Oh du fröhliche...

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birdy

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Ich wurde am Morgen des Weihnachtstages unsanft aus meinen Träumen gerissen.
Ich hatte mich am Vortag – wie jedes Jahr – zum „Weltkongress der realitätsverweigernden Schwachköpfe“ mit meinen Mitbrüdern getroffen. Ort der Begegnung war – wie jedes Jahr – Wiens größtes Einkaufszentrum, die „Shopping City Süd“. An diesem Tag war das Shoppingcenter für Nicht-Mitglieder gesperrt und so konnten wir ungestört unserer Leidenschaft frönen: Noch schnell ein Geschenk kaufen, für das man an jedem anderen Tag des Jahres von seinen Liebsten teilentmündigt worden wäre. Nicht so am 23. 12. Jedes Jahr ein unvergessliches Erlebnis. Man ist in Gesellschaft vieler Gleichgesinnter und trotzdem alleine. Das dualistische Lebensprinzip auf einen Ort, auf einen Tag konzentriert.

Der Satz „Schatz, du hast den Weihnachtsbaum vergessen!“ beendete meinen Erschöpfungsschlaf. Natürlich hatte ich den Weihnachtsbaum nicht vergessen! Sein Erwerb wurde von mir nur nach ökonomischen Gesichtspunkten optimiert. Ich hatte vor, mein Wissen um das Spiel von Angebot und Nachfrage beinhart auszunützen. Eine 2,50 m Silbertanne kauft man am 24. Dezember, 15:00 Uhr, zum Verzweiflungspreis! Nicht wie die anderen Lemminge Wochen vorher zu Apothekerpreisen. Hat man schon einen Christbaumhändler gesehen, der am 25. seine Ware abverkauft? Nein, diese Menschen stehen am Heiligen Abend schwer unter Druck! Sicher eine tragische Geschichte, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen.

Um 14:45 machte ich mich auf den Weg zur ca. einen Km entfernten Nadelholzverschleißstelle meines Vertrauens, während meine liebe Gattin die Kinder zu den Großeltern brachte. Klar, weil sich ja sonst das Christkind fürchtet.

Kurz nach 15 Uhr war der Handel perfekt und eine ca. 1,50 m hohe Fichte wechselte den Besitzer. Tannen waren leider schon aus. Dafür konnte ich den Verkaufspreis von EUR 75,- auf EUR 70,- reduzieren, da der Baum etwas ungleich gewachsen war und auf einer Seite praktisch keinen Bewuchs aufzuweisen hatte. Was aber keinen ästhetischen Nachteil, sondern eher einen praktischen Nutzen bedeutete, da diese Seite zur Raumecke weisen würde. Einen Baum an seiner Rückseite zu schmücken empfand ich schon immer als unnützen Aufwand meiner lieben Gattin. Als ich mit dem Baum auf meiner Schulter den Heimweg antrat, konnte ich das Glücksgefühl eines Waidmannes nachempfinden, der auf der Pirsch erfolgreich war.

Zu Hause wartete schon meine liebe Frau auf mich. Wir hatten jetzt bis 18:00 Zeit, den Baum aufzustellen, zu schmücken und die Geschenke zu drapieren. Dann würde das Christkind kommen.

Das Christbaumkreuz, das ich auch am Vortag (Sie wissen, der Weltkongress...) um EUR 90,- erworben hatte, war aus Metall, wunderschön geschmiedet und – zu klein. Der Stamm der Fichte hatte einen Durchmesser von ungefähr zehn Zentimeter. Die Öffnung des Kreuzes war eher für Bonsai-Dimensionen gedacht. Somit musste der Stamm zurechtgesägt werden. Eine Aufgabe, die für einen problemorientierten Lösungsansatz wie geschaffen schien, da ich keine Säge hatte.

Das Sägemesser aus der Küche hatte seinen Namen nicht verdient. Es war geeignet, weiche Frühstückssemmeln in zwei Hälften zu zerteilen, aber an Fichtenholz scheiterte es kläglich. 30 Minuten und eine Fleischwunde später wurde ich nervös. Der Satz „Warum nimmst du nicht die Hacke aus dem Keller?“ stammte zwar von meiner lieben Frau, hätte aber genau so gut von mir sein können, wenn er mir eingefallen wäre. Obwohl ich schon sehr in Eile war, fiel mir auf, dass ein schwitzender Mann im Stiegenhaus mit gehetztem Blick, Blutflecken am Hemd und Beil in der Hand von normalerweise griesgrämigen Nachbarn freundlicher als sonst gegrüßt wird.

Wieder in der Wohnung musste mir meine Frau zur Hand gehen. Ich stellte den Baum auf und während ihn meine liebe Gattin an der Spitze festhielt, begann ich zuerst zögernd, dann mit immer stärkeren Hieben den Stamm unten, in der Vertikalachse, zu verjüngen. So ähnlich, wie man einen Bleistift mit einem Messer spitzt. Diesmal hatte das Holz nichts entgegenzusetzen. Weder das Fichtenholz des Baumes, noch das Eichenholz des Parkettbodens, auf dem ich auftraf, als ein Hieb ins Leere ging. Ein „Kann man das noch reparieren?“ meiner „lieben“ Frau kam nur sehr rhetorisch rüber.

Das sollte mir nicht mehr passieren!

Ich stellte den Baum auf das Christbaumkreuz, was zum Einen den Vorteil hatte, dass ich sofort sah, wann genug Holz vom Stamm abgenommen war und zum Anderen konnte ich das Parkett nicht mehr verletzen. Wohl aber die Klinge des Beils, die beim nächsten Luftschlag am Gusseisen des Kreuzes splitterte. Das „Soll ich es mal versuchen“ von der Frau, die den Baum hielt , löste eine Abfolge von Bildern vor meinem geistigen Auge aus, die ich in Filmen gesehen hatte, in denen Männer mit Beilen nicht nur auf Fichten einschlugen.

Dass wir trotzdem alles noch rechtzeitig für den Besuch des Christkinds fertig bekamen, ist meiner Fähigkeit, blitzschnell logische Schlüsse zu ziehen, zu verdanken. Als ich den Baum an der Spitze packte, war er in fünf Minuten passend gemacht. Von meiner lieben Gattin!

Nur hatte ich keine Zeit mehr, an meinem Äußeren die Spuren meines Treibens zu beseitigen, aber die vielen Geschenke konnten den Verdacht der Kinder entkräften, dass ich das Christkind geschlachtet hätte.


Heuer mache ich es ganz anders. Da werde ich mir am 23. eine Säge kaufen!
 

Rosentraum

Mitglied
Nadelholzverschleißstelle meines Vertrauens

Sich den Spiegel vor Augen zu halten birgt manche Ueberraschung. Vieles sieht anders aus, als es gedacht war ... Wenn das Auge des Betrachters ein wie auch immer geartetes leichtes Laecheln ziert ... ist es wohl gelungen... Vielleicht aber, Spiegel sei Dank, ist man es ja gar nicht selbst, der da zu erkennen ist ...

Moege der Spass an der Freude erhalten bleiben.

mit einem leisen servus - der Rosentraum
 



 
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