November-Blues

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Nosie

Mitglied
November-Blues

Die sonnenlose Zeit ist angebrochen
Es dämmert lange vor dem Abendessen
Ich bleibe in der Stadt und hab vergessen
Wie Wald und Moos und Du im Sommer rochen

Der Himmel hängt jetzt tief und wie gebrochen
Die Nebel haben alles Blau gefressen
Versuch, den Tagen Wärme abzupressen
Indem ich mir die Zeit vertreib mit Kochen

Verloren sind mir See und Alm und Wald
Spazierengehn auf glänzendem Asphalt
Ist kein Ersatz für sonnenblaue Stunden

Die Tage sind schon vor dem Morgen alt
Ich wünschte nur, der Frost käm heuer bald
Und legte blaues Eis auf Sommerwunden
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Nosie,

am besten gefällt mir die letzte Zeile, insbesondere die Sommerwunden, eine schöne und ungewöhnliche Metapher.

Mehr solche Sonette, bitte 8^)

Liebe Grüße

Herbert
 

Nosie

Mitglied
Lieber HerbertH,

Vielen Dank für dein positives Feedback, ich freue mich, dass dir mein Sonnett gefällt.
Liebe Grüße
Nosie
 

wüstenrose

Mitglied
Hi Nosie,
was den Schluss betrifft, schließe ich mich gerne Herberts Statement an; ansonsten gefällt mir der Spannungsbogen, den handfeste, erdige Begriffe einerseits (Kochen, Alm, Wald ...) und eine zarte Wehmut andrerseits erzeugen.
Da tut was weh, aber fühlen - - - will man's ja eigentlich nicht. Aber da ist es trotzdem.

Kleine Änderung könnte ich mir vorstellen:

Der Himmel hängt jetzt tief und wie gebrochen
Die Nebel haben alles Blau gefressen
[blue]Den Tagen such ich[/blue] Wärme abzupressen
Indem ich mir die Zeit vertreib mit Kochen
lg
wüstenrose
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
...mein Highlight: "Wie Wald und Moos und Du im Sommer rochen". Auch das Schema abba abba ccd ccd wirkt nicht erzwungen - ja selbst das zweimalige ...brochen fällt erst beim wiederholten Lesen auf.

Gut gemacht!

J.
 

James Blond

Mitglied
Liebe Nosie,

meine Eindrücke zu diesem November-Blues sind, passend zum November, recht gemischt.

Lyrische Versuche, Novemberstimmungen einzufangen, sind zahlreich und als Leser freut man sich besonders über neue An- und Einsichten, wie sie hier im letzten Vers aufleuchten.

Ebenso positiv fällt mir die inhaltliche Gliederung auf, die der Sonettform mehr als gerecht wird. In den Quartetten wird die veränderte Gegenwart beschreiben, der sich das Lyrische Ich anzupassen versucht, im 1. Terzett erfolgt ein Rückblick und im 2. der Ausblick. Damit wirkt das Gedicht rund und in sich abgeschlossen.

Weniger gut sind einzelne Verse geraten:

"Wie Wald und Moos und Du im Sommer rochen"

Hier stört mich nicht allein die Zeitform, (es müsste Perfekt sein,) auch das Lyrische Du, das nur einmalig auftaucht und mit Wald und Moos in eine Reihe gestellt wird, scheint mir unpassend.

"Der Himmel hängt jetzt tief und wie gebrochen"

Etwas unglücklich formuliert, weil hier der Eindruck ensteht, der Himmel hinge wie ein gebrochener Flügel herab. Dabei wäre ein "gebrochener Himmel", dem es an Tiefe und Ausstrahlung mangelt, ein passendes Bild.

"Versuch, den Tagen Wärme abzupressen
Indem ich mir die Zeit vertreib mit Kochen"


Gemeint ist zwar "ich versuche", die stenografische Kurzform wechselt zum Tagebuchstil und enführt zugleich zum Substantiv "Versuch", auch schwächt der zweifache Grund (Wärme abzupressen und die Zeit zu vertreiben) die Aussage.

"sonnenblaue Stunden"

Ich kenne die "blauen Stunden", als die Zeit kurz nach dem Sonnenuntergang, wenn der Himmel im tiefsten Blau erstrahlt, und ich kenne "Sonnenstunden", in denen das Licht der Sonne direkt bis zu uns durchdringt. Während blaue Stunden uns in eine Zone zwischen Traum und Wirklichkeit entführen, vermitteln Sonnenstunden die heitere Gewissheit des lichten Tages. Kurzum: Aus "sonnenblau" werd ich nicht schlau.

"Die Tage sind schon vor dem Morgen alt"

Eine sehr gute, treffende Beobachtung, allerdings durch die Formulierung "vor dem" wieder etwas entschärft, weil jedes Heute immer "schon vor dem Morgen" alt wird. "Die Tage sind bereits am Morgen alt" würde dieses Problem umgehen.

Bei den Reimen gefiel mir "angebrochen-rochen-gebrochen-Kochen" nicht besonders. Auch "Abendessen-vergessen-gefressen-abzupressen" begeistern mich nicht.

Auch wenn die Ferne von Sommer, Sonne und Natur zu den altbekannten Klageliedern des Novembers zählt, stecken doch einige Reize in diesem Sonett, die weitere Arbeit lohnenswert erscheinen lassen.

Viele Grüße
JB
 

Nosie

Mitglied
November-Blues

Die sonnenlose Zeit ist angebrochen
Es dämmert lange vor dem Abendessen
Ich bleibe in der Stadt und hab vergessen
Wie Wald und Moos und Du im Sommer rochen

Der Himmel hängt jetzt tief und wirkt gebrochen
Die Nebel haben alles Blau gefressen
Den Tagen such ich Wärme abzupressen
Indem ich mir die Zeit vertreib mit Kochen

Verloren sind mir See und Alm und Wald
Spazierengehn auf glänzendem Asphalt
Ist kein Ersatz für sonnenblaue Stunden

Die Tage sind bereits am Morgen alt
Ich wünschte nur, der Frost käm heuer bald
Und legte blaues Eis auf Sommerwunden
 

Nosie

Mitglied
Lieber James Blond,

Vielen Dank für deinen sehr ausführlichen und hilfreichen Kommentar – es ist mein erster Versuch am Sonnett, daher bitte ich um Nachsicht.
Ich habe einige Zeilen abgeändert:

Der Himmel hängt jetzt tief und [blue]wirkt[/blue] gebrochen
[blue]Den Tagen such ich[/blue] Wärme abzupressen (vielen Dank, Wüstenrose – das ist es!)
Die Tage sind [blue]bereits am[/blue] Morgen alt (ich übernehme deinen Verbesserungsvorschlag gerne, James)

Der Rest soll so stehenbleiben, nicht weil du mit deiner Kritik nicht recht hättest, sondern weil ich sonst das ganze Gedicht in den Kübel schmeißen müsste, und das will ich denn doch nicht.
Jedenfalls nochmal vielen Dank, es wird sicher nicht mein letztes Sonnett sein.

Liebe Grüße
Nosie
 

Nosie

Mitglied
@joteS

hoffentlich nicht zu spät - vielen Dank, joteS, für deinen so positiven Kommentar. Tut gut.

Liebe Grüße
Nosie
 



 
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