Odysseus und Athene (2)

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hermannknehr

Mitglied
Die Heimkehr

Sie kam in Weiß und wie ein Krieger
gekleidet in der Tunika,
dass er sein Schwert zog, aber wieder
beiseite legte, als er sah,

dass sie es war, die Wohlvertraute
mit Helm und Speer, den sie stets trug
und ihm tief in die Augen schaute,
voll Mitleid, feminin und klug.

Da beugte er sein Knie und weinte
um seine Jugend und sein Glück;
sie aber zog die Hand zurück

und war ganz Gottheit, nicht mehr nah,
den Blick, der beide kurz vereinte
nach Süden wendend: Dort lag Ithaka.
 
Hallo Hermannknehr,
der Mythos sei "eine gute Maske für schwierige Zeiten", sagte Jannis Ritsos und bediente sich seiner, um zu sagen, was er in der Zeit der Junta, als er verbannt war, anders nicht sagen konnte. Für Deine Nutzung des Mythos fehlt mir das Motiv, ein Grund, eine - Rechtfertigung! Ist das zu viel verlangt? Bedarf es ihrer? Jonglierst Du nicht nur mit dieser Maske und könntest sie gerade so gut gegen eine andere vertauschen? Ich würde ein lyrisches Ich bevorzugen, das in die Rolle des Odysseus schlüpft, um in ihr zu einer weiblichen Gottheit aufblicken zu können ... Das Rollenspiel würde sichtbar bleiben und wäre für mich dadurch nachvollziehbarer.
gekleidet in [red]die[/red] Tunika.
mit Helm und Speer, [red]die[/red] sie stets trug
Sie ist feminin, aber ein Krieger - hm.
Sie zieht eine Hand zurück - hatte sie sie ausgestreckt? Warum? Ein Händeschütteln der beiden erwogen? Hi, Dyssi! :D
Mit Gruß
E. L.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Eike Leikart,
vielen Dank für Deinen kritischen Kommentar. Ein kritischer Kommentar ist ja besser, als überhaupt keiner.
Die zwei grammatikalischen Fehler habe ich korrigiert, dachte bei "Helm und Speer" wohl in erster Linie nur an den Speer, den sie in der Hand trug. Die Hand zurückziehen kann man auch, wenn man den anderen nur berührt hat, man muss ihm nicht gleich die Hände geschüttelt haben.
Aber nun zu dem Wesentlichen Deiner Kritik. Die Meinung, dass ein Mythos nur "eine gute Maske für schwierige Zeiten" ist, erscheint mir etwas zu kurz gesprungen. Ganz im Gegenteil, wahrscheinlich sind Mythen die wirklich wahren, tiefen Wahrheiten des menschlichen Lebens, die nur etwas verschlüsselt erzählt werden. Da bedarf es keiner Rechtfertigung und schon gar keines Motives, um sie in neuer Form zu erzählen. Und was das lyrische Ich anbelangt. Natürlich weiß ich, dass die Lyrik in der Antike quasi mit dem lyrischen Ich geboren wurde und es bis heute eine dominierende Rolle in ihr spielt (nicht ohne Grund sind die überwältigenden Mehrheit aller Gedichte Liebesgedichte oder doch zumindest Stimmungsgedichte). Gerade jüngere Autoren sprechen meistens nur von ihren Gefühlen, ohne sich einem Objekt neutral zu nähern. Wenn aber ein Dichter ein Problem angehen will, um einen Gegenstand, eine Kreatur plastisch, lebensnah und kompakt in eine lyrische Form zu gießen, dann muss das lyrische Ich in den Hintergrund treten. ( vgl. die Dinggedichte von Mörike, C.F.Meyer, Rilke).
Also- ich werde auch in Zukunft bei meiner Stoffauswahl nicht auf Mythen verzichten und ganz bestimmt nicht mein lyrisches Ich in die Fabeln einbringen. Tut mir leid, wenn das nicht ankommt.
Gruß
Hermann
 

hermannknehr

Mitglied
Die Heimkehr

Sie kam in Weiß und wie ein Krieger
bekleidet mit der Tunika,
dass er sein Schwert zog, aber wieder
beiseite legte, als er sah,

dass sie es war, die Wohlvertraute
mit Helm und Speer, die sie stets trug
und ihm tief in die Augen schaute,
voll Mitleid, feminin und klug.

Da beugte er sein Knie und weinte
um seine Jugend und sein Glück;
sie aber zog die Hand zurück

und war ganz Gottheit, nicht mehr nah,
den Blick, der beide kurz vereinte
nach Süden wendend: Dort lag Ithaka.
 

Walther

Mitglied
Hi Hermann,

also ich finds gut. allenfalls v14 würde ich wie folgt auf vierhebungen umbauen:
nach Süden wendend: [strike]Dort lag[/strike] Ithaka.
das "dort lag" ist nicht nötig, um der sache einen sinn zu geben. vielmehr bringt der alleinstehende stadtname die assoziationen viel schneller und stärker in gang.

mythen sind der veränderung unterworfen. man darf sie neu erzählen.

lg W.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Walther,
ich habe mir das mit der letzten Strophe lange überlegt. Meinte dann, den 5-hebigen Jambus als prägnanten Abschluss bringen zu müssen. Jetzt hast Du mich aber überzeugt, dass die Kurzfassung vielleicht doch aussagekräftiger ist. Ich habe es jetzt geändert.
Vielen Dank für Dein Interesse
Hermann
 

hermannknehr

Mitglied
Die Heimkehr

Sie kam in Weiß und wie ein Krieger
bekleidet mit der Tunika,
dass er sein Schwert zog, aber wieder
beiseite legte, als er sah,

dass sie es war, die Wohlvertraute
mit Helm und Speer, die sie stets trug
und ihm tief in die Augen schaute,
voll Mitleid, feminin und klug.

Da beugte er sein Knie und weinte
um seine Jugend und sein Glück;
sie aber zog die Hand zurück

und war ganz Gottheit, nicht mehr nah,
den Blick, der beide kurz vereinte
nach Süden wendend: Ithaka.
 
Hallo Hermannknehr,
mich hat die fünfhebige Schlusszeile zum umgekehrten Verfahren angeregt - ich habe auf fünfhebig generell erweitert - anbas hat neulich in seiner "Welle" auf sechshebig erweitert, weil er mit der Strandsehnsucht nicht anders klar kam, und das war kein Fortschritt.

Sie kam in Weiß, wie eine Kriegerin
gekleidet in die schlichte Tunika,
dass er sein Schwert zog und es legte hin,
als er erschauernd und erschüttert sah,

dass sie es war, die allzu wohl Vertraute,
mit Helm und Speer, die sie stets bei sich trug,
und ihm erbarmend in die Augen schaute,
voll leisem Spott, so zärtlich und so klug.

Da beugte seufzend er die Knie und weinte
um die verlor‘nen Jahre und sein Glück;
sie aber zog sich hoheitsvoll zurück,

war nun ganz Gottheit, fern und nicht mehr nah,
den tiefen Blick, der beide kurz vereinte,
gen Süden wendend: Dort liegt Ithaka!

Was die Rechtfertigung des Mythos betrifft - bin ich anders geprägt: Von einem Studienratshumanismus, der Zehntausende deutscher Pädagogen nicht darin hinderte, wie die Lemminge den Nazis nachzulaufen und sich im NS-Lehrerbund zu organisieren. Jeder von ihnen konnte den Anfangssatz von Ciceros erster catalinarischer Rede auswendig: "Quo usque tandem ..." - aber auf die Idee, das mal auf den Catalina ihrer Zeit anzuwenden, kam nicht einer. Dieser Humanismus hatte mit der Wirklichkeit schon lange nichts mehr zu tun und hatte sich in ein bildungsbürgerliches Wolkenkuckucksheim verwandelt.
Mit Gruß und Dank für den anregenden Text
E. L.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Eike Leikart,
vielen Dank für Deinen Vorschlag, das Gedicht auf 5-hebige Jamben umzustellen. Für mich ist der Text etwas "too much".
Erschauernd und erschüttert", "die allzu wohl Vertraute", "erbarmend in die Augen schaute", "sein Schwert zog und es legte hin". Nicht mein Stil, aber jeder hat eben so seinen.
Zu Mythen und Sagen habe ich tatsächlich eine völlig andere, neutralere Auffassung. Mit den Nazis verbinde ich allenfalls Walhalla, Walküren, Götterdämmerung etc. Die wesentlich älteren Sagen aus Griechenland, dem Zweistromland und Persien sind nicht nur schöner, sondern auch tiefgründiger. Und... "Quo usque tandem abutere, oh Hitler, patientia nostra" hätte damals so manchem Germanisten zur Ehre gereicht.
Danke nochmals für Deinen Beitrag.
Hermann
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
nicht erst seit Jung

wahrscheinlich sind Mythen die wirklich wahren, tiefen Wahrheiten des menschlichen Lebens, die nur etwas verschlüsselt erzählt werden
ja, auf jeden Fall!

Ich widerspreche oft und immer der allzu häufigen Behauptung, Mythen wollten irgendwas erklären, z.B. Naturerscheinungen, die man mit Physik viel besser erklären könne. Aber Mythen sind die Binnenstrukturen der Seele, Handlungen in der Seelenlandschaft. Archetypen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Eike, Du schwafelst. Die germanischen Mythen haben mit den ältesten aufgeschriebenen indoeuropäischen, nämlich den indischen im Rgveda (1000 vor Christus), derartig viele Gemeinsamkeiten, daß deren alte Wurzel unverkennbar ist.

Dazu kommt, daß sie in Wagners Bühnendramen so komplex und diffizil ausgearbeitet worden sind, daß sie als das erkennbar werden, was sie substanziell sind: Archetypen, Seelenstrukturen. Im Horizont-Umkreis der Zeit, an der Grenze von Zeit und Ewigkeit, deshalb auch modern: die Götter warten im Scheiterhaufen der Weltesche darauf, verbrannt zu werden, ins Nirvana einzugehen. Schopenhauers Indophilie (Buddhismus) in eins mit germanischem Götteruntergang. Was für ein grandioser Atheismus!
 



 
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