Ohne Mitte

3,00 Stern(e) 3 Bewertungen

Ralf Langer

Mitglied
Ohne Mitte

Ich bewege mich ohne Mitte
eine endlose Gerade entlang
im Reich der ständigen Schritte
ist Ankunft nur ferner Klang

Ich weiß um die Ungeheuer
erscheinen – in jeder Nacht
irren Sie; Schatten im Lagerfeuer
- Bilder von Gehirnen gemacht

ist jegliches Wissen der Welt
wohnt keine Bleibe inne -
Nichts - keine Mitte hält
mich narren nur meine Sinne

orakeln sich etwas her:
mal lauschen sie
einer inneren Stimme
mal einer Flamme Mär
 
O

orlando

Gast
Hallo Ralf,
bei dir fühle ich mich stets geradezu verpflichtet, einen "sinnigen" Kommentar abzugeben, was mir diesmal aber nicht ganz leicht fällt.
Formal gibt es schon einmal nix zu meckern. Die Reime passen, sprachlih gibt es ein paar Leckerlis, beispielsweise den Endvers. Die Bilder sind ok.
Ich bewege mich ohne Mitte
eine endlose Gerade entlang
im Reich der ständigen Schritte
ist Ankunft nur ferner Klang
Ich lese hier eine Auseinandersetzung mit der eigenen (philosophischen) Denkweise, der die Mitte - vielleicht der Glaube an eine höhere, sinngebendere Macht - abhanden gekommen ist.

Ich weiß um die Ungeheuer
erscheinen – in jeder Nacht
irren Sie; Schatten im Lagerfeuer
- Bilder von Gehirnen gemacht
Hier weist du auf ein Traumgeschehen hin, auf nicht zu verdrängende Ungeheuer (Erinnerungen?), die nächtlich erscheinen. Andererseits ist eine Philosoph natürlich ansatzweise mit den Neurowissenschaften bekannt und "kennt" deren Herkunft. - Gäbe es da nicht diese Zweifel in den Winkeln des Wissens ...

ist jegliches Wissen der Welt
wohnt keine Bleibe inne -
Nichts - keine Mitte hält
mich narren nur meine Sinne
Nach Heidegger geben Träume Aufschlüsse über die eigenen Seinsmöglichkeiten, die demnach eher beengt oder eingeschränkt empfunden werden. Denn es stimmt wohl: Dem Wissen allein wohnt keine Bleibe inne. Der Liebe auch nicht, es sei denn es handelt sich um unsterbliche, ewige, spirituelle oder wie auch immer.

orakeln sich etwas her:
mal lauschen sie
einer inneren Stimme
mal einer Flamme Mär
Hier wird mir eine große Einsamkeit deutlich, wie sie eigentlich allen Wissenden (Weisen) eigen ist. Und ich sehe einen gewissen Zusammenhang zu meinem eigenen letzten japanesken Gedicht, das leider von dir unverstanden blieb.
Ich denke halt in Bildern. ;)

Kann aber sein, dass ich mit meiner Deutung diesmal völlig daneben liege ...

Herzliche Grüße
orlando
 
E

Einsprengsel

Gast
Hallo Ralf Langer,

das Gedicht beklagt das Fehlen der Mitte, sozusagen der Ruhe im Auge des Sturms. Die "innere Stimme" sagt: Her mit der Mitte, aber man weiß genaugenommen nicht, weshalb. Das Gedicht spricht von Ungeheuern, die für mich aber nicht glaubhaft rüberkommen, eben weil keine "Mär der Flamme" vorhanden ist, folglich erübrigt sich logischerweise das Beklagen einer fehlenden Mitte. Man kommt nicht dahinter, worauf das Gedicht, das sich durch die Anordnung als Sonett ausgibt, eigentlich hinauswill. Ich spar mir mal den Heidegger, der mir dann doch aus leicht erklärlichen Gründen etwas zu hoch gegriffen erscheint.

Die erste Frage, die ich habe, ist: In welchem Rhythmus ist dieses Gedicht eigentlich geschrieben? Es ist ein Reimgedicht, zum Reimgedicht gehört nun mal, ob du es glaubst oder nicht, ein Metrum. Sieht so aus, als sei dies Neuland für dich.

Die zweite Frage ist die zum 2. Quartett: Was soll es bedeuten? Ich bin ja einiges gewohnt an Radebrechen in Gedichten, aber hier brechen sich die Räder die Speichen.

Das Gedicht macht auf mich einen zusammengeschusterten, bemühten Eindruck, es reißt mich nun wirklich nicht vom Hocker.

Einsprengsel
 
O

orlando

Gast
Hallo, ihr lieben Lupenleser,
selbstverständlich handelt es sich hier nicht um ein Sonett, sondern um Kreuzreime, die in der Endstrophe verändert werden, ein probates Mittel, das dem Inhalt geschuldet ist.
Ich schreibe euch das nur deshalb, damit sich nix Falsches in den Köpfen festsetzt; es gibt (gottlob) auch lernbegierige Novizen in unseren Reihen ...

also, nix für ungut ;)
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Orlando,

wenngleich auch verspätet - herzlichen Dank, für deinen Kommentar.
Ich habe mir etwas Zeit gelassen, weil ich nach der großen Zufriedenheit als ich das Geidcht gepostet hatte, nach und nach
unruhiger wurde, und schließlich empfand, das etwas mit dem Gedicht nicht stimmmt.

Ich durchsuchte die sprachliche und die formelle Ebene, fand aber, das das Stück im Rahmen meiner Möglichkeiten kohärent ist.

Schließlich aber wurde ich fündig:

Ich bin mir fast sicher, das in diesem Gedicht zwei lyrische ichs stattfinden.

In Strophe eins ist ein lyrisches ich und die anderen Strophen beherbergen ein "anderes" lyrisches ich.

Die existentiellen Problematiken sind ähnlich aber nicht gleich.

Da ist ein feiner Bruch, und ich weiß noch nicht genau worauf es hinausläuft.
Ich denke aber nun das lyrische ich der ersten Strophe käme dann doch nicht auf die Schlüsse, die inneren Erkenntnisse des lyrischen ichs der anderen Strophen.

Ich werde das Stück überarbeiten, höchstwahrscheinlich auf zwei Gedichte umarbeiten.
Ja an dem Lagerfeuer sitzen zwei Personen...

Da muß ich noch mal ran.

Herzlichen Dank

Ralf
 
O

orlando

Gast
Mmh.
Aber werden nicht auch zwei gänzlich verschieden Standpunkte (Wissenschaft und Glaube) beleuchtet?
Das ist für mich doch gerade Thema deiner "Sinnsuche." - Mal abgesehen davon, dass es auch einen Glauben an die Wissenschaft gibt ... ;)
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Ralf Langer,
mit diesem Text lese ich jmd., der sozusagen zwischen Tür und Angel festhängt, stecken geblieben ist. Dort, wo die Dämonen hausen, dort wo Sinn Sinn spielt, und nicht ist.

So gesehen eine beeindruckende Standortsbeschreibung. Ich sehe aber, Du rätselst selbst darüber, was es mit dem Text auf sich hat. In der Hinsicht, so glaube wenigstens ich, braucht es eine grundsätzliche Entscheidung. Ist Dir der Bericht über diesen seltsam ungeheuren Zustand genug, dann ist alles gut. Soll Prot da raus, dann wär was zu tun. Dann lautet die Frage: Wohin soll sie gehen, die Reise?

... bisschen Meta zum Thema:
Ein mir bekannter Indianer aus Nordamerika beschrieb mir unsere Kultur in etwa zu Deinem Text hier deckungsgleich. Er meinte, wir seien in gewisser Hinsicht ziemlich übergeschnappt, da wir es uns unter Dämonen im Reich zwischen Leben und Tod gemütlich machten. Dort wo es keinen Unterschied gibt zwischen Sinn und Unsinn, dort wo ein Streit über die Farbe eines Legosteines darüber entscheidet, ob jemand leben oder sterben wird.
Das waren seine Worte.

Erstaunliche Sache, das muß ich sagen, da Dein Text etwa dieses zeigt. Zumindest lese ich das.

lg
die dohle
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Dohle,

interessante Auslassungen deinerseits.

Gerade die Frage Wohin?

Ich denke es gibt da kein wohin. Lyrich ist ein Produkt und ein Gefangener seiner Kenntnisse(seiner vermeintlichen).

Der Blick ins Feuer wirft nur Bilde heraus die die Sinngebungsmaschinerie "Gehirn" produziert.

Bin ein "fataler" Dichter

lg
Ralf
 
D

Die Dohle

Gast
... also Standort.

Hallo Ralf Langer,
gefährliche Gegend. However, ausgezeichnet ins Bild gefasst.

lg
die dohle
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Ralf Langer,

Anregung zu Deiner freien Verfügung (Beisp. Strophe I):


Ich beweg mich ohne Mitte
die Gerade endlos lang
im Reich der Schritte
ist Ankunft ferner Klang

usw. ...

... find, es lohnt zu arbeiten an dem Teil.

lg
die dohle
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Dohle,

herzlichen Dank für deine Anregung.
Ich habe das Stück noch auf meinem OP tisch liegen.
Aber meine Arbeit verhindert vorerst alle Beschäftigung mit dem lyrischen....

LG
Ralf
 



 
Oben Unten