nur mal eben ein Bier trinken...

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Hagen

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Ich wollte einfach mal ein Bier trinken, ein recht schönes großes, aus einem Glas mit einem Griff an der Seite und einem Häublein Schaum obendrauf. Als Taxifahrer hat man ja sonst seltener als nie die Gelegenheit dazu.
Just als ich aus dem Haus kam, wurde schräg gegenüber ein Taxi frei. Keines von unseren, aber egal. Ich ging hin und kriegte gerade noch mit, wie ein korpulenter Herr der Kreolen-Roswitha an die Wäsche wollte. Das übliche, „Komm, stell’ dich nicht so an“ - „Ihr wollt das doch so.“ - „Sonst würdest du doch nicht nachts...“, weiter kam er nicht. Ich riss die Beifahrertür auf, packte ihn an der Krawatte und riss ihn halb heraus.
„Hat er denn schon bezahlt?“ fragte ich.
„Nein, hat er nicht“, sagte Roswitha mit einem Seufzer der Erleichterung.
„Dann wollen wir doch mal! Wie viel macht’s?“
Ich zog etwas fester. Roswitha löste geistesgegenwärtig seinen Gurt und murmelte: „Achtachtzig.“
„Na, dann wollen wir doch mal!“, wiederholte ich.
Ich ließ etwas lockerer. Das hätte ich besser nicht tun sollen, denn er kam blitzartig raus, richtete sich auf und ging mir an den Hals.
„Was willst du Penner von mir?“
Sein Kopf ruckte vor, ich konnte gerade noch ausweichen, er traf mich an der Schulter. Der Schlag hätte meine Nase zertrümmert. Mit einem Ruck machte ich mich frei und holte zu einem Schlag in die Magengegend aus, aber da bekam er von Roswitha eine Ladung Reizgas in die Fresse.
Roswitha hatte noch die Dose in der Hand und knallte sie ihm ans Kinn. Der Mann japste und sank in die Knie.
„Los, weg hier! Scheiß auf die Achtachtzig!“
Ich wollte gerade noch einen nachsetzen, sicherheitshalber, aber Roswitha schubste mich in ihr Taxi. Ich ließ mich in den Sitz fallen, mir kamen auch die Tränen. Der Mann richtete sich langsam auf. Roswitha kam rum, warf sich ins Taxi, knallte die Tür zu und drückte die Knöpfe runter.
„Verdammtes Arschloch! Warum hab ich Schaf das Gas bloß im Handschuhfach gelassen?“
Sie tastete nach ihren Kreolen, überprüfte deren Sitz und nickte zufrieden.
Der Mann draußen rackelte an der Tür und drosch mit der Faust aufs Dach. Roswitha zeigte ihm den erhobenen Mittelfinger und fuhr los.
„Blödes Arschloch! Morgen weiß der wieder von gar nichts, so besoffen wie der ist! Manchmal könnte ich die Kerle kreuzweise...“
„Mich auch?“
„Dich nicht!“
Roswitha schenkte mir ein mildes Lächeln.
Das Funkgerät meldete sich. Roswitha wurde zur Bierschwemme beordert. Sie bestätigte und trat etwas fester aufs Gas.
„Ach, so“, sagte sie, „dank’ Dir. Kann ich dich noch schnell irgendwo hin fahren?“
Sie war erstaunlich cool, die Kreolen-Roswitha.
„Nix zu danken. Ich hab’ zu danken. Ich glaube du wärst auch so mit dem fertig geworden.“
„Na, ich weiß nicht. Jeder andere hätte weg geguckt. Was für ein Zufall, dass du gerade da warst.“
„Zufall gibt es nicht! Vielleicht sollte es so sein. Auf alle Fälle hast du einen bei mir gut. Ich hab’ morgen auch noch frei. Darf ich dich vielleicht zum Essen einladen?“
„Morgen muss ich leider fahren, aber das können wir ja später mal machen. Ich nehme dich beim Wort! - Wo soll ich dich denn jetzt hin bringen?“
„Bierschwemme ist schon recht.“
„Nee, nicht?“
„Ach Roswitha, dann brauchst du keinen Umweg zu machen und deinen Kunden nicht warten zu lassen.“
„Na, wenn du meinst.“
Sie sah mich an, und ihr Blick sagte mir, dass sie mich in derartigen Lokalitäten nicht suchen würde, sollte sie mich irgendwie vermissen, was ich für äußerst unwahrscheinlich hielt.
Ich war nur etwas verblüfft, als ich meinen Boss in der Bierschwemme antraf. Er zeigte sich auch etwas verwundert, gab mir trotzdem ein Bier aus, ein recht schönes großes, und wir unterhielten uns ein Wenig über die Taxiszene. War eigentlich nix los sonst, bis einige seriös wirkende Herren - träfe man sie in der Öffentlichkeit - rein kamen und stracks im Hinterzimmer verschwanden. Mein Boss bestellte mir noch ein Bier und folgte ihnen. Offensichtlich lief da eine Zockerrunde. Ich hätte es mir schön vorgestellt, mitzumachen und meinen Boss abzuzocken; - aber dazu war ich nicht seriös genug, zudem gebrach es mir an Startkapital.
Das Bier, welches mir alsbald gebracht wurde, schmeckte auch nicht so recht. Ich hatte es mir so schön vorgestellt, mal wieder an der Theke zu sitzen und mit sympathischen Herren alle Probleme dieser Welt zu lösen, oder darüber zu diskutieren, was es eigentlich alles soll. Statt dessen saßen nur einige Scheintote an der Theke, die sich über irgendwas mit schwimmendem Estrich unterhielten.
Nach zwei, drei Schlucken, ich hatte gerade wieder das Glas angesetzt, kam Rudi entlang und fragte mich, ob ich ihm mal schnell helfen würde, ein Bett hoch tragen.
Rudi leistet seinen Zivildienst im Krankenhaus ab, an der Pforte, was ihm irgendwie stinkt, denn er hat irgendwas mit Krankenpflege gelernt. Wir hatten uns mal bei Andrea kennen gelernt und kurz andiskutiert, woran es liegt, dass jede Frau ihren Mann alle fünf Minuten fragt, ob er sie noch lieb hat. Sagt er „Ja!“ folgt eine stundenlange Diskussion darüber, warum er das nie von sich aus sagt. Sagt er nur zum Spaß „Nein“, glaubt sie ihm sofort und ist fortan nur noch mit kostenintensiven Geschenken zu versöhnen. Irgendwie waren wir, bevor der Vollrausch eingetreten war, zu keinem sinnvollen Ergebnis gekommen.
„Wir trinken anschließend ein Bier zusammen“, sagte Rudi, als ich nicht ruckartig und voller Begeisterung reagierte.
„Kein Problem!“ Ich wischte mir den Schaum vom Mund und stand auf.
Ein paar Häuser weiter stand Rudis Golf, er hatte auf abenteuerliche Manier ein französisches Bett darauf befestigt; - mit einer Wäscheleine und etlichen Metern Klebestreifen.
„Da muss es hin!“ Rudis Zeigefinger richtete sich auf das oberste Stockwerk des Hauses gegenüber, „schaffen wir das alleine?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er die Knoten der Wäscheleine und den Klebestreifen zu lösen. Wir asteten das Bett vom Auto und zur Haustür. Dort besprach Rudi über die Türsprechanlage mit seiner Frau, dass sie, sollte das Licht im Treppenhaus aus gehen, mal schnell aufs Knöpfchen drücken sollte, um das Licht wieder anzumachen. Das versprach sie, und wir trugen das Bett ächzend bis zum zweiten Treppenabsatz, und dann ging das Licht aus. Es blieb dunkel. Absetzen war nicht, denn das Bett hing halb über dem Geländer, vor oder zurück ging auch nicht, denn es standen überall Blumenkübel rum, und überhaupt war es sehr eng und dunkel.
Rudi schrie sich die Kehle aus dem Hals, aber es blieb trotzdem stockfinster bis schließlich irgendwo eine Frauenstimme mit grimmigem Unterton fragte, was denn der verdammte Krach zu nächtlicher Stunde im Treppenhaus sollte, und ob wir betrunken seien. Dauerte eine Weile, bis die gute Frau begriffen hatte, dass wir nicht randalierten, sondern lediglich etwas Licht brauchten um das Bett hoch zu tragen. Sie machte es uns an, wir trugen weiter, und als wir bei Rudis Wohnungstür angekommen waren, war diese zu. Da Rudi unten trug, er das Bett in Balance hielt, und es wegen der Enge für ihn unmöglich war, am Bett vorbei zu kommen, klopfte ich an die Tür. Diese wurde daraufhin einen Spalt breit geöffnet, soviel, wie die Sicherheitskette frei gab, und die Frau hinter dem Spalt fragte, warum das denn so lange gedauert hatte.
Rudi fluchte und japste, dass er das Scheißbett nicht mehr lange würde halten können, und dann kam noch eine Frau entlang, öffnete die Tür ganz und wollte von mir wissen, warum denn oben links so komische Flecken wären. Das konnte ich ihr nicht sagen, aber sie dazu bewegen, zur Seite zu treten. Damit war der Weg frei, das Bett schräg in den Flur und halb ins Badezimmer zu wuchten, was wir auch taten. Rudi keuchte, und ich erklärte den beiden Frauen, ebenfalls keuchend, dass wir beabsichtigten, das Bett nach einer weiteren halben Drehung zur anderen Seite, ins zu Schlafzimmer tragen.
„Das“, japste Rudi, „ist allerdings nur möglich, wenn wir mal eben das Kopfteil abschrauben, weil es hier so verdammt eng ist.“
Er ging los, in den Keller, seinen Akkuschrauber holen. Ich dampfte mir nichtsahnend eine Zigarette an. Das hätte ich besser nicht tun sollen, denn die Damen erklärten mir, dass Rauchen ungesund ist, und kein Wunder, dass ich nach so einem Bisschen Tragen so schnaufen würde, wenn ich dauernd den Tabaksqualm in den Lungen hätte. Dauerte eine Weile, die Belehrung, bis Rudi wieder kam und fürchterlich fluchte, weil der Akku leer war. Er hatte ihn gestern vorsorglich in den Lader gesteckt und fragte seine Frau, warum sie den Stecker wieder raus gezogen hatte. Die war der Ansicht, dass er ihn ja hätte wieder rein stecken können, sie wusste ja nicht, wofür der war, er hätte ja was sagen können, und überhaupt hätte er sich die letzte Stromrechnung mal genau ansehen sollen.
Während ich das Kopfteil mit einem konventionellen Schraubendreher abschraubte, diskutierte Rudi die Nummer mit den Energiekosten durch; - Akkuschrauber gegen Geschirrspüler, der permanent lief, obwohl kaum Geschirr anfiel. Bevor die Sache geklärt war, trugen wir das Bett ins Schlafzimmer, schraubten das Kopfteil wieder an und schoben es an die Wand.
Für mich war die Sache damit durch; - jedoch nicht für Rudi. Der hatte noch die Flecken oben links zu verantworten, und dass das Bett doch nicht so wirkte, wie es sich seine Frau vorgestellt hatte, und Tai-Chi – mäßig müsste es an der anderen Wand stehen und ob wir mal eben…
Rudi meinte, dass der Schrank das verhindern würde.
Dann müsste der Schrank eben auch, und so weiter, ich trank noch zwei Bier in der Bierschwemme, rauchte noch zwei Zigaretten und machte mir Vorwürfe, dass ich Rudi nicht unterstützt hatte; - gegen zwei Frauen, aber da hatten selbst zwölf Männer keine Chance. Ich war ihm nicht böse, dass er nicht zu mir kam, um ein Bier mit mir zu trinken.
Vielleicht weihte er das neue Bett ein; - vielleicht sogar mit zwei Frauen...
Ich gönnte es ihm.
Auf dem Rückweg nahm ich die Abkürzung über die Gleise. Ist zwar verboten, aber das war mir egal, so besoffen, dass ich einen Zug nicht rechtzeitig bemerkt hätte, war ich noch nicht, wäre es aber gerne gewesen, aber wer hätte im Fall des Falls für Anna-Karenina die Dosen geöffnet?
Die fragte mich, als ich heim kam und sie meiner ansichtig wurde, ob der Schöpfer nicht irgendeine Alternative gehabt hatte, als er das Universum erschuf.

Irgendwie machte sich in mir das Gefühl breit weit weg zu sein von dem, was man gemeinhin einen Helden nennt.
 
I

Inky

Gast
DAS finde ich richtig, richtig gut, Hagen!
Weil das Leben eben die ganz originelle Dramaturgie für uns bereithält. Diese Geschichten sind mir am Allerliebsten.
Schriftsteller sollten über das schreiben, wovon sie am meisten verstehen: Die vielfältigsten Arten, an etwas ganz ernst Gemeintem glorreich zu scheitern...
Es gibt 7 Mio Gedichte über die Liebe - aber keines über den netten Kerl, der uns geholfen hat, die Rauhfasertapete an die schiefen Wände zu kriegen.


DAS machich jetzt mal.

Lieben Gruß, Inky
 

Hagen

Mitglied
Hallo Inky,

bevor ich’s vergesse, ich würde Dir ja gerne helfen, die Tapete an die schiefe Wand zu bringen, und anschließend würden wir ein Bier trinken und eine Pizza essen. Naja, Wunschträume!

Dabei fällt mir die Frau ein, der ich auch schon mal helfen sollte und auch guten Willens war. Sie hat mich genau instruiert was zu machen ist, und dann gesagt: „Ich bin kreativ, ich hänge nachher die Bilder auf.“
Wieso kriege ich eigentlich immer die ‘unkreativen‘ Arbeiten aufgedrückt?
Sie ist dann mit so einem Kerl einen trinken gegangen, nachdem sie außerdem gesagt hat: „Und nicht rauchen, aber das ist ja wohl selbstverständlich!“
Ich hab ihr dann die Wohnung vollgeraucht, und den Kleister angerührt, damit er schön hart ist, wenn sie wiederkommt.

Die Frau habe ich nie wieder gesehen; - obwohl sie sehr gut aussah… hm, wäre wohl auch eine Story wert, denn Du hast recht, ein Schriftsteller sollte über das schreiben, wovon er was versteht; - das bedeutet:
Wer siegen will, muss erst mal verlieren lernen!
Bas wiederum passiert mir laufend beim Billard…

In diesem Sinne
Yours Hagen

________
nichte endet wie geplant!
 



 
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