Nina

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Max Neumann

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Das hier ist eine traurige, aber wahre Geschichte. Sie handelt von einem Mädchen, das ich mal traf, die mir mein Herz stahl und abhaute.
Ihr Name ist... Nina.

Ich kann nicht erklären, was sie mir bedeutet, aber ich muss drüber schreiben, um irgendwie klarzukommen. Denn wer bin ich ohne Nina? Nur eine Hälfte.

Wer ich bin? Mein Name ist Ronny, ich komme aus Kreuzberg in Berlin und lebe seit meinem fünfzehnten Lebensjahr im Plattenbau am Kottbusser Tor, du weißt schon, dort, wo dauernd die Reporter von Spiegel TV und Stern rum rennen, um Deutschland zu zeigen, wie verkommen und kriminell es bei uns sein soll.

Wohne hier jetzt seit zwanzig Jahren und hab' mich an die Verhältnisse längst gewöhnt. War selbst nie von etwas abhängig, aber ich esse sehr gerne und lass öfters ein paar Euro in der Spielo. Zu spielen, wa: Das ist so 'ne Marotte von mir.

Ich glaub', ich spiele, weil ich nach dem Glück suche, verstehst du? Ich stelle das Schicksal auf die Probe, weil ich nichts habe, das mich glücklich macht, nichts, an das ich glauben kann. Ich glaube nicht an einen Gott, denn der würde das Elend vor meiner Haustür nicht zulassen.

Mir fehlt radikal etwas in meinem Leben, jeden Morgen nach dem Aufstehen (ich hasse es, aufzustehen) fühle ich mich leer und benutzt, als würden meine Albträume mir die Organe rausnehmen und irgendwas Ekelhaftes einstampfen.

Klingt nicht gerade nice, oder? Dann kannst du dir vorstellen, dass ich unzufrieden bin. Mir fehlt etwas. O ja, Keule. Etwas fehlt mir und das ist eine gute Frau an meiner Seite. Darum denke ich fast jede Minute an Nina. Ich meine das ernst, fast jede Minute.

Selbst auf der Arbeit, wo ich im Imbiss Currywurst verkaufe, was 'ne geile Sache ist und Spaß macht, wa, aber Bratfett, Pommes und Würste sind halt nur Speisen, verstehst du?

Ich brauche Liebe, richtige Liebe. Hatte schon die ein oder andere Frau im Leben, aber die konnten alle nicht mit mir schlafen, ohne dass sie irgendwas drin hatten. Die eine am Trinken, die andere hat gekifft, die dritte nahm Koks, aber da hab' ich mich gleich zurückgezogen, weil sie die ganze Zeit laberte und nicht intim werden konnte.

Brauchte ich alles nicht, suchte weiter, durchsuchte jedes Jahr, das kam, blieb stehen, schaute mich um, ging enttäuscht weiter, gab es auf, verkrümelte mich immer öfter in die Spielo, um dort weiterzusuchen, hatte bald mein ganzes Monatseinkommen auf den Kopf gehauen und ging ans Ersparte ran, rund € 2.000,00, die ich auf Seite liegen hatte.
Ich war scheiße drauf, Keule. Oh ja.

Aber dann kam ein neuer Tag, der Tag, an dem mein Leben eine Wende nahm und sich alles ändern sollte. Sollte. Das war der Tag, an dem ich Nina traf. Und zwar genau an der Wurstbude, wo ich arbeite. Die is' in der Nähe vom Görli, der Ort, den wir Berliner den Görlitzer Bahnhof nennen.

Keule, ich muss dir Nina beschreiben, damit du verstehst, was ich an ihr so geil finde. Also, ich leg' mal los mit ihrem Äußeren, wa.

Nina ist nicht zu groß und nicht zu klein, hat eine schlanke Figur, doch nich' abgemagert, schwarze Haare mit leichten Locken, die ihr chaotisch um die Stirn wehen bei Wind. Alter. Na ja, ihre Schultern sind zart und weiblich, besonders eben, nicht zu viel, nicht zu wenig, die Oberweite ist ordentlich... hmmh. Und ihre Hüfte ist so wohlgeformt wie ihr Po.

Soviel zu ihrem Körper. Aber du kannst dir denken, dass das nicht alles an Nina ist, sonst hätt' ich mich nich' so böse in sie verliebt.
Das ist so, dass die Nina zur Uni geht und viel weiß über Sprachen. Die studiert sowas, das heißt Amerikan... scheiße, hab den Rest vergessen, aber hat auf jeden Fall mit der englischen Sprache zu tun und der Kultur von Ländern. Das Geile an Nina ist, dass sie mich keinen Unterschied zu ihr spüren ließ. Die hat zwar richtig was auf'm Kasten, aber is' voll bescheiden, wa. Trägt keine großen Sätze vor sich her und jongliert auch nicht mit Wörtern.

Als Nina zum ersten Mal bei mir an die Bude kam, fiel sie mir nicht wirklich auf. Es war irgendein Abend im Mai und an der Bude übelst viel Betrieb. Mein Kollege, der Momo, war krank und ich hatte 'nen Arsch viel zu tun. Chef konnte auch nicht mithelfen, weil der neunzehn Buden in Berlin besitzt und meistens von einer zur anderen hetzt.

Na ja, auf jeden Fall brutzle ich wie'n Bekloppter Pommes und Würstchen, als plötzlich diese kleine Schwarzhaarige vor mir steht und ich, wie bei allen anderen Kunden, von ihr genervt bin, weil ich verdiene ja nix an jeder Wurst, die mehr verkauft wird.
Sie fragte mich, welche Sauce ohne Zusatzstoffe wäre. Ich so: Keine Ahnung. Und sie: Wirklich?

Und diese Art, Keule, wie sie diese zwei Silben gesagt hat... Uuh! Nina hob einfach den Kopf an, stellte mir 'ne blöde Frage nach der Currywurstsauce, aber was in ihrer Stimme lag, das hatte ich bei keiner Frau vorher erlebt. Das war was Eigenartiges. Und in ihrem Blick war irgendwas Gütiges, selten in 'ner gefühlskalten Großstadt wie Berlin.

Na ja, dann habe ich ihre Frage beantwortet und sagte: Wirklich.
Dabei voll auf ihre Augen fixiert, in der Hand noch das Restgeld für einen Kunden, der sich genervt beschwerte, was ich gar nicht hörte, weil ich so abgelenkt war. Doch natürlich, wie der Großteil der Menschen war auch er ein unsensibles Arschloch, das keine Empathie aufbrachte für das verknallte Leuchten in meiner Fresse.

Nachdem der Typ auf die Theke geklopft hatte, gab ich ihm seine fünf Cent wieder, grummelte Tschüss heraus und wünschte ihn innerlich zum Teufel. Doch offen gestanden legte sich mein Abtörn, als Nina mir die nächste Frage stellte: Welche Sauce schmeckt dir denn am besten?

Muss gestehen, dass ich da nicht so wählerisch bin, aber ich wollte ihr jetzt unbedingt was Gutes sagen, also empfahl ich Nina die exotischste Sauce, die wir anbieten: Nutella mit Tabasco. Darauf hatte sie nicht gerade Megalust und bestellte einfach unseren Klassiker: Currywurst 36 mit Pommes und Currysauce.

Dann aß Nina und war während des Essens damit beschäftigt, auf ihrem Handy immerzu etwas nachzusehen oder einzutippen. Obwohl sie mich erst mit lieben Augen angeschaut hatte, war sie nun völlig mit sich beschäftigt und schenkte mir keine Aufmerksamkeit.

Ehrlich gesagt fuckte mich das ab und zwar nicht nur ein bisschen. Aber es gab ohne Ende zu tun, weshalb ich meinen Frust schnell wieder vergaß und auch nicht mehr auf Nina achtete. Umso mehr wunderte ich mich, als es stockdunkel war, in den Pfützen auf dem Bürgersteig überall Mondlicht glitzerte, aber Nina immer noch dastand, am selben Stehtisch wie vor ein paar Stunden.

Müde rieb sie sich über die Augen, schaute mich an, diesmal nicht mehr so wach wie vorher. Ich war echt müde, doch es freute mich, dass sie noch am Tisch stand.
Schön, dass du da bist, sagte ich. War vorhin auch schon hier, antwortete sie lächelnd.
Stimmt, antwortete ich. Und jetzt? fragte Nina.

Ich dachte mir nur: Scheiße, Keule, wenn die dir so 'ne Frage stellt, will sie was mit dir zu tun haben. Also sagte ich entschlossen: Und jetzt gehen wir zusammen spazieren, am Maybachufer. Dann wurde ich rot.

Du bist nicht von der langsamen Truppe, sagte Nina überrascht, aber als sie mich genau ansah und erkannt haben muss, wie peinlich die Situation für mich war, muss ich ihr gefallen haben. Irgendwie hat ihr das imponiert, die hat gemerkt, dass ich kein abgebrühter Aufreißer bin. Also sind wir los zum Maybachufer und redeten und lachten.
Wir kamen so gut miteinander klar wie Leute, die sich ein Leben lang kennen, das war schön, aber merkwürdig. Ich meine, ich glaube zwar nicht an Gott, aber wenn es den gibt, dann hat er mir Nina geschickt. Und jetzt ist sie weg, scheiße, vermisse ich sie...

Ich kann nicht weiterschreiben, eigentlich, aber ich will weiter erzählen, um den Schmerz von mir zu nehmen, doch das wird erst funktionieren, wenn Nina zurück zu mir kommt.

Am Maybach-Ufer habe ich sie gefragt, was sie immer am Handy macht. Zuerst hat sie nicht drauf geantwortet, aber dann kam sie mit der Sprache raus, weil ich nicht lockerließ.
Schreibe Gedichte, verriet sie mir schüchtern. Ist doch bombe, antwortete ich. Schämst du dich denn dafür?
Du bist ja direkt, gab Nina zurück und ich zuckte bloß mit den Schultern. (Bin eben so.)
Nee, fuhr sie fort, schäme mich nicht. Ich habe einfach Angst davor, abgelehnt zu werden, weißt du? Dass jemand mein Schreiben nicht gut findet oder mir miese Sachen schreibt, vor allem online sind oft gehässige Typen dabei.
Was meinst du mit gehässig? fragte ich. Na, antwortete, Nina, die schreiben miese Sachen über meine Gedcihte: Dass ich untalentiert sei oder das Gedicht richtig schlecht.
Wenn ich so einen erwische, mache ich ihn platt, sagte ich ohne zu zögern. Da lachte Nina nur. Und dann lächelte sie, umarmte mich, so fucking sanft, das glaubst du nicht, Keule, ich hab' sofort 'nen Steifen bekommen, und sie hielt sich richtig an meinen Schultern fest, streichelte meine Ohrläppchen, und züngelte mich so, wie mich noch keine Frau vorher geküsst hat. Ist so. (Bald dreh ich ab, wenn sie nicht wiederkommt!)

Na ja, dann ging alles ganz schnell. Ich hob Nina hoch, sie erst nicht einverstanden, aber dann schauten wir uns kurz an und sie wusste, was Sache ist: Dass sie mir vertrauen kann. Dass ich kein Wixer bin. Aus Ninas Misstrauen wurde Kichern, so'n albernes, weißte Keule, so wie Mädels halt kichern.

Trug Nina ein Stückchen und habe sie am Maybach-Ufer vorsichtig abgesetzt, da an der Stelle, wo die Lichter der Straßenlaternen im Wasser schwimmen.

Jetzt stand nichts mehr zwischen uns, wir hielten uns aneinander fest wie zwei Menschen, die große Angst, großen Mut und eine Riesenlust auf einmal fühlen, ich riss ihr die Kleider vom Leib, umfasste ihren unteren Rücken und küsste sie vom Bauchnabel aus aufwärts, blieb hängen zwischen ihren großen Brüsten, spielte mit ihnen und roch ihren Geruch, Keule, dieser Geruch... was soll ich sagen? Ein Hammergeruch.

Nina hob mein Kinn hoch und wir küssten uns, diesmal aber wilder, als sie an meinen Lippen saugte, was das Zeug hielt, dabei geile Geräusche von sich gab, so bestimmte Laute, Nina-Laute, denn die hatte ich vorher niemals gehört, verstehst du?!
Alter, dann ist sie runter zwischen meine Beine, blitzschnell, und hat mich in den Mund genommen, mit sehr viel Druck und unglaublicher Zärtlichkeit, schwer, das in 'ner Scheißgeschichte zu beschreiben...

Dann habe ich irgendwann die Krise bekommen, denn ich wollte nur noch in Nina rein. Doch soweit gingen wir nicht, denn sie bat mich: Bitte nicht, Ronny. Nicht heute.
Ich platzte zwar fast, aber seltsamerweise nahm ich das hin, denn Ninas Stimme und wie sie sprach, gaben mir das Gefühl, als Mann irgendwie angekommen zu sein. Vielleicht sogar lieben zu können. Und nur das, nur das, hat mir gereicht, nicht weiterzubohren, so wie ich es früher getan hätte, deshalb hob ich Ninas Kleidung auf, um sie ihr anzuziehen. Das kann ich schon selbst, grummelte sie da, also zog ich mich an und legte mich neben sie.

Es war immer noch mild, also zog ich meinen Pulli aus, legte meinen Nacken drauf und Ninas Kopf auf meine Brust. So schön es mit ihr auch war, nach einer halben Minute war ich eingeschlafen, denn der Arbeitstag war verdammt lange.
Und dann, im Morgengrauen? Das kannst du dir denken, Keule. Denk dir deinen Teil, wo Nina hingegangen war. In meinem zusammengeknüllten Pulli schwebte ihr Geruch und obwohl ich beim Aufwachen eine scheußliche Einsamkeit fühlte, schloss ich die Augen, um diesen Geruch einzuatmen und in mir aufzunehmen.
Danach fühlte ich mich nur noch verzweifelt, heute, ein Jahr später, ist nichts von diesem Gefühl verschwunden...

* * *

Nina, falls du diese Kurzgeschichte jemals liest: Ich brauche dich. Komm zurück zu mir.
Komm zurück, denn ich fühle, dass wir Seelenverwandte sind. Dazu reicht selbst unsere kurze Begegnung. Klar, du bist fünfzehn Jahre jünger und mit Sicherheit hast du Angst, verlassen zu werden und mit Sicherheit hast du mich deshalb zuerst verlassen.
Aber ich schwöre dir, Baby: Diese Chance haben wir in unserem Leben nur ein einziges Mal. Danach NIE wieder.
 



 
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