O du schnoldes Sankristânien!

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O du schnoldes Sankristânien!

Rolf-Peter Wille


Warum in der Stube schnocken?
Weite deinen Geist, mein Kind!
Komm, ich mach mich auf die Socken,
Greife meinen Stock geschwind.

Reise rasch nach Sankristânien,
Will die frischen Lanien schnuppern,
Wandeln unter den Kastanien
Und am Summovare schlubbern.

Denke meiner Seel zu frieden,
Dünke mich im Paradeis.
Nur der Poesie zu schmieden
Sei mein heiliges Geleis.

Ach, wie arg ist mein Verzachen!
Niemals hätt es mir geschwant.
Unter Lanien blummern Rachen,
Schwitz geschweift und blut gezahnt.

Und am Grab von Nosfurater
Weht der wilde Wandolei
Schmerzgewallet wie ein Pater
Aus der schmären Sangristei.

Und es schlattern all die Fläuse,
Schliff gesimmt im flugsen Flor.
Schrauelig durch die Kartäuse
Siriliert ihr Sabbachor.

O du schnoldes Sankristânien!
Hätt ich dich doch nie bereist!
Lebet wohl, ihr holden Lanien!
Lebe wohl, poëtscher Geist!

Wozu in die Ferne schweilen?
Treue stets dem trauten Häum.
Ja, hier darfst du dich vertreilen,
Selig und in sachter Säum.
 

La Luna

Mitglied
Was relativ harmlos beginnt, verbuchselt sich endlich, jodech ohne zu verzwacken. Klasse!


meint...
Julia
 

Inu

Mitglied
Hallo Rolf Peter

Ich mag dieses Gedicht. Laut gelesen klingt es grandios und ist trotz seiner skurrilen Fantasiewörter erstaunlich verständlich.

Sankristânien 10 points

Liebe Grüße
Inu
 

San Martin

Mitglied
Fantastisch! Bei "Siriliert ihr Sabbachor" habe ich sogar untypischerweise gelacht. :) Es hat mich bereits am Lesen an Carroll (The Hunting of the Snark und natürlich der Jabberwocky) und auch seltsamerweise an den West-östlichen Divan (wohl wegen des Trochäus und der 2. und 3. Strophe) erinnert.

PS: Ob ich mich einfach mal trauen soll, einen Text einzustellen, der ähnlich mit Wörtern spielt? Jetzt oder nie, scheint mir.
 
Hallo Inu,

es freut mich sehr, dass es Dir in Sankristânien gefaellt. Wirklich interessant finde ich, dass Du Gedichte laut liest (...hoffentlich hat aber kein Nachbar gelauscht... :) ).

Liebe Grüße
Rolf-Peter
 
Vielen Dank, San Martin, besonders fuer das untypische Lachen! :) "Siriliert ihr Sabbachor" ist komischerweise eine Zeile, die ich geaendert habe (urspruenglich "Summerummt ihr Sabberchor").

Ob ich mich einfach mal trauen soll, einen Text einzustellen, der ähnlich mit Wörtern spielt?
Auf jeden Fall! Auf jeden Fall! Aber, wie ich sehe, hast Du bereits ein "Surmeltier" eingestellt. Ich hab's noch nicht gelesen, werde es aber...
 

San Martin

Mitglied
Nicht nur mich, sondern auch eine Freundin, der ich das Gedicht gezeigt habe, fühlte sich an etwas von Goethe erinnert. Ein Wandergedicht vielleicht?
Von dreien, denen ich das Gedicht gezeigt habe, waren drei begeistert.
 

Herr Müller

Mitglied
Ausnahmekünstler

Hallo Rolf Peter,

du wirst einer der wenigen unter uns sein, den man noch in 100 Jahren kennen wird. Leider wirst du und auch ich das nicht mehr überprüfen können. Aber wenn China Taiwan eines Tages besetzen sollte, dann sei dir sicher, dass Herr Müller versuchen wird, China darin zu hindern. Solltest du vorher Taiwan verlassen, dann sage uns bitte Bescheid, damit wir China in Ruhe lassen ;) (Hinweis für den chinesischen Geheimdienst: wir setzen nur Wörter ein)

Henrik
 
Hallo Henrik,


du wirst einer der wenigen unter uns sein, den man noch in 100 Jahren kennen wird.
...oh, oh, immortality,...ich bin wohl schon ein Vampir geworden in Sankristanien... ? ;)

Ja, China ist auch so ein Vampirland heute. Aber keine Angst. Es ist nur Rhetorik (im Moment...)

Liebe Gruesse,
Rolf-Peter
 

fenestra

Mitglied
Hallo, Rolf-Peter,

gut, dass ich mal wieder einem dicken Bewertungsbalken gefolgt bin, denn sonst ist es in einem so großen Forum oft dem Zufall überlassen, welche Werke man entdeckt. Wirklich ein sehr gelungener Text mit etlichen originellen Wortschöpfungen. Fallen sie dir einfach so ein, oder benutzt du irgendein kreativitätsförderndes System, wie Buchstaben- oder Silbentausch? Sakristanien wäre ebenso gut im experimentellen Bereich aufgehoben.

Da z.Z. in Hannover der Kirchentag tobt, dachte ich, dass du ihm diese Hymne gewidmet hast. Dann las ich über deinen Aufenthaltsort, daher liege ich wohl doch falsch. Es würde jedenfalls gut dazu passen. ;)

Viele Grüße
fenestra
 
Hallo fenestra,

Danke fuer's Lesen und Kommentieren!

Komisch..., in Hannover habe ich studiert. Aber das ist schon lange her...

Die Wortschoepfungen fingen hier durch einen Zufall an. Ich schrieb ein Gedicht "Am Samowar" und da schlummert sich ein gewisser Rachman durch alle Strophen, waehrend der Samowar summt. Dann antwortete "Herr Mueller" auf das Gedicht und schrieb: "Man hoert ihn blubbern". Und da fiel mir sofort auf, wie sich dies schoene Wort "blubbern" mit "schlummern" vermischen kann zu Woertern wie "schlubbern" und "blummern". Und das "Summen" kann man ja gleich im Samowar unterbringen. Ich hatte also unmittelbar die Zeile "...am Summoware schlubbern". Dies reizte mein Fernweh, ich sah mich wandeln unter Kastanien, etc. Ich habe allerdings auch oft den "Jabberwocky" von Lewis Carroll gelesen und hatte auch grad mal wieder Murnaus Nosferatu gesehen, und das zog mein Gedicht dann in diese Richtung.

Liebe Gruesse,
Rolf-Peter
 
Danke, fenestra! Ja, bei Portmanteau Woertern und auch grammatischen Verschiebungen, etc., liegt das Symbolische bereits in den Woertern selbst. Die Metaphern muessen nicht erst gebastelt werden, sondern jedes Wort wirkt als Metapher, sozusagen, und man formt frischeren, obgleich fremdartigen, Stoff.

Viele Gruesse,
Rolf-Peter
 

fenestra

Mitglied
bei Portmanteau Woertern und auch grammatischen Verschiebungen, etc., liegt das Symbolische bereits in den Woertern selbst. Die Metaphern muessen nicht erst gebastelt werden
Das interessiert mich jetzt! porte-manteau, franz. Kleiderbügel, Kleiderhaken. Wörtlich Mantelträger. Meinst du das? Also ein ummanteltes Wort? Ein Symbol?

Viele altbekannte Wörter haben einen starken Symbolgehalt, etwa Tiere wie Frosch, Fisch oder Wolf, aber auch Dinge wie der Ring, der Schuh...
Symbol heißt Sinnbild, eine feste Chiffre für einen Inhalt, der oft eher in den Bereich des Abstrakten gehört (Schlüssel = Lösung, Ring = Bindung,...).

Eine Metapher dagegen ist eine bildhafte Übertragung, sie ist nicht festgelegt, wie das Symbol und kann daher vom Dichter stets neu erfunden werden.

Ein neu erfundenes Wort kann also eigentlich nur Metapher, aber nie Symbol sein.

Ich hoffe, ich betreibe hier keine Wortklauberei in deinen Augen.

Da ich im Englischen die Neologismen nicht gut erkennen kann und Nosferatu nicht kenne, hatte ich mich eher entfernt an Oskar Pastior erinnert gefühlt, etwa:

litze latze freilich fräulach
ich liebitze lächerdingse
liebitze Grüße
fenestra
 
Hallo fenestra,

...ja stimmt. Ich schmeisse die Begriffe hier etwas kunterbunt durcheinander, und das ist eher diabolisch (dia-ballein, durcheinander ballern) als symbolisch (sym-ballein, zusammen ballern). Verführt wurde ich durch die Etymologie von "Symbol", diesen Begriff zu verallgemeinern. Die sinnbildliche Bedeutung eines Symbols, die Übertragung vom ursprünlichen konkreteren in den abstrakteren Bereich, ist aber wesensverwandt mit einer metaphorischen Übertragung. Vielleicht könnte man genauer sagen, daß bei einem "Portmanteau", wie auch bei einer Metapher, der symbolische Bezug der urspünglichen Wörter mehr ins Spiel kommt.

Portmanteau wird manchmal als "Koffer-wort" übersetzt. Im Englischen gibt es auch "frankenword" (zusammengesetzt wie Frankenstein). Im Koffer "schnolde" fänden sich "schnöde" und "holde" als mögliche Kleider. Metaphorisch gesehen könnte z.B. "schnöde" die Source sein, die das Target "holde" verfremdete. Oder die "Konzepte" schnöde und holde vermischten sich zu einem neuartigen Charakter, der einen etwas nostalgischen, aber doch leicht schmierig anrüchigen Charm, etwas idyllisch Abstossendes hätte. (Aber das ist nur meine subjektive Interpretation.)

Interessanterweise sind wohl viele Begriffe ursprünglich Portmanteaus. Chinesische Schriftzeichen sind oft Portmanteaus und chinesische Gedichte können so Bezüge schaffen zwischen den Zeichen, die sich nur dem Auge darstellen. Das Zeichen für Heim (jia), z.B., zeigt ein Schwein unter einem Dach.

Hier habe ich nun als Stilübung einmal Symbole verschiedenartig verbastelt. Ich wähle "Herbst" und "Vater" als Symbole für Alter(n) und "Spiegel" als Symbol für Reflektieren, oder Nachdenken:

Diskurs: "Es war herbstlich kühl heute morgen und die Blätter fielen von den Bäumen. Als ich in den Spiegel schaute, glaubte ich, das Gesicht meines Vaters zu erkennen. Bin ich bereits so gealtert? Ich empfand einen jähen Schmerz."

Haiku: "Erster Herbstmorgen. Ich schaue in den Spiegel - das Gesicht meines Vaters."
(Murakami, 1865-1938)

Metaphern: "Die Blätter des Lebens fallen vom Baume. Im Spiegel des Herbstes erblickt mich das Gesicht des Vaters und es zuckt ihm schmerzlich um die Lippen."

Portmanteaus: "Im Schmerbst schon blättr’ich von den Schräumen."

Mit schäumenden und dennoch verträumten Grüssen,
Rolf-Peter
 

fenestra

Mitglied
Im Koffer "schnolde" fänden sich "schnöde" und "holde" als mögliche Kleider.
Das ist wirklich sehr interessant! Ich muss mich unbedingt mal selbst ans lyrische Koffer packen machen!

So wie das chinesische Schriftzeichen 'Haus mit Schwein' 'Heim' meint, gibt es bei uns zwar keine unmittelbaren Bilder, aber doch schöne Wortbilder wie 'Zeitlupe', 'Ziegenmelker' oder 'Windjammer'.

Unaufgeträumte Grüße
fenestra
 
Danke, MDSpinoza! "Rhetorisches Kopfsteinpflaster" ist lustig!

Und Dir, fenestra, eine interessante lyrische Reise und viel Spass beim Kofferpacken!

Liebe Gruesse,
Rolf-Peter
 



 
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