Nur Epigone (Sonett)

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Walther

Mitglied
Nur Epigone

Ein Träumer bist du – und ein Minnesänger,
Der Weisen summt und weise Lieder singt,
Aus dessen Laute nichts als Wohlklang klingt;
Und doch bist du nur fader Wiedergänger,

Der nicht mit seiner Liebe Worte ringt,
Noch um sie streitet, nächtelang und länger.
Vielmehr bist du begnadeter Verdränger,
Der nicht einmal sich selbst endlich bezwingt

Und, die Kopie des Alten niederringend,
Die eigne Klangwelt schafft, nach vorne drängt,
Das Neue laut bejubelt und bezwingend

Ihr Herz berührt, becirct, in Netzen fängt,
Worin es wiegend tanzt, zu Takten schwingend,
Und unerhörte Worte um sich hängt.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Hallo Walther,

hast Du (zeitlich nah) den Bayreuther Tannhäuser gesehen?

Dein Sonett könnte fast den oft verkannten Wartburg-Wolfram als Lyrdu haben - (obwohl der weder als realer Epensänger noch als meditativ-glühender Venus-Fan bei Richard Wagner irgendwas von Epigonalität an sich hat).

grusz, hansz
 

Walther

Mitglied
Hallo Hansz,
danke fürs kommentieren dieses bisher unbesehenen texts. wir alle sind natürlich immer ein wenig "epigonal" (oder auch ein wenig mehr). die kunst ist wohl, sich dessen bewußt zu sein und einen kleinen schritt darüber hinaus zu kommen.
bei dieser reflexion entstand dann auf einmal dieses durch und durch hybride sonett. es ist nicht, was es scheint, es ist epigonal, aber eben auch nicht.
wie sagte ein freund kürzlich, al er es las: ein typischer Walther. nichts ist, wie es auf den ersten blick aussieht, nichts ist ernst und doch alles ernst gemeint. oder eben vice versa.
lg W.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Immer besser, Walther,

immer besser beim Wiederlesen!

Dankeschön für die Erläuterung. Sie widerlegt die häufige These, Gedichte müßten ohne Autoren-Selbstkommentar funktionieren. Aber auch sonst haben mir schon oft Gedanken von Komponisten, Dichtern oder Malern zu ihrem Werk ganze Dimensionen zu den Oberflächen hinzugegeben, eine ungeahnte Sinn-Räumlichkeit.

Das ist die Entwicklung, die in den "unerhörten Worten" gipfelt: die raffiniert eingeleitet wird über die Negation im Relativsatz und dann die Vielmehr-Steigerung im zweiten Quartett. Die innere Überwindung des Lyrdu wird vorgezeichnet, und zugleich in der Formulierung vollzogen.
So daß dann die bis zum Schluß fortgesetzte Negation in Wirklichkeit die verborgene "bessere Seite" des Wortkünstlers evoziert, hervorruft, selbstbezüglich ausformuliert.

So gesehen wäre die Antwort auf meine Frage, ob das den Wolfram des zweiten und dritten Tannhäuserakts trifft, ein Ja. Im zweiten Akt: zuerst ein begnadeter Verdränger, steigert er sich in seiner Antwort auf Tannäusers Einwurf, in dem letzten Lied vor dem Venuspreisgesang des verrückten Künstlers, zu einem mit Frömmigkeit bezaubernden Melodiker mit gotisch-edler Botschaft. Nach ihm die Revolution: der Renaissance-Durchbruch eines sinnenfrohen Heidentums (Tannhäusers Venuspreis).
Im dritten Akt dann das Abendsternlied Wolframs, an Venus erstaunlicherweise, christlich sehnsüchtig, ekstatisch. Mit unglaublichen Tonartwechseln (Modulationen) schon bei den kleinschrittigen Motivsequenzen, quintenzirkel-kreisende Steigerungen.

Ich schätze es immer höher, dieses Sonett, vom Lesen zum Wiederlesen,

grusz, hansz
 

Walther

Mitglied
Hallo Hansz,

danke für deine überlegungen. das sonett hat nichts mit Wagner zu tun, der in der tat sehr epigonal ist (aber eben auch mehr und das nicht immer positiv). sein gewaltiges schaffen will ich nicht kritisieren noch bewerten. mir ist er, das gebe ich zu, zu bombastisch. ich habs gern eine nummer leiser.

es freut mich, daß dir der text etwas sagt und gibt. dazu schreibt man ja, nicht wahr?

lg W.


PS.: dir vielen danke für deine bewertung, Willibald, ich weiß das zu schätzen.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

ja, so sollte es sein, dass man aus sich selbst schöpft und quasi sich selbst als ein Gedicht hinstellt.

Das hast Du auf Deine einzigartige Weise wunderbar deutlich gemacht und in der letzten Strophe gefällt mir der Klang, die Melodie ganz besonders gut.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
hat nichts mit Wagner zu tun, der in der tat sehr epigonal ist
Ich vermute, lieber Walther, Du hast Dich arg verschrieben, denn der Relativsatz ist derartig falsch, daß sein Gegenteil uneingeschränkt wahr ist. Wagner ist hochoriginell, ein Grenzenüberschreiter, ein Gegendenstrichbürster. Ziemlich frech, niemals nachahmend (es sei denn zum Spott, aber auch dann ist das Persiflierte sorgfältig durchgestaltet).
Und seine Musik ist überaus feinsinnig und intelligent.

Der "Tannhäuser" ist übrigens weitgehend lyrisch, zurückhaltend und melodiös.

(Es geht um einen Dichterwettstreit, Thema: "Das Wesen der Liebe".
Einer der dort vortragenden Dichter heißt Walther.
Aber das nur nebenher, in Klammern, zum schnellen Vergessen.)

Nichts für ungut,
grusz, hansz
 

Walther

Mitglied
Lb Vera-Lena,

danke vielmals!

manchmal schafft es die muse, daß der topf überläuft und ein paar worte übrigläßt, die man zu einen text formen kann. das klappt nicht immer - und gerade seltener, da ich viel prosa schreibe (mehrere kurzgeschichten, eine novelle, deren fortsetzung sich gerade im kopf formt). und dann habe ich eine dicke webseite vor mir, die mich den August über in atem halten wird - vor der doppelausgabe zugetextet.com abgesehen.

lg W.
 

Walther

Mitglied
lieber hansz,
danke für die tiefsinnige aufklärung, der ich nicht in allen punkten folgen mag. ich habe einiges an Wagner gehört und auch besprechungen gelesen. er spaltet die, die ihn gehört haben, in mindenstens zwei lager.
ich bleibe auf dem boden und messe mich nicht mit ihm. meine versuche sind weder epigonal noch epochal. Wagner ist beides, daran lassen selbst seine kritiker meist keinen zweifel.
in diesem sinne verstehe bitte meine zurückhaltung. sie fließt aus der erkenntnis, besser bei seinen leisten zu bleiben und dort das beste zu schreiben, das in einem steckt.
lg W.
 

Kaetzchen

Mitglied
Hallo Walther
Ein sehr klangvolles Gedicht, welches ich immer wieder wie ein Lieblingslied wiederholen muß, um es zu genießen.
Ein wenig stolpere ich rhythmisch über die Zeile: - der nicht einmal sich selbst endlich bezwingt -
Und - Wohlklang klingt - finde ich gedoppelt.
Aber sonst ein schönes Gedicht.
LG
Kaetzchen
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Interessant, Kaetzchen,

was Du hier schreibst. Mir als Immerwiederleser dieses Lieds sind auch besonders diese beiden Stellen aufgefallen.

Und ich glaube zu sehen, was Walther dazu bewogen hat, sie so zu lassen, wie sie da stehen, obwohl er ganz gewiß selbst sich deren Aufmerksamkeit-Schwere bewußt ist.

"Wohlklang klingt" erinnert an die Onomatopoesie "Klingklang"; das (altgriechische) Stilmittel der figura etymologica - gleicher Wortstamm, aber mit leichter Variation - ist im Deutschen selten, weil Wiederholungen schon gut begründet sein müssen, um nicht schwerfällig zu wirken ("Fiel dem nichts anderes ein?") - die Begründung wäre hier der Anklang an "Klingklang" (jetzt ist es mir selbst passiert ...)

Der nicht einmal sich selbst endlich bezwingt
- die Konsonantenhäufungen si[blue]ch s[/blue]e[blue]lbst[/blue] und unmittelbar folgend die iambische Umbiegung eines trochäischen Wortes: "endl[blue]í[/blue]ch".
Ich hatte und habe das Gefühl, daß diese Steine im Weg den Inhalt wiederspiegeln sollen, die Mühe der Selbstbezwingung. Das metrisch haltlos schwebende "endlich" auf der Bergkuppe des Sisyphos, die Gefahr, daß es runterkippt, runtergezogen vom trochäischen Zurückrucksack bei iambischem Vorwärtsschritt, aber dann der metrisch bestätigende Iambus des "bezwingt": geschafft!

grusz, hansz
 

Walther

Mitglied
Hi Kätzchen,

danke vielmals. Hanzz hat bereits den hinweis gegeben, daß diese formulierung "absichtlich" gewählt sind. ich möchte das auch ausnahmsweise begründen, weil das sonett eine sehr stringente gestaltungsidee verfolgt.

zu "wohlklang klingt": einmal ist nicht alles, was klingt, von wohlklang. aber das ist eine banale anmerkung, deren tieferer sind jedoch durch die verwandten vokale klarer wird. das "a" ist ein wohlklngender vokal, positiv gefärbt. das "i" ist eher spitz. bei hoher stimme quietscht und fiept es fast. es kommen sehr viele, nicht unbedeutende verse vor, in den das a und das i bedeutung haben. darüberhinaus ist der vers in seiner gesamtumgebung ein widerspruch in sich.

wir sehen, daß die endreime alle der vokalklasse der vokale zugehören, die wir nicht als "angenehm" empfinden. auch das "ä", obgleich aus dem "a" abgeleitet, ist ein eher unruhig machender vokal; in allen wörtern wechselt mit der bedeutung auch die klangfarbe dieses "ä".

zu s2v4: warum habe ich die "normale" satzmelodie stehen gelassen und nicht invertiert, damt der jambus aufgeht? dafür gibt es zwei gründe. zum einen bin ich der auffassung, daß man dem natürlich sprachfluß den vorrang geben sollte, wenn das versmaß nicht über gebühr gestört wird. das ist hier der fall. und jetzt der wichtigere grund: eine umstellung führte zu einer bedeutungsveränderung. das "endlich" ist exklamatorisch zu verstehen. daher muß es an diesem platz stehen, denn sonst träte es seine position an das "selbst" ab, und das kann aus dem sinn heraus nicht gewollt sein.
die frage, die sich stellt, ist: wie lese ich das laut? auch dafür gibt es eine antwort: ich lese hinter dem "endlich" eine ausrufezeichen, ich verstärke also die exklamation. einfach mal ausprobieren, das sollte m.e. funktionieren.

ich hoffe, meine gedanken werden nachvollziehbar. danke dir für deine geduld!

lg W.
 

Walther

Mitglied
Hi Hansz,

in meiner erläuterung an Kätzchen stehen die meisten argumente. die frage, ob dem dichter nicht besseres einfiel, mache ich immer davon abhängig, welche art von gedicht das ist und wie der autor normalerweise schreibt. bei dir frage ich deshalb selten nach und suche vielmehr zu verstehen, wieso du eine formulierung gewählt hast. ich danke dir, daß du das in diesem spiegelbildlich für mich ähnlich auslegst.

in der tat wohnt dem tun des lyrichs ein wenig der Sysiphos inne; das sonett, das seit dem barock die vergeblichkeit im rucksack mit sich durch die gegend trägt, darf durchaus immer einmal wieder dieser schattierung seine referenz erweisen. am ende kommt es bei einem metrenwechsel oder hebungsprall darauf. ob er als stilmittel "überlebt". das tut er hier. und wir gehen ja nicht in den trochäus, aber kurz in den der deutschen sprache durchaus angenehmen daktylus: xXxXxXXxxXx.

danke vielmals für die wunderbare textarbeit bis hierher!

lg W.
 

Kaetzchen

Mitglied
Hi Walther
Danke für deine Mühe, deinen Erklärungen konnte ich folgen.
Aber eine Frage habe ich noch an dich. Wie machst du das, denkst du beim Schreiben des Gedichtes schon an all diese Dinge oder prüfst du das Gedicht hinterher, oder begründest du es im Nachhinein so?
LG
Kaetzchen
 

Walther

Mitglied
Hi Kätzchen,
der prozeß des schreibens läßt alles gleichzeitig geschehen. es kommt darauf an, was zuerst ist: der letzte vers, der anfang oder ein bild. hier waren es die ersten drei verse und eine idee von dem, was gesagt werden sollte. der rest ist dann klang-, sinn-, und spracharbeit. manche texte klappen in einem rutsch - dieser hier hat eine weile gedauert, vor allem, da ich unbedingt die einreimvokale und die sprachfärbung der ersten beiden quartette aufgreifen wollte.
die frage lautet: kommt drauf an. hier waren 11 von 14 verse knallharte planung.
ich gebe ehrlich zu, daß ich diese art von schreiben erst seit cs. 5 bis 7 jahren anwenden kann. das geht nicht, ohne dass man sich der form absolut sicher geworden ist. und das heißt übung und nochmal übung, durch lesen, schreiben, deklamieren.
und daher kann ich das auch nicht in anderen formen - es sei denn dem haiku (und der acht, einer gedichtform, die ich für mich entwickelt habe und die ich gerade immer weiter perfektioniere). denn in diesen fällen fehlte einfach die sicherheit in der form.
lg W.
 

Kaetzchen

Mitglied
Hallo Walther
Vielen Dank für deine ausführlichen Erklärungen. Sie sind für mich sehr interessant. Ich seh schon, ich als Neuling muß noch viel lernen. Aber ich bleibe dran.
LG
Kaetzchen
 

Walther

Mitglied
Hi Kätzchen,
poesieschreiben ist für meisten keine sache, die einfach über sie kommt, sondern wie jedes "handwerk" harte arbeit mit vielen rückschlägen. bei mir hat es jahre gedauert, bis etwas brauchbares hinten rauskam. man muß dranbleiben, nicht aufgeben und ein bißchen an sich glauben. dann klappt das.
lg W.
 



 
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