Nordsee (Haiku)

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A

aligaga

Gast
Das ist leider kein "echter" Haiku - es wird nichts durch die Blume gesagt. Warum schreibst du nicht:

Fußspuren eilen
schmatzend im Sand. Aufgestört
schreit eine Möwe?

Da sähe auch ein jeder die StrandläuferIn und den Vogel - aber es würden sein Bild und seine Gefühle. Man könnte es wohl "Resonanz" nennen.

Heiter immer weiter

aligaga
 

xavia

Mitglied
Ah, dass das »durch die Blume« gesagt werden muss wusste ich nicht. Was du als Alternative schreibst, o @Ali, klingt sehr schön, aber es gibt nicht meine Erfahrung wieder. Weder schmatzte es, weil der Sand fest war, noch wurde die Möwe aufgeschreckt, sie flog ganz gelassen neben mir her und ich fand das magisch, dachte, dass das durch die erste Zeile ausgedrückt wird. Wenn es so nicht rüberkommt, muss ich mir überlegen, wie ich diese Erfahrung in Worte fassen kann. Oder besser: Worte finden, so dass diese Erfahrung im Betrachter entsteht. Nicht einfach.
 
A

aligaga

Gast
Fußspuren knirschen
im Sand; spiegeln sich in den
Augen der Möwen.
 

xavia

Mitglied
Das ist näher dran. Es klingt poetisch und das, was ich eigentlich sagen wollte, wird „durch die Blume“ gesagt, denn ich kann ja nur sehen, dass sich etwas im Auge der Möwe spiegelt, wenn ich hineinsehe. Die Möwe bleibt hier aber ein Objekt, das angesehen wird, das Gefühl, mit ihr auf einer Ebene zu sein, von ihr ebenfalls gesehen zu werden, ohne dass sie beunruhigt ist, das fehlt noch. Ich glaube, ich verstehe nun besser, was ein Haiku ausmacht, vielen Dank dafür!
 
A

aligaga

Gast
Wenn sich im Auge des Vogels etwas spiegelt, heißt das, dass er es gleichzeitig sieht. Er sieht hin, ist also nicht bloß Objekt, sondern Teilnehmer: Das Vogerl guckt dem Mädel zu, wie's den Strand entlang rennt. Und das Mädel sieht's. Augenhöher geht's kaum ...

Heiter

aligaga
 

xavia

Mitglied
Es stimmt, das eine das anschaun muss, was sich in ihren Augen spiegelt, aber ich will ja nicht, dass die Möwe die Spuren ansieht.

Ein neuer Versuch:

Auge in Auge:
Möwe, Mensch; Fußspuren im Sand –
Nur Menschenfüße.

Das impliziert zwar das, was ich materiell sagen will, ist aber nur ein logisches Konstrukt. Worum es mir geht finde ich darin auch nicht wieder: Um den Moment, in dem ein Angeschautes zurückschaut und auf Augenhöhe bleibt.

Analog dazu: Ich lese etwas und habe einen Eindruck von der Person, die das geschrieben hat, bilde mir ein, sie irgendwie zu kennen. Das fühlt sich aber total anders an als wenn ich sie anspreche und bekomme eine Antwort.

Vielleicht passt das nicht in 17 Silben. Nein, das kann nicht sein. Oder es ist für ein Erstlings-Haiku zu viel verlangt. Vielleicht muss ich die ganze Angelegenheit noch eine Weile in meinem Herzen bewegen.
 
A

aligaga

Gast
Wenn du ein Haiku bastelst, darfst du nicht mit der Schrotflinte ins Maisfeld schießen, hoffend, irgendwen oder irgendwas würden die 17 Kügelchen schon treffen. Du solltest, schon bevor du dich hinsetzt, um etwas aufzuschreiben, wissen, was du uns sagen möchtest.

Angenommen, es ginge dir darum, zu zeigen, dass man allein an die Nordsee gefahren ist und dennoch nicht einsam war, weil man sich in den Augen eines anderen Wesens spiegeln konnte, während man den Strand entlang lief, kämest du mit

Nordsee

Fußspuren, die im
Sand knirschen, spiegeln sich im
Auge der Möwe

ganz gut hin. Der (sorgfältige) Leser erkennt einen Erwachsenen (bei einem Kind knirscht's noch nicht), der am Meeresstrand unterwegs ist und einer Möwe ins Auge blickt. Der Mensch denkt: Was guckst du?, und die Möwe: Was rennst du?

Sich begegnen heißt Anteil am anderen nehmen.

Bei
Auge in Auge:
Möwe, Mensch; Fußspuren im Sand –
Nur Menschenfüße.
kommen zwar allerlei Requisiten zum Einsatz, aber man begreift nicht, worum's der Natur hier gerade wieder mal ging. Die Worte werden nicht zu Bildern, über die man nachsinnen könnte. "Nur" ist eine Wertung.

Heiter

aligaga
 

xavia

Mitglied
Das finde ich sooo schön:
Der Mensch denkt: Was guckst du?, und die Möwe: Was rennst du?
Davon werde ich heute Nacht träumen :)

Nun habe ich eine Ahnung davon, was ein Haiku ist und eine Ahnung davon, was ich mitteilen möchte. Kommt Zeit, kommt Rat …
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Ein Haiku sagt nichts durch die Blume und poetisch ist es in aller Regel auch nicht.
Der Weg deines Textes ist schon der richtige. Dein Versuch ist bei weitem besser als das, was zur Zeit sonst unter Haiku zu lesen ist. Und die "2" empfinde ich hier als Frechheit.
 
A

aligaga

Gast
Ein Haiku sagt nichts durch die Blume und poetisch ist es in aller Regel auch nicht.
Hihi - der ist wieder mal gut. Haikus sind ohne Kirschblüten, Sonnenblumen und Stoppelfelder gar nicht denkbar.

Besonders witzig die Forderung, Haikus hätten unpoetisch zu sein. Das hat etwa so viel Hirn wie die Behauptung, Aquarelle gingen auch ohne Wasserfarbe.

TTip: Einen Guhgelhüpfer nach dem Wort "Poesie" wagen und sich dann - wenn man schon mit solchem Avatar reist, o @Cellist - Jan Wagners "Regentonnenvariationen" auf die Saiten kratzen. Der Typ scheint wohl auch keine Ahnung von Haikus zu haben und konnte doch damit 2016 den Preis der Leipziger Buchmesse gewinnen. @Ali fand und findet das mehr als verdient.

Sachen gibt's ...

Heiter, sehr heiter

aligaga
 

xavia

Mitglied
Hallo Cellist,

vielen Dank für deine Unterstützung und die freundliche Bewertung! Die 2 in der Bewertung bezieht sich noch auf die erste Version.

Ich habe das durch-die-Blume-sagen so verstanden, dass man etwas schreibt, das in den LeserInnen dann bestimmte Dinge entstehen lässt, indem sie den Text genau lesen und auf sich wirken lassen. Man hat ja nicht allzu viel Raum, um das hinzuschreiben, was man sagen will, da geht es doch eigentlich gar nicht anders. Wenn es gut ist, entsteht genau das, was man beabsichtigt hat.

Das versuche ich gerade und ich finde, es ist mir noch nicht so ganz gelungen, allenfalls vielleicht mit der letzten Zeile,falls die nicht zu kryptisch ist. Ich meine, da entsteht auch die Poesie, beim Lesen, so in dem Sinne wie »Schönheit liegt im Auge des Betrachters«, meinst du nicht?

LG Xavia.
 



 
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