odysseus beißt in die frucht vom baum der erkenntnis (sonett)

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
odysseus beißt in die frucht vom baum der erkenntnis


ist es das blanke nichts das ich verlange
sind götter nichts als nichts die pure lüge
nur wunsch der sich erfüllt im lustgefüge
des selbstgezeugten selbst der nackten schlange?

sirenen saugen mich in ihre stimmen
so unbeschreiblich fein wie nichts das nicht ist
und ihr hört nichts wenn nichts so dicht wie licht ist
substanz von schlaf die trance darin wir schwimmen

nein sterben sterben wirst du nicht noch leben
du bist längst tot du hörst die nixen-götter
die masturbierten selbstdurchdrungnen spötter

ich häng im netz ich zuck in den geweben
der flüster-flüche die die spinnen schmettern
ach rettet mich vor feinden freunden rettern
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein schönes paradoxistisches Sonett, welches mit Sprachspielen arbeitet un dabei Grausamkeiten zeigt, die durch die antike Herkunft märchenhaft verspielt wirken. Die Überschrift sagt die Zukunft voraus: Wer vom Baum der Erkkenntnis isst, wird bekanntlich aus dem Paradies verjagt.

Die Vokale wirken hier ebenfalls verstärkend, es ist ein Gedicht, das Sinn und Klang vereint.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, Bernd!
Es hat mich immer fasziniert, wie der "Kluge", der umtriebige Viel-Umgetriebene, sich an den Mast binden läßt, um die gefährlichen Sirenen zu hören. Etwa so wie Ernst Jünger mit seinen Drogenversuchen ("Annäherungen").
"Nackte Schlange" - das hebräische Wort für "nackt" ist dasselbe wie für "klug", deshalb erkennen sich die aufgewachten Menschen in Genesis 3 als nackt.
Die Wortverdopplung "sterben sterben" ist auch aus Genesis 3 entnommen ("sterben sterben werdet ihr nicht").
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
"Sirenen" tauchen gelegentlich in Gedichten von mir auf, am bedenklichsten vielleicht in diesem Odysseus-Sonett hier.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ja, Mimi,

rabenschwarz.
Zugleich aber erlangt der an den Mast gefesselte Odysseus Erkenntnis, Tiefschwarze Erkenntnis, aber eine Erfahrung, die er den munter drauflossegelnden Matrosen mit ihren wachsverstopften Ohren voraus hat. Er kann über alle Feinheit der Spinnengewebe hinaus ins Nichts hinein hören. Fein wie Licht. Und offensichtlich sind auch in dieser Spinnerei die Stimmen der Sirenen noch verführerisch.

grusz, hansz

P.S.:
"Sirenen" sind auch Titel und Anfang in dem Sonettenkranz, den ich vor ein paar Monaten in der Lelu über die Tür gehängt habe:

 

James Blond

Mitglied
Wer die Ohren spitzt, zu lauschen,
hört es meist nur lauter rauschen ...


Wollte Odysseus dem Sirenengesang tatsächlich nur lauschen, um "über alle Feinheit der Spinnengewebe hinaus ins Nichts hinein hören" ? Mir scheint das philosophisch etwas weit ausgeholt.

Ich denke, es gab dafür naheliegendere Gründe: Die menschliche Neugier – O. konnte sich, stellvertretend für alle Leser, eben nicht vorstellen, wie die magische Wirkung eines schönen Klanges auf das menschliche Gemüt seine Todesfurcht zu überwinden vermag. Sein Hörerlebnis brachte die ins Unerträgliche gesteigerte menschliche Zerissenheit zwischen unbändigem Sehnsuchtsverlangen und unabänderlicher Todesgewissheit zum Ausdruck, die sich im Eros des Todes manifestiert. So gesehen hätte dein Sonett noch weitaus dunkler ausfallen können; mir jedenfalls versagt es die Verführung "tiefschwarzer Erkenntnis".

Gruß
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, James,
fürs Lesen und sorgfältige Kommentieren!

die ins Unerträgliche gesteigerte menschliche Zerissenheit zwischen unbändigem Sehnsuchtsverlangen und unabänderlicher Todesgewissheit
sehr gut umrissen. Ich denke noch über die "unabänderliche Todesgewissheit" nach. Ich weiß nicht. Das Rätselhafte der Terzett-Sentenzen liegt vielleicht darin, daß der Sirenenlauscher nicht vor dem Tod steht, sondern mittendrin. Er hat nicht Angst vor dem Tod, sondern singt mit den Todesgöttinnen mit, in kaltem Sarkasmus. Ohne Fishing vor compassion und ohne Selbstmitleid, scheint mir. Zynische Freude am Oxymoron Flüsterflüche schmetternder Spinnen. Eine schneidend zischende Stille. Aber wozu wiederholen, was schon da steht.

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Nun ja, die Flüsterflüche schmetternden Spinnen in schneidend zischender Stille könnten mich unter Umständen vor dem tödlichen Absturz aus dem Leben eher bewahren anstatt mich in den Orkus hinabzureißen, allerdings vermag ich an diese Chiffren keine besonderen Empfindungen zu heften.

Was das Mitsingen anbelangt, so sehe ich in der Vorstellung des Todeseros die Affekte der Sehnsucht und der Todesfurcht synchronisiert und vereint. Allerdings nicht im Sarkasmus als der grimmigen Verleugnung des Lebens durch die Ratio, sondern in der absoluten Lust, die weit über das lebensverträgliche Maß hinausragt. Aber das brauche ich ja einem Wagner-Fan eigentlich nicht zu erklären ... ;)

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Originell, James:
in der absoluten Lust, die weit über das lebensverträgliche Maß hinausragt
Eine solche Lust müßte eine Hörerschnecke zu Tode würgen. Du spielst auf den "Liebestod" Isoldes an, die Metamorphose der Bühnenpräsenz in pure Musik.

Ich hätte - bei der Suche nach einem Beispiel, in dem der blauviolette Blechbläser-Glanz kalter Boshaftigkeit (b.B. dann, wenn Hagen "so lustig mag sein") die schlichte Buchstabenschwärze gedruckter Worte verfinstert - eher an die "Götterdämmerung" gedacht, aber ich vermute, Dein Masochismus geht nicht so weit, Dich von dieser Art Schmerzlust ultimativ überwältigen zu lassen.

Vielleicht eher die chromatische Modulationstreppe des "steinernen Gastes" im Don Giovanni? Glänzt aber nicht so schwarz. Kasperle mit warnendem Zeigefinger.

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Ich würde mir zu meinem Abgang zwar eine etwas andere musikalische Begleitung wünschen, doch gilt wohl >>Isoldes Verklärung<< („ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!“) als Standardvorlage für solch transzendierenden Eros-Sound. Allerdings ist das Bild durch die Freudsche Fehltheorie von Eros und Thanatos etwas verunreinigt: Als gäbe es in unserem Innern zwei widerstreitende Kräfte, deren eine zum Leben, die andere zum Tode hin gerichtet ist. Albern.

Wer im Sirenengeheul nach den Quellen des Eros sucht, wird sich unweigerlich dem Orkus nähern. Das Leben ist nur seine mittelbare Konsequenz, die unmittelbare aber ist der Tod, wie uns die Mythen aller Liebespaare dieser Welt stets aufs Neue versichern.

Gruß,
JB
 

Mimi

Mitglied
Gerade wiederentdeckt und gerne wiedergelesen....
Gefällt mir immer noch außerordentlich gut.

Gruß
Mimi

P.S.
der hasst deine lyris nicht, lb hansz, der hasst sich selbst. lg W.
Ich glaube, er steht sich als Autor einfach selbst im Weg.
Was eigentlich schade ist...
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Herzliches Dankeschön den Wertern!

Die Widmung an Heraklit nehme ich nun wieder raus, bevor sich der Mann die Eierstöcke rausnehmen läßt, siehe "Schneller Sex" im Ungereimten. (Ich vermute, es ist ein Zitatfehler Heraklits; wahrscheinlich hat ihm ein Rechtschreibprogramm dort das Wort "Eier" korrigiert).

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Die Selbstentschuldigung von Sanchez habe ich auch hier entfernt, da sie nichts mit diesem Sonett zu tun hatte.
 



 
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