ocean blues

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Tula

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ocean blues

das Blinzeln der Sonne im närrischen Spiel
doch wie klingen Lieder der Meerjungfrauen?

Gesänge, die mystischen Tiefen entsteigen
dem Fischbeinpalast hinter Schleiern aus Tang
unendliche Formen und Farben im Reigen
in Kreisen, ein Opus in Schwebe gebracht

und wenn du hinabsteigst ins Reich der Medusen
begleiten dich Boten, wie Perlmutt ihr Glanz
indes
nicht krillische Wolken, nicht schwärmende Musen
Nein! – lebloser Kot silikonischer Macht

ihr Fluch treibt in alles verschlingenden Netzen
erdrosselten Drachen und Elfen der See
am Riff, das fäkalische Säfte zersetzen
ein Grabfeld als Vorhof der ewigen Nacht

verstummt sind die Lieder der Meerjungfrauen
 

wiesner

Mitglied
Dieser Blues ist ein Klagelied über den Zustand unserer Meere, der so erschreckend ist, dass bereits Riffe fäkalisch zersetzt werden ... sie sind bereits Friedhof, noch ehe man in die ewige Nacht abtaucht.

Ich meine, dass in der 2. Strophe im Reigen ausreichte, so dass in Kreisen entbehrlich wäre. Lückenfüllend wäre wohl 'ein Opus magnum in Schwebe gebracht' denkbar. in Schwebe gebracht übrigens trefflich formuliert, als ob es nicht mehr fassbar wäre ...

Ein souveränes Gedicht unserer Zeit!

Schönen Gruß
Béla
 

Tula

Mitglied
Hallo Béla
Herzlichen Dank für deinen Kommentar und Verbesserungsvorschlag. Dass der Mensch in der Lage ist, selbst die riesigen Ozeane zu verseuchen und zu vermüllen, ist erschreckend und Beispiel-gebend für unser Verhältnis zur Natur insgesamt. Schon vor Jahren las ich unter anderem, dass die größte aller Müllinseln, die über die Weltmeere schaukelt, etwa viermal die Fläche von Deutschland hat. Unvorstellbar!
Zum Vorschlag, den könnte ich so annehmen, obwohl ich eingestehen muss, dass das Gedicht vor wenigen Monaten in einer Wettbewerbsanthologie so wie hier eingestellt veröffentlicht wurde.

Dankend lieben Gruß
Tula
 

fee_reloaded

Mitglied
Ein starker Text, lieber Tula!

Und den Spannungsbogen hast du so großartig konstruiert, dass man ab Mitte Strophe drei vom Schweben in einen Strudel schonungsloser Wahrheit und somit ins Sinken ins Bodenlose gerät. Klasse gemacht und toll geschrieben. Ich fühle mich mit den Meerjungfrauen gemeinsam verflucht und muss erkennen, ich bin Teil des Fluchs zugleich. Sehr eindringlich und sprachlich gekonnt gewoben!

Beeindruckte liebe Grüße,
fee
 

sufnus

Mitglied
Hey Tula,
ja wirklich - Glückwunsch zum Text und zur stattgehabten Anthologisierung desselbigen. Wirklich klasse!
Im Allgemeinen bin ich ja nicht sooo der Fan von (relativ) durchgängig geformten daktylischen Versen ("daktylisch" hier als allgemeiner Oberbegriff für Doppelsenkungs-Metriken im Deutschen; im vorliegenden Fall könnte man viele Zeilen amphibrachisch auffassen), aber dieses Gedicht ist eindeutig eine Ausnahme für meine generell etwas skeptische Einstellung hierzu. Vor allem natürlich die Auflösung des Metrums in der letzten Zeile ist sehr effektvoll und leiht ihr eine Art tonlose Trauer.
LG!
S.
 

Tula

Mitglied
Liebe fee
So ist es leider, wir sind Teil des Fluchs. Wollen wir trotzdem hoffen, dass sie irgendwann wieder Grund zum Singen haben, die Meerjungfrauen.

Dankend lieben Gruß
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo sufnus
Ich glaube, mein letztes dieser Art, also daktylisch ('Dreier-Takt' klänge wohl zu ungebildet) war ein Schmetterlingsflug. Es muss eben zum Inhalt passen und hier, als Blues und Klagelied, trifft es hoffentlich zu.

Dankend lieben Gruß
Tula
 



 
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