Odysseus und Athene (Sonett)

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hermannknehr

Mitglied
Die Begegnung

Sie stand am Baum gelehnt und lächelte
ihn an, vertraut und unverwandt,
der Wind, der ihre Haare fächelte,
verfing sich leicht in dem Gewand

und zeigte nackte Haut, so viel,
dass man den schönen Leib nur dachte
unter dem Tuch, den sie sonst kühl
und ungern so zur Geltung brachte.

Er staunte-, nie sah er ein Bild
von solcher Schönheit und ihr Schild
blendete heiß ihm ins Gesicht.

Dass dieses Lächeln ihm und nicht
den Göttern galt, ließ ihn erschauern,
ihr Schwinden sah er mit Bedauern.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Hermann, Dein Sonett gefällt mir gut.
Es hat eine getragene Stimmung, die durch den Reim "lächelte" - "fächelte" etwas gebrochen wird.
Und es zeigt einen Augenblick der Erwartung, der schnell entschwand.
 

Walther

Mitglied
Hallo Hermann,

im prinzip stimme ich Bernd zu.

deine beide enjambements führen jedoch entweder zu zwei hebungspralls oder zu einer betonung gegen die wortmeldodie.

blendete oder blendete
unter oder unter

das ist unschön, weil es den lesefluß hemmt, und sollte nochmals bearbeitet werden. das ist ein bekanntes phänomen bei versübergreifenden sätzen. sie sind nur sehr schwer zugleich in der form und schön formuliert.

lg W.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Walther, ich lese es anders als Du, deshalb entsteht kein Prall, sondern eine etwas wehmütige Stimmung.

Statt:
unter dem Tuch

lese ich:
(unter dem) Tuch -- "unter dem" ähnlich einer Triole, kurz und unbetont, dann Tuch sehr lang und gemächlich. Damit kommt es wieder in den Gesamtrhythmus.

Durch diese Leseweise wird der Lesefluss nicht mehr gehemmt.
Aber skandieren kann man den Text nicht auf natürliche Weise.


"blendete heiß" - ebenso:
statt
blendete heiß
wird es
(blendete) heiß
 

Walther

Mitglied
Moin Bernd,

man kann das natürlich beim vortrag verschmieren - aber die herausforderung ist doch, das auch ohne solche tricks hinzubekomnmen. wenn schon enjambements, dann bitte saugute.

aber das mag jeder sehen, wie er will. ich habe ja schon gesagt, daß mir der text insgesamt gefällt. bekanntlich bin ich nun mal ein kleiner perfektionist ...

lg W.
 
Hallo, hermannknehr,
ich habe ein Problem mit Sonetten, die eine Geschichte erzählen - und eine Begegnung ist eine Geschichte, ist ein Mythos. Es kommt Chronologie hinein, und das "und dann" ist dem Sonett framd, es ist episch und wirkt für mich in der Lyrik deplaziert.
Mich stört "am Baum gelehnt" - lehnt man sich nicht wohin? an einen Baum?

Hallo Bernd,
Deine Rezitations-Vorschläge für die Enjambements gefallen mir sehr gut, sie "verschmieren" (Walther) nicht, sondern beleben!

Hallo Walther,
Du magst Dich als Perfektionist sehen, ich sehe Dich als Beckmesser, als einen Metrik-Sklaven, wie z. B. Petrarca nie einer war.

Mit Gruß

E. L.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo zusammen,
erstmal vielen Dank an alle für das Interesse. Besonders aber Dir, Bernd, da Du die Stimmung richtig herausgelesen hast: Die Erwartung, noch ohne konkretes Ziel (Trojanischer Krieg) und die beginnende, fast erotische Beziehung zwischen Odysseus und Athene. Vor allem aber freut mich, dass Du die Unregelmäßigkeiten im Jamben-Rhythmus richtig interpretiert hast. Die beiden Triolen "blendete heiß" und "unter dem Tuch" sind natürlich bewusst gesetzt. Ohne diese Auflockerungen wirkt auch ein gutes Sonett oft fade und animiert zum Leiern. Also, Walther, ob unschön, oder belebend, das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden.
Auch Deiner Interpretation, Eicke Leickart, über die Wesenszüge eines Sonetts, kann ich nicht beipflichten. Was wurde in der Leselupe nicht schon heiß diskutiert, ob ein Sonett überhaupt Sonett heißen darf, wenn die Quartette nicht in der Reimfolge abba, cddc gesetzt sind. Und was das Epische, Erzählende in einem Sonett betrifft. Rilke hat eine Fülle von "erzählenden" Sonette geschrieben. Denke nur an eines seiner berühmtesten Sonette "Letzter Abend". Auch hier wird in den Quartetten die Begegnung des Klavierspielers mit der lauschenden Frau beschrieben, um dann in den Terzetten eine Reaktion auszulösen.
Du siehst, ich bin in guter Gesellschaft, auch wenn man Rilke weder nachahmen soll noch kann.
Das mit "am Baum gelehnt" muss ich mir nochmals überlegen.

Kollegiale Grüße
Hermann
 

hermannknehr

Mitglied
Die Begegnung

Sie stand im Hain und lächelte
ihn an, vertraut und unverwandt,
der Wind, der Kühlung fächelte,
verfing sich leicht in dem Gewand

und zeigte nackte Haut, so viel,
dass man den schönen Leib nur dachte
unter dem Tuch, den sie sonst kühl
und ungern so zur Geltung brachte.

Er staunte-, nie sah er ein Bild
von solcher Schönheit und ihr Schild
blendete heiß ihm ins Gesicht.

Dass dieses Lächeln ihm und nicht
den Göttern galt, ließ ihn erschauern,
ihr Schwinden sah er mit Bedauern.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, ich möchte bitten, beim Text zu bleiben. Wie man einen anderen sieht, ist Privatsache, wie man mit dem anderen umgeht, nicht.
Kritik kann hart sein oder schmeicheln. Auf jeden Fall ist "Beckmesserei" oft hilfreich, um Texte zu verbessern oder darüber nachzudenken.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
fein

Es ist wunderschön.

Ich habe Athene sonst so im Sinn, wie sie in der Odyssee erscheint, oft in Gestalt einer älteren Frau, auch irgendwo mal als der Nestor-Greis - aber das ist bei Dir nicht völlig verschwiegen: daß sie das erotische Angeschautwerden eigentlich vermeidet. So daß es hier eine besondere Situation ist.

Ich finde es - gerade mit den bewußt gesetzten Triolen - perfekt.
Natürlich würde ich so was Altes heute nicht mehr schreiben, und meine alte Siebensternsammlung (auch der nicht ganz so alte Achtstern) ist voll davon, und so elegant wie Deine Sonette sind meine klassizistischen Stücke wohl kaum.

Also bei allem Antagonismus - Dein Sonett ist in meinen Augen vollkommen.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Mondnein,
also ich bin völlig geplättet. Soviel Lob aus Deinem Mund habe ich nicht erwartet. Aber ich freue mich natürlich riesig über Deine anerkennenden Worte. Zumal Du ja ganz anders schreibst als ich. Nach all den harschen Kritiken in der Leselupe ist so ein Kommentar Balsam für die Seele.
Herzlichen Dank.
Hermann
 

Walther

Mitglied
Moin Eike,

das
Du magst Dich als Perfektionist sehen, ich sehe Dich als Beckmesser, als einen Metrik-Sklaven, wie z. B. Petrarca nie einer war.
ist ein sehr treffendes selbstbild. würdest du dich mit poesie offener und natürlich, weniger verkrampft und verkopft, beschäftigen, würdest du anders mit deiner umwelt umgehen. das "Dozent" aus deinem profil paßt daher erstklassig auf deine art des argumentierens und auf andere herabsehens. deswegen sind deine eigenen texte auch saft- und seelenlos, wenn auch formal perfekt. sie überzeugen nicht.

du stehst dir damit selbst im weg und verschleuderst dein talent. das finde ich wirklich schade.

lieber gruß W.


lb Hermann,

dein text ist ansprechend, aber verbesserungsfähig. mehr wollte ich nicht ausdrücken.

lg W.
 



 
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