Ohne alles

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Ein Theaterstück in einem Akt
geschrieben, inszeniert und uraufgeführt
aus der Institution für intellektuelle Randexistenzen
Albrechtshausen-Süd,
Abt. libidinöse Surrealisten
Leitung: Wolfgang Watzl

Ohne alles
Exitus letalis oder
das Elaborat einer elysäischen Verzückung




Bühnenbild:

Ein spärlich aber betont geschmackvoll möblierter Loft. Im Zentrum eine helle Couchlandschaft. Zartes, langsam schwindendes Dämmerlicht. Eine geöffnete Doppeltüre zur Veranda lässt einen milden Frühsommerabend erahnen.

Ein Mann und eine Frau sitzen sich ein wenig angespannt auf der Couch ausserhalb der Berührungsdistanz gegenüber.

Die Frau vorsichtig fast zögernd, dann aber leise und bestimmt:
„Also......wirklich...... wirklich ohne alles?“

Der Mann aufgewühlt und erregt dominant bestätigend:
„...absolut ohne alles!“

Die Frau nachhakend:
„Bis zum bitteren Ende und ohne zu kneifen, egal was auch kommen mag?“

Der Mann gestelzt theatralisch:
„Jaaaaaa..., meinetwegen ohne zu kneifen auch bis zum allerbittersten Ende! Allein auf meine Verantwortung, versprochen! Dabei gestikuliert er demonstrativ mit zum Schwurzeichen geformten Fingern umher.“

Die Frau nun klar und entschieden:
„Nun denn, mein Lieber, so sei es. Das Spiel ist eröffnet. Der Mann beginnt....
Ohne alles!“

Der Mann nimmt wortlos seine Brille ab und blickt sodann erwartungsvoll zur Frau.
Wissend lächelnd pickt diese sich geziert ihre Kontaktlinsen aus den Augen und legt sie akkurat in ein vorbereitetes Döschen.
Fast gleichzeitig beginnen sie sich auszuziehen. Stück für Stück fällt in der unumstösslichen Reihenfolge. Er - sie / er - sie / er - sie...
Beide sitzen sich nur noch mit der Hose bekleidet gegenüber. Der Mann scheint kurz befangen zu zögern.

Die Frau ermahnend:
„Ohne alles!“

Der Mann ein wenig verlegen murmelnd:
„Gewiss, ohne alles...“
Ruckartig streift er sich sein Toupet ab und wirft es nachlässig zu den anderen Sachen.

Mechanisch nimmt die Frau eine kleine Zahnbrücke aus dem Mund betrachtet sie kurz und verstaut sie in einer unscheinbaren Schatulle.

Der Mann lächelnd mit dem Blick auf die Schatulle deutend:
„Nun also wirklich ohne alles!“
Dabei steht er auf und entledigt sich seiner Hose. Splitterfasernackt steht er nun vor ihr.

Die Frau zwischen mitleidig und verächtlich:
„Unsere morbide Bühne der verlorenen Eitelkeiten...“
Dabei erhebt sie sich elegant und öffnet den Gürtel ihrer Jean. Behutsam zieht sie die enge Hose zu den Knien und beginnt scheinbar routiniert an etwas herumzunesteln, das man allerdings in der Schummrigkeit der Szene nicht klar zu erkennen vermag.
Endlich zieht sie mit einem sanften Ruck eine Beinprothese von ihrem Oberschenkelstumpf. Sie setzt sich und zieht ihr einzelnes Bein aus der Hose. Sie zieht ihr amputiertes Bein ein wenig hoch und lässt es dann langsam und entspannt wieder auf die Couch gleiten.
„Ohne alles“, flüstert sie mit einem gutturalen und auch ein wenig spöttischen Unterton.

Der Mann fasst wollüstig nach ihr und schickt sich an, sie gierig und ekstatisch zu küssen.

Die Frau, unbeugsam:
„Nein, nein, mein Lieber, so haben wir nicht gewettet!“
Dabei hebt sie abwehrend eine Hand und zieht sich aus seiner Reichweite zurück.
„Du weisst, ohne alles!“

Der Mann fällt schwer atmend wieder auf seinen Platz zurück. Schweigen.
Nach einigen Minuten, weiterhin atemlos keuchend: „Wirklich ohne alles?“

Die Frau hart und knapp:
„Ohne alles! Nur was wirklich ist, darf bleiben.“

Der Mann, immer noch schwer röchelnd atmend beugt sich abrupt vor und greift nach dem massiven, dolchartigen Brieföffner, der bislang unbeachtet auf dem Couchtisch liegt.
„Ohne alles“, mit diesen Worten stösst er ihn selbstmitleidlos in seine Brust und wühlt ungestüm in der offenen, blutenden Wunde. Mit einem kurzen, animalischen Schrei reisst er nun einen Herzschrittmacher aus seinem pulsierend pochendem Fleisch.
Schweiss- wie auch blutüberströmt richtet er sich auf und hält ihn triumphierend wie einen heiß umkämpften Pokal hoch. Eine stolze Melange aus Schmerz, blanker Todesverachtung aber finalem Sieg.
„Ohne alles!“

Plötzlich beginnt er zu wanken, das zerstörte Instrument entgleitet ihm und fällt metallisch klackend zu Boden. Mit beiden Händen greift er taumelnd ins Leere und sinkt auf die Knie. Wie Tigerkrallen krampfen sich seine blutigen Finger tief in die wunde Brust.
Sekunden, die wie eine Ewigkeit anmuten, verharrt er tonlos in dieser Stellung, ehe er vornüber wuchtig auf den Couchtisch stürzt.

Schweigen. Nur leises, abendliches Zikadengezirpe ist zu vernehmen.

Die Frau erhebt sich und hopst anmutig auf dem einen langen, schlanken Bein zart federnd zur Bar. Ohne alles, nur in das weiche Gegenlicht gehüllt, welches gedämpft durch die zarten Verandagardinen schimmert, giesst sie sich entspannt ein Glas Champagner ein.
Lächelnd taucht sie einen Finger in die Flüssigkeit und zieht lasziv eine feuchte Linie von ihrer angehobenen Stumpfspitze bis zum Nabel. Zwanglos schüttelt sie ihr langes, dunkles Haar aus der Stirn, nippt salopp an dem edlen Glas und prostet dem leblosen Mann in einer grazil angedeuteten Geste zu, „gewonnen, mein Lieber, gewonnen!“


Vorhang
 



 
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