Novembervögel

5,00 Stern(e) 2 Bewertungen

James Blond

Mitglied
Wenn im Herbst die Blätter fallen
gilt ihr Abschiedswinken allen,
die auch selbst bald gehen werden,
oft nach längeren Beschwerden,

oder gar an trüben Tagen
müde wurden, sich zu plagen,
schließlich ihre Hände falten –
der November schätzt die Alten!

Wo sie schwarzen Vögeln gleichen,
als ein Gruß aus Schattenreichen
schweigend durch Alleen streichen,
setzt die Zeit ihr Wasserzeichen.

Und aus Nebeln lässt sich lesen,
wenn die Nachricht heißt: Gewesen.
Ihre Welt wird still erkalten –
der November braucht die Alten!
 

Tula

Mitglied
Hallo James
Klingt so'n biss-chen nach Schadenfreude.

Traurig, aber wahr
Schlimmer nur -- der Januar

LG
Tula
 

anbas

Mitglied
Sehr schön. Gefällt mir gut!

Ein schmackhaftes Gemisch aus Melancholie, Herbststimmung und einer Priese vom bösen Humor.

Liebe Grüße

Andreas
 
G

Gelöschtes Mitglied 23483

Gast
Ein bildstarkes Novembergedicht. Lese ich nicht oft in dieser Qualität. Einzig das Wort "Wasserzeichen" stört mich, das Wort, die Vorstellung von Wasser gehören für mein Gefühl nicht in die Stimmung, die das Gedicht zusammenhält. Wie wäre es alternativ mit "Sterbezeichen"?
LGÖ
 

James Blond

Mitglied
Uii,
dankeschön für das dreifache, frühe (und zugleich späte) - Echo auf die Novembervögel!

Ich habe zum Glück einen Tag erwischt, an dem auch das Wetter entsprechend mitspielt; das dunkle, nebelige Wetter mit seinem morbiden Charme der Einsamkeit lässt bereits die ersten Novembervögel schwirren, Volkstrauertag und Totensonntag sind auch nicht mehr fern.

Ohne Zweifel versucht das Gedicht in seinen Trochäen diese trübe Zeit auch mit einer Prise bösen Humors zu nehmen, da bin ich bei anbas. Gegen Tulas "Schadenfreude" möchte ich mich allerdings verwehren, mir behagt dabei die Nähe zu Hass und Häme nicht, die derartiges charakterisieren. Im Gedicht sollte dagegen die Empathie spürbar werden, die hier die Alten in den November begleitet. Kein Spott, nicht Mitleid, sondern Anerkennung steht dabei im Vordergrund.

Ob der Januar tatsächlich schlimmer ist? Für das Überleben gewiss, für die lyrische Psyche wohl eher nicht. Wir sollten abwarten, wie die Dichter sich entscheiden.

Zum "Wasserzeichen", das hier die Zeit setzt, habe ich eine besondere Beziehung. Ich würde es nur ungern entfernen und lieber nicht durch "Sterbezeichen" ersetzen. Es ist mir sehr wichtig, dass in diesem Gedicht trotz der zahlreichen metaphorischen Umschreibungen dennoch vom Tod oder vom Sterben nicht direkt die Rede ist, sondern dass alles allein 'durch die Blume' gesagt wird und vom Leser ausgedeutet werden muss. Das explizite Benennen wäre (übrigens nicht nur) hier der Tod der Lyrik.

Das "Wasserzeichen" hingegen steht im allgemeinen Sprachgebrauch für Authentizität, Bedeutung, Autorität, Verlässlichkeit und Wahrheit. Wörtlich genommen steht es hier zugleich für eine regenreiche, besonders feuchte Zeit. Beides vereint sich zum Bild des Novembers, der dem Jahr sein Wasserzeichen aufdrückt. Für mich wohl die wichtigste Zeile in diesem Gedicht.

Gerne geantwortet.

Liebe Grüße
JB
 

Tula

Mitglied
Hallo James
Die Schadenfreude war so ernst auch nicht gemeint. Nur der böse Humor des Leser-Kritikers ;)
Es ist ein treffliches Novembergedicht, gerade weil es sich von der üblichen Melancholie absetzt.
LG
Tula
 

James Blond

Mitglied
Lieber Tula,

hab Dank für deine Einschätzung.
Ich würde mich hier über schöne Novembergedichte von dir und anderen sehr freuen!

Liebe Grüße
JB
 



 
Oben Unten