Nummer Neun

Klaus K.

Mitglied
Nummer Neun

Nun gut, ich studiere ein Fach, welches nicht nur in universitären Kreisen eher als "soft science" bezeichnet wird. Es geht dabei also nicht um die knallharte Quadratur des Kreises, sondern um mehr oder weniger wichtige anderweitige Erkenntnisse.
Ich bin im siebten Semester, ich werde mich dann nach dem offiziellen Abschluss direkt für die Anfertigung einer Dissertation einreihen.
Mein Professor ist ganz erpicht auf möglichst viele Doktorandinnen und Doktoranden. Da gibt es anscheinend so eine Art inflationären Wettbewerb unter dem sogenannten Lehrkörper, wer die meisten davon aufbieten kann. Aktuell bin ich deshalb bei der Vorbereitung eines dafür in Frage kommenden Themenkomplexes, davon zwar vielleicht nur eines Nebenbereiches, aber umso spannender für mich. Denn der damit zusammenhängende Feldversuch macht richtig Spass!

Ich beschäftige mich dabei mit der Erforschung der gesellschaftspolitischen Relevanz von ad hoc verabredeten und dann daraus eventuell sich ergebenden Zweierbeziehungen und den verifizierbaren Erfolgsquoten. Klartext:
Erstkontakt per Zufall, egal wie und wo, Verabredung, nächstes Treffen dann "live". Darum geht es. Es ist so spannend! Ich sehe wohl recht nett aus, zudem habe ich das richtige Alter.
Die Verabredung eines persönlichen Kontaktes auf neutralem Boden war daher bislang nie ein Problem. Richtig fies von mir ist dabei nur, dass ich überhaupt kein echtes Interesse an einer Beziehung habe. Mich interessierten nur meine Versuchsobjekte, und ob sich bei diesem Ausschnitt aus der Gesamtbevölkerung gegebenenfalls neue wissenschaftliche Ergebnisse ableiten lassen.-

Heute hatte ich die Verabredung mit "Nr.Acht". Die Vorgänger
waren alle von mir interviewt, besser gesagt getestet worden,
um gewisse Verhaltensmuster in einer vergleichbaren sozialen Schicht von Männern im Alter von cirka 30 Jahren zu untersuchen. Selbstverständlich unverheiratete Männer, alle mit einem möglichst identischen Bildungsniveau, alle berufstätig und finanziell unabhängig.

Namen tun nichts zur Sache. Ich hatte ihn abends zufällig kurz kennengelernt, wir hatten uns daraufhin für den nächsten Tag verabredet, und er war sogar pünktlich erschienen. In "Muttis Kuchen - hier mußt du nicht mehr suchen!". Witzig. Ein neuer Mini-Laden, drinnen ein ungestörtes Eckchen im hinteren Bereich, los geht's!
Um es kurz zu machen: Optik, Grösse, Statur, Körperpflege..diese ganzen äusseren Parameter waren ja bereits überprüft, das Alter passte auch. Als Frau hat man dafür von Natur aus den richtigen Blick. Aber darum geht es ja auch gar nicht - hier ein paar Muskeln weniger, da dann ein leichter Bauchansatz....alles nebensächlich, Frau weiß das! Für eine Beziehung zählen ganz andere Dinge, denn nur die sind wichtig.
Die inneren Werte! Der Charakter! Die Bildung! Das "Zuhören-Können"! Also all das an Eigenschaften und Fähigkeiten, was man nicht sehen kann. Die Konsequenz? Forschung tut Not.

Nummer eins bis sieben vorher waren kläglich gescheitert.
Obwohl drei von ihnen sogar richtig smarte Exemplare waren, vergleichbar mit den Darstellern aus einem Serienfilm. Aber alle waren dann bei den unsichtbaren Faktoren durchgefallen, setzen, "sechs"! Die anderen vier letztlich auch, nun also Nr.Acht.

Um es kurz zu machen: Nichts Neues unter der Sonne.
Auch wenn nur maximal 20% der Gesamtbevölkerung Interesse an Fußball haben und dies auch den Sendeanstalten bekannt ist:
Die Dauerberieselung mit den Helden auf dem Rasen ist Programm. So auch bei Nr.Acht. Ich musste das Gespräch gar nicht in diese Richtung steuern, er fing von selber damit an:
Fußball, Grill, Bier. Die Reihenfolge durfte dabei nur im hinteren Bereich changiert werden. Fußball, Bier, Grill. Wehe! Das Wichtigste für ihn überhaupt. 32 Jahre alt, Programmierer in einer Bank. Fußball, darüber konnte er reden wie ein Wasserfall. Zuhören konnte er nicht, wollte er nicht. Dazu "Fachabitur im zweiten Anlauf". Das poppte bei ihm zufällig auf, mit dem Begriff "Gretchenfrage" konnte er dann allerdings überhaupt nichts anfangen.
Über seine restlichen Qualitäten breite ich hier und jetzt den Schleier der Barmherzigkeit. Unter einem Vorwand verabschiedete ich mich. Wie hieß noch gleich ein Lied damals von dieser englischen Band, den Searchers? "Love Potion No.Nine". Bei dem Typ hätte ich auch eine ganze Kiste von dem Zauberwasser trinken können, es hätte überhaupt nichts genützt.

Ernüchternd, ich hatte danach im Prinzip auch keine Lust mehr auf eine Fortsetzung meiner Feldforschung. Aber dann, was soll ich sagen? Volltreffer! Mich hat es voll erwischt! Nummer Neun!

Wir gehen gemeinsam joggen, er macht sofort mit, wann immer ich es will. Er hört mir zu, er unterbricht mich dabei nicht!
Er sitzt neben mir auf dem Sofa, wir schauen uns im Fernsehen an, was ich will. Er ist dabei absolut flexibel, und Fußball interessiert ihn überhaupt nicht, weder irgendwelche Spiele, noch irgendwelche Spieler, noch irgendwelche Kommentatoren! Bier? Kein Interesse. Grill? Braucht er nicht. Er versteht mich einfach perfekt. Manchmal legt er auch seinen Kopf auf meinen Oberschenkel und schaut mich dabei aus verträumten Augen an. Ich bilde mir dabei ein, es ist die reine Sehnsucht. Vielleicht aber auch nur nach "Komm' Carlo, Gassi!"
 



 
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