Offene Rechnung - Eine Korrespondenz

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Matula

Mitglied
Wien, am 4. April

Sehr verehrter Freund,

Sie feiern dieser Tage Ihren fünfzigsten Geburtstag, zu dem ich Sie herzlich beglückwünsche. Möge alles in Erfüllung gehen, was Sie für dieses Leben noch erhoffen. Viel kann es nicht sein, weil eine gute Fee an Ihrer Wiege stand und Sie mit wohlhabenden Eltern, einem anziehenden Äußeren und einem unverletzlichen Gemüt ausstattete. Alles weitere ergibt sich in solchen Fällen von selbst. Was jetzt noch fehlt, ist ein Amt, eine Würde, eine öffentliche Aufgabe, die den in die Jahre kommenden Mann über die Privatheit seines Lebens hinaushebt und der Witwe eine beeindruckende Zahl von Kondolenten am späteren Grab sichert. Apropos Witwe: Sie könnten aus Anlass dieses Geburtstags eine neue Ehe in Erwägung ziehen. Man hat mir berichtet, dass Ihre gegenwärtige Gefährtin als ausgesprochener Glücksfall zu bezeichnen ist, weil sie als angehende Psychologin das Einfühlungsvermögen besitzt, das Ihre vielgefältelte Seele so dringend braucht. Und ein alleinstehender Mann hat doch etwas Anrüchiges, finden Sie nicht?

Man fragt sich, ob er sexuell fehlgeleitet ist, hält vorsorglich Kinder und Ehefrauen von ihm fern und versucht ihn mit einer geschiedenen Frau gleichen Alters zu verkuppeln. Natürlich handelt es sich dabei um die Phantasien und Ängste der Paargebundenen, die den Single - schon die Bezeichnung bringt ja das vermutet Schwunghafte dieser Lebensweise zu Ausdruck - in Wahrheit um seine Unabhängigkeit beneiden. Sie müssen aber zugeben, dass mit fortschreitendem Alter aus Singles Alleinstehende werden, die man eher bedauert als beneidet. Außerdem ist eine Ehe gut fürs Geschäft, egal wie gut sie ist. Aber ich will Ihnen in diesem Punkt nicht nahetreten, denn immerhin war ich an der Scheidung Ihrer ersten Ehe nicht ganz unbeteiligt. Lassen Sie uns also zu den Aufgaben zurückkehren, die einem Mann Ihres Alters gut zu Gesicht stünden. Sie hätten nach Jahren unternehmerischer Aufbauarbeit und dank eines Teams von ausgezeichneten Mitarbeitern nun jenes Mehr an Zeit und Muße, das für die Übernahme einer gemeinnützigen oder ehrenamtlichen Funktion notwendig ist, ziehen es aber leider vor, die überschüssigen Kräfte in wechselnde Amouren und das Bemalen von Leinwänden zu investieren. Dass das eine das andere unterstützt beziehungsweise anregt, vermute ich seit längerem.

Ich habe mir vorgenommen, in diesem Brief offen auszusprechen, was ich bisher mit Rücksicht auf unsere Geschäftsbeziehung nur hin und wieder anzudeuten wagte: Ihre Ausflüge in die darstellende Kunst sind Expeditionen in die Wüste. Nicht dass ich profunde Kennerschaft auf diesem Gebiet vorzuweisen hätte, aber ich spüre, wenn ein Bild aus der Seele kommt. Sie malen, weil Sie als Künstler gelten möchten, will heißen, ungehöriges Benehmen und launisch-irritierende Umgangsformen rechtfertigen wollen. Und nebenbei beeindrucken Pinsel und Staffelei das weibliche Geschlecht, denn der künstlerische Mann verspricht allemal mehr Lust und Leid als etwa der technische oder der ökonomische.

Bei jeder Gelegenheit lassen Sie und wissen, dass Ihr Talent zwar bescheiden sei und die Freude an der Malerei das Können bei weitem überwiege, dass aber der Wunsch etwas Geschautes festzuhalten, Sie manchmal geradezu überwältige, vielleicht, damit es nicht Macht über Sie gewinne und Sie bis in Ihre Träume verfolge. Und wir, Ihre ergebenen Freunde, nicken ehrfürchtig.

Jeder von uns hat schon wenigstens eines Ihrer kubistischen, surrealistischen oder expressionistischen Weibsbilder daheim an der Wand hängen. Meine heißen "Mattilda" (Kanzlei) und "Bernadette" (Schlafzimmer). Mit "Bernadette" habe ich mich ja fast angefreundet. Sie ist ein liebes Mädchen, trotz ihrer schlammgrünen Haare und ihrem mongoloiden Lächeln. Man hat mir hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass es sich dabei um die junge Blaumayer-Zankl handelt, die fünf Jahre nach diesem Portrait das marode Bauunternehmen ihres Vaters saniert hat. Wie ist es möglich, dass Sie den Geschäftssinn und die Disziplin dieser jungen Frau nicht wenigstens im Ansatz erkannt und zum Ausdruck gebracht haben?
Ich will nicht bestreiten, dass "Mattilda" dekorativ ist - angeblich irgendeine Kunststudentin - , was man von "Bernadette" nicht behaupten kann, aber "Mattilda" ist keine Person, sondern ein Stück bunte Leinwand. Um aber Klimt nachzueifern, fehlt Ihnen, offen gesagt, das Talent.

Natürlich haben Sie viel Sinn für das Darstellende, wie nicht als Mann der Werbung. Aber dort geht es um den Effekt, um das Eyecatching, in der Malerei um das Unbewusste, nicht um das Spiel mit dem Unbewussten. Natürlich haben Sie ein Auge für Farben, Formen und Symbole, aber Sie benutzen Sie, mit Verlaub, wie Versatzstücke auf einer Bühnenkulisse. Man merkt an Ihren Bildern, dass Sie nie von einem Anblick überwältigt wurden, und so ähneln Sie in Ihren Bemühungen einem Volksschauspieler, der den "Hamlet" geben möchte oder, besser gesagt, einem Pornodarsteller, der sich im Charakterfach profilieren will. Sie werden mir antworten, dass alles möglich sei, dass man sich jeden Tag selbst neu erfinden müssen etc. etc. Ich sage Ihnen: Sie irren sich. Das sind Flausen. Nur Narren unter Narren können täglich das Kostüm wechseln, weil es keinen schert, wer sie wirklich sind.

Beim Lesen der letzten Zeilen fällt mir auf, dass ich nun doch sehr offen war, und ich bin fast versucht, eine alles relativierende Schlussformel zu suchen, um Sie nicht gänzlich vor den Kopf zu stoßen. Andererseits bin ich sehr verärgert, wenn ich an Ihr merkwürdiges Benehmen in den letzten Monaten denke, weshalb ich es auch vorziehe, Sie bis auf weiteres nicht mehr zu duzen. Sie haben seit Anfang des Jahres nichts von sich hören lassen und vermeiden Begegnungen ganz offensichtlich. Oder denken Sie, ich hätte nicht bemerkt, wie Sie mir neulich Abend im Akademietheater rasch den Rücken zugekehrt und mich vor ein paar Wochen geflissentlich in der Opernpassage übersehen haben?

Von Oppolzer weiß ich, dass Sie einige Beziehungen "neu überdenken" und in der Wahl Ihrer Freunde in Hinkunft "selektiver" vorgehen wollen - als ob Sie mit Krethi und Plethi Umgang gepflogen hätten! Sollte dieser Ihrer Besinnung auch unsere Verbindung zum Opfer fallen. erinnere ich an mein Honorar für die Causa "telepoint", das seit 11. Februar fällig ist. Wie man eine Vollmacht zurückzieht, wird Ihnen Ihr neuer Anwalt erklären.

Ich möchte diesen Brief aber nicht mit dem Einmahnen einer offenen Rechnung beenden, weil sich ja noch alles aufklären und in Wohlgefallen auflösen könnte. Außerdem kann ich nicht ausschließen, dass ich Sie durch Worte oder Taten gekränkt habe, für die Sie zurecht eine Entschuldigung erwarten. Sollte das der Fall sein, bitte ich um Vergebung. Sie wissen ja, dass ich manchmal ungeduldig und gereizt bin (nach Oppolzer der "Reiz" der reifen Frau), wenn Menschen oder Dinge nicht meinen Vorstellungen entsprechen - und das tun sie leider immer seltener.

Ihre ergebene F.


Wien, am 29. April

Sehr verehrter Freund!

Sie wollten mich an Ihrem Geburtstag also nicht in Ihrer Nähe haben. Das ist kein Vorwurf, aber eine Tatsache, die zu denken gibt. Oppolzer und Kautzky haben angeboten, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich bin allerdings entschieden dagegen und würde es unverzeihlich finden, wenn Sie mir durch den Einen oder den Anderen eine Erklärung zukommen ließen. Aber merkwürdig ist es schon, da doch die halbe Stadt zu Ihrem Geburtstagsfest geladen war, und ich unter den vielen Gratulanten kaum aufgefallen wäre.

Von einer Klientin habe ich gehört, dass der Champagner, wie man so sagt, in Strömen floss. Sie wusste zwar nicht genau, um wessen Geburtstag es sich handelte, aber sie hat das Fest in vollen Zügen genossen ("Der Mann muss ein Renaissance-Mensch sein!") Kautzky hat mir von den verschiedenen künstlerischen Darbietungen erzählt. Ich bin beeindruckt, dass sie das Kabarettisten-Duo "Robinson und Freitag" gewinnen konnten. Die Namen der Musiker und der Sängerin waren mir nicht bekannt, aber Franz Ferdinand Buxbaum hätte ich gern aus eigenen Werken lesen gehört. Der Ärmste hat wahrscheinlich gar nicht begriffen, wem er da seine Gedichte vorträgt.

Oppolzer ist, wie in allen Dingen, die Sie betreffen, sehr zwiespältig. Einerseits gibt er zu, dass er selbst nicht den Mut hätte, ein solches Fest zu organisieren - ich denke, er würde sich schämen, soviel Aufhebens um seine Person zu machen -, andererseits träumt er davon, Sie zu seinem sechzigsten Geburtstag zu übertrumpfen, denn er meint, man werde ihm bei dieser Gelegenheit das Goldene Ehrenkreuz für Verdienste um die Republik Österreich verleihen. Einerseits bedauert er, seinen fünfzigsten Geburtstag allein in den Great Canyons verbracht zu haben, andererseits findet er, dass Ihr Fest für den Anlass nicht intim genug war. Die Mischung aus Kunst und Kommerz, die Sie letzten Samstag erprobt hätten, sei als Idee zwar originell, in der Ausführung aber mangelhaft geblieben. Am Ende seien Sie überdies ganz gewaltig aus dem Rahmen gefallen, indem Sie zu fortgeschrittener Stunde und in sehr alkoholisiertem Zustand - der Kommerz sei glücklicherweise schon daheim in den Betten gelegen - eine ebenso alkoholisierte junge Dame bedrängt hätten. Nur mit Mühe, sagt Oppolzer, habe man Sie von ihr trennen können. Zum Trost und ersatzweise durften Sie ein purpurrotes Kondom mit dem Logo Ihrer Agentur aufblasen, das Ihre Mitarbeiter aus Anlass Ihres Geburtstages als Werbegag entworfen haben. Anschließend musste man Sie hinaustragen und in ein Taxi verfrachten.

Ich darf Ihnen versichern, dass ich Oppolzers Sorge um Ihren guten Ruf nicht teile. Eine Entgleisung wie diese ist an einem Geburtstag wie diesem doch allzu verständlich. Ich nehme auch an, dass Ihre Gäste in der Mehrzahl taktvolle Menschen waren, die die Geschichte nicht herumerzählen werden. Außerdem wird man den Fauxpas mit Ihrem unkonventionellen Charakter erklären, den viele ja zur Genüge kennen.

Soweit also das Fest, zu dem ich nicht geladen war. Bleibt noch die Frage, warum ich diesen Brief schreibe? Ach ja, Sie schulden mir noch das Honorar in der Causa "telepoint" vom 11. Februar. Eine Kopie der Rechnung liegt bei.

Ihre F.


Wien, am 20. Mai

Sehr verehrter Freund!

Heute Morgen habe ich mich an eine unserer ersten Begegnungen erinnert. Das dürfte Sie kaum interessieren, aber ich schreibe ungeachtet dieses Umstands nieder, was mir durch den Sinn geht, da Sie meine Briefe ohnedies nicht zu lesen scheinen. Übrigens: die Rechnung vom 11. Februar ist immer noch nicht beglichen!

Wir hatten vor der zweiten Verhandlung noch einige Fragen in Bezug auf Ihre alte Stadtwohnung zu klären, auf die Ihre Frau plötzlich Anspruch erhob. Es fand sich kein passender Termin, außer einem um acht Uhr Früh auf dem Leopoldsberg, wo Sie unbedingt den spätherbstlichen Sonnenaufgang erleben und eine bestimmte Stimmung für eine Plakatserie mit der Kamera einfangen wollten. Ich war einverstanden, weil man Klienten wie Sie nicht alle Tage findet. Wir trafen uns unterwegs auf der Höhenstraße, an der sogenannten "Schanze", wo Sie mich in Ihrem Wagen überholten. Es war noch dunkel und kein anderes Fahrzeug in Sicht. Ich fuhr eine Weile hinter Ihnen her, verlor am Dreimarkstein aber die Geduld und nutzte ein breiteres Straßenstück, um Sie nun meinerseits zu überholen, denn es fällt mir schwer, mich einem fremden Tempo anzupassen. Sie dürften ähnliches gedacht haben, denn zwischen Reisenberg und Kahlenberg lieferten wir uns ein Rennen mit riskanten Manövern. Ich habe es sehr genossen. Auf der Strecke zwischen Kahlenberg und Josefinenhütte aber wurde mir klar, dass Sie in puncto Führung keinen Spaß verstehen. Ich war wieder im Begriff, Ihren Wagen zu überholen, als hinter einer Kurve ein anderes Fahrzeug auftauchte. Anstatt die Fahrbahn freizugeben , wodurch ich den Überholvorgang hätte beenden können, stiegen Sie aufs Gaspedal und zwangen mich zu einer Bremsung, die gerade noch ausreichte, um mich hinter Ihrem Fahrzeug in Sicherheit zu bringen,

Ihre scherzhafte Ermahnung, in Hinkunft weniger riskant zu fahren, habe ich in den Wind geschlagen, aber mir ist seit damals ein gewisser Eindruck von Ihrer Rücksichtslosigkeit geblieben. Es ist nicht ratsam, Sie überholen, überrunden oder übertreffen zu wollen. Für Kautzky, Oppolzer und mich ein Grundsatz erster Ordnung. Nach diesen Erinnerungen fiel mir ein, dass ich als Dienstleisterin an Ihrer Person ja neuerdings aus dem Rennen bin ... und es wurde noch ein schöner Morgen.

F.

P.S. Ich bin nicht stolz darauf, dass wir die Unerfahrenheit des gegnerischen Anwalts so weidlich ausgenutzt haben. Ihre Frau war eine Dame, die es unter anderen Umständen vorgezogen hätte, Ihnen auch den letzte Teelöffel zu überlassen. Aber damals war ich noch Ihre Verbündete ...


Wien, am 25. Mai

Sehr geehrter Freund!

Ich möchte Ihnen heute von Elisabeth berichten, Elisabeth Rosmanith. Ich nehme an, Sie erinnern sich. Sie war heute Abend in meiner Kanzlei, fast drei Jahre nachdem sie mich Hals über Kopf verlassen hatte. Es geht ihr gut. Sie arbeitet jetzt für Primus & Partner und wird möglicherweise bald den jungen Primus heiraten. Ich erwähne das, falls Sie zu den Männern gehören, die noch jahrelang lebhaft Anteil am Schicksal ihrer früheren Geliebten nehmen und sich über jede Ehescheidung, jede Fehlgeburt und jeden beruflichen Misserfolg freuen können. Dass Elisabeth Ihre Geliebte war, habe ich schon damals geahnt, aber erst gestern bestätigt bekommen. Natürlich wollte ich wissen, weshalb sie mich verlassen musste, nachdem sie von Ihnen verlassen worden war. Man hätte Vorkehrungen treffen können, um eine Begegnung in der Kanzlei zu vermeiden. Sie hätte mit Ihren Agenden nichts zu tun haben müssen. Warum hat sie mir damals nicht reinen Wein eingeschenkt? War ihr nicht bewusst, wie sehr ich sie als Mitarbeiterin und jüngere Freundin geschätzt hatte?

Sie ist mir auch gestern einige Antworten schuldig geblieben. Dieses eloquente Mädchen, das wahrscheinlich schon eine ausgezeichnete Strafverteidigerin ist, saß ein bisschen verlegen an meinem Schreibtisch und fand keine Worte für das, was ihr widerfahren war. Ja, natürlich hätte sie nicht weglaufen müssen, man hätte das schon mit Vernunft regeln können. Nein, es war nicht richtig, mich über die eigentlichen Gründe der Kündigung im Unklaren zu lassen. Allerdings habe sie gemeint, dass ich über ihre Beziehung zu Ihnen Bescheid gewusst hätte. Auch heute noch habe sie das Gefühl, damals ein Spielball zwischen Ihnen und mir gewesen zu sein. Und überhaupt sei alles so verwirrend gewesen, jetzt aber, Gott sei Dank, vorbei.

Ich versicherte ihr, dass ich ahnungslos war, hatte aber den Eindruck, dass sie mir nicht glaubte. Wir trennten uns zu später Stunde, ohne ein Wiedersehen zu vereinbaren. Am Ende wollte sie noch wissen, ob Sie auch von ihr ein Bild gemalt hätten. Ich sagte, dass ich das nicht wüsste, dass man sie aber gewiss nicht erkennen würde, weil Sie nicht nach der Natur malen.

Kautzky meint, Sie seien das, was man in früheren Jahren als "Playboy" bezeichnete, allerdings eine österreichisch-verkleinerte Variante der Spezies. Mit den großen Vorbildern verbinde Sie der Hang zu Luxus und zur Herzensbrecherei, während Sie im Gegensatz zum echten Playboy in Ihrem Beruf engagiert und ausdauernd seien. Ich kann das durchaus bestätigen. Sie haben gut geerbt, aber noch besser verdient. Ein kleiner Anteil davon sollte auf mein Konto gehen. Sie wissen schon: "telepoint", die Honorarnote vom 11. Februar.

Ich bin unschlüssig, ob ich über Ihr beharrliches Schweigen betrübt oder erleichtert sein soll. Zu Ihrem Freundeskreis zu zählen, ist wie die Zugehörigkeit zu einem Theater-Ensemble. Oppolzer würde sagen: ja, als Claqueur. Kautzky würde entgegnen: nein, als Souffleur. Ich meine es in dem Sinne, dass das Ensemble zusammentritt, wenn der Regisseur es ruft. Ob Sie nun am Dachstein urlauben oder am Attersee, ob Sie sich am Samstag Abend in Ihrem Penthouse langweilen oder beim Heurigen plötzlich feststellen, dass zu wenig Publikum anwesend ist, immer genügt ein Anruf und wir sind zur Stelle. Manchmal kommt er gelegen, manchmal gar nicht, aber immer muss man eine erstklassige Ausrede parat haben, wenn man Ihnen einen Korb geben will. Oppolzer als Ihr Leibarzt tut sich da besonders schwer. Dass ich dieser Verpflichtung seit Jahresbeginn enthoben bin, hat schon sein Gutes.

Ihre F.


Wien, am 5. Juli

Werter Freund,

gestern Abend bei Kautzky eingeladen. Im Vorraum ein rahmenloser Ölschinken in Veilchenblau und Pastellgelb. Eine Madonna mit verschlagenem Blick und einem mittelalterlichen Spruchband, das den Schriftzug "factura aperta" trägt. Angeblich existiert eine zweite Version, die sich in Oppolzers Besitz befindet. Ich war außer mir, zumal es Ihnen erstmals gelungen ist, eine Ähnlichkeit zwischen Bild und Person herzustellen! Wenn Sie denken, dass ich diese Schmiererei an Zahlungsstatt nehme, irren Sie gewaltig!

Kautzky versuchte mich zu beruhigen. Als Ihr Steuerberater sei er zwar zur Verschwiegenheit verpflichtet, dürfe aber doch verraten, dass Sie nicht zahlungsunfähig seien und wohl auch nicht daran gedacht hätten, mit den Bildern eine offene Rechnung zu begleichen. Eher gehe es um eine Art von Geplänkel, eine Spielerei, wie sie für Ihren kindischen Charakter typisch sei. In dieselbe Kategorie falle vermutlich auch das grundlose Ignorieren meiner Person seit Jahresbeginn. Es gäbe nämlich keine Erklärung dafür, nur eine nachgeschobene, die sich auf eine Reihe von "gehässigen" Briefen beziehe, die ich Ihnen in den letzten Monaten geschrieben hätte. So, so ...

Ich weiß nicht, ob Kautzky mit seiner Vermutung richtig liegt und Sie tatsächlich nur Unordnung in unsere Beziehung bringen wollten, um sich die Langeweile zu vertreiben und mich herauszufordern. Ich darf Ihnen sagen, dass es eine Zeit gab, in der ich gern mit Ihnen gespielt hätte, alle Spiele, die sich denken lassen. Aber diese Zeit liegt mehr als zehn Jahre zurück und ist in den Anfängen unserer Bekanntschaft zu suchen. Heute, da Sie mir so geläufig sind wie der Inhalt meiner Handtasche, ist der Zauber verflogen.

Sollte Sie das verstimmen und sollten Sie auf den Gedanken kommen, weitere Bilder von mir in Umlauf zu bringen, anstatt mir das Honorar in der Sache "telepoint" zu überweisen, werde ich mich zu wehren wissen. Dann gehen nämlich die "gehässigen" Briefe an ein deutsches Internet-Literaturforum, wo ein Teil der Leserschaft sofort wissen wird, an wen sie adressiert sind.

F.
 
Köstlich!

Von der Eisenbahner-Story angelockt, bin ich hier gelandet. Aber, liebe F. c/o Matula, die Veröffentlichung in einem Literaturforum voller Möchtegerndichter erzeugt einen Lärm, der lediglich dem eines fallenden Wattebäuschchens vergleichbar ist.

Nun denn, das Personal ist, zum Vergnügen kundiger Leser, verallgemeinbar.

Dafür dankt:
Binsenbrecher
 

Matula

Mitglied
Ja, ein großer Wirbel wird wohl nicht entstehen ... schade, einmal wollte ich das Zentrum eines richtig großen Skandals sein.

Liebe Grüße aus Wien,
Matula
 



 
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