Oh, ein Gedicht!

Wolke9

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Herr Goethe trug es nah am Herzen.
Bekanntlich litt es dort auch Schmerzen.
Der Reim ist zwar alt.
lässt aber nie kalt.
Man jault * ihn bis heute in sämtlichen Terzen.
(*alternativ: singt, weint, mault, quietscht, usw.)

Herr Schiller war ein ganz ein Schlimmer .
Der schrieb allein in seinem Zimmer
ellenlange Schülerschrecken,
so dass selbst gestandne Recken
wimmerten: „Bloß bimmeln nimmer!“

Herr Hölderlin schrieb’s durch die Blume.
Das Lied, Nebelton, Wasserklang
sandte er per Worte
an unbekannte Orte.
Verirrte Geister finden dort ihre Krume.

Herr Morgenstern packte es mehr in Humor.
Es lugte ganz frech hinterm Galgen hervor.
Einige Leichen
setzten dort Zeichen.
Das Publikum ist noch immer ganz Ohr.

H. Hesse liebte dagegen das Feine,
aber beschimpfte verstohlen gemeine
Hundesöhne per Pamphlet,
dichtete ein Stoßgebet
und ließ die Schwärmer von der Leine.

Herr Rilke beschrieb es mit Kalkül
als grandioses Trauerspiel.
Auf samtenen Pfoten
schickte er einen Boten.
Der passte genau in das Zeitgefühl.

Tucholsky? Man grölte es auf der Straße,
bei Weib, Wein, Gesang, in erheblichem Maße.
Es war doch schon wurst.
Was blieb war der Durst.
Empörend klang’s nur für Oma’s ledige Base.

Herr Brecht? Ach ja, der war Kommunist;
umschiffte das Sein buchstäblich mit List.
Bei einem Umtrunk
gab’s darum auch Stunk.
Ein Haifisch hat prompt seine Flagge gehisst.

Herr Kreisler sang’s vor, mit Engelszungen.
Er brüllte es auch, mit kräftigen Lungen,
schon mal zum Schrecken,
zum Tote aufwecken.
Dissonant klang es meistens nur notgedrungen.

Beim Gernhardt wird es manchmal verkannt.
Er schrieb es. Man las es süffisant.
Der Geistesblitz,
getarnt als Witz,
stoppte abrupt, direkt vor der Wand.

Jandl‘s Protagonist namens Otto
spielte buchstäblich treu damit Lotto.
Das kam intellekuell
ziemlich experimentell
… und blieb auch des Sinnens bestechendes Motto.

(Anm.: Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit.)
 



 
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