine mir zugeteilte Mannschaft hatte uns weit nach vorne gebracht, und jetzt kam ich dran. Im Publikum meine Studenten, die Kameras, der Moderator.....und es handelte sich inzwischen um einen fünfstelligen Betrag, der gewonnen werden konnte! Ich war im Fernsehen, Millionen schauten mir zu, denn jetzt ging es um "Literatur und Geschichte". Deshalb sollte ich dafür antreten, wobei "Literatur" nicht unbedingt eine Spezialität von mir war. Ich war schon nervlich am Ende, bevor ich mich auf den erhöhten Sessel setzen mußte. Vier Fragen, die Antworten dazu von mir. Jeweils sechzig Sekunden pro Antwort. War diese falsch, ertönte ein lauter Summton. Wurde die Zeit überschritten, ganz ohne Antwort, ebenfalls. Und jeder Summton bedeutete, daß ein Viertel unserer Gewinnsumme unwiederbringlich verloren war!
"Erste Frage, wer schrieb das Gedicht "Das trunkene Schiff - im Original: Le bateau ivre"? Ihre Zeit läuft... ab jetzt!"
Sackzement, Hilfe! Keine Ahnung, und das klang so französisch....aber ich Idiot mußte ja damals anstelle von Französisch lieber Latein nehmen....das hatte ich nun davon! Das trunkene Schiff....Moment! Rimbaud! Arthur Rimbaud! Der junge Bursche, der hinterher nichts mehr davon wissen wollte, daß er Weltliteratur verfasst hatte! Später war er dann für einen Handelskontor tätig, setzte nach Ostafrika über und arbeitete dann von dort auf eigene Rechnung, starb in Marseille......irgendwie konnte ich seinen Namen entfernt damit in Verbindung bringen......
"Arthur Rimbaud!"
Treffer, tosender Applaus!
"Zweite Frage, die Schlacht von Jena und Auerstedt, wann war das? Die exakte Jahreszahl bitte! Ihre Zeit läuft, ab jetzt!"
Na, das war ein Angebot! 1806, da hatte Napoleon mit seinen Mannen die Preußen dort vernichtend geschlagen. Diese Sendung gefiel mir jetzt!
"Achtzehnhundertsechs!"
Treffer, tosender Applaus!
"Dritte Frage, "Die Füße im Feuer" - wer schrieb das?"
Ha, Hugenottenverfolgung, Conrad Ferdinand Meyer, das hatte man doch irgendwann in der Schule gehabt! Das war leicht!
"Conrad Ferdinand Meyer!"
Wolke sieben, gleich geschafft! Dieses Bad im Beifall, da konnte man sich wahrlich daran gewöhnen....ich begann, Quizsendungen zu lieben, nur noch eine weitere Aufgabe, wahrscheinlich ebenfalls eine Petitesse.....
"Letzte Frage, zwei Antworten werden gesucht! Wer erschoß Abraham Lincoln? Und wann? Ihre Zeit läuft, ab jetzt!"
Zwei Antworten waren also gefordert. Das Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, das war 1865. Im Theater in Washington D.C., da wurde Lincoln während der Vorstellung erschossen. Soviel wußte ich sofort. Aber der Attentäter, wie hieß der noch? Verflixt, wie hieß der Mann? Sein Beruf war Schauspieler, er war sogar sehr bekannt, fast berühmt. Und er floh auf einem Pferd, wurde aber dann bald gefasst, genau wie seine Komplizen.....Aber der Name, wie war sein Name? Die Uhr lief. Meine Bedenkzeit lief ab. Hilfe!
"Noch zwanzig Sekunden..."
Sackzement, wie hieß der Bursche? Und dann rutschte mir die Antwort heraus. "Achtzehnhundertfünfundsechzig, Nihilitis Acuta!"
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