Ohne Vergangenheit
„Du, Gerd, deine Tochter hat angerufen.“
Gerd Niehöfer schrak auf aus seinem Mittagsschläfchen und rieb sich erstaunt die Augen. Wenn seine Frau ihn so ansprach, dann war irgendetwas im Busch, sozusagen, sonst hätte sie nicht deine, sondern unsere Tochter oder einfach nur Katrin gesagt.
„Und was will sie, unsere Tochter, sie ist schließlich genauso deine wie meine Tochter?“
„Was heißt, was will sie? Sie will nichts besonderes, das heißt, sie möchte uns einfach nur am kommenden Wochenende besuchen, wenn wir nichts dagegen haben, du hast doch nichts dagegen?“
„Was soll dieser Unterton, Ruth?“ ärgerte sich Gerd, „Was sollte ich denn dagegen haben, wenn unsere Tochter uns am Wochenende besucht, ich hatte noch nie etwas dagegen.“
„Ist ja gut, Schatz; ich meine nur, weil, na ja, weil sie noch jemanden mitbringt, ihren neuen Freund. Einen Mann ohne Vergangenheit, wie sie sagt.“
Gerd Niehöfer verschlug es die Sprache.
Einen Mann ohne Vergangenheit? Was sollte denn dieser Unsinn.
„Hör mal, Ruth“, rief er seiner besseren Hälfte hinterher, doch diese hörte schon nicht mehr, sondern war bereits Richtung Küche verschwunden.
Katrin Niehöfer, die einzige Tochter von Ruth und Gerd, zählte vierunddreißig Lenze und wohnte schon seit gut acht Jahren in der Nachbarstadt. Sie lebte allein, als Single, wie es neudeutsch heißt, allerdings mit zeitweisen Unterbrechungen in Form von genannten Lebensabschnittsgemeinschaften mit wechselnden Partnern. Diese Lebensabschnittsgemeinschaften aber waren zum Leidwesen ihrer Eltern meist nicht von längerer Dauer, manchmal hielten sie nicht mal mehr als eine Woche, und Katrin begründete dieses damit, dass es für sie einfach noch zu früh sei, sich auf eine längere Zeitspanne zu binden; allerdings, so versicherte sie ihren Erzeugern, sei sie guter Hoffnung, dass sie ihn noch finden würde, den Richtigen, fürs Leben, oder wenigstens für den Rest des Lebens.
In schöner Regelmäßigkeit aber brachte sie bei ihren Besuchen, und sie besuchte die Eltern fast jedes zweite Wochenende, ihren derzeitig aktuellen Bett- und Tischgefährten mit, was Ruth gar nicht witzig fand und sie später am Telefon zu dem Ausspruch ihrer Tochter gegenüber veranlasste:
„Mein liebes Kind, ich merk mir sie gar nicht mehr, deine Verehrer, denn habe ich mich an einen gerade gewöhnt, ist der schon nicht mehr up to date.“
Ihr Mann Gerd tat seine Meinung zu diesem Thema in weitaus drastischeren Worten kund:
„Katrin, was soll das eigentlich? Ganze Kompanien voll von Männern schleppst du uns in Haus, und es immer noch nicht der Richtige dabei? Also, langsam habe ich ihn satt, deinen Spruch vom hwG.“
Damit spielte er auf Katrins Äußerung über den Unterschied zu ihrer und der Generation ihrer Eltern an.
„Eure Zeiten waren einfach prüde, wenn nicht öde, heute leben wir halt in Zeiten des häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs, des hwG:“
Ihren Vater brachte sie jedes Mal damit auf die Palme, während die Mutter nur seufzte: „Käme sie doch endlich unter die Haube!“
Gerd Niehöver kratze sich am Kopf.
Dieses Mal stand offensichtlich etwas Anderes bevor, wenn man den Worten seiner Tochter Glauben schenken konnte, etwas besonderes, ein Novum ihrer hwG Phase.
Bei all den Verflossenen, die Katrin ihren Eltern ins Haus geschleppt hatte, all den potenziell Richtigen fürs Leben, war nicht einer darunter gewesen, der keine Vergangenheit besessen hätte, wenn auch nur eine minimale, kaum erwähnenswerte solche.
Nun aber hatte sie einen angekündigt, der gar keine Vergangenheit haben sollte. Was hatte das denn bloß zu bedeuten?
Ein Mann ohne Vergangenheit? Gibt’s denn so etwas überhaupt noch, in der heutigen Zeit?
Meinte sie damit so einen Amnesietyp, wie man ihn zuhauf aus den eingängigen Hollywoodstreifen gewohnt ist. Oder aber eine besonders raffinierte Art von Verdrängungskünstlern, wie man sie häufig in der Politik vorfindet, einer, der sich heute nicht mehr an den Unsinn erinnert, den er gestern noch lautstark propagiert hat. Ein Steuerflüchtling vielleicht, oder ein Agent, aus dem Reich des Bösen, aus feindlich gesinnten Schurkenstaaten?
Gerd verwarf diese Gedanken; so gut glaubte er seine Tochter nun doch zu kennen, dass sie sich nicht auf solche Typen einließe, schließlich war sie seine Tochter, und wenn sie auch nicht viel von ihm hätte, ganz so übel könnte es nun nicht um sie bestellt sein.
Dann fiel ihm ein, dass, wenn es solche Männer ohne Vergangenheit ernsthaft gäbe, dann bestünden diese in der Tat hauptsächlich aus einer einzigen Spezies, nämlich professionellen Heiratsschwindlern, denn für welche Art von Menschen ist eine Erinnerung an die Vergangenheit mehr als lästig, ja, sogar regelrecht Existenz bedrohend?
Gerd wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Mein Gott, wenn sie einem solchen in die Fänge geraten ist.
Er kannte oder glaubte zumindest, die üblen Praktiken dieser Typen zu kennen
Diese Typen, die hinter der Maske einer smarten Erscheinung und gewandten Auftretens ihre unredlichen Absichten verbargen und in Form einer Salamitaktik ihren dahin schmelzenden Weibern das gesamte Vermögen entlockten.
‚Na, warte’, dachte er grimmig, in Erwartung des neuen Freundes seiner Tochter, „komm du nur erst mal, du Verbrecher, da bist du bei mir an der richtigen Adresse. Ich werde dir schon deine Vergangenheit aus dem Leib prügeln, wenn es sein muss, scheibchenweise. Ich werde dich lehren, wie man sich anständigen Frauen gegenüber zu benehmen hat.’
Aller Disput mit seiner Tochter wegen ihrer unterschiedlichen Sichtweisen schien vergessen, im Moment war Katrin für ihn nicht die Frau mit den häufig wechselnden Geschlechtspartnern, sondern die kleine Tochter, die ein Vater zu beschützen hat.
Während des Abendessens versuchte er, von seiner Frau mehr Informationen über den bevorstehenden Besuch der Tochter herauszubringen, doch Ruth wusste praktisch auch nicht viel mehr.
„Sie hat nur gesagt, dass sie uns am kommenden Wochenende ihren neuen Freund vorstellt, diesen Mann ohne Vergangenheit; wir sollten uns auf eine außergewöhnliche Überraschung gefasst machen.“
„Eine außergewöhnliche Überraschung“, knurrte Gerd, „als wenn sie uns die nicht schon bereitet hätte, das tut sie doch praktisch alle vier Wochen.“
In den verbleibenden Nächten bis zum Wochenende tat Gerd fast kein Auge zu.
Immer wieder sah er sie vor sich, die geistige Abwehrschlacht mit dem Heiratsschwindler, dem Mann ohne Vergangenheit. Ein übers andere Mal legte er sich Strategien zurecht, wie ein Schachspieler, wie er dem Wolf im Schafspelz zuleibe rücken könnte, auf verschlungenen Pfaden, um ihn dann schließlich im Handstreich zu erlegen respektive zu überführen, vor den Augen von Frau und Tochter, als Held, wie aus einem Sagenreich.
Doch in den wenigen Momenten, in denen ihm doch die Augen zufielen, mutierten diese heldenhaften Strategien in Albträume, an deren Ende er schweißgebadet, von Frau, Tochter und Heiratsschwindler, aus dem Haus getrieben, erwachte.
Er hütete sich wohlweislich, seiner besseren Hälfte davon Mitteilung zu machen, da er die Kommentare seiner Ruth nur zu gut kannte.
Am Samstagabend hatte Gerd sich, sehr zur Verwunderung seiner Frau, in feinstes Tuch gehüllt.
„Warum wirfst du dich denn so in Schale? So kenn ich dich ja gar nicht. Es ist doch nur unsere Tochter mit ihrem Neuen.“
„Eben drum“ ,antwortete Gerd, „in Lumpen geht keiner zum Duell; wenn schon, denn schon!“
Ruth schüttelte den Kopf. „Was für ein Duell? Du wirst doch wohl nicht wieder ein Wettsaufen veranstalten, wie beim letzten Mal. Es fehlte nicht fiel, und du hättest ihm die Hand geküsst, dem Verflossenen von Katrin.
„Ja, weil ich glaubte, er nähme sie, verdammt noch mal.“
„Du spinnst, Gerd!“
Es klingelte an der Tür.
„Ich geh schon, Ruth“
„So, so, sonst schickst du mich immer vor.“
Als Katrin ihren Eltern ihre neueste Errungenschaft vorstellte, fielen ihnen fast die Augen aus dem Kopf.
„Das ist doch…“
„Richtig, Papa. Kennt ihn noch, Jens Rienstuhl, unseren Nachbarsjungen.“
„Ach, du ich meine Sie sind Jens Rienstuhl, der kleine Jens von der Goebenstraße?“
„Na, ja, so klein bin ich nun nicht mehr, aber Sie können ruhig du zu mir sagen, wie früher.“
„Was für eine Überraschung, nicht wahr Ruth!“
Schnell, viel schneller als sonst, löste sich die anfängliche Spannung, die ein jedes Mal einsetzte, wenn Katrin ihre Neuen vorstellte.
„Sag mal, was machst du denn so, Jens? Was machen die Eltern? Weißt du noch?“
Man hatte schließlich Gesprächsstoff.
Als Jens für einen Moment das Bad aufsuchte, fielen die Eltern regelrecht über Katrin her.
„Kind, wie hast du den denn wieder getroffen, mein Gott, wie ist das schön? Warum hast du uns denn nichts vorher gesagt, wir hätten uns doch anders vorbereitet.“
„Ich glaube, ich kenne sogar noch sein Leibgericht“, strahlte Ruth.
„Aber sag mal, im Ernst, Katrin“, wollte der Vater wissen, wie kommst du denn auf einen Mann ohne Vergangenheit? Er hat doch schließlich eine, er hat uns soviel erzählt.“
Katrin wurde ein wenig rot.
„Na, ja, eine Vergangenheit hat er, aber eigentlich eine ganz brave, in Bezug auf was…
„du meinst, was den häufig wechselnden Geschlechtsverkehr betrifft“, ergänzte Gerd, „nun, dafür hast in dieser Hinsicht ja in der Tat eine reichliche Vergangenheit anzubieten.“
„Papa! Gerd!“ protestierten Tochter und Frau unisono.
Es wurde ein sehr schöner Abend, im Verlaufe dessen Jens seinen Schwiegervater in spe nicht nur duzte, sondern mit ihm während eines fröhlichen Wetttrinkens viele Gemeinsamkeiten feststellte.
In der folgenden Nacht wurde Gerd Niehöfer nicht mehr von Albträumen heimgesucht.
„Du, Gerd, deine Tochter hat angerufen.“
Gerd Niehöfer schrak auf aus seinem Mittagsschläfchen und rieb sich erstaunt die Augen. Wenn seine Frau ihn so ansprach, dann war irgendetwas im Busch, sozusagen, sonst hätte sie nicht deine, sondern unsere Tochter oder einfach nur Katrin gesagt.
„Und was will sie, unsere Tochter, sie ist schließlich genauso deine wie meine Tochter?“
„Was heißt, was will sie? Sie will nichts besonderes, das heißt, sie möchte uns einfach nur am kommenden Wochenende besuchen, wenn wir nichts dagegen haben, du hast doch nichts dagegen?“
„Was soll dieser Unterton, Ruth?“ ärgerte sich Gerd, „Was sollte ich denn dagegen haben, wenn unsere Tochter uns am Wochenende besucht, ich hatte noch nie etwas dagegen.“
„Ist ja gut, Schatz; ich meine nur, weil, na ja, weil sie noch jemanden mitbringt, ihren neuen Freund. Einen Mann ohne Vergangenheit, wie sie sagt.“
Gerd Niehöfer verschlug es die Sprache.
Einen Mann ohne Vergangenheit? Was sollte denn dieser Unsinn.
„Hör mal, Ruth“, rief er seiner besseren Hälfte hinterher, doch diese hörte schon nicht mehr, sondern war bereits Richtung Küche verschwunden.
Katrin Niehöfer, die einzige Tochter von Ruth und Gerd, zählte vierunddreißig Lenze und wohnte schon seit gut acht Jahren in der Nachbarstadt. Sie lebte allein, als Single, wie es neudeutsch heißt, allerdings mit zeitweisen Unterbrechungen in Form von genannten Lebensabschnittsgemeinschaften mit wechselnden Partnern. Diese Lebensabschnittsgemeinschaften aber waren zum Leidwesen ihrer Eltern meist nicht von längerer Dauer, manchmal hielten sie nicht mal mehr als eine Woche, und Katrin begründete dieses damit, dass es für sie einfach noch zu früh sei, sich auf eine längere Zeitspanne zu binden; allerdings, so versicherte sie ihren Erzeugern, sei sie guter Hoffnung, dass sie ihn noch finden würde, den Richtigen, fürs Leben, oder wenigstens für den Rest des Lebens.
In schöner Regelmäßigkeit aber brachte sie bei ihren Besuchen, und sie besuchte die Eltern fast jedes zweite Wochenende, ihren derzeitig aktuellen Bett- und Tischgefährten mit, was Ruth gar nicht witzig fand und sie später am Telefon zu dem Ausspruch ihrer Tochter gegenüber veranlasste:
„Mein liebes Kind, ich merk mir sie gar nicht mehr, deine Verehrer, denn habe ich mich an einen gerade gewöhnt, ist der schon nicht mehr up to date.“
Ihr Mann Gerd tat seine Meinung zu diesem Thema in weitaus drastischeren Worten kund:
„Katrin, was soll das eigentlich? Ganze Kompanien voll von Männern schleppst du uns in Haus, und es immer noch nicht der Richtige dabei? Also, langsam habe ich ihn satt, deinen Spruch vom hwG.“
Damit spielte er auf Katrins Äußerung über den Unterschied zu ihrer und der Generation ihrer Eltern an.
„Eure Zeiten waren einfach prüde, wenn nicht öde, heute leben wir halt in Zeiten des häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs, des hwG:“
Ihren Vater brachte sie jedes Mal damit auf die Palme, während die Mutter nur seufzte: „Käme sie doch endlich unter die Haube!“
Gerd Niehöver kratze sich am Kopf.
Dieses Mal stand offensichtlich etwas Anderes bevor, wenn man den Worten seiner Tochter Glauben schenken konnte, etwas besonderes, ein Novum ihrer hwG Phase.
Bei all den Verflossenen, die Katrin ihren Eltern ins Haus geschleppt hatte, all den potenziell Richtigen fürs Leben, war nicht einer darunter gewesen, der keine Vergangenheit besessen hätte, wenn auch nur eine minimale, kaum erwähnenswerte solche.
Nun aber hatte sie einen angekündigt, der gar keine Vergangenheit haben sollte. Was hatte das denn bloß zu bedeuten?
Ein Mann ohne Vergangenheit? Gibt’s denn so etwas überhaupt noch, in der heutigen Zeit?
Meinte sie damit so einen Amnesietyp, wie man ihn zuhauf aus den eingängigen Hollywoodstreifen gewohnt ist. Oder aber eine besonders raffinierte Art von Verdrängungskünstlern, wie man sie häufig in der Politik vorfindet, einer, der sich heute nicht mehr an den Unsinn erinnert, den er gestern noch lautstark propagiert hat. Ein Steuerflüchtling vielleicht, oder ein Agent, aus dem Reich des Bösen, aus feindlich gesinnten Schurkenstaaten?
Gerd verwarf diese Gedanken; so gut glaubte er seine Tochter nun doch zu kennen, dass sie sich nicht auf solche Typen einließe, schließlich war sie seine Tochter, und wenn sie auch nicht viel von ihm hätte, ganz so übel könnte es nun nicht um sie bestellt sein.
Dann fiel ihm ein, dass, wenn es solche Männer ohne Vergangenheit ernsthaft gäbe, dann bestünden diese in der Tat hauptsächlich aus einer einzigen Spezies, nämlich professionellen Heiratsschwindlern, denn für welche Art von Menschen ist eine Erinnerung an die Vergangenheit mehr als lästig, ja, sogar regelrecht Existenz bedrohend?
Gerd wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Mein Gott, wenn sie einem solchen in die Fänge geraten ist.
Er kannte oder glaubte zumindest, die üblen Praktiken dieser Typen zu kennen
Diese Typen, die hinter der Maske einer smarten Erscheinung und gewandten Auftretens ihre unredlichen Absichten verbargen und in Form einer Salamitaktik ihren dahin schmelzenden Weibern das gesamte Vermögen entlockten.
‚Na, warte’, dachte er grimmig, in Erwartung des neuen Freundes seiner Tochter, „komm du nur erst mal, du Verbrecher, da bist du bei mir an der richtigen Adresse. Ich werde dir schon deine Vergangenheit aus dem Leib prügeln, wenn es sein muss, scheibchenweise. Ich werde dich lehren, wie man sich anständigen Frauen gegenüber zu benehmen hat.’
Aller Disput mit seiner Tochter wegen ihrer unterschiedlichen Sichtweisen schien vergessen, im Moment war Katrin für ihn nicht die Frau mit den häufig wechselnden Geschlechtspartnern, sondern die kleine Tochter, die ein Vater zu beschützen hat.
Während des Abendessens versuchte er, von seiner Frau mehr Informationen über den bevorstehenden Besuch der Tochter herauszubringen, doch Ruth wusste praktisch auch nicht viel mehr.
„Sie hat nur gesagt, dass sie uns am kommenden Wochenende ihren neuen Freund vorstellt, diesen Mann ohne Vergangenheit; wir sollten uns auf eine außergewöhnliche Überraschung gefasst machen.“
„Eine außergewöhnliche Überraschung“, knurrte Gerd, „als wenn sie uns die nicht schon bereitet hätte, das tut sie doch praktisch alle vier Wochen.“
In den verbleibenden Nächten bis zum Wochenende tat Gerd fast kein Auge zu.
Immer wieder sah er sie vor sich, die geistige Abwehrschlacht mit dem Heiratsschwindler, dem Mann ohne Vergangenheit. Ein übers andere Mal legte er sich Strategien zurecht, wie ein Schachspieler, wie er dem Wolf im Schafspelz zuleibe rücken könnte, auf verschlungenen Pfaden, um ihn dann schließlich im Handstreich zu erlegen respektive zu überführen, vor den Augen von Frau und Tochter, als Held, wie aus einem Sagenreich.
Doch in den wenigen Momenten, in denen ihm doch die Augen zufielen, mutierten diese heldenhaften Strategien in Albträume, an deren Ende er schweißgebadet, von Frau, Tochter und Heiratsschwindler, aus dem Haus getrieben, erwachte.
Er hütete sich wohlweislich, seiner besseren Hälfte davon Mitteilung zu machen, da er die Kommentare seiner Ruth nur zu gut kannte.
Am Samstagabend hatte Gerd sich, sehr zur Verwunderung seiner Frau, in feinstes Tuch gehüllt.
„Warum wirfst du dich denn so in Schale? So kenn ich dich ja gar nicht. Es ist doch nur unsere Tochter mit ihrem Neuen.“
„Eben drum“ ,antwortete Gerd, „in Lumpen geht keiner zum Duell; wenn schon, denn schon!“
Ruth schüttelte den Kopf. „Was für ein Duell? Du wirst doch wohl nicht wieder ein Wettsaufen veranstalten, wie beim letzten Mal. Es fehlte nicht fiel, und du hättest ihm die Hand geküsst, dem Verflossenen von Katrin.
„Ja, weil ich glaubte, er nähme sie, verdammt noch mal.“
„Du spinnst, Gerd!“
Es klingelte an der Tür.
„Ich geh schon, Ruth“
„So, so, sonst schickst du mich immer vor.“
Als Katrin ihren Eltern ihre neueste Errungenschaft vorstellte, fielen ihnen fast die Augen aus dem Kopf.
„Das ist doch…“
„Richtig, Papa. Kennt ihn noch, Jens Rienstuhl, unseren Nachbarsjungen.“
„Ach, du ich meine Sie sind Jens Rienstuhl, der kleine Jens von der Goebenstraße?“
„Na, ja, so klein bin ich nun nicht mehr, aber Sie können ruhig du zu mir sagen, wie früher.“
„Was für eine Überraschung, nicht wahr Ruth!“
Schnell, viel schneller als sonst, löste sich die anfängliche Spannung, die ein jedes Mal einsetzte, wenn Katrin ihre Neuen vorstellte.
„Sag mal, was machst du denn so, Jens? Was machen die Eltern? Weißt du noch?“
Man hatte schließlich Gesprächsstoff.
Als Jens für einen Moment das Bad aufsuchte, fielen die Eltern regelrecht über Katrin her.
„Kind, wie hast du den denn wieder getroffen, mein Gott, wie ist das schön? Warum hast du uns denn nichts vorher gesagt, wir hätten uns doch anders vorbereitet.“
„Ich glaube, ich kenne sogar noch sein Leibgericht“, strahlte Ruth.
„Aber sag mal, im Ernst, Katrin“, wollte der Vater wissen, wie kommst du denn auf einen Mann ohne Vergangenheit? Er hat doch schließlich eine, er hat uns soviel erzählt.“
Katrin wurde ein wenig rot.
„Na, ja, eine Vergangenheit hat er, aber eigentlich eine ganz brave, in Bezug auf was…
„du meinst, was den häufig wechselnden Geschlechtsverkehr betrifft“, ergänzte Gerd, „nun, dafür hast in dieser Hinsicht ja in der Tat eine reichliche Vergangenheit anzubieten.“
„Papa! Gerd!“ protestierten Tochter und Frau unisono.
Es wurde ein sehr schöner Abend, im Verlaufe dessen Jens seinen Schwiegervater in spe nicht nur duzte, sondern mit ihm während eines fröhlichen Wetttrinkens viele Gemeinsamkeiten feststellte.
In der folgenden Nacht wurde Gerd Niehöfer nicht mehr von Albträumen heimgesucht.