O du fröhliche

Alegra

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Auf der Couch der weichen und vertrauten Sofaecke unseres Wohnzimmers nimmt meine Haltung eine eigenwillige Schräglage an. Noch fester schlinge ich die weiche Kuscheldecke um meinen Körper und stopfe noch ein zusätzliches Kissen unter den bleischweren Kopf. Allein Nase und rechte Hand lugen verstohlen hervor, wobei ich auf letzterer die Fernbedienung meiner ewig geliebten Glotze jongliere. Vor meiner Nase versinkt gerade das römische Reich, während Stephen Boyd in einer viel zu kurzen Toga die perfekt frisierte Schönheit gen Sonnenuntergang davon trägt. Angesichts dessen entweicht mir ein kläglicher Seufzer, blieb mir doch der heldenhafte Römer auf dem Schlachtross bis dato versagt. Nun denn, in einer Stunde beginnt Ben Hur und derweil gedenke ich weiterhin der Faulheit zu frönen. Schließlich ist Weihnachten, eine, wie ich finde, recht unzulängliche Umschreibung für Sandalenschinken, Räucherkerzen, Plätzchen und jede Menge Geschenke. Das bedeutet indes auch, daß die Küche für mich Sperrzone ist, aus welcher im Moment diverses Geklapper und Gefluche zu mir herüber dringt. Auf Grund meines uneingeschränkten Vertrauens in die kochkünstlerischen Fähigkeiten meiner Mutter sehe ich davon ab mich ihr mit scheinheiligen Hilfsangeboten aufzudrängen, weis ich doch, daß sie das wirklich gerne macht. Vielmehr interessiert mich doch in diesem Moment das unförmige, nach kaltem Wald duftende Etwas, daß durch die Tür kommt und polternd mein Vormittagsprogramm unterbricht. Unter enormer Anstrengung verrenke ich meinen Hals, in der Hoffnung etwas von der Szene an der Tür zu erspähen. Dort offeriert sich mir das Bild einer prachtvollen Blautanne, die ihre mißliche Lage angesichts eines zu engen Türrahmens mit wüsten Kraftausdrücken quittiert, daß selbst mir die Ohren glühen. In dem fruchtlosen Bestreben dereinst als schöner Baum in unserem Wohnzimmer zu leuchten quetscht sich die Tanne tapfer Zentimeter für Zentimeter ihrem Ziel entgegen, wobei sie einiges an Geäst einbüßt, daß knackend und krachend an der nun festlich begrünten Tür zurückbleibt. Bei mir ruft dieses Schauspiel einiges an Heiterkeit hervor und ich kichere in meine Wolldecke wonach mich der Baum beleidigt anzufunkeln scheint. Schnaufend schiebt er sich übers Parkett daß, der Tür sehr ähnlich, ebenfalls seinen Tribut an die Nadeln fordert. Mehr oder weniger elegant und unter diversen anderen jugendfeindlichen Äußerungen pfropft sich das Bäumlein schließlich in einen gefährlich schwankenden Ständer, der seine Stützen in unseren teuren türkischen Teppich gräbt. Hinter dem, nun recht lichten, Geäst erscheint wie von Zauberhand ein murmelnder Blondschopf der sich - nicht gerade freundlich - zu dem Gegenstand seiner Aufmerksamkeit äußert. Mit ausgebeulter Malerhose und Zweiglein im Haar umrundet er nun das gute Stück und ich vermute unter der expressionistisch anmutenden Verkleidung meinen Vater, der stirnrunzelnd die bewußte Tanne hin und her schiebt. Schließlich erblickt er mein traniges Gesicht unter dem Himalaja von Decken und verzieht die Mundwinkel zu einem stolzen Grinsen.
„Ein Prachtstück", meint er bescheiden in meine Richtung, während mir der gemarterte Baum nun irgendwie zweidimensional erscheint. Ein herausfordernder Blick väterlicherseits soll mich jedoch zu einer optimistischeren Bemerkung nötigen. Also schuldbewußtes Nicken von meiner Wenigkeit, fröhliches Gackern aus Richtung Baum und ein schrei des Entsetzens aus dem Mund meiner Mutter, die wie Sherlock Holmes ohne Watson die verräterische Nadelspur auf dem geputzten Boden von der Tür bis vor die Füße meines Vaters verfolgt. Während der folgenden Szene vergrabe ich mich wissentlich in der Couchritze.
Mit roten Wangen baut sie sich schließlich vor dem unschuldigen Baum auf und beginnt diesen, wie einen Blumenstrauß auf der Vitrine, zurecht zu arrangieren, was mit erneutem Nadelfall seitens der Tanne honoriert wird. Ich strecke derweil zögernd meine Zehe unter dem Deckengewühl hervor, bereit mich der Realität außerhalb meiner Couch zu stellen. In Strümpfen und Schlabberhose watschle ich schließlich träge zu meinen Erzeugern hinüber und verkünde froh gelaunt meine Absicht diese Jahr den Baum ganz allein schmücken zu wollen, woraufhin ich mich zwei erschreckend erbleichten Gesichtern gegenüber finde. Nun, gesagt - getan. In bester Festtagslaune räume ich notwendige und überflüssige Utensilien aller Art auf den empfindlichen Eßtisch aus Tropenholz und bedenke das kläglich dreinblickende Weihnachtsbäumchen mit einem huldvollen Lächeln. Zunächst müssen diverse Lichterketten sorgfältig getrennt und entheddert werden, welche nach den entschwundenen Feiertagen das letzte Jahr, achtlos und im Anflug einer Depression, in die entsprechenden Kartons gestopft worden waren. Derselben Prozedur unterziehe ich systematisch Kugelstrippen, Schleifchen, Draht und Lametta und nehme mir, unter Beachtung des beträchtlichen Zeitaufwandes, fest vor dieses Jahr sorgsamer damit umzugehen. In einem Anfall von Übermut schwinge ich schließlich die Lichtlein um den Baum und drapiere um das Ganze überaus kitschigen Schmuck und allerhand Flitterkram. Der Gesamteindruck wird anschließend noch wenig sparsam mit Kunstschnee aus der Dose verkomplettiert. Kurz vor Beendigung dieser schweißtreibenden Arbeit nötigt mich mein labiler Rücken konform mit meinen überaus zarten Füßen dennoch zu einer Pause. Just in diesem Augenblick erscheint meine Oma, aufgestiegen aus des Wohnkellers Tiefen, in unserem Gefilde um mein Werk zu betrachten.
„Du bist aber nicht schon fertig, oder?" lautet ihre unmißverständliche Frage, während sie sich auf dem Sofa niedersetzt und zweifelnd meinen Baum mustert.
„Soviel ist nicht mehr zu tun!" schnappe ich sofort und fühle mich der kritisierten Tanne auf einmal sehr verbunden.
Da meine Stampfer nach wie vor gegen meine aufrechte Haltung protestieren setze ich mich einen Moment und stopfe ein Vanilleplätzchen in meinen fordernden Mund. Im Fernsehen tanzen inzwischen Muppetpuppen zur Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Erfreut stelle ich lauter, doch mein Glück währt nur kurz. Schon kommt mein Vater ins Wohnzimmer gespurtet, richtet seine Antennen aus, verharrt kurz und regungslos. Den Blick hin und her schwenkend nimmt er Witterung auf und stürzt sich schließlich äußerst zielsicher auf die zerwühlte Wuscheldecke unter welcher die Fernbedienung begraben liegt, von mir in absoluter Sicherheit gewähnt. Brummig betrachtet er mein Programm.
„Was ist das denn für ein Blödsinn!?" nörgelt er stirnrunzelnd, während Kermit, der Frosch, herzzerreißend ‘Friede allen Menschen’ singt. Ich erwidere eine bissige Bemerkung, die, auf Grund meines mit Vanilleplätzchen gefüllten Mundes, deutlich an Schärfe verliert und wobei sich ein staubiger Puderzuckerregen aus selbigem sorgfältig über das Sofa verteilt.
„Wenn ich das deiner Mutter sage...", droht er mir im Bariton und aus zusammengekniffenen Augen. Doch ein Zucken seiner Mundwinkel verrät seinen Spaß an dieser unerwarteten Repressalie die ihn im gegenwärtigen Duell um das Fernsehprogramm deutlich im Vorteil sein läßt. Nun, so kommt es, wie es immer kam. Ich schmeiße ein Kissen, er schmeißt ein Kissen, ich schmeiße ein Kissen...und treffe natürlich daneben. Besagtes ändert die erhoffte Flugbahn und kollidiert, praktisch ungebremst, mit der halb geschmückten Tanne, die sich wie in Zeitlupe gen Fenster neigt. Der Schreck ist groß, der Schaden nicht minder. Ich schreie, dann schreit er, erregtes Gestikulieren und Gerangel, Kekskrümel und Oma hüpfen auf dem Sofapolster auf und ab.
„Hört auf euch zu streiten!" brüllt es aus der Küche. Wir halten inne, horchend, wartend, jegliche Bemerkung hinunterschluckend. Ich will aufgeben, er streckt die Zunge raus, ich bin wütend, provoziert natürlich, fische das Kissen aus dem so hingebungsvoll geschmückten Baum und pfeffere es Richtung meines Vaters dessen schadenfrohes Grinsen damit verfliegt. Er brüllt, ich brülle, meine Mutter brüllt auch.
„Ein bißchen wenig Lametta", wirft meine Oma zögernd ein, um Schlichtung bemüht. Ich bekomme erneut ein Kissen gegen den Kopf. Volle Breitseite. Nun füge ich meinem Repertoire an Verteidigungsmaßnahmen noch entrüstetes Kreischen hinzu und arbeite mich so zur Fernbedienung vor.
„Könnt ihr nicht friedlich sein?" fleht meine Mutter inzwischen. Ihre Unterlippe bebt bedrohlich. Wir kennen das schon, halten erneut inne, auf Fernbedienung und Mama gleichzeitig schielend. Als sie sich schniefend umdreht reagiere ich zuerst, schnappe mir die begehrte Schaltratur und sprinte um den Tisch. Meine Oma ist nun deutlich bleicher.
„Laß gut sein", versucht sie es erneut, an mich gewandt. Ihr Blick bedeutet mir: Laß lieber deinen Vater gewinnen! Aber das kommt nicht in Frage. Natürlich ist er stärker, doch ich kann wimmern, was erneut meine Mutter auf den Plan rufen würde und was zu vermeiden er sich redlich bemüht. Also versucht er mir das Teil zu entwinden und gleichzeitig vorsichtig zu sein. So geht es hin und her, wir schieben, rutschen, drängeln, er schubst, ich falle, er hält meinen Kragen, ich winde mich... und schlage der Länge nach mit rudernden Armen in den Weihnachtsbaum, der damit endgültig gefällt ist. Knacken, krachen, Scherben, Kunstschnee, alles fliegt um mich her, Putz bröckelt und der Eßtisch ratscht in jammerndem Ton übers Parkett. Mein Vater will sauer sein, muß aber losprusten, meine Oma stürzt davon als würde hinter ihr der Vesuv ausbrechen. Ich finde mich wieder, liegend, in abstrakter Position wie ein Männlein im Walde, halb lachend, halb heulend, beherrsche mich nur angesichts der Verzweiflung meiner Mutter, die, ein Geschirrtuch haltend, mit starrer Miene vor der Bescherung steht und aussieht, als hätte sie mir selbiges am liebsten über den Kopf gezogen. Seufzend blicke ich zur Decke und denke, daß es nirgendwo schöner ist als zu Hause, dort, wo man sich in den Weihnachtsferien noch ausleben kann zwischen Apfelkuchen und Glühwein, Gans und Vanilleplätzchen, zwischen Couch und Bett und dort, wo Ben Hur alle Jahre wieder durch die Wohnstube reitet.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe. deine geschichte finde ich rührend. etwas zu lang zwar, aber unterhaltsam. über zwei worte bin ich allerdings gestolpert: verkomplettiert und schaltratur. ersteres gibt es meiner meinung nach nicht und das zweite ist wohl euer privatwort für fernbedienung? sehr witzig! ganz lieb grüßt
 

gladiator

Mitglied
Hallo Alegra

Lustiger Text, hier meine Anmerkungen.

1. Zeichensetzung ist so chaotisch wie das geschilderte Erlebnis :D.

2. wobei ich auf letzterer die Fernbedienung meiner ewig geliebten Glotze jongliere. - unendlich finde ich besser als ewig...

3. . Das bedeutet indes auch, daß die Küche für mich Sperrzone ist, aus welcher im Moment diverses Geklapper und Gefluche zu mir herüber dringt. - Relativsatz falsch gesetzt, muß hinter "Küche".

4. vermute unter der expressionistisch anmutenden Verkleidung meinen Vater - Was ist eine expressionistische Verkleidung?

5. schrei des Entsetzens aus dem Mund meiner Mutter, die wie Sherlock Holmes ohne Watson die verräterische Nadelspur auf dem geputzten Boden von der Tür bis vor die Füße meines Vaters verfolgt. - Eher Watson ohne Holmes, weil die Spur doch so deutlich ist, daß sie auch der gute Watson findet. Holmes hätte eine Nadel gereicht...

Gruß
Gladiator
 

Alegra

Mitglied
Ist O.K. Fundierte Anmerkungen. Obwohl ich mir nicht ganz schlüssig bin wie der Satz nach der Änderung (siehe Punkt 3) klingen soll. Für mich sieht das ganz richtig aus. 'Expressionistische Kleidung'...nun ja...schau dir mal ein Werk des Expressionismus an und übertrage die Attribute dann auf den Protagonisten. Alles interpretationssache.
Außerdem: Watson ist klein und schmächtig, was figürlich mehr für Sherlock spricht. Außerdem war die Strenge seines Blickes einfach prädistiniert für meine Figur.
Das 'unendlich' nehm ich mir an. Danke sehr.
Grüße, Alegra.
 

gladiator

Mitglied
Hallo Alegra

zu 3. Der Satz müßte meiner Meinung nach lauten: "Das bedeutet indes auch, daß die Küche, aus welcher im Moment diverses Geklapper und Gefluche zu mir herüber dringt, für mich Sperrzone ist.

Gruß
Gladiator
 



 
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